Dienstag, 9. September 2014

Kompromisse helfen nicht. Über Kunst und Kunstmarkt

Georg Seeßlen: "Ein bisschen subversiv und ein bisschen angepasst"


Interview mit Anne Katrin Feßler in: Der Standard 8. September 2014, 17:47

Das Haben von Kunst will selber zur Megakunst werden, heißt es etwa in der umfassenden Analyse "Geld frisst Kunst. Kunst frisst Geld " von Markus Metz und Georg Seeßlen
Eine enttäuschte Liebe hatte Nicole Zepter ihren im Frühjahr erschienenen Aufsatz Kunst hassen (Klett-Cotta) untertitelt. Mit ihrer, eher aus dem Bauch heraus geschriebenen Diskussionsgrundlage hat Geld frisst Kunst. Kunst frisst Geld (Edition Suhrkamp) von Markus Metz und Georg Seeßlen schon allein vom Umfang her wenig zu tun. Der kritischen Analyse folgt ein - sicher auch von Wut motiviertes - Manifest. Der Kunstdiskurs dürfe nicht länger Handlanger des Kunstmarkts und der "geschmeidigen Verbindung zwischen Politik und Ökonomie sein", heißt es dort etwa. Und: Der Hoffnung auf eine bessere Zukuft "nützt die absolute, negative Freiheit der Kunst im Neoliberalismus keinen Deut", solange es auch hier an Gerechtigkeit und Solidarität mangelt.

STANDARD: Galeristen tragen die hehren Ziele der Kunst vor sich her, mischen aber heftig am spekulativen Kunstmarkt mit. Betrachter flüchten sich vor dem Elend der Welt in die Beschäftigung mit Kunst; die ist aber über allem anderen Handelsware. Der Kunstbetrieb scheint schizophren geworden. Ein Wort, das Sie allerdings in Ihrem Buch vermeiden. Warum?

Georg Seeßlen: Das Wort Schizophrenie fiel öfter in Gesprächen: Im Negativen hieß es, das ist Schizophrenie; im Positiven war es eine Doppelstrategie, ein Schönreden. Wir haben das Wort dennoch nicht benutzt, weil es ein bisschen auch eine Ausrede ist. Wenn jemand schizophren ist, dann weiß die eine Seite nicht, was die andere tut. Diese Entschuldigung wollten wir nicht gelten lassen.

STANDARD: Kann man Markt und Kunstgenuss trennen?

Seeßlen: Es gibt sehr viele Menschen, die das versuchen. Als Künstler muss man überleben, sich also mit einer gewissen Konsequenz auf das Spiel einlassen. Zum anderen sagen sie: Ich mach noch was ganz anderes. Diese Illusion von der Doppelstrategie, dass man ein bisschen subversiv und ein bisschen angepasst sein kann, die auch viele Galeristen, Kuratoren und Journalisten haben, lässt sich à la longue nicht aufrechterhalten.

Die grundlegende Frage lautet: Ist das System zu retten oder nicht? – Wenn ja, wäre so eine gewisse Kompromissbereitschaft taktisch total sinnvoll. Wenn man zum Ergebnis kommt, das System ist sowohl moralisch als auch in Bezug auf die ursprünglichen Aufgaben von Kunst (etwa als Instrument der Befreiung, Anm.) nicht mehr zu retten, dann hilft auch kein Kompromiss mehr - und Schizophrenie schon gar nicht mehr.

STANDARD: Diese Kluft wurde drastisch, als das Ganze hochspekulativ wurde: 2002/2003 mit der Preisexplosion im Gegenwartssektor. (Während des Booms stieg das Preisniveaus für Zeitgenössisches allein in der Zeit von 2002 bis 2008 um stattliche 225 Prozent.)

Seeßlen: Es gab eine Phase nach 2008, als man die Illusion hatte, es gibt da oben eine Blase, in der ein paar Galerien, ein paar Sammler, ein paar Experten ein Spiel spielen, das wir gar nicht mitspielen müssen. Sollen die doch ihre Millionen hin- und herschieben, noch einen Rothko, noch einen Picasso kaufen, das geht uns, die wir (lacht) ein "normales" Verhältnis zur Kunst haben, nichts an. Diese Illusion einer Blase, die platzen kann, ist ein bis zwei Jahre später zerbrochen. Etwa, weil man merkte, dass immer weitere Sphären der Kunst - auch Bereiche, in denen es gar nicht um solch horrende Summen geht - von diesem Virus der Ökonomisierung, des Megareichtums und -erfolgs, angesteckt worden sind. Die Mehrzahl der Menschen verelendet aber. Dass sehr viele Künstler den Preis dafür zahlen mussten, was da oben passiert, das kam erst später raus.

STANDARD: Wird sich das noch weiter zuspitzen?

Seeßlen: Sicher. Es wird ganz irrwitzig dramatisch, wenn sich da oben die ersten Krisen zeigen. Dann wird man sehen, wie tief diese Prozesse schon reichen - bis hin zu einer regionalen Kunst, wo sich die Verhältnisse im Kleinen nach denselben Modellen abspielen. Dort findet ein Prozess der Entfremdung der Gesellschaft von der Kunst statt.

Schaulager Basel. 2014. Foto: G.F.
STANDARD: Inwiefern?

Seeßlen: In der Moderne hatte die Kunst für die Menschen eine ganz bestimmte Bedeutung, sie war Motor gesellschaftlicher Entwicklung - nicht im pädagogischen Sinne, sondern im Sinne eines lebendigen Dialogs, im Sinne des Subjektbildens, als Vorgriff von Freiheit. Heute haben viele das Gefühl, das könne nicht mehr "ihre" Kunst sein, von der sie sich mehr Freiheit, mehr Wahrnehmung, mehr Sensibilität erhofft haben, wenn diese eigentlich nur mehr ein Ausdruck für Geld ist. In Deutschland liefen Radiowerbespots, man solle doch in Kunst statt in Immobilien oder Aktien investieren. Das war durchaus an jüngere Leute, an Familienväter gerichtet. Dieses Denken, dass Kunst eigentlich eine Ware ist, mit der man ganz großartig spekulieren kann, weil sie sich offensichtlich ein bisschen antizyklisch zu den Krisen verhält, ist nicht mehr nur ein Spiel der Oligarchen, unheimlichen Hintermänner und Superreichen.

STANDARD: Aber wer weiß schon, welche Kunstaktie durch die Decke schießen wird. Kunst kann auch ein Hochrisiko-Investment sein.

Seeßlen: Bei Kunst gibt es ja gar keine Deckung mehr. Denn was ein Kunstwerk wert ist entscheidet ausschließlich derjenige, der damit handelt, oder der, der es haben möchte. Es ist ein rein virtueller Wert, den kann man natürlich auch grenzenlos manipulieren. Das ist einer der wesentlichsten Vorwürfe, die wir in unserem Buch machen. Dass der Kunstmarkt nicht einmal als Markt funktioniert, weil auf dem wird verhandelt, dort regelt Angebot und Nachfrage. Aber es gibt keinen Markt, der derart manipuliert ist – und drastisch ausgedrückt – auch so von krimineller Energie durchsetzt ist wie der Kunstmarkt.

STANDARD: Wie hat Geld die Definitionsmacht über Kunst erhalten?

Seeßlen: Ein Plot-Point dieser Geschichte war vielleicht Andy Warhol, als er seine Business Art ausgerufen hat. Er sagte, Geld verdienen an sich sei auch ein Kunstwerk. Eine geniale und auch ironische Aussage, die den Geist seiner Zeit gut ausgedrückt hat. Bloß: Offensichtlich haben das viele Leute zu wörtlich genommen. Den dialektischen Zusammenhang zwischen Geld und Kunst hat es zwar immer gegeben: Ohne Geld gibt es keine Kunst. Der Künstler braucht Geld, das Verteilen braucht Geld, usw. Aber in der dialektischen Beziehung hat das eine das andere nicht nur enthalten, sondern gleichzeitig auch irgendwie begrenzt. Das heißt, da wo Kunst ist, sollte zumindest nicht nur Geld sein. Die Kunst versuchte, auch einen ökonomiefreien Raum zu schaffen.

STANDARD: Das Museum war lange so ein Ort.

Seeßlen: Aber heute eben nicht mehr. Heute wird selbst in kleinen regionalen Museen, beim Kunstbetrachten hauptsächlich über den Preis geredet. Und vor allem wird im Museum der ökonomische Wert mitinszeniert. Ich erinnere mich an eine Schau, wo man den ökonomischen Wert eines Kunstwerks immer daran erkennen konnte, wieviel Wärter davor standen oder wie groß der Abstand war, den die Besucher einhalten mussten.

STANDARD: Ein schönes Bild. - Nicht nur Markt und Kunst verschmelzen immer mehr, auch privat und öffentlich wird austauschbar: gleichwertig: Private Sammler übernehmen öffentliche Aufgaben – und am besten auch (siehe Fall Essl) umgekehrt.

Seeßlen: Es ist nicht nur eine Gleichwertigkeit, die hergestellt wird, sondern ein Schauspiel der Übernahme von staatlichen, gesellschaftlichen Aufgaben durch Private, durch Oligarchen. Ich habe das Gefühl, es bewegt sich auf einen Normalfall hin: Man sammelt Kunst und wenn man soviel Kunst gesammelt hat, dass man es nimmer dapackt, dann muss der Staat eingreifen, soll aber auch noch dankbar sein. Das ist wie jemand, der sich eine Pyramide baut und dafür verlangt, dass die Sklaven, die sie errichtet haben, vor Dankbarkeit niederknien. Und da kann man sich eben vorstellen, dass ganz viele Leute, die Kunst eigentlich brauchen könnten, von ihr so abgestoßen sind, dass sie sie hassen.

STANDARD: Gibt es ein Entkommen aus diesem Kreislauf?

Seeßlen: Das Buch endet mit einem Katalog an individuellen Möglichkeiten, aus der Falle heraus zu kommen. Das Problem all dieser sehr unterschiedlichen Formen, moralisch und künstlerisch zu überleben und neue Ansätze gegen die Vereinnahmung der Kunst durch die Ökonomie zu finden, liegt darin, dass sie zu einsam sind. Eine Hoffnung ist, Leute, denen es ganz ähnlich geht, die alle eine Wut und Verzweilfung haben, zusammenzubringen.

STANDARD: Das heißt, man müsste Parallelstrukturen auf- bzw. ausbauen?

Seeßlen: Auf jeden Fall. Das könnte funktionieren, wenn es einen parallelen Diskurs gibt. Deswegen ist sicher für die Leute, die sich journalistisch und kritisch mit Kunst beschäftigen, die gleiche Aufgabe zu lösen. Auch dort ist Verzweiflung zu bemerken. Es macht ja heute auch nicht mehr so viel Spaß über Kunst zu schreiben. Es war früher nicht nur die Königsdisziplin, sondern das hat wirklich gebrannt. Und wenn man jetzt die Kunstzeitschriften liest, hat man das Gefühl man liest ein Unterblatt von Capital.

STANDARD: Der Londoner Kunsthändler Kenny Schachter hat 2012, basierend auf dem offenen Brief des frustrierten Bankers Greg Smith "Why I Am Leaving Goldmann Sachs", eine auf den Galeriebtrieb umgemünzte Satire verfasst: In dem hypothetischen Text eines Galeriemitarbeiters bei Gagosian klagt dieser, er habe die Schnauze voll davon, Leuten minderwertige Kunst zu verkaufen, oder Kunst, die nicht zu ihnen passt. Er kritisiert darin, dass Geldinteressen über die Interessen der Kunst gestellt würden. In der Realität fehlen leider solche "Mir reicht's! Ich mach' da nicht mehr mit"-Bekundungen. Warum?

Seeßlen: Die gibt es zuhauf. Die Mehrzahl zieht sich jedoch resigniert vollkommen zurück. Das hat natürlich damit zu tun, wie dieses System funktioniert: mit gegenseitigen Abhängigkeiten, Verträgen, einem Durchsetztsein mit Juristen. Das ist ja ein Haifischbecken. Ganz wenige Dissidenten schaffen es auch noch, eine Öffentlichkeit zu finden. Das war eine unserer Urerfahrungen bei den Recherchen: dass es da ein Gesetz der Omertà (Schweigepflicht der Mafiamitglieder, Anm.) gibt. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 9. 9.2014, Langfassung)

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