Dienstag, 27. März 2012

Berlusconi

Antonio Tabucchi (in einem seiner letzten Interviews / Auszug)          Berlusconi habe alle menschlichen Beziehungen zerstört, die Zivilisation, die der Mensch seinen Trieben mühsam abgehandelt habe, stehe mit solchen keineswegs harmlosen Narreteien auf dem Spiel. Wenn der Regierungschef sich alles erlaube, könne es ihm jeder nachtun. Die Grenzen seien gefallen. Und es sei völlig unklar, wie man sie wieder errichten könne.
Nachdem man Antonio Tabucchis tief empörter Beweisführung, versunken in den weinroten Samtsesseln seines Hauses in der Lissabonner Altstadt, ein paar Stunden lang zugehört hat, fragt man sich, ob der Schriftsteller denn jede Hoffnung für sein Vaterland aufgegeben habe. Schließlich sei das Monster gerade abgetreten. Ja, sagt Tabucchi, das stimme. Aber es waren weder die Italiener, noch war es Europa, die diesen Fall bewirkt haben. Es waren einzig die Märkte. Das dämpfe die Freude doch erheblich. Außerdem sei Berlusconi zwar gefallen, aber nicht sein System. Das Netz, das er gesponnen habe, sei nicht so leicht zu zerstören. Seine Fernsehsender, sein Verlagsimperium, die vielen verfassungswidrigen Gesetze, die zu seinem persönlichen unternehmerischen Nutzen verabschiedet wurden, allen voran das Gesetz, das Bilanzfälschungen toleriert – das alles gibt es noch immer. Und auch das neue Wahlgesetz sei ein einziger Betrug. Tabucchi sagt, mit dem deutschen Wahlsystem wäre Berlusconi nie an die Macht gekommen.
Man hat sich über den Irren amüsiert und darüber den Berlusconismus vernachlässigt. Aber Berlusconi war ein Universum. Und ist es noch immer. Den Italienern ergeht es mit Berlusconi wie der Prinzessin im Märchen der Brüder Grimm mit König Drosselbart. Ihm gehört alles. Kein Tag der Italiener vergeht ohne ihn. Tabucchi zählt auf: Man steht auf, trinkt seinen Kaffee. Der kommt von Berlusconi. Man kauft die Zeitung. Die ist von Berlusconi. Man besucht eine Vorlesung in der Privatuniversität. Die ist bezahlt von Berlusconi. Man fährt mit dem Bus nach Hause. Der gehört Berlusconi. Man rutscht auf der Straße aus und kommt ins Krankenhaus. Das gehört Berlusconi. Man benachrichtigt seine Versicherung. Die gehört Berlusconi. Man geht ins Kino. Der Filmverleih gehört Berlusconi. Man schaltet den Fernseher an, auf der Mattscheibe erscheint Berlusconi, der sich, wann immer er will, in seine Fernsehkanäle einschaltet. Gesetze, die ein solches Sonnenkönigtum verhindern könnten, gibt es in Italien nicht.

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