Kreuz, Schwert und Glocke
Georg Seesslen
An einem schlechten Tag könnte man sich
darüber erregen, dass einem nur noch zwei Arten von Menschen in einer
deutschen Stadt begegnen: Leute, die nichts anderes in ihre Birne lassen
als Karriere, Geld, Status und Bizness, und Leute, die nichts anderes
in ihre Birne lassen als Fußball, Bild-Zeitung, Fernsehen und
Bier. Ein übles Klischee, ja. Trotzdem: Es muss doch etwas geben, das
diese beiden deutschen Birnen miteinander verbindet, oder?
Postpolitisch regiert
Vielleicht
ja: "die Regierung". Die Merkel, der Gabriel und der Gauck. Man könnte
versuchen, diese als Dreifaltigkeit der deutschen Postpolitik zu
beschreiben. Postpolitisches Regieren ist eine Methode, das Reden, das
Handeln und die Ausübung von Macht vollkommen voneinander zu entkoppeln
und im Schatten des öffentlich-medialen Scheins neu zusammenzusetzen.
Die Regierung folgt keinem politischen Programm, und was sie sagt, ist
nicht, was sie tut; sie hat kaum noch "politische Gegner", dafür
Konkurrenten und Königsmörder in den eigenen Reihen. Der Sachzwang und
die Systemrelevanz auf der einen, das Image und die Symbolik auf der
anderen ersetzen Position und Projekt. Welche Politik sie eigentlich
betreibt und für wen, entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit, dafür
steht sie unter permanenter "menschlich-moralischer" Beobachtung. Dass
der geölte Freiherr für seine Doktorarbeit abgeschrieben hat, war ein
Skandal, was in dieser Doktorarbeit eigentlich steht (das Offenbaren
einer Denkschule der Postpolitik) hat niemanden interessiert.
Regierung
und Volk reden miteinander, aber sie tun es nach den Regeln von Bizness
und Fernsehunterhaltung. Es werden öffentlich keine Entscheidungen
getroffen, sondern im Verborgenen Fakten geschaffen. Nicht, dass früher
alles offener gewesen wäre, und nicht, dass diese Dreifaltigkeit schon
beim Seehoferismus angekommen wäre. Indes ist unübersehbar, dass
Machtausübung inzwischen anders funktioniert als vordem.
Angela
Merkels Regieren wird an Hosenanzügen, Halsketten oder Handraute
verhandelt. Programmatisch erscheinen bei ihr allenfalls
hochverräterische Floskeln ("alternativlos", "marktkonforme
Demokratie"); während der letzte Sozialdemokrat Deutschlands verblüfft
den Kopf schüttelt, wenn er Sigmar Gabriel sagen hört, seine Partei
wolle " noch wirtschaftsfreundlicher" werden, weil man mit sozialen
Themen allein keinen "Erfolg" verzeichnet.
Die Spitze des Dreiecks
Die
eigentliche Spitze des postpolitischen Triumvirats aber ist Joachim
Gauck. Das unablässige Reden von Freiheit und Krieg soll zwischen Volk
und Elite (die Karrieristen und die Grillkönige) vermitteln, das im
Verborgenen schon Beschlossene in Sonntagspredigten bringen. Joachim
Gauck ruft im Namen der Freiheit zu den Waffen. Da er aber weder das
politische Subjekt dieser angerufenen Freiheit noch das militärische
Objekt benennen kann, hat beides eine merkwürdige, eben postpolitische
Logik: Entweder muss man es nicht erklären, weil es sich von selbst
versteht, oder man muss es nicht erklären, weil es unhinterfragbar ist.
Beides ist, gelinde gesagt, vor-aufklärerisch.
Vielleicht
kann man das Triumvirat auf diese Weise fassen: Ein Bild des Körpers,
ein Bild der Seele ("Mutti" wird Angela Merkel gern genannt) und ein
Bild des, nun ja, Geistes. Eine Erstheit (das Sein an sich), eine
Zweitheit (die aktuelle Reaktion) und eine Drittheit (die Formulierung
des Prinzipiellen). Oder noch einmal anders: einfaches, duales und
synthetisierendes Bewusstsein. So können sie so viel Unheil anrichten
wie sie wollen, gemeinsam sind sie so unwiderlegbar wie Schwert, Kreuz
und Globus.
Auf vertrackte Weise sind die drei
die Regierung, die "wir" "verdient" haben. Für die einen der ganze
Stolz, die anderen schämen sich. Und es sind die Kritiker, die auf diese
Inszenierung hereinfallen. Das Regieren, das häufig in Form eines
kontrollierten Nichtregierens erscheint, wirkt so "natürlich", dass
etwas anderes nicht mehr vorstellbar ist. Und weil Opposition und Kritik
kaum noch politischen Ausdruck finden, wird leicht übersehen, dass in
der Semiotik einer triadischen Relation auch ein dreifacher
Diskurswechsel vollzogen wird. Gabriel vollzieht einen (weiteren)
Diskurswechsel des Sozialen, Merkel einen der politischen Ökonomie, und
Gauck nicht nur einen Diskurswechsel in der Militär- und Außenpolitik,
sondern auch einen des (politischen) Protestantismus.
Gauck als Kaiser Konstantin
Würden
auch hier nicht längst die Bedingungen des Postpolitischen herrschen,
liefe das auf eine Spaltung der evangelischen Gemeinden respektive des
christlichen Wertediskurses hinaus. Besonders augenscheinlich wird dies
durch die Antwort, die Joachim Gauck den ostdeutschen Pfarrern und
Pfarrerinnen geben ließ, die sich besorgt über seine militärische
Rhetorik äußerten. Sie "herablassend" zu nennen, wäre ein Euphemismus;
ihr Inhalt ist ein Bruch mit der Projektion des Christentums als
Friedensreligion: "Der evangelische Christ Gauck kann somit nicht
erkennen, dass der vom Evangelium gewiesene Weg ausschließlich der
Pazifismus sei."
Der Gott der Liebe ist offenbar
immer auch ein Kriegsgott. Es ist die Wiederkehr der Geste, mit der der
römische Kaiser Konstantin das (urkatholische) Christentum zur
Staatsreligion machte: Er führte, ohne darin einen Widerspruch zu sehen,
seine Kriege fortan im Zeichen des Kreuzes.
Nun
wäre es übertrieben, Joachim Gauck mit Kaiser Konstantin zu vergleichen.
Und doch ist seine Geste durchaus bemerkenswert, da sie keine Zäsur,
sondern im Gegenteil eine Verbindung von Theologie und Politik
herstellt. Der militante Protestantismus der "Evangelikalen", die ihren
politischen Einfluss heftig ausdehnen, und der aufgeklärte Humanismus,
den wir uns als Leitdiskurs erhofften, schienen zwei verschiedenen
Welten anzugehören, das Konzept Friedens- und Kriegsgott miteinander
unvereinbar. Habe ich erwähnt, dass die Ersetzung politischer Diskurse
durch (pseudo-)religiöse Mythen ein wesentlicher Bestandteil der
Postpolitik ist? Unter der Glocke wird das Kreuz umgedreht und wieder
zum Schwert.
Das Reden von Freiheit und Krieg soll zwischen Volk und Elite vermitteln, das Beschlossene in Sonntagspredigten bringen
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