Andrian Kreye
Falsche Vorbilder
Süddeutsche Zeitung 10. Februar 2025
Wie soll man aus der Geschichte lernen, wenn die Ereignisse einzigartig sind? Es geht mal wieder um Amerika, das Land, in dem Präsidenten und sonstige Politiker gerne mit Geschichtsbildern an große Vergangenheiten erinnern. John F. Kennedy etwa ist immer ein Zitat wert, egal ob man den Europäern vor dem Brandenburger Tor die transatlantische Freundschaft versichert oder mit den „Moonshots“ Amerikas Innovationskraft beschwört. Thomas Jefferson, Franklin D. Roosevelt und Ronald Reagan sind Figuren, an die man sich gerne anlehnt, wenn der eigene Platz in der Geschichte noch nicht so klar ist.
In der Antrittsrede zu seiner zweiten Amtszeit nannte Donald Trump vor drei Wochen William McKinley als seinen Lieblingspräsidenten. Das bezog sich vor allem auf die Zölle, mit denen der 1897 den Grundstein für die Wirtschaftsweltmacht USA legte, aber auch auf dessen Pläne, in Nicaragua einen Kanal zu bauen, Hawaii zu annektieren und die Dänischen Antillen zu kaufen. Der Kanal wurde dann zwar in Panama gegraben, aber ansonsten ist Hawaii der 51. Bundesstaat und die Karibikinseln gingen für fünf Millionen Dollar an die USA.
Wenn die Technologiefirmen Trump nicht darin bremsen, seine brutale Weltsicht zu verbreiten, verstärken sie diese sogar. Die frühere Meta-Mitarbeiterin Alexis Crews über digitale Regulierung, ihren früheren Chef und darüber, was Europa tun kann.
Trumps Vizepräsident J. D. Vance suchte als Vorbild für den radikalen Umbau der amerikanischen Regierung in einem Podcast vor einigen Jahren nach Vorbildern in der jüngeren Vergangenheit. Da sagte er: „Wir brauchen so etwas wie ein Entbaathifizierungsprogramm, also ein Entwokeifizierungsprogramm für die Vereinigten Staaten.“ Er spielte damit auf George W. Bushs Maßnahmen an, den Irak nach dem Einmarsch 2003 von allen Funktionären, Beamten und Mitläufern von Saddam Husseins Baath-Partei zu säubern. Rund 100 000 Mitarbeiter und Beamte wurden damals von der sogenannten Coalition Provisional Authority gefeuert. Das lief nicht so rund, bescherte dem Irak einen Bürgerkrieg und der Welt den „Islamischen Staat“. Im Kern aber meint Vance natürlich, dass die Progressiven und Linken im Land eine ideologiegetriebene Quasi-Diktatur stellten, die man nun ausräuchern muss. Das ist schon recht nahe an den Verschwörungsmythen der QAnon-Bewegung.
Öffentliche Schulen sind für Trump längst woke Propagandamaschinen
Nun, da die zweite Amtszeit Trumps in ihre vierte Woche geht, zeigt sich, dass all die Vergleiche schief sind. Der derzeitige Umbau des Staates ist für die USA historisch einzigartig. Anekdotische Beweise gibt es dafür genügend. Am vergangenen Freitag etwa wollte ein gutes Dutzend Abgeordnete der Demokraten im Kongress in Washington mal nachsehen, was im Bildungsministerium so vor sich geht. Es war einer dieser klirrend kalten Sonnenvormittage, die einem sagen, dass der Winter noch lange dauern wird. Vor der Türe hatte sich ein Herr im braunen Polohemd aufgebaut, der ihnen den Zutritt verwehrte. Er arbeite für das Ministerium, sagte er, gab sich aber sonst nicht zu erkennen. In der Lobby sammelten sich schon die Wachleute, falls die Abgeordneten hereindrängen sollten. Die wiederum vermuteten, dass Elon Musks Horden junger Tech-Ingenieure aus seinem inoffiziellen Amt für Regierungseffizienz (DOGE) Präsident Trumps Versprechen vorbereiten, das Bildungsministerium dichtzumachen. Denn öffentliche Schulen sind mit ihren liberalen Werten, ihrem Sexualkundeunterricht und ihren Inklusionsgedanken für ihn und Musk und ihre Anhänger längst Propagandamaschinen des Woke. Was wohl noch ein Weilchen dauern wird, weil seine Kandidatin für das Amt der Bildungsministerin, Linda McMahon (milliardenschwere Mitgründerin des Unternehmens World Wrestling Entertainment), noch nicht vom Senat bestätigt wurde.
Aus dem Besuch wurde dann ein Protest vor dem Gebäude. Nicht zum ersten Mal. Abgeordnete der Demokraten wurden schon nicht ins Entwicklungshilfeorganisation USAID, das Amt für Umweltschutz und das Finanzministerium eingelassen. Formaljuristisch waren die Zugangssperren zwar korrekt. Im Sinne der Demokratie ist es jedoch unerhört, dass Abgeordnete aus einem Ministerium ausgesperrt werden, das von Unbekannten aus der Privatwirtschaft auseinandergenommen wird.
Die Unbekannten sind inzwischen auch keine Unbekannten mehr. Das Zentralorgan des Silicon Valley, die Zeitschrift Wired, hat herausgefunden, wer da im Auftrag von Elon Musk in den Buchhaltungen der Ministerien und Ämter herumwühlt, wer die Empfehlungen für die Tausenden vorübergehenden Beurlaubungen, die Kündigungen und Budgetstreichungen ausspricht. Das ist eine Gruppe junger Männer und auch ein paar Frauen, die Musk aus seinen Firmen Space-X, Tesla, Neuralink, xAI und X rekrutierte. Die Kerngruppe, die Wired identifizierte, bilden Akash Bobba, Edward Coristine, Luke Farritor, Gautier Cole Killian, Gavin Kliger und Ethan Shaotran, allesamt zwischen 19 und 25 Jahren alt. Sie wurden von drei Mitarbeitern der Softwarefirma Palantir rekrutiert, gegründet von Musks einstigem Weggefährten Peter Thiel. Eines der Stellenangebote lief dabei über Discord, das Chatsystem für Videogamer auf dem Kanal für Space-X-Praktikanten.
Ein anderer ist Marko Elez, ein 25-jähriger Mitarbeiter von Space-X und X, musste von seiner Aufgabe im Finanzministerium zurücktreten, als herauskam, dass er im vergangenen Jahr unter Pseudonym rassistische Posts auf X abgesetzt hatte. Im Juli schrieb er zum Beispiel: „Nur fürs Protokoll: Ich war schon rassistisch, bevor es cool war.“ Und im September: „Ich würde nicht mal gegen Bezahlung jemanden außerhalb meiner ethnischen Gruppe heiraten.“ Musk hat am Wochenende versprochen, ihn wieder einzustellen. Vizepräsident Vance unterstützte ihn dabei mit der Ansage: „Dumme Social-Media-Aktivitäten sollten nicht das Leben eines Jungen ruinieren.“
Das klingt eher nach Science Fiction als nach amerikanischer Geschichte
Die Qualifikationen der DOGE-Leute sind zweifelhaft. Die neue Stabschefin im Amt für Personalverwaltung, das derzeit eine Kündigungswelle in Ministerien, Ämtern und Behörden vorbereitet, ist Amanda Scales. Die arbeitete zuletzt in Musks Firma für KI-Entwicklung xAI und davor in der Personalabteilung der Taxi-App Uber. Einige der Personalgespräche in Washington führte dann Edward Coristine, frisch von der Highschool, der ein paar Monate als Praktikant bei Neuralink hospitierte, Musks Firma, die einen Chip entwickelt, mit dem man Gehirne mit Rechnern verbinden kann.
Das klingt eher nach Science Fiction als nach amerikanischer Geschichte. Man muss sich die intellektuellen und ideologischen Unterbauten der Trump-Regierung und ihres Vollstreckers Elon Musk deswegen schon selbst zusammensuchen. Beide sind von Haus aus Geschäftsleute. So betrachten sie die Bundesregierung der USA auch als maroden Traditionsbetrieb, den sie nach den Regeln von Private-Equity-Gesellschaften und Firmenberatungen auf ihre Grundsubstanz reduzieren wollen. Dazu gehört immer auch der massive Personalabbau.
Material, wo man das nachlesen kann, gibt es genug. Donald Trumps Selbstbeweihräucherungsbuch „The Art of the Deal“. Peter Thiels Manifest für zentrale Führungsstrukturen, „Zero to One“. Der neunte Band der „Mandate for Leadership“-Reihe der Heritage Foundation, der unter dem Namen „Project 2025“ als Gebrauchsanweisung für den Abbau des Rechtsstaates und der Demokratie gilt.
Man kann aber auch noch mal Grover Norquists Schriften rauskramen. Der 68-jährige Gründer und Präsident hatte 1985 im Auftrag von Ronald Reagan die Organisation „Americans for Tax Reform“ gegründet. Diese „Amerikaner für Steuerreform“ sind inzwischen eine der mächtigsten Lobbygruppen in Washington. Norquist selbst ist so etwas wie einer der geistigen Väter des Libertarismus, eine treibende Kraft in der Neuausrichtung der Partei der Republikaner nach rechts und damit auch der Trump-Regierung. Seine offizielle Mission ist zwar die Vereinfachung und der Abbau von Steuern. In Wahrheit geht seine Stoßrichtung sehr viel weiter: Denn die Konsequenz aller Steuersenkungen ist für ihn auch der Abbau des Staates. Der Titel seines jüngsten, 2023 erschienenen Buches ist da so etwas wie Programm: „Lasst uns in Ruhe: Wie wir die Regierung dazu bringen, ihre Hände von unserem Geld, unseren Waffen und unseren Leben lassen“.
Die grobe Ironie der libertären Bewegung beherrschte er von Anfang an. Es geht die Mär, er sei als Student nachts mit Freunden durch Washington gefahren und habe Kampflieder der Anarchisten krakeelt. Und ausgerechnet in einem Interview mit dem National Public Radio, das Trump abschaffen will, sagte er 2001 schon: „Ich will die Regierung nicht abschaffen. Ich will sie nur so weit verkleinern, dass ich sie ins Badezimmer schleppen und in der Badewanne ertränken kann.“ Wie es aussieht, setzen Elon Musk und seine Praktikanten das nun in die Tat um.
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