Dienstag, 14. Januar 2025

Besessenheit. Elon musk

Elon Big Boy

Natascha Strobl: Der Besessene. Elon Musks politischer Feldzug. Elon Musk hat Donald Trump den Weg zurück ins Weiße Haus geebnet, jetzt mischt er sich in Europas Politik ein. Was treibt diesen Mann?

aus: taz 10.1.2025


Elon Musk ist vieles. Unternehmer, Tech-Genie, Promi, Politikberater und der Chef-Troll von Twitter, das er in X umbenannt hat. Doch eine seiner Rollen bleibt bis jetzt unterbelichtet: Er ist zum obersten Führer einer transnationalen faschistischen Bewegung geworden. Wie konnte es so weit kommen?

Rund um die Gründung des Bezahl-Dienstleisters PayPal zur Jahrtausendwende hatte sich eine Gruppe von Männern zusammengefunden, die später als „PayPal-Mafia“ bezeichnet wurde. Ihre Mitglieder gründeten in den Folgejahren zahlreiche weitere bekannte und erfolgreiche Tech-Unternehmen, darunter Youtube, Yelp und LinkedIn. Das Selbstbewusstsein dieses Männerbunds lässt sich gut daran nachvollziehen, dass man völlig unironisch Bilder von sich selbst in vollem Mafia-Aufzug für Branchenblätter fotografieren ließ. Die Tech-Bros wollten der Welt zeigen, dass sie eine so eingeschworene wie brutale Männergemeinschaft waren. Zwar sahen die ventilierten Bilder mehr nach Buben-Fasching und weniger nach „Der Pate“ aus – die Botschaft selbst kam aber wohl an.

Dieses megalomanische wie heroische Selbstverständnis wurde auch auf die Politik übertragen. Besonders drei Mitglieder der PayPal-Mafia haben in den letzten 15 Jahren unverhohlen ihren politischen Anspruch klargemacht: David Sacks, Peter Thiel und Elon Musk. Alle drei sind Immigranten, die die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarben, und die jetzt entscheidend die US- wie globale Politik bestimmen.

Thiel und Sacks sind sicherlich die Intellektuellen in diesem Trio. Sie haben bereits 1995 ein Buch namens „The Diversity Myth“ herausgegeben, das, wenig überraschend, belegen soll, wie Weiße durch Programme für mehr Vielfalt benachteiligt werden. An ihren Ansichen hat sich seitdem wenig geändert, besonders Thiels schriftstellerisches Treiben lässt sich gut nachvollziehen. Seine Grundthese lautet, dass Freiheit und Demokratie in einem Konflikt miteinander stehen, der sich nicht mehr auflösen lässt. Thiel entscheidet sich für Freiheit und denkt über Räume fernab der bestehenden demokratischen Ordnung nach.

­Der Mars ist für ihn die bessere Erde

Das sind zum Beispiel schwimmende Städte, die auf dem Ozean gebaut werden und zu denen nur Vermögende Zutritt haben. Diese Inseln sollen ohne Regierung, Demokratie und Rechte funktionieren. Ebenso träumt Thiel davon, das Weltall jenseits der Erde zu besiedeln. Es ist genau dieses Denken, das wir einige Zeit später bei Elon Musk wiederfinden, der es jedoch wesentlich massentauglicher macht. Denn wo David Sacks und inbesondere Peter Thiel zu verkopft sind, um als Rampensäue zu fungieren, fehlt es Musk vielleicht an intellektueller Tiefe – doch er begreift, wie man ein Publikum begeistert und wie man populäre Diskurse nutzt oder schafft.

Musks Radikalisierung hat weit vor seiner Twitter-Übernahme im Herbst 2022 begonnen. Seine Ideologie ist klar von seinen ehemaligen Mitstreitern und deren Grundsatztexten beeinflusst. Mit Twitter/X hat er aber nun endlich das Medium gefunden, das ihm auf seine Art erlaubt, diese Ideologie in die Breite zu streuen. Dabei radikalisieren sich das Medium und sein Besitzer laufend gegenseitig.

Ideologischer Kern ist auch bei Musk die Besiedelung extraterrestrischer Räume, vor allem des Mars. In Musks Vorstellung kommen dabei zwei Komponenten zusammen: Technologie­gläubigkeit und Kulturpessimismus. Er sieht die westlichen Gesellschaften im Niedergang und die Klimakrise als unumkehrbar an und bietet als Ausweg die Umsiedlung auf einen anderen Planeten an. Die Implikationen dieser These sind so fantastisch wie drastisch. Denn ob Ozeanstädte oder Marskolonie: Wer hineinkommt, bestimmen Musk und seine Mafia.

Um das Ausmaß der Musk’schen Science­-Fiction-Ideen zu verstehen, muss man auf sein zweites wichtiges ideologisches Steckenpferd schauen: die Geburtenraten. Vor allem auf Twitter/X repostet Musk immer wieder faschistische Accounts, die allesamt eine Obsession mit Geburtenraten haben. Es geht dabei weniger um globale Geburtenraten als um die Geburtenraten westlicher und vor allem „weißer“ Länder.

Besessen von Geburtenraten

Das ist kein neues Thema im globalen Rechtsextremismus. Terroristen wie die Attentäter von Christchurch oder Buffalo stellten die Geburtenraten als zentrales Motiv ihrer Taten dar. So beginnt das Manifest des Christchurch-Attentäters mit „It’s the birthrates, it’s the birthrates, it’s the birthrates“.

Der erhobene Vorwurf ist ein doppelter. Er richtet sich gegen nichtweiße oder auch nichtbürgerliche Frauen, die zu viele Kinder bekommen. Er richtet sich auch gegen weiße Frauen, die zu wenige Kinder bekommen. Schuld sind also so oder so Frauen. Die weißen Frauen sind von Feminismus und Selbstverwirklichung verblendet und lassen sich nicht oder mit falschen Männern ein. Die, die mit weißen Männern verheiratet sind, bekommen dann auch noch zu wenige Kinder. Drei Kinder pro Frau ist dabei die magische Grenze. Die Grenze für was eigentlich? Nicht für gesellschaftlichen Wohlstand per se, da Gesellschaften sich auch anders, etwa wie seit Jahrtausenden durch Migration, reproduzieren können. Es ist die Grenze für die Reproduktion wünschenswerter, also weißer, gesunder und bürgerlicher Kinder.

In diesem Vorwurf steckt der Sukkus moderner neofaschistischer Ideologie: Dekadenz, Misogynie, Antifeminismus, Rassismus und Verschwörung. Die Obsession mit Geburtenraten ist auch die Kernthese des Verschwörungsmythos des sogenannten Großen Austauschs, der von der Identitären Bewegung popularisiert wurde. Nun braucht es die Identitäre Bewegung gar nicht mehr: Der reichste Mann der Welt ist der oberste Verfechter dieser These.

Denkt man diese beiden Radikalisierungsstränge des Elon Musk nun zusammen, offenbart sich ein faschistisches Projekt, das so megalomanisch wie abstrus anmutet. Nehmen wir Musk einmal beim Wort. Er möchte den Mars besiedeln, weil er nicht glaubt, dass das Leben auf der Erde eine Zukunft hat. Er steckt viel Energie und Aufmerksamkeit in den technologischen Teil dieses Projekts. Nehmen wir nun an, dass es ihm in absehbarer Zukunft gelingt.

Die Besiedelung des Mars wäre dann in erster Linie keine Frage von Technologie, sondern von Demokratie. Wie viele Menschen können in Musks Utopie auf dem Mars leben? Hundertausend? Eine Million? Eine Milliarde? Wer wählt aus, wer den brennenden und zum Untergang verurteilten Planeten Erde verlassen darf und wer nicht? Oder, anders gesagt: Nach welchen Kriterien wird ein Mann, der sich obsessiv mit den Geburtenraten weißer, westlicher, bürgerlicher, Frauen auseinandersetzt, wählen? Wird eine Frau jenseits des gebärfähigen Alters Teil dieser Besiedelung sein? Werden es arme Menschen sein? Nichtweiße? Menschen mit chronischen Krankheiten sein?

Sein Weltbild ist ein faschistisches

Selbstverständlich ist dieses Projekt eine Science-Fiction-Utopie. Selbstverständlich werden wir alle uns höchstwahrscheinlich keine Gedanken über unser Ticket zum Mars machen müssen. Elon Musk tut dies allerdings. Das dahinter liegende Weltbild ist ein faschistisches. Selbst wenn er nicht dazu kommen wird, dieses auf dem Mars anzuwenden, so liegt dieselbe Weltsicht hinter Musks ganz irdischen Projekten.

Elon Musks Twitter-Übernahme hat ihm eine Plattform gegeben, die noch größer ist als Donald Trumps selbstgestrickte Plattform Truth Social. Musk hat Twitter/X zum Propagandawerkzeug für Trumps Wiederwahl gemacht. Das zeigte sich durch das Entsperren zahlreicher neofaschistischer Accounts, die nicht mehr vorhandene Moderation der Inhalte und die zahllosen Troll- und Bot-Armeen, die die Plattform schwemmen.

Twitter hat Musk aber auch erlaubt, sich an die Spitze zu setzen. Trump sitzt an der Spitze der republikanischen Partei und bald wieder eines mächtigen Staates. Musk hat etwas viel Wertvolleres erreicht: Er ist der Führer der Bewegung hinter den Trump’schen Wahlerfolgen. Längst ist nicht mehr Trump die zentrale Figur, sondern Musk selbst. Das wird in der Zukunft noch zu gröberen Streitigkeiten führen, die der viel ältere Donald Trump wohl nicht für sich gewinnen wird.

Elon Musks Interesse geht aber längst über die USA hinaus: Er versucht, auch in Europa Wahlen zu beeinflussen. Es mutet ironisch an, dass genau das immer der rechte Vorwurf gegenüber progressiven Stimmen war. Aber wie immer im Neofaschismus gilt auch hier: Jeder Vorwurf ein Bekenntnis. In Großbritannien und Italien wuselt Musk längst herum. Auch zu Österreich hat er sich geäußert, sein Wunsch nach einer FPÖ-Regierung geht nun in Erfüllung. Und jetzt ist Deutschland dran.

Der Umgang mit Elon Musk in der politmedialen Öffentlichkeit strotzt vor Hilflosigkeit und jubilierender Unterwürfigkeit. Dabei müsste er längst als das behandelt werden, was er ist: Der ganz irdische Botschafter einer transnationalen, faschistischen Bewegung im Kampf gegen die Demokratie. 

Freie Rede

Meinungsfreiheit im Internet

Annekathrin Kohout: Meta ohne Faktencheck

Das Märchen von der „free expression“. Uneingeschränkte Meinungsfreiheit kann es auf sozialen Medien gar nicht geben. Wir müssen diese deshalb jedoch nicht meiden, sondern klüger nutzen.

Aus: taz 13.1.2025

Es war einmal eine Plattform, die versprach, ein Ort uneingeschränkter Redefreiheit zu sein. So erzählte es Meta-Chef Mark Zuckerberg letzte Woche in einer unheilvollen „Neujahrsansprache“, wie ein Instagram-Kommentator dessen Video treffend klassifizierte. Doch hinter den friedlichen Regenbogen-Flaggen verbarg sich ein „zensierendes“ System aus Algorithmen, das entschied, welche Worte überhaupt sichtbar wurden. Nun aber, so verkündete Zuckerberg, müsse die „free expression“ wiederhergestellt werden!

Auch die Meta-Plattformen sollen künftig X-gleich zu einer Bastion der freien Rede werden. Ob Zuckerberg hier selbstkritisch sprach oder mit vorgehaltener Pistole – darüber lässt sich spekulieren. Doch eines ist klar: Er bedient damit geschickt ein Narrativ, das anhaltend Konjunktur hat: das der unterdrückten Meinungen, die dringend befreit werden müssen.

Der derzeitige Schirmherr dieses Narrativs ist Elon Musk, der X bereits zum selbsternannten Leuchtturm der Meinungsfreiheit umgebaut hat. Auch wenn viele die Plattform daher mittlerweile verlassen haben, floriert X dennoch weiter. Die User sehen sich nämlich durch Musks Rhetorik in ihrem diffusen Gefühl bestätigt, ihre wahren Gedanken sonst nicht mehr äußern zu dürfen.

Dieses Gefühl ist in den sozialen Medien allerdings unvermeidlich. Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon: Soziale Medien verstärken soziale Sanktionen – von offener Kritik und Ausgrenzung über Shaming bis hin zu Mobbing. Sichtbarkeit und Reichweite spielen hier eine entscheidende Rolle.

Äußerungen und Handlungen sind einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und werden nicht nur von kleinen Gruppen, sondern potenziell von einer globalen Community bewertet. Das erhöht den Druck auf Einzelpersonen erheblich. Ein misslungener oder unbedachter Post kann innerhalb von Stunden massive öffentliche Kritik nach sich ziehen – das, was heute vorschnell als „Cancel Culture“ bezeichnet wird. Manchmal mit positiven, manchmal mit negativen Konsequenzen.

Orchestrierte Bestrafung

Besonders gravierend ist der sogenannte „Pile-on-“ oder Schneeballeffekt: Wird jemand oder etwas öffentlich kritisiert, schließen sich oft viele User der Bestrafung an. Schnell entsteht der Eindruck eines breiten Konsenses – auch wenn dieser objektiv betrachtet gar nicht existiert. In dieser Dynamik fühlt sich paradoxerweise jede Position als bedrohte Minderheit. Dabei ist die vermeintliche Mehrheitsmeinung oft nur ein gut orchestriertes Ensemble Weniger.

Die Mär von der „free expression“ ist also eine schöne Geschichte, aber sie bleibt auch unter Musk und einem Meta ohne Faktencheck und mit weniger Content-Moderation, was sie immer schon war: ein Märchen. Die Vorstellung, dass Plattformen uneingeschränkte Meinungsfreiheit ermöglichen, verkennt ihre Architektur: Algorithmen, Monetarisierung und Marktlogiken schaffen Bedingungen, unter denen jede Rede zur Ware wird: verpackt, kuratiert, verkauft – aber nicht frei. Sie verkennt aber auch, dass soziales Verhalten in einem Umfeld, das Feedback und Reaktionen nicht nur ermöglicht, sondern permanent forciert, nicht reguliert werden kann.

Die eigentliche Frage lautet also nicht, ob es freie Rede im Netz geben kann. Die Frage ist, wer uns diese Märchen erzählt – und warum ausgerechnet jetzt. Während Zuckerberg und Musk von digitaler Befreiung reden, verwandeln sie im Hintergrund weiterhin jede Äußerung in verwertbare Daten. Je wilder die Debatten toben, desto höher die Engagement-Raten. Je polarisierter die User, desto präziser die Algorithmen. Die „free expression“ ist ein trojanisches Pferd – das wir begeistert begrüßen.

Dieser Widerspruch lässt sich wohl nicht auflösen – aber wir sollten ihn im Hinterkopf behalten. Die Mechanismen sozialer Medien zu durchschauen muss nicht bedeuten, sie zu meiden. Es bedeutet, sie klüger zu nutzen. Denn die echte digitale Freiheit liegt darin, nicht alles zu sagen, was man sagen könnte.


Freitag, 10. Januar 2025

Sinkflug des Konservativismus

Konservativismus und Rechtspopulismus

Koalition mit der FPÖ: "Das könnte die ÖVP in eine existenzielle Krise führen"

Als möglicher Juniorpartner der FPÖ muss sich die ÖVP von der Idee verabschieden, sie könne die Rechtspopulisten entzaubern. Im Gegenteil geht die ÖVP große Risken ein, 

Thomas Biebricher im Interview. KURIER, 10.1.2025

Thomas Biebricher ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Krise des gemäßigten Konservatismus in Deutschland und Europa. 


Der Krise, oft gar der Sinkflug, der gemäßigten Konservativen in Europa gilt seit Jahren Thomas Biebrichers Forschungsblick. Geht die ÖVP nun tatsächlich eine Koalition mit der FPÖ ein, sieht der deutsche Politologe, der an der Goethe-Universität in Frankfurt lehrt, "große Gefahren" für die österreichischen Konservativen" - bis hin zu einer Zerreißprobe für die ÖVP

KURIER: Sie sagen, eine Koalition mit der FPÖ könnte die ÖVP mittelfristig in eine existenzielle Krise führen. Was bringt Sie zu dieser Vermutung?

Thomas Biebricher:  Die Erfahrung zeigt, dass es für konservative Parteien selten gut ausgeht, wenn sie sich mit rechts-autoritären Kräften einlassen. Und das sogar, wenn die Konservativen die Seniorpartner waren. Man denke beispielsweise an die Niederlande oder an Italien. In fast allen Fällen kommen konservative Parteien schlechter raus als solchen Koalitionen als sie reingehen. Dies gilt umso mehr, wenn man wie im Fall der ÖVP als Juniorpartner so eine Partnerschaft eingeht. 

Warum ist das so riskant?

In solch einer Konstellation kann die ÖVP wenige Wähler und Wählerinnen von der FPÖ dazugewinnen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie bei der nächsten Wahl zur ÖVP wechseln. Umgekehrt werden jene zur Mitte orientierten Milieus, denen es um eine seriöse bürgerliche Politik geht, abgeschreckt. Wenn man zudem als Juniorpartner so eine Koalition eingeht, kann man auch kaum das Argument liefern: okay, wir bringen sie zur Raison. Daher denke ich, dass die ÖVP viel in der Mitte verlieren wird.

Koalition mit der FPÖ: "Das könnte die ÖVP in eine existenzielle Krise führen"

Man muss nur nach Frankreich schauen: Das mahnende Beispiel der Republikaner, die sich im Umgang mit dem Rassemblement National schon mehr oder weniger selber zerlegt haben. Ein ähnliches Schicksal könnte der ÖVP drohen. Ein Teil der ÖVP wird sich der FPÖ noch weiter sehr stark annähern. Aber ein anderer Teil der ÖVP – wenn auch vielleicht nicht der aktuell tonangebende – wird hier massive Vorbehalte haben. Daraus resultiert die große Gefahr. 

Wird die ÖVP dadurch ihr eigenes Profil verlieren?

Obwohl die ÖVP mit den Grünen in einer Koalition war, ist sie unterschwellig schon relativ lange näher an die FPÖ herangerückt - was die Migrationspolitik oder die Kultur-kämpferischen Themen usw angeht:  Daher sehe ich nicht klar, wie sich die ÖVP von der FPÖ in so einer Koalition abheben will. Im Wahlkampf hatte sie ihr eigenes Profil abgesehen von Sachthemen ein Stückweit darauf aufgebaut, dass sie keine Koalition mit der FPÖ eingeht. Das ging jetzt natürlich verloren. Daher wird es nicht einfach sein, sich ein erkennbares Profil zu erhalten. 

Warum lässt sich dann eine Partei darauf ein, mit einer stärkeren zu koalieren, wenn sie letztendlich schlechter aussteigt als vorher? 

Im Falle von Österreich müsste man auch einfach sagen: Wegen der Ermangelung von Alternativen, denn diese wären wahrscheinlich Neuwahlen gewesen. Da hatte man vermutlich die Befürchtung, dass die FPÖ danach noch stärker dastehen könnte.

Wie Elon Musk den Wahlkampf in Deutschland aufmischt

Aber man hätte sich vielleicht doch ein bisschen mehr bei diesen Koalitionsverhandlungen anstrengen müssen. 

Was halten Sie von der These, dass sich Rechtspopulisten entzaubern lassen, sobald sie mitregieren oder überhaupt regieren? 

Ich sehe dafür keine starken empirischen Belege. Sowohl in Österreich als auch in den Niederlanden, wo Rechtpopulisten in die Regierung eingebunden waren und scheiterten,  sind sie nach einer Weile gestärkt zurückgekommen. Was ist genau damit gemeint, sie zu entzaubern? Das kann vielleicht funktionieren, wenn Rechtsautoritäre allein die Regierung stellen. Aber wenn eine konservative Partei als Seniorpartner agiert, wollen Regierungspartner gut dastehen. Und da wäre es schon ein Kunststück, sich selbst als erfolgreich darzustellen und gleichzeitig den Koalitionspartner dabei zu entzaubern und nachzuweisen, wie regierungsunfähig die Rechtspopulisten sind. 

Die ÖVP hat eine 180 Grad Wende vollzogen. Können Sie sich so etwas in Deutschland auch vorstellen -  Koalitionsgespräche zwischen der CDU und der in Teilen rechtsextremen AfD? 

Nicht nach der jetzt anstehenden Wahl und nicht unter der Führung von Friedrich Merz. Das würde ich im Moment ausschließen. Da müsste der CDU-Chef erst zurücktreten oder wir sprechen von der Wahl 2029. Merz hat keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit der AfD. Er blinkt zwar rhetorisch auch immer mal wieder rechts, das halte ich auch durchaus für bedenklich, aber gleichzeitig ist er ein zutiefst bürgerlicher Typ, der auf die AfD-Leute herabschaut. Zudem ist der CDU-Führung klar, dass es die Partei zerreißen würde, wenn sie versucht, eine Art von Zusammenarbeit mit der AfD herbeizuführen.

Das könnte der ÖVP auch passieren, dass es die Partei zerreißt. 

Offensichtlich nimmt man das in Kauf. 

In Deutschland steht die Brandmauer zu den Rechts-Populisten noch -  im Gegensatz zu Österreich und auch zu zu vielen anderen europäischen Staaten. 

Sie steht in Europa fast nirgends mehr, auch nicht auf der Ebene der Europäischen Union.

Bestimmte Parteien am rechten Rand sind einfach sehr stark geworden. Es wurde schwierig, sie zu ignorieren und konsequent auszugrenzen. Das sieht man besonders in Österreich. Die Strategie der Ausgrenzung hat ihren politischen Preis. Parteien, die nur überschaubare Schnittmengen miteinander haben, müssten sich irgendwie zu einer Koalition zusammenraufen – aber das stößt eben an gewisse Grenzen.

Und es führt letztlich in vielen Fällen zur Schlussfolgerung, dass man es tatsächlich einmal mit den anderen, den Rechts-Autoritären versuchen muss  - und hofft dabei, ihnen zumindest den Nimbus des Anti-Establishments und des Radikalen nehmen zu können. Aber das macht diese natürlich auch wiederum in gewisser Weise attraktiver, es gibt ihnen einen großen Legitimierungsschub, sie gelten dann nicht mehr als die politischen Schmuddelkinder. 

Sind wir an dem Punkt, dass christdemokratische Parteien bald nur noch mit mit ganz rechten Parteien zusammenarbeiten können oder müssen, um an die Macht zu kommen? Oft gibt es eine regelrechte Abneigung, mit Grünen oder Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. 

Das ist das Problem. Wir sehen etwas Ähnliches in Deutschland, wo sich die CSU mit Händen und Füßen gegen eine Koalition mit den Grünen wehrt. Dann muss man sehen, wo man überhaupt noch seine Mehrheiten zusammenkriegt. Mit der FDP wird es nach den Wahlen  für die Union nicht reichen, und mit dem Bündnis Wagenknecht ist auch nichts zu machen.

Warum die EU zum Stolperstein für die Koalition werden könnte

Mit den Linken natürlich auch nicht, falls sie überhaupt in den Bundestag reinkommen. Es hängt also alles daran, ob die SPD bereit ist, in eine große Koalition zu gehen. Und wenn nicht – wie soll dann eine Regierung ohne die Afd zusammenkommen? Man muss halt bei allen Differenzen irgendwie koalitionsfähig sein. Ansonsten begibt man sich selbst mutwillig in eine Situation, in der es keine andere Möglichkeit mehr zu geben scheint, als mit rechten, autoritären Kräften zusammenzuarbeiten.

Die meisten rechtspopulistischen Parteien bieten nur Rezepte aus der Vergangenheit:  Früher war alles besser  - keine Migranten, keine Klimaschützer. Also wo sind die vorwärtsgewandten Konzepte? 

Aus dem konservativen Selbstverständnis heraus gibt es einen bewahrenden Impuls. Die Rechtsautoritären haben als Ziel eine Retrotopie, also eine Vergangenheit als Ideal, die wahrscheinlich auch nie wirklich so war. Aber um dahin zu kommen, muss nach ihrem Dafürhalten erst mal nach vorne gerichtet eine massiv disruptive Politik betrieben werden: Man muss erst einmal die Dinge auseinandernehmen, um sie dann möglicherweise wieder neu aufzubauen. Aber dieses Bewahrende, Staatstragende, was mit den Konservativen doch recht stark verbunden ist, das geht ihnen völlig ab.

Dienstag, 7. Januar 2025

Freiheitliche Partei Österreichs oder die Rechte kommt an die Macht

FPÖ regiert 

Michael Hesse: FPÖ an der Macht: Die Wiederkehr des Gleichen. Aus: Frankfurter Rundschau 6.1.2025 Die Beteiligung der FPÖ an der Macht zeigt: Österreich hat nichts aus der Geschichte gelernt. 

Thomas Bernhard hat es schon immer gewusst. Alles, was geschieht, ist eine Wiederholung des Gleichen. Davon war der größte Kritiker von Staat und Gesellschaft in Österreich, der Schriftsteller Thomas Bernhard, wie schon Nietzsche vor ihm überzeugt. Was die Vorgänge in Wien vom Wochenende in ihm ausgelöst hätten, ist angesichts seiner Lust, auf Österreich einzudreschen, unschwer zu erraten. Österreich steuert nicht allein auf ein Regierungsbündnis aus ÖVP und der rechten bis rechtsextremen FPÖ zu, sondern erstmals könnte die FPÖ mit Herbert Kickl auch den Kanzler stellen – einem Mann, der sich allzu gerne als „Volkskanzler“ bezeichnet und in entsprechender Weise agitiert. Auch wenn Österreich bereits Koalitionen zwischen Konservativen und Rechtspopulisten kennt, wird hier ein neues oder besser altbekanntes Muster erreicht. Wenn es überhaupt je eine Brandmauer in Österreich gegeben haben mag, dann hat sie nicht allzu lange gehalten. Eine gefährliche Entwicklung – nicht allein für die Alpenrepublik, sondern für ganz Europa. Ein Grund dafür ist, dass die Mauern nach rechts immer löchriger werden. „Der Versuch zu kooptieren, bestimmte rechte Positionen zu übernehmen oder Koalitionen anzustreben, war für die gemäßigten konservativen Parteien alles andere als ein Erfolgsrezept“, warnte der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher (Autor von „Mitte/Rechts“) bereits vor Monaten in einem Interview mit der FR. „Die Normalisierung bestimmter Positionen, indem man sie selbst übernimmt, und die Zusammenarbeit mit rechten Parteien, bedeutet immer, dass sich die Hegemonie von der Mitte der Gesellschaft weiter nach rechts verschiebt.“ Biebricher führte Italien und Frankreich als Beispiele an. Österreich könnte das nächste sein. Längst lässt sich die genannte Art der Annäherung auch in Deutschland feststellen. Die plumpe Übernahme von AfD-nahen Positionen in Migrationsfragen durch den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zeugen nicht nur von Einfallslosigkeit, sie sind überdies gefährlich. „Man wetteifert um Milieus, die sich sowohl in die eine oder andere Richtung orientieren können. Und da hängt es von den Angeboten ab, die von gemäßigten konservativen und christdemokratischen Parteien kommen“, sagt Biebricher. Es gehe um die Frage, ob es konservativen Parteien gelinge, den Rechten etwas entgegenzusetzen, die darauf abzielten, die Verunsicherung in Milieus noch zu verstärken und in Ressentiments umzuwandeln. „Eigentlich hätten sie ihnen aufgrund ihrer grundsätzlichen Positionierung etwas entgegenzusetzen.“ 

 In Europa grassiert eine Welle rechter und rechtspopulistischer Einstellungen und Positionen. Fast drei Jahre nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt der alte Kontinent geschwächt. Zumindest wird dieses Bild den Wählerinnen und Wählern vor allem durch rechte Parteien suggeriert. Die Gründe für die Unzufriedenheit? Die Finanzkrise 2008 war ein wichtiger Faktor. Sie erschütterte das Vertrauen in die liberalen oder auch neoliberalen Eliten. Einer ihrer Effekte: das Anwachsen der sozialen Ungleichheit. Die immer größer werdende Kluft zu den Reichen zerstört nach und nach die Mittelklasse der Gesellschaft. Die Mitte hat erheblich an Kaufkraft eingebüßt, was die Hauptursache für die schwache Konjunktur ist. Politikwissenschaftler Biebricher verweist auch auf einen Gerechtigkeitsaspekt, der 2008 verletzt worden sei: „Der Staat war bereit, Banken zu retten, die ,too big to fail‘ waren, aber den sogenannten kleinen Leuten wollte oder konnte er nicht helfen. Das war ein fataler Eindruck, der da entstand.“ Die Pandemie hat dann erneut als Beschleuniger gewirkt. Die Folge: Der Frust wächst und mehr Menschen wählen rechts. Kenner von Thomas Bernhard werden es wissen: Das Rad der Geschichte lässt nichts anderes wiederkehren als das allzu Bekannte. Eine rechte Welle erfasste Europa Anfang der 1930er Jahre durch die Folgen des Börsencrashs an der Wall Street. Während im Westen Europas Spanien unter dem Franco-Regime, Italien unter Mussolini und das Deutsche Reich unter Hitler weit nach rechts rückten, war der Rechtsruck dann auch in Mittel- und Osteuropa unübersehbar. Die größten faschistischen Bewegungen fanden sich in Rumänien, Ungarn – und in Österreich. 

Der Historiker Ian Kershaw verweist darauf, dass große Teile der nichtsozialistischen Wählerschaft in Österreich schon während der Weltwirtschaftskrise protofaschistisch gewesen seien. Der Bankencrash von 1931 habe die Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung ruiniert, die anschließende Rezession die Spaltungen vertieft. Das politische Lager radikalisierte sich zusehends. Es entstanden zwei große faschistische Bewegungen, die österreichische Heimwehr und die schnell wachsende NSDAP. Noch 1930 sei die Anhängerschaft doppelt so groß gewesen wie die der österreichischen Nationalsozialisten, diese gewannen jedoch schnell an Boden. 

Die Ernennung Hitlers zum Kanzler 1933 führte in Österreich zu einer folgenschweren Reaktion. Der 39 Jahre alte Kanzler Engelbert Dollfuß beseitigte das parlamentarische System und schuf einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung“. Die bürgerlichen Freiheiten wurden stark eingeschränkt, die Opposition unterdrückt. Einen Aufstand der Sozialisten ließ er blutig niederschlagen. Die Nazis ermordeten Dollfuß 1934. Er hatte ein repressives System geschaffen, konservativ-reaktionärer Natur. Sein Nachfolger Kurt von Schuschnigg setzte den Weg seines Vorgängers fort. Die Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren war sein oberstes Ziel. Er scheiterte.