Mittwoch, 12. Februar 2025

Broligarchie USA

A.L. Kennedy

Musk, Trump und die Broligarchen in den USA. Was tun gegen Junkie-Sadisten?

Süddeutsche Zeitung 10. Februar 2025

Bayard Rustin, ein schwarzer Quäker-Aktivist aus Philadelphia, schrieb einmal: „Wir sind alle eins. Und wenn uns das nicht bewusst ist, werden wir es auf die harte Tour lernen.“ Mittlerweile sind in unserer bequemen demokratischen Welt so viele hinters Licht geführt worden, dass wir es nun alle auf die harte Tour lernen. Mein Heimatland Großbritannien schlittert in höfliche Repression und Kollaps. Und hier in Amerika ist mein Leben seltsam ruhig, während zugleich die Demokratie brennt.

Ich erlebe hier wunderbare Dinners – manchmal mit Menschen, die sich in Zeiten sozialer Mobilität finanzielle Stabilität, zum Teil sogar erheblichen Wohlstand erarbeitet haben. Sie sind gebildet, kultiviert, sie spenden Geld für gute Zwecke. Einige haben wirklichen Einfluss. Sie sind vernünftig und sprechen vernünftig mit anderen. Sie sind es gewohnt, als Individuen behandelt zu werden, nicht als Klischees oder als Repräsentanten bestimmter Gruppen. Ebenso wie den traditionellen Printmedien, die sie lesen, macht ihnen das neue Regime Sorgen. Sie sprechen von den Absurditäten des Präsidenten, als seien diese Absurditäten ausgeklügelte Strategien im Geiste Nixons, und sie sagen: Dieses und jenes Gesetz wird womöglich gerade gebrochen. Sie versuchen immer noch, das Chaos zu verstehen und es mit Cleverness zu besiegen.

Sie wirken wie Träumer, die auf einer hohen, hohen Mauer tanzen, während Verrückte unten die Backsteine weghämmern.

In Wirklichkeit erleben wir gerade natürlich einen Staatsstreich, der sehr schnell vonstattengeht. Der Widerstand dagegen kommt nicht aus der politischen Mitte, dem Establishment. Stattdessen hat sich eine ungewöhnliche Allianz gebildet. Sie besteht aus Neuen Medien, Aktivisten, Nationalpark-Angestellten, Quäkern und Minderheiten, die sich einer existenziellen Bedrohung gegenübersehen, Menschen, die jetzt schon viel verloren haben und wissen, dass sie noch mehr verlieren werden. Es sind meist die Glücklosen, die sich auflehnen. Wie meine Freundin, die jetzt immer ihren amerikanischen Pass mitnimmt, wenn sie einkaufen geht, weil ihr gesagt wurde, dass sie „wie ein Hispanic“ aussehe. Sie hat Angst, dass sie verhaftet und in einem Lager interniert wird. Dies ist keine Zeit zum Träumen.

Trump hatte Glück. Aber er hat aus diesem Glück nichts Gutes gemacht

Der MAGA-Feldzug gibt vor, Amerika gegen Amerika zu repräsentieren. In Wirklichkeit erleben wir eine Schlacht, in der eine bizarre Clique von Megareichen ohne jede staatsbürgerliche Loyalität versucht, unsere Spezies auf außerordentlich dumme Weise zu unterjochen und umzugestalten. Ihr Projekt wird am Ende in die Luft gehen, aber das Elend und der Tod bis dahin sind unverzeihlich. Genau genommen ist es ein Konflikt zwischen Menschen, die Glück haben, und solchen, die keines haben. Trump, der Teflon-Betrüger, der zufällig ein Vermögen geerbt hat, ist ständig ängstlich darum bemüht, zu beweisen, dass er etwas wert ist, während er Wertloses tut und repräsentiert. Er hatte Glück, und er hat aus seinem Glück nichts Gutes gemacht. Noch mehr Glück hat der Eugenik- und Ketamin- und „Römischer Gruß“-Fan Elon Musk. Er ist besessen von jener Meritokratie, die er selbst dank seines ererbten Reichtums spielend umgehen konnte. Die Architekten von MAGA-World sind so sehr vom Glück verwöhnt worden, dass sie nie ein Verständnis für die Konsequenzen ihres Handelns entwickelt haben. Sie betrachten die Realität als optional, veränderbar, immer wieder auch als persönliche Beleidigung.

Meine Förderer hier in den USA, meine Bekanntschaften aus dem Journalisten-Establishment – auch sie sind Glückskinder. Der Silver Surfer mit den ethnisch gemischten Enkeln, die fast genauso behandelt werden wie alle anderen, weil sie auf einer „guten“ Schule sind – Glückskinder. Sie arbeiten hart und menschenfreundlich auf Basis dieses Glücks. Sie stammen aus glücklichen und stabilen Familien. Sie kennen die üblichen Herausforderungen des Lebens. Aber die Logik der Tyrannen, der bösartigen Narzissten, die zerstören um des Zerstörens willen, die Bosheit der Raubtiere, die nach Schönheit suchen, um sie zu ruinieren, das alles verwirrt sie. Sie wissen nicht, wie es ist, beim Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels zusammenzuzucken, weil der Mensch, der sie missbraucht hat, gerade wieder ihr Haus betreten hat und erneut ihre Sicherheit, ihre körperliche und geistige Unversehrtheit bedroht.

Sie mussten nie denken: „Diesmal sterbe ich vielleicht.“

Ich wuchs in der Annahme auf, eine Kindheit, in der man betet, dass die eigene Mutter überlebt, sei normal. Danach lebte ich in einer Beziehung voller körperlicher Risiken, von denen ich immer noch annahm, sie seien normal. Menschen, die einen missbrauchen, schlagen nicht immer einfach zu. Oft bereitet es ihnen mehr Vergnügen, ihr Opfer zum Komplizen ihrer Untaten zu machen, und es sogar dazu zu bringen, sie zu vermissen, es zu bitten, zu ihm zurückzukehren. Es ist leicht, auf diese Art und Weise das einzige Mitglied eines finsteren, intimen Kults zu werden.

Wir, die Glücklosen, die so etwas überlebt haben, erkannten die wahre Natur des orangefarbenen Mannes in der Sekunde, in der wir ihn sahen. Wir kannten die MAGA-Tricks schon lange. Wir brauchten keinen zusätzlichen Hinweis eines für antisemitische Ausfälle bekannten Schauspielers wie Mel Gibson, der kurz nach der Wiederwahl eines verurteilten Vergewaltigers diesen mit den Worten feierte: „Es ist, als wäre Daddy zurück – und jetzt nimmt er seinen Gürtel ab.“ Amerika wird derzeit darauf trainiert zusammenzuzucken, wenn es Daddys Schlüssel im Schloss hört. Jeden Morgen wartet er mit seinen Drohungen und Schlägen, die von den willfährigen Medien in Millionen Haushalten verbreitet werden.

Sie fordern die Unterdrückung dessen, was „weiblich“, anders, unkonventionell ist. Sie wollen das Ende der Liebe

Meine eigenen Missbrauchserfahrungen habe ich mit heterosexuellen Männern gemacht. Missbrauchen können Angehörige jedes Geschlechts und jeder Orientierung. Bei MAGA geht es jedoch vor allem um straight white daddies – „starke“ Männer, deren Liebessprache der Schmerz ist. Eine Weile war diese Haltung nicht mehr so präsent, die alten Vorurteile und Abneigungen wurden anders kanalisiert. Jetzt zeigt sich diese Haltung wieder offen, weil das Umfeld es erlaubt, und sie fordert Geld, Loyalität und Grausamkeit von uns.

Die immer laut formulierten Pseudolösungen der extremen Rechten sind darauf ausgelegt, von möglichst vielen gehört zu werden. Sie fordern die Unterdrückung und letztlich die vollständige Beseitigung dessen, was angeblich „weiblich“, anders, fremd, unkonventionell, flexibel, kreativ, grenzüberschreitend ist. Sie wollen das Ende der Liebe. Das ist beängstigend, aber wir Unglücklichen wissen, dass unsere Gegner das am heftigsten angreifen, was sie am meisten fürchten. Vielleicht besteht doch noch die Möglichkeit, das „Weibliche“, das Ungewöhnliche, das Kreative, das Unklassifizierbare, das Freudige, das Liebevolle zu umarmen, zu verstärken und zu verkörpern, so sehr wir nur können.

Vielleicht können wir unsere Medien zurückgewinnen und sie nutzen, um prosoziales Verhalten zu fördern. Vielleicht gelingt es uns, die Plattformen und Einnahmequellen der Tech-Bros zu untergraben, bevor sie Amerika einfach ausplündern, um ihre eigenen Verluste auszugleichen.

Ich weiß, dass es schwer ist, sich auf Widerstand zu konzentrieren, wenn man von derartig viel Lärm umgeben ist. Der Faschismus liebt Chaos. Auch dieser Artikel hier könnte zu einer Liste der wilden, zerstörerischen Dinge mutieren, die der Präsident heute schon wieder gesagt, getwittert und getan hat. Gefolgt von einer Liste derjenigen, die neuerdings zu den Glücklosen gehören. Gefolgt von einer Liste weitreichender und koordinierter Angriffe auf die Kernfunktionen der Demokratie und auf jegliche Manifestation von Mitmenschlichkeit. Es ist leicht für Freunde der Demokratie – Glückskinder wie Glücklose –, ihre Stimmen in diesem Sturm zu verlieren. Der Führer der unfreien Welt rülpst jeden Tag monströse Soundbites aus, um den Nachrichtenstrom zu beherrschen und die Schmerztoleranz der Nation neu zu kalibrieren. Im Moment ist er ein Facebook-Empörungsalgorithmus in (gerade noch) menschlicher Form. In der Zwischenzeit fackelt Musk alles ab, von der Bildung über die Seuchenbekämpfung bis hin zur nationalen Sicherheit, unterstützt von einem knabenhaften Mob von Incels, die minimale Lebenserfahrung mit amoralischer Rücksichtslosigkeit kombinieren. Es ist ein Angriff auf vielen Ebenen. Aber das kennen die Glücklosen schon.

Konzentrieren wir uns also auf die Wahrheit. Die Versprechen des Faschismus sind immer vergiftet, ansteckend, absurd. Sie können nicht in Frieden gedeihen, wollen nie genau untersucht werden. Schon deshalb müssen wir Frieden schaffen –  mental, spirituell, physisch –, wir müssen Frieden schaffen, wo immer es geht. Wir verstärken Kreativität, Fluidität, gegenseitige Unterstützung. Warum hasst die extreme Rechte die Natur, die Kunst, die Schönheit? Weil Stärke, Klarheit, Einheit und Fantasie für sie im selben Maße eine Bedrohung darstellen, wie sie uns helfen. Warum versucht sie, die Geschichte auszulöschen? Weil diejenigen, die planen, die schlimmsten Fehler der Geschichte zu wiederholen, nicht wollen, dass wir vorhersehen, wie viele Menschen dabei umkommen werden. Für die Mitglieder des Nouveau Reich ist Männlichkeit das A und O, aber eben eine extrem dünnhäutige, paranoide, sadistische und streitlustig ignorante Männlichkeit. (Im Fall von Elon Musk gehört auch noch missglückte Schönheitschirurgie dazu.) Frauen sind Zielscheiben, Trophäen, Opfer. Aber die Realität und die medizinische Wissenschaft widersprechen dem immer wieder. Das neue Gilead der Christofaschisten ist äußerst fragil. Deshalb müssen wir Modelle menschlicher Identität fördern und verkörpern, die in unserer reichen Vielfalt und Zuneigung wurzeln.

Bei der Dämonisierung von Flüchtlingen, der LGBTQ+-Gemeinschaft und Immigranten ging es immer darum, uns darauf vorzubereiten, schließlich auch unsere eigenen Rechte als fremdauferlegt zu betrachten und zu vergessen, dass wir Menschen sind. Selbst wenn wir einander vielleicht nicht mögen, können wir immer so handeln, als liebten wir einander. Wir können uns der Passivität, der erlernten Hilflosigkeit und der Ablenkungsmanöver des Chaos erwehren. Die Ausgestoßenen, die Minderheiten, die Flüchtlinge, die Überlebenden, die Menschen, die keine Zeit zu verlieren haben, kurz: die Glücklosen wissen, wie das geht.

Die Broligarchen der Welt haben sich den Bevölkerungsrückgang im Westen angesehen und eine Zukunft ins Auge gefasst, in der Legebatterie-Mütter „Handmaid“-Hauben tragen und angemessen isoliert aufwachsenden Nachwuchs produzieren. Dieser Nachwuchs wird die Hautfarbe des Nachschubs an Unternehmensdrohnen aufhellen und durch psychologische Beeinflussungsmaßnahmen emotional elend und allein gehalten in Richtung Soziopathie getrieben werden. KI soll nach dem Willen der Broligarchen nicht unsere Zukunft sichern oder uns ein leichteres Leben auf unserem Planeten ermöglichen, sondern sie soll jede humane Funktion der Menschheit usurpieren und untergraben. Zudem fänden sie es gut, wenn von ihnen verursachtes wirtschaftliches Chaos, Umweltkollaps und eskalierende Krankheiten die Schwachen beseitigen. Es ist all dies ein großer Haufen selbstzerstörerischer Fantasien von Junkie-Sadisten.

Trotzdem lernen wir dazu. Auch während wir massenhaft zu Glücklosen werden, haben wir immer noch die Chance, Führungspersönlichkeiten zu wählen und Bewegungen zu schaffen, deren Liebessprache nicht Schmerz ist, sondern tatsächlich: Liebe. Wo immer dies eine Option ist, wo immer sich Wähler dafür entscheiden, zieht der Faschismus sich zurück. Höflichkeit, der Status quo, das alles reicht nicht mehr aus. Um es mit den Worten der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska zu sagen: „Ich ziehe schlaue Freundlichkeit der allzu vertrauensvollen vor.“

Mögest du immer schlauer werden, liebes Deutschland, und von immer radikalerer Freundlichkeit sein.

A. L. Kennedy ist eine schottische Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ im Hanser-Verlag. Aus dem Englischen von Alexander Menden.


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