thomas macho Einerseits wird der schulische Religionsunterricht eingeschränkt oder abgeschafft, andererseits konstatieren Sachbücher und Feuilletons seit mehr als zehn Jahren einen Trend zur Wiederkehr der Religionen. Die Religionswissenschaft wirkt dabei oft nicht weniger ratlos als die Theologie: Soll sie an der kategorialen Differenz zwischen Religionen und religiösen Empfindungen festhalten – oder gleich das Internet nach neuen Sektenbotschaften und Bekennerbriefen durchforsten?
Seit dem Sieg der Aufklärung und ihrer Religionskritik – der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat, der Widerlegung der Gottesbeweise, der Historisierung heiliger Schriften, aber auch der Forderung nach Religionsfreiheit und Toleranz – sind die Religionen zunehmend aus der Sphäre des Kults in die Sphäre der Kultur abgewandert. Sie haben sich im Zuge dieser Emigration, die mit der Kategorie der Säkularisierung nur teilweise erfasst wird, aufgespalten: in die rationalen Gestalten einer «Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft» und in die Glaubensformen beliebiger Privatkulte.
Darum ist es auch kein Zufall, dass die gesellschaftlich relevanten Entzauberungs- und Rationalisierungsprozesse seit dem frühen 19. Jahrhundert von einem Aufschwung esoterischer oder mystischer Bewegungen ... begleitet wurden; die Etablierung einer civil religion, die sich im Wesentlichen auf Humanitätsideale gründet, wie sie in den Erklärungen der Menschenrechte nach der Amerikanischen und der Französischen Revolution formuliert wurden, ermöglichte geradezu die Karriere von ungezählten private religions, die sich an einem heretical imperative (Peter Berger) orientierten.