Antonio Tabucchi (in einem seiner letzten Interviews / Auszug) Berlusconi habe alle menschlichen Beziehungen zerstört, die
Zivilisation, die der Mensch seinen Trieben mühsam abgehandelt habe,
stehe mit solchen keineswegs harmlosen Narreteien auf dem Spiel. Wenn
der Regierungschef sich alles erlaube, könne es ihm jeder nachtun. Die
Grenzen seien gefallen. Und es sei völlig unklar, wie man sie wieder
errichten könne.
Nachdem man Antonio Tabucchis tief empörter Beweisführung, versunken
in den weinroten Samtsesseln seines Hauses in der Lissabonner Altstadt,
ein paar Stunden lang zugehört hat, fragt man sich, ob der
Schriftsteller denn jede Hoffnung für sein Vaterland aufgegeben habe.
Schließlich sei das Monster gerade abgetreten. Ja, sagt Tabucchi, das
stimme. Aber es waren weder die Italiener, noch war es Europa, die
diesen Fall bewirkt haben. Es waren einzig die Märkte. Das dämpfe die
Freude doch erheblich. Außerdem sei Berlusconi zwar gefallen, aber nicht
sein System. Das Netz, das er gesponnen habe, sei nicht so leicht zu
zerstören. Seine Fernsehsender, sein Verlagsimperium, die vielen
verfassungswidrigen Gesetze, die zu seinem persönlichen
unternehmerischen Nutzen verabschiedet wurden, allen voran das Gesetz,
das Bilanzfälschungen toleriert – das alles gibt es noch immer. Und auch
das neue Wahlgesetz sei ein einziger Betrug. Tabucchi sagt, mit dem
deutschen Wahlsystem wäre Berlusconi nie an die Macht gekommen.
Man hat sich über den Irren amüsiert und darüber den Berlusconismus
vernachlässigt. Aber Berlusconi war ein Universum. Und ist es noch
immer. Den Italienern ergeht es mit Berlusconi wie der Prinzessin im
Märchen der Brüder Grimm mit König Drosselbart. Ihm gehört alles. Kein
Tag der Italiener vergeht ohne ihn. Tabucchi zählt auf: Man steht auf,
trinkt seinen Kaffee. Der kommt von Berlusconi. Man kauft die Zeitung.
Die ist von Berlusconi. Man besucht eine Vorlesung in der
Privatuniversität. Die ist bezahlt von Berlusconi. Man fährt mit dem Bus
nach Hause. Der gehört Berlusconi. Man rutscht auf der Straße aus und
kommt ins Krankenhaus. Das gehört Berlusconi. Man benachrichtigt seine
Versicherung. Die gehört Berlusconi. Man geht ins Kino. Der Filmverleih
gehört Berlusconi. Man schaltet den Fernseher an, auf der Mattscheibe
erscheint Berlusconi, der sich, wann immer er will, in seine
Fernsehkanäle einschaltet. Gesetze, die ein solches Sonnenkönigtum
verhindern könnten, gibt es in Italien nicht.
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