Trumps neue Internationale.
Was in den USA jetzt geschehen wird, lässt sich schwer prognostizieren. Doch die Trump-Präsidentschaft dürfte in zahlreichen Ländern die Machtverhältnisse verschieben.
Daniel Binswanger, in Republik (CH) 18.01.2025
Radikale Ungewissheit ist ein Lackmustest für die eigene Charakterdisposition. Werden Sie hyperaktiv und nervös oder melancholisch und passiv? Sind Sie Optimistin mit Urvertrauen oder luzider Pessimist? Newsjunkie am Bildschirm oder Eskapist auf seiner Yogamatte?
Dieses Wochenende unterliegen wir den genannten Alternativen unter maximal verschärften Bedingungen. Denn mit der zweiten Trump-Präsidentschaft, die am Montag beginnt, treten wir ein in eine neue welthistorische Schreckensperiode – oder vielleicht eben doch nicht.
Was feststeht: Trump wird Schaden anrichten, massiven Schaden. Für die internationale Staatenordnung rund um den Globus, für den liberalen Verfassungsstaat in den Vereinigten Staaten, für die Integrität der politischen Institutionen, für die Rationalität der politischen Debatte. Es droht die Unterminierung der Medienfreiheit, die Politisierung der Justiz, die Korrumpierung der Wirtschaftseliten.
Alle diese Entwicklungen haben bereits eingesetzt. Entscheidend ist jedoch die Frage, wie weit sie gehen werden.
Wird die Trump-Präsidentschaft trotz der Neuauflage ein letztlich eingegrenztes und temporäres Phänomen bleiben, wird sich alles wieder einpendeln, wenn die Demokraten in zwei Jahren die midterms gewinnen und in vier Jahren Donald Trump aus Washington verschwinden wird, diesmal endgültig? Weil die Institutionen stabil genug sind und das amerikanische Publikum nicht vom Ende der Demokratie träumt, sondern von der Lösung seiner Alltagsprobleme. Weil die USA zu gross sind und in den demokratischen Bundesstaaten zu viel Macht konzentriert ist, als dass der Präsident nun schalten und walten könnte, wie es ihm beliebt. Weil die schlichte Trägheit der Institutionen selbst einer Trump-Wiederkehr wird widerstehen können.
Oder wird es Trump gelingen, die checks and balances der US-Demokratie nach und nach ausser Kraft zu setzen? Einen geregelten Machtwechsel in vier Jahren zu hintertreiben? Weil der Supreme Court schon dermassen politisiert ist, dass dieser das Recht ohnehin zu Trumps Gunsten beugt. Weil der Präsident mit dem Entziehen von Lizenzen, Klagedrohungen und wirtschaftlichem Druck die Medien schliesslich so weit eingeschüchtert haben wird, dass er eine kritische Gegenöffentlichkeit nicht mehr zu fürchten braucht. Weil er das Justizdepartement, das FBI und die Bundessteuerbehörde IRS auf die Führung der Demokraten loslassen und so viel Angst und Repression verbreiten wird, dass der politische Widerstand schliesslich wirkungslos und irrelevant bleibt.
Man kann darüber trefflich streiten, welches Szenario nun plausibler ist, aber letztlich wissen wir es nicht. Wenn die Dinge erst einmal ins Rutschen kommen, ist es schwer zu ermessen, wie weit sie aus der Spur geraten.
In der vordersten Reihe der Inaugurationsgäste: Zuckerberg, Bezos und Musk |
Die grundsätzlich optimistische Position wird zum Beispiel vom Politologen Daniel Ziblatt vertreten – wenn auch mit gebotener Vorsicht. Er beklagt zwar das unbestreitbare demokratische backsliding, das nun kommen wird, aber er vertraut darauf, dass die Gegenmächte stark genug sind, um die US-Demokratie vor dem Schlimmsten zu bewahren. «Die Gouverneure grosser, wohlhabender und von den Demokraten regierter Bundesstaaten wie Kalifornien, New York und Massachusetts haben erhebliche Macht», gibt der Harvard-Professor zu bedenken. Und er glaubt auch weiterhin an die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft: «Ich denke, wenn Albtraumszenarien wahr werden (…), dann wird die Öffentlichkeit reagieren.»
Doch mit rabenschwarzem Pessimismus schaut zum Beispiel der Politologe Harald Welzer in die Zukunft: «1933 lässt grüssen» ist sein Artikel zur Trump-Wahl überschrieben. Natürlich seien die USA des Jahres 2025 nicht eins zu eins mit dem Deutschland der frühen Dreissigerjahre zu vergleichen. Aber glaubte man nicht auch damals, die «Einbindung» des NSDAP-Führers in die Regierung werde zu seiner Domestizierung, Entzauberung und schliesslich zur Stabilisierung der Weimarer Demokratie beitragen? Hat Welzer nicht recht, wenn er schreibt: «Es werden sich viel schneller, als man heute noch meinen sollte, Kippmomente in ohnedies schwachen Überzeugungen, Einstellungen und Werten einstellen und Entscheidungen getroffen werden, die rapide Anpassungen an den neuen Zeitgeist bedeuten.» Dass diese Anpassungen bereits in vollem Gange sind, lässt sich auch an der europäischen Publizistik inzwischen bestens ablesen. Wie weit werden sie gehen?
Der zuverlässigste Verbündete der Vernunft – ein kruder Treppenwitz der Weltgeschichte – dürfte die Kopf- und Konzeptlosigkeit des neuen Trump-Hofstaates sein. Trump hat weder eine konsistente Ideologie noch eine Vision noch einen Plan noch ein erkennbares, kohärentes Wertefundament. Auch seine Wählerbasis ist vollkommen heterogen.
Der Präsident handelt gemäss dem Imperativ des Tages, orientiert sich ausschliesslich an seinem persönlichen Vorteil, ignoriert Fakten und längerfristige, strategische Interessen. Sein Team wird sich zu guten Teilen aus Karrieristinnen und ideologischen Irrläufern zusammensetzen, wobei Erstere, also durchaus strategisch handelnde Akteure mit eigener Agenda wie zum Beispiel Elon Musk, die viel grössere Gefahr darstellen dürften. Als die beste Chance für die amerikanische Demokratie erscheint schon beinahe die Unzurechnungsfähigkeit ihres potenziellen Zerstörers in chief.Eindrücklich illustriert wurde das vor dem Amtsantritt noch einmal durch die Senats-Hearings zur Nominierung von Pete Hegseth als Verteidigungsminister. Das Amt des US-Verteidigungsministers ist der vielleicht verantwortungsvollste und komplexeste Managementjob der Welt. Trump wird einen Fox-News-Moderator aus dem zweiten Glied mit einem Alkoholproblem und einer Vorgeschichte von sexuellen Übergriffen auf diesen Posten setzen.Das Hearing von Hegseth wurde zu einem absurden Schlammbad, in dem die demokratischen Mitglieder der sicherheitspolitischen Kommission des US-Senates dem künftigen Verteidigungsminister mit zahlreichen Nachfragen zu Verfahren wegen sexueller Übergriffe und Episoden von Kontrollverlust aufgrund exzessiven Alkoholkonsums auf die Pelle rückten. Hegseth wiederholte wie ein Sprechautomat, dass es sich hier lediglich um «anonyme Verleumdungen» handle, was unbestreitbar nicht den Fakten entspricht. Das dürfte jedoch keine Rolle spielen: Nach heutigem Stand werden die Republikaner Trumps nominee sowohl in der Kommission als auch im Senat geschlossen unterstützen. Einer Amtseinsetzung steht dann nichts mehr im Weg.
Dass so eine Persönlichkeit zum secretary of defense gemacht werden soll, ist der offensichtliche politische Wahnsinn. Was Hegseth in Trumps Augen für die Aufgabe qualifiziert, ist wohl primär die Tatsache, dass er ihn von Fox-News kennt, dass er immer ein hundert Prozent loyales Maga-Sprachrohr war, dass seine oberste Priorität darin besteht, vermeintlichen «Wokismus» und die um Gleichstellung bemühte DEI-Politik (diversity, equity, inclusion) in den Streitkräften zu beenden.
Und es gibt auch eine dunklere Seite: Hegseth hat sich rechtsradikale Symbole auf den Leib tätowieren lassen und ist Trump vor allen Dingen deshalb politisch nähergekommen, weil er erfolgreich dafür lobbyierte, dass verurteilte Kriegsverbrecher aus den Reihen der US-Armee, die im Irak grundlos Zivilisten ermordet hatten, von Trump begnadigt wurden.
Die Vorstellung, dass ein Mann mit diesem Profil nun, wie Trump es gemäss Medienberichten planen soll, damit beauftragt wird, eine politische Säuberung des amerikanischen Generalstabs durchzuziehen, ist der perfekte Albtraum. Es könnte sich jedoch auch als Chance erweisen: Eine so radikal unqualifizierte Person wie Pete Hegseth dürfte die gigantische Maschinerie der US-Streitkräfte wohl kaum tatsächlich in den Griff bekommen. Als wirklich beruhigende Rettungsperspektive kann die Unfähigkeit der Verantwortungsträger allerdings trotzdem nicht betrachtet werden.
Was die Trump-Präsidentschaft ebenfalls bewirken wird: Sie sendet rund um den Globus das Signal aus, dass der extremen Rechten die Zukunft gehört.
Die Gästeliste der Inaugurationsfeierlichkeiten ist in dieser Hinsicht sprechend: Geladen wurde die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, aber weder Olaf Scholz noch Keir Starmer noch Emmanuel Macron. Dafür wird aus Deutschland der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla, aus Grossbritannien der Rechtspopulist Nigel Farage und aus Frankreich Eric Zemmour erwartet – der Mann, der so rechtsradikal ist, dass auch Marine Le Pen jede Zusammenarbeit mit ihm verweigert. Viktor Orbán und Herbert Kickl wären selbstverständlich auch eingeladen, lassen sich aber aufgrund anderer Dringlichkeiten entschuldigen.
Aus Südamerika darf natürlich der grosse Musk-Komplize Javier Milei nicht fehlen. Leider nicht teilnehmen kann Jair Bolsonaro, der zwei Jahre nach dem 6. Januar 2021 nach seiner Abwahl in Brasilien ebenfalls einen Putschversuch unternahm, im Gegensatz zu Trump dafür aber strafrechtlich verfolgt wird und deshalb von den brasilianischen Behörden aufgrund der Fluchtgefahr keine Ausreisebewilligung bekommen hat. Das Leben kann sehr ungerecht sein.Die Inaugurationsfeierlichkeiten erscheinen wie ein grosser nächster Schritt zur Konsolidierung jener «reaktionären Internationalen», die die argentinischen Politologen Bernabé Malacalza und Juan Gabriel Tokatlian schon 2023 aus Anlass der Machtergreifung von Javier Milei auf den Begriff gebracht haben. Das Who’s who der teilweise extremen globalen Rechten gibt sich ein Stelldichein, liberale Regierungsvertreterinnen werden ausgeschlossen. Washington wird zur Kapitale dieser neuen politischen Gemeinschaft.
Wir wissen nicht, wie stark die US-Demokratie beschädigt werden wird, aber eines scheint gesichert: Die fundamentalen politischen Verschiebungen, die nun drohen, werden sich nicht auf die USA beschränken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen