"EU ist fast wie Jugoslawien vor dem Ende" - Für den slowenischen Ökonomen Joze Mencinger ist die EU krank - so, wie es Jugoslawien knapp vor seinem Zerfall war.
JOZE MENCINGER: Mich erinnert das leider an die Achtzigerjahre in Jugoslawien, als das Land als wirtschaftliche Einheit nach und nach auseinanderfiel. Und es erinnert mich an die Tabuthemen jener Jahre. Es galt als unangemessen, am Slogan von der Brüderlichkeit und Einheit oder an der Identität der Interessen im sozialistischen Jugoslawien zu zweifeln. Ebenso unangemessen sind heute Zweifel am Euro und der Interessenidentität in Europa. Dabei ist es klar, dass die Interessen der EU-Staaten divergieren und die Eurozone keine optimale Währungsunion werden wird.
Wenigstens in Deutschland ist der Euro aber nicht als Modell oder als Experiment gemeint, sondern als historischer Schritt voran.
MENCINGER: In der Tat, der Euro wurde zum Symbol. Die Währungsintegration galt als unumkehrbar. Deshalb wurden auch keine rechtlichen Vorkehrungen für einen Austritt geschaffen. Auch das erinnert mich an Jugoslawien, wo es Austrittsbestimmungen auch nicht gab. Verfassungsjuristen diskutierten damals, ob Slowenien 1919 und 1945 mit seinem Beitritt zu Jugoslawien das Recht zum Austritt verwirkt hatte.
Ist es also die jugoslawische Erfahrung, die Sie zum Euroskeptiker gemacht hat?
MENCINGER: Nein. Ich war sowohl für den EU-Beitritt 2004 als auch für den zum Euro 2007. Aber ich habe beides für Notausgänge gehalten, ähnlich wie 1991 den Austritt Sloweniens aus Jugoslawien. Was hätten wir sonst tun sollen? Bloß weil ich die Aufgabe soeben erworbener wirtschaftlicher Eigenheiten nicht auch noch feiern wollte, wurde ich prompt für einen Euroskeptiker gehalten. Ich glaube bloß nicht an die Ewigkeitswerte von EU und Währungsunion. Und ich frage mich, ob EU und Währungsunion auch Bündnisse für schlechte Zeiten sind.
Sie fürchten also die Auflösung, wünschen sie sich aber nicht herbei?
MENCINGER: So ist es. Ich fürchte die Auflösung der EU und der Währungsunion aus zwei Gründen: wegen der hohen Kosten und der damit verbundenen Unsicherheit.
Zieht die Union nicht gerade die Konsequenzen aus ihren strukturellen Problemen?
MENCINGER: Ja. Aber wie können die EU-Führer meinen, sie lösten jetzt Probleme, die es seit Jahrzehnten gibt und die sich in der Krise nur verschärft haben? Es war zum Beispiel von Anfang an klar, dass die EU mit ihrer sogenannten Griechenland-Hilfe nur französischen und deutschen Banken hilft und dass das sogenannte Hilfspaket Griechenland nur noch tiefer ins Desaster stürzt. Die Rechnung ist ganz einfach: Liegt die Schuld bei 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und liegen die Zinsen über der Wachstumsrate, kann diese Schuld nur entweder wachsen oder aber abgeschrieben werden. Wie kann man da behaupten, Griechenland werde Haushaltsüberschüsse produzieren und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern?
Worin ähneln sich das untergegangene Jugoslawien und die EU?
MENCINGER: Warum haben Sie mich das nicht vor ein paar Jahren gefragt? Vielleicht, weil dieser Vergleich 2004 oder 2007, als Slowenien beitrat, als unfein galt?
Dabei sind die Ähnlichkeiten vielfältig. Erstens ist das Entwicklungsgefälle ähnlich dem in Jugoslawien. Die daraus folgende Unmöglichkeit, ein passendes Wirtschaftssystem zu schaffen und eine angemessene Wirtschaftspolitik zu entwickeln, war einer der Gründe für Sloweniens Austritt. Zweitens ist die EU eine Gemeinschaft von Staaten, nicht von Bürgern. Entsprechend unvermeidlich ist der Streit, was demokratisch ist: das Prinzip Ein-Mensch-eine-Stimme oder das Prinzip Ein-Staat-eine-Stimme. Das haben wir so auch in Jugoslawien diskutiert.
Die EU ist ein Staatenbund, Jugoslawien war ein Staat. Macht das keinen Unterschied?
MENCINGER: Schon. Aber wirtschaftlich gesehen sind auch die EU-Mitgliedsstaaten keine Staaten mehr. Geld, Steuern, Grenzen, Spielregeln - die Attribute des Staates als wirtschaftliche Einheit haben sie entweder schon verloren oder verlieren sie gerade rapide.
Nehmen Sie bestimmte Alarmzeichen wahr, wenn Sie die Krise der EU mit dem Untergang Jugoslawiens vergleichen?
MENCINGER: Am meisten beunruhigt mich, was ich das "Jugoslawische Syndrom" nennen möchte. Als Jugoslawien in den 80er-Jahren in eine Periode der Stagnation eintrat, begannen die Menschen, nach Schuldigen und nach Ausbeutern zu suchen. Am Ende fühlte sich jeder von jedem ausgebeutet.
Solche Zeichen gibt es auch heute. Mehr und mehr Menschen in Deutschland glauben, die Griechen beuten sie aus, während die Griechen sich von den Deutschen ausgebeutet glauben. Deshalb fürchte ich mich sehr vor einer lang anhaltenden Krise. Halten Währungsunion und EU das aus?
Kann man denn eine sozialistische Wirtschaft mit der unseren vergleichen?
MENCINGER: Jugoslawien war immerhin offen, und besonders in Slowenien wurde die Partei schon in den Achtzigern sehr liberal. Nicht einmal die Anführer glaubten an den Kommunismus und waren bereit, sich an jede Ideologie anzupassen. Man könnte sagen, wir hatten eine Art parteilose Demokratie, die nur wegen ihres demokratischen Defizits funktionierte. Aber auch die EU würde ohne demokratisches Defizit nicht funktionieren.
Zwar ist jeder Mitgliedsstaat für sich demokratisch legitimiert, aber die Gemeinschaft ist es nicht. Ist das eine weitere Parallele zu Jugoslawiens Ende?
MENCINGER: Die letzten Tage der EU sind noch nicht angebrochen. Wir stehen vielleicht da, wo Jugoslawien 1983 stand. Damals suchten die Politiker verzweifelt nach einer Lösung.
Und die ökonomischen Unterschiede?
MENCINGER: Einen wichtigen Unterschied muss man zugeben: Anders als in der EU gab es in Jugoslawien keine Angleichung im Entwicklungsniveau. 1953 war die Wirtschaft in Slowenien doppelt so stark und 1990 sieben Mal so stark wie im Kosovo. In der EU dagegen hat sich der Wohlstand der neuen Mitglieder rasch angeglichen. Allerdings eher zu rasch und zu wenig nachhaltig.
Das würde heißen: Die reicheren Staaten verabschieden sich eher aus der Union als die ärmeren - wie auch in Jugoslawien, wo es mit Slowenien ja auch die reichste Nation war, die sich als erste verabschiedet hat?
MENCINGER: Ja. Die Reichen können gehen, die Armen nur zurückgelassen werden. Die Diskussionen über das Europa der zwei Geschwindigkeiten und die deutsch-französische Lokomotive verdeutlichen das. Also, wenn Sie mich einmal nach der Zukunft der EU fragen, antworte ich: So lange wie das Habsburgerreich wird es sie nicht geben.
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