A. L. Kennedy
Nicht mit mir, Leute. Zu Trump und dem Siegeszug der Rechten
Süddeutsche Zeitung 21. Januar 2025
Ich schreibe dies in den verschneiten Wäldern des US-Bundesstaats New York nieder, die schweigend, möglicherweise erwartungsvoll und fast so strahlend weiß daliegen wie das Kabinett des neuen Präsidenten. Nicht weit von hier ermordeten europäische Kolonisten alle Bewohner eines Dorfes namens Nanichiestawack. Hunderte wurden in der Nacht nach einem winterlichen Maisfest niedergemetzelt, einige verbrannten in ihren Häusern. Der Schnee war rot von Blut und Flammen. Doch da diese Fakten die unangemessene Voreingenommenheit der Geschichtsschreibung gegenüber Weißen demonstrieren, die doch einfach nur furchtbare Sachen tun möchten, muss ich jetzt meinen Kopf gegen eine Wand schlagen, bis diese Fakten aus meinem Hirn verschwinden. Fakten und Faktenüberprüfungen sind ohnehin passé. Lügner finden sie unbequem – und die Lügner haben jetzt das Sagen.
Im selbst herbeigeführten Untergang der Fantastilliardäre liegt keineswegs auch nur ein Hauch von Trost
Uneingeschränktes Glück bleibt also allen versagt. Trump lässt seine Anhänger in Washington in der Kälte stehen. Melania trägt Trauer und sieht noch unglücklicher aus, als ich mich fühle. Elon Musks jüngstes Ringen mit der Schwerkraft endet in einem Regen aus gleißenden Splitterteilen, der über diversen Flugrouten und einer tropischen Steueroase für Millionäre herniedergeht. Vielleicht ist das eine Metapher für irgendwas? Die Wahlkampfversprechen an die Maga-Gläubigen werden sich auflösen, und eine Orgie des gaslighting droht, mit kognitiver Dissonanz für alle. Überlebende häuslicher Gewalt sehen, wie der homophobe Chef-Missbraucher zu den Village People tanzt. Der Russland-Unterstützer Mike Flynn treibt seine QAnon-Legionen zu weiteren absurden Selbstverletzungen an. Die großen US-Marken kapitulieren präventiv vor dem Extremismus. Die Welt taumelt ins Zeitalter der Techno-Oligarchen. Empörung und Grausamkeit zu Showzwecken, in der Politik wie in den Medien, haben den Weg für eine reine Showpolitik geebnet, die nur noch zu unserer Unterhaltung da ist, während ein bunt gemischtes Häuflein dysfunktionaler Fantastilliardäre versucht, die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen umzuformen. Während die Reichen in Kalifornien über der Frage brüten, warum eine Naturkatastrophe ihre Häuser nicht verschont hat – „Wusste das Feuer nicht, wer ich bin?“ –, versuchen die Mega-Mega-Mega-Reichen, jede höhere Gewalt zu überwinden, einschließlich der Realität.
Die Tatsache, dass das auch zu ihrer eigenen Zerstörung führen wird, ist kein Trost für alle, die sie dabei mit in den Ruin reißen.
Es gibt ein Instrumentarium, das wir nutzen können, um die Realität zu retten – den einzigen Ort, an dem wir leben können
Wie viele Amerikaner habe ich die Amtseinführung des Klamauk-Präsidenten nicht verfolgt. Stattdessen habe ich den Martin-Luther-King-Tag gefeiert. Er erinnert an einen Menschen, der sagte: „Ich glaube, dass unbewaffnete Wahrheit und bedingungslose Liebe das letzte Wort in der Wirklichkeit haben werden. Deshalb ist selbst das vorübergehend besiegte Recht stärker als das triumphierende Böse.“ Diese Pause gönnte ich mir zugunsten meiner geistigen Gesundheit, aber es ging nicht darum, mich von der Realität zurückzuziehen. Sondern darum, eine der meistunterschätzten Kräfte der Welt zu aktivieren: uns. Kings Vermächtnis der intersektionellen Zusammenarbeit, des mutigen gewaltlosen Widerstands und des beharrlichen, freudvollen Engagements für den Wandel bietet ein Instrumentarium, das wir nutzen können, um die Realität zu retten, den einzigen Ort, an dem wir leben können. In den kommenden Wochen und Monaten wird die Berichterstattung über Trump und seine Clique rechtsextreme Fantasien weltweit beflügeln. Klassische wie Online-Medien werden einen aufmerksamkeitsheischenden, verurteilten Vergewaltiger nutzen, um Klicks und Werbung zu generieren. Aber niemand kann uns zwingen zu schlucken, was sie uns servieren.
Überall auf der Welt tun Hofjournalisten, Kommentatoren und sogar Gegner der Republikaner so, als werde schon alles irgendwie weitergehen. Sie suggerieren sich selbst und uns, die mächtigste Regierung der Welt führe die Geschäfte wie gehabt, während ein Panoptikum von Vandalen, Eugenikern und unterqualifizierten rechtsextremen Ideologen an den Hebeln der Macht reißen, bis sie brechen. In meiner britischen Heimat – und in Ihrer, liebe deutsche Leserinnen und Leser – werden unsere eigenen unterqualifizierten Ideologen die Themen der neuen amerikanischen Regierung aufgreifen. Sie werden versuchen, etwas von der Cashlawine abzukriegen, die dieser trickbetrügerische Präsident mit seinem Programm losgetreten hat, in dem sich Kryptowährungsbetrug und Aktienmarkt-Manipulation mit Steuervermeidung, Profitgier und der Aneignung öffentlicher Mittel mischen. Allgegenwärtige Idiotie und interne Machtkämpfe werden die Apokalypse verlangsamen. Rechtsstaatlichkeit, demokratische Institutionen und schlichter menschlicher Anstand werden einige Stückchen des gigantischen Maga-Gebäudes wegmeißeln. Aber dennoch: Es wird großer Schaden entstehen.
Jeff Bezos macht Amazon immer mehr zu etwas, das den Borg aus „Raumschiff Enterprise“ gleicht
Wer wird dazu Beihilfe leisten? Erstens Mark Zuckerberg, Zen-Meister der Incels und „Westworld“-Figur. Die Besucher seines zunehmend solipsistischen „Meta“-versums werden jetzt nach seinem Willen mit einem aus Hass und Wahnsinn angemischten Brei gefüttert, bis irgendwas platzt. Das läuft allerdings nicht ganz so gut, wie er gehofft hatte. Verärgerte Tiktok-Nutzer sind sogar zur chinesischen Regierungsplattform Rednote abgewandert, um nach einer möglichen Maga/Meta-Übernahme nicht mit noch schlimmerer Datensammelei rechnen zu müssen. Zweitens: Jeff Bezos macht Amazon immer mehr zu etwas, das den Borg aus „Raumschiff Enterprise“ gleicht – mit dem Unterschied, dass seine „Widerstand ist zwecklos“-Drohung erst nach mehreren fehlgeschlagenen Zustellversuchen ankommt. Dennoch zeigt sich der Online-Gigant überraschend anfällig, wenn seine Mitarbeiter sich gewerkschaftlich organisieren oder die Kunden woandershin abwandern. Abonnenten und Journalisten verlassen Bezos’ kompromittierte Washington Post und wechseln zu Plattformen wie The Contrarian, die nur eine von vielen Alternativen in einer rasch expandierenden demokratischen Medienwelt ist. Die Millionen von Mikro-Spendern, die Milliardären wie Bezos ein Vermögen eingebracht haben, können genauso gut politische Bewegungen finanzieren oder Medien, die auch „schlecht informierte“ Wähler erreichen, oder Websites, die nützliche Tipps verbreiten, zum Beispiel „Wie man die Infektion mit Kinderlähmung vermeidet“.
Elon Musks permanente Sichtbarkeit schadet dem Kult um seine Person. Selbst wir Briten hassen ihn
Elon Musk, Nepo-Baby der Apartheid und Imperator des Fragilen Weißen Egos, ist natürlich die größte Bedrohung für alles und alle, überall. Jetzt, da Trump wieder im Weißen Haus sitzt, beansprucht Elon die Vormachtstellung, nach der er sich immer gesehnt hat. So wie Trump die Billigversion eines reichen Mannes ist, ist Elon die Idiotenversion eines Genies. Beide Männer wurden als Kinder von lieblosen und wenig liebenswerten Vätern schikaniert, beide sind zu promisken, nihilistischen Narzissten ohne Freunde herangewachsen, alles, was sie anfassen, vergiften und zerstören sie. Doch mit je mehr Energie Musk Twitter in den Propagandasender X verwandelt, desto mehr Nutzer verliert er. Zudem schadet Elons permanente Sichtbarkeit dem Kult um seine Person. Wenn man den Tesla-Mann, Antisemiten und Rassisten kennt, kann man ihn gar nicht mögen, selbst dann nicht lange, wenn man selbst für Rassismus und Antisemitismus wäre. Selbst wir Briten hassen Musk, und wir haben Nigel Farage ins Unterhaus gewählt! Elon hat es sogar geschafft, bei euch in Deutschland dem Ruf der AfD zu schaden – wer hätte das vorher gedacht, dass das möglich ist? Möge eine sinnvolle Spendengesetzgebung uns alle recht bald vor seinen Eingriffen in die Wahlkampffinanzierung schützen.
Trumps Hass-Zirkus wird Amerika in einen Dschungel militarisierter Razzien, elender Masseninternierungszentren und profitorientierter Deportationen verwandeln. Wir müssen dafür sorgen, dass die Augen der Welt auf diese Quelle des Leids gerichtet bleiben, auch wenn es noch viele andere gibt, und wir müssen alle friedlichen Mittel des Widerstands nutzen. Erzwungene Abschiebungen dürften vor allem Amtsmissbrauch bei Uniformträgern befördern und die USA Milliarden kosten, während das Ausbleiben der finanziellen und materiellen Beiträge von Immigranten die Wirtschaft lähmen wird. Wir müssen weitere Forderungen nach ähnlichen Grausamkeiten ablehnen, verzögern und zurückweisen. Eine US-Regierung, die den Bürgern dienen und sie schützen sollte, liegt jetzt in den Händen derjenigen, die die Regierungsarbeit zerstören wollen. Ähnliche Zerstörer lauern im Vereinigten Königreich, in Deutschland und in der gesamten EU. Und wir müssen deutlich machen, dass ihre Politik zu ähnlichen Trump’schen Dystopien führen wird – mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Wir alle können Politiker mit Kleinstbeiträgen unterstützen, die Kompetenz, Fantasie und echte Verbesserungen bieten
Wir sind mehr als ausbeutbare Ressourcen. Wir – und damit meine ich Millionen – sind Triebkräfte des Wandels, die in einer stark vernetzten Welt leben. Wir können schnell handeln und Dinge verbessern. Wir können darauf bestehen, dass unsere Politiker dasselbe tun, zum Schutz der Demokratie, dieses unvollkommenen Systems, das noch immer unsere beste Option ist.
Noch haben wir die Chance, uns und unseren Planeten vor dem totalen Korporatismus zu retten, der auf ungezügelten Kapitalismus folgt. Er schleicht sich bereits in Großbritannien ein. Unser Premierminister ist, wie seine Tory-Vorgänger, ein Freund von Sonderwirtschaftszonen und Freihäfen. Diese undurchsichtigen Bezirke unterregulierter Vorherrschaft von Unternehmen werden die Möglichkeit, wieder in die EU mit ihren Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltschutzregularien einzutreten, erschweren. Und das gerade in dem Moment, in dem eine solche Mitgliedschaft uns vor dem Raubtierkapitalismus der USA schützen könnte. Aber wir alle können Politiker und Organisationen, die den Wählern Kompetenz, Fantasie, Unterstützung und echte Verbesserungen bieten, mit Kleinstbeträgen unterstützen. Wenn die Scheindemokratien nur eine Fortsetzung des verwirrenden Schmerzes bieten, ist der nächste Schritt für manche Wähler nicht die Demokratie, sondern eine politische Wildnis, aus der man nur schwer wieder herausfindet.
Ich schließe meine Geschichte aus Nordamerika mit einer Erzählung, die vom Volk der Anishinaabe stammt: An einem verschneiten Tag trifft ein Mann Nanabozho, den Trickster. Er fragt Nanabozho: „Wie bist du so klug geworden?“ Nanabozho antwortet: „Ich esse Schlauheitsbeeren.“ Dann führt er den Mann zu einer Kaninchenfährte im Schnee. Am Ende des Weges steht ein Busch. Nanabozho zeigt auf einen Haufen kleiner dunkler Kügelchen unter dem Busch und sagt: „Da sind sie. Iss ein paar.“ Der Mann tut das, spuckt aber die ersten gleich wieder aus und sagt: „Das sind keine Schlauheitsbeeren – das sind Kaninchenköttel!“ Nanabozho, der Trickster, sieht ihn an und sagt: „Siehst du, schon bist du schlauer.“
Einige Leute verdienen sehr gut daran, uns Schlauheitsbeeren zu verkaufen. Andere versuchen, uns damit zwangszuernähren. Deshalb müssen wir jetzt damit aufhören, Schlauheitsbeeren zu schlucken. Wir haben bereits alles gelernt, was es zu lernen gab.
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