Donnerstag, 7. Mai 2015

Poverty

"Poverty is not caused by men and women getting married; it's not caused by machinery; it's not caused by "over-production"; it's not caused by drink or laziness; and it's not caused by "over-population". It's caused by Private Monopoly. That is the present system. They have monopolised everything that it is possible to monopolise; they have got the whole earth, the minerals in the earth and the streams that water the earth. The only reason they have not monopolised the daylight and the air is that it is not possible to do it. If it were possible to construct huge gasometers and to draw together and compress within them the whole of the atmosphere, it would have been done long ago, and we should have been compelled to work for them in order to get money to buy air to breathe. And if that seemingly impossible thing were accomplished tomorrow, you would see thousands of people dying for want of air - or of the money to buy it - even as now thousands are dying for want of the other necessities of life. You would see people going about gasping for breath, and telling each other that the likes of them could not expect to have air to breathe unless they had the money to pay for it." 

Robert Tressell: The Ragged Trousered Philanthropists (1914)

Bilderfallen

Georg Seeßlen: Bilderfallen

Das Gegen- oder Parallelbild zum Stinkefinger ( gemeint ist das Video, das den griechischen Finanzminister Varoufakis mit der einschlägigen Geste zeigt, von dem aber nicht sicher ist, ob und wie weit es gefälscht ist), wie man es nimmt, ist das einer Selbstinszenierung, die Homestory für die Illustrierte Paris Match, die Varoufakis zusammen mit seiner Ehefrau Danae Stratou, zufällig „Visual Artist“ eben bei Paris Match, im Penthouse über Athen zeigt. Es sind Bilder, die auf den ersten Blick superidyllisch wirken, als würden sie für eine Lebensversicherung oder für Immobilien werben. Traumschiff und Schöner Wohnen, Selbstbildnis des griechischen Finanzministers als junger urbaner Besserverdiener mit dezent luxuriösem Geschmack.

Die visuelle Strategie dieser Bilder ist nur zu klar (fast könnte man über ihre Naivität schon wieder so gerührt sein wie über die offensichtliche Unbeholfenheit der beiden Hauptdarsteller dieses Glückstraums): Man möchte sich zwar um jeden Preis gegen den übermächtigen Gegner, die Krawattenträger aus Berlin und Brüssel, positionieren, natürlich auch gegenüber den traditionellen Repräsentanten der ökonomischen Elite, aber auf keinen Fall als Vertreter der Loser gelten. Diese Bilder grenzen sich ab von einer als erfolglos, proletarisch, nostalgisch empfundenen „alten“ Linken und setzen auf das exemplarische Rollenmodell einer jungen, dynamischen, erfolgreichen und (post-)bürgerlichen Schicht, die alles zum Besseren wenden wird, nicht obwohl, sondern gerade weil sie um die mehr oder weniger kleinen Freuden des Lebens weiß. Hedonismus links.


Hier nun freilich sieht man, erneut als scheinbar positive Spiegelung des negativen Stinkefingers, dass die Subjekte dieser Inszenierung nicht wirklich mit der eigenen Ikonografie umgehen können. Erinnern wir uns an die Amtsantrittsphase der rot-grünen Regierung in Deutschland, mit ihrer öffentlichen Lust an teuren Anzügen, gefolgt von Rudolf Scharpings nun in der Tat peinigenden Bildergeschichte mit Swimmingpool und Gräfin.

In der Geste der Übernahme von Macht- und Luxussymbolen jener Klasse, die eine „linke“ Regierung eigentlich in die Schranken hätte weisen sollen, steckte bereits das gnadenlose Scheitern (oder sollen wir doch sagen: der Verrat?) dieses grün-linken Projekts: Machtlust und Eitelkeit ließen sich in den Bildern, die damals produziert wurden, kaum hinter halbherzigen Versuchen der Ironisierung verbergen. Und dann machten diese „new boys“ – denn in der Tat blieb ja auch dieses rot-grüne Projekt der Machtübernahme durch und durch männlich – wirklich genau die Politik, die man von Brioni-Trägern erwartet. (Nur Scharping hatte es mit seiner Bunte-Story, die ihn als vor Stolz und Eitelkeit platzenden Emporkömmling denunzierte, indem sie genau seinen Traum illustrierte, übertrieben und musste geopfert werden. Oder war es, mythopoetisch gesehen, noch einmal anders: Hatte dieser Scharping den closed shop einer vatermordenden Männerclique, die nur durch inneren Zusammenhalt zu verbergen vermochte, wie sehr sie nichts als Vaterkarikaturen waren, durch seine allzu dreiste Bilderöffnung empfindlich gestört? Wie auch immer: Der Bilderkrieg war damals jedenfalls verloren.)

Die griechische Regierung, die einen harten und notwendigen Kampf für ihre Gesellschaft und ihre Menschen gegen die Interessen der Banken und der neomerkantilistischen Politik zu führen hat, steckt, was ihre öffentlichsten Vertreter anbelangt, in einer ikonografischen Falle, um die sie wahrlich nicht zu beneiden ist. Sie müssten nicht nur ein Bild der besseren Zukunft entwerfen, sie müssten ein solches Bild auch sein.

Statt die Brionis und Armanis zu okkupieren, entschied man sich für eine widersprüchliche Art des Hedonismus, eine Art Luxushemdsärmeligkeit, an der aber, je genauer man hinsieht, desto weniger „Natürliches“ oder Selbstverständliches bleibt. Und wie er sich mit dem Stinkefinger in die islamisierte Kränkungsfalle begab, auch wenn er ihn im Kontext seiner Rede eben gerade als verworfene Option darstellte, so begab sich Varoufakis mit seiner Homestory in eine Klassenfalle: Ist er wirklich so ein Schnöselpromi, der dauergrinsend auf der Dachterrasse sein perfektes Dinner mit seiner perfekten Frau in perfekter Beleuchtung bereitet?

Oder offenbart jedes einzelne Bild das Gestellte, das Falsche, das Usurpierte dieser ikonografischen Selbstaussage? Wenn Mr. Varoufakis da wirklich lebt, was die billige Werbeästhetik der Fotos allerdings nicht hergibt, dann ist er keiner von uns; gehört er da aber nicht wirklich hin, dann hätte er die Macht schon verspielt. Der Widerspruch der Luxushemdsärmeligkeit setzt sich hier, gefährlich, ins Intime und Territoriale fort. Aus zwei falschen wird nur in sehr seltenen historischen Momenten ein richtiges Zeichen.

Die Islamisierung der Bilder ( = den direkten und indirekten Einfluss, den die Wahrnehmung eines Ereignisses, wie etwa des islamischen Terrors, auch auf Bilder ausübte, die motivisch gar nichts mit ihm zu tun hatten)reduziert diese auf ihren Signalcharakter. Bilder dürfen nur noch etwas repräsentieren, aber nichts mehr erzählen. Bilder werden nur noch als Reiz- und Kampfmittel eingesetzt. Wenn in der Vietnamisierung die Trümmer in die Bilder flogen, sind Bilder nun selbst Trümmer, die kaum noch verraten, in welchen Zusammenhängen sie einst entstanden. Bemerkenswerterweise begegnen sich da allerdings zwei Formen der Fetischisierung, denn auch im kapitalistischen Realismus des Neoliberalismus findet eine solche Reduzierung der Bilder statt. So ist das Stinkefingerbild genauso falsch wie das Homestory-Bild. Wie das eine von einer kränkenden Aggression erzählt, die niemals stattgefunden hat, konstruiert das andere eine Idylle der Versöhnung von Revolte und Reichtum, die es nicht geben kann. Wir kennen das nicht nur aus Hollywood-Filmen: Die Revolutionäre vergiften sich an ihrer Beute, und an ihrer Eitelkeit erstickt jeder soziale Elan.

Wer ist „schuld“ an diesen falschen Bildern, die möglicherweise das Scheitern der so dringend benötigten Revolte gegen das neomerkantilistische Diktat und den aufgezwungenen Bürgerkrieg schon vorwegnehmen? Und kann es wirklich sein, dass Stinkefinger- und Penthousefotos schon mehr entscheiden als Diskurs und Debatte? Vielleicht entkommen wir noch einmal der Bilderfalle. Und dann?

So wie das vietnamisierte Bild einst ein Bild war, das von Gewalt und Angst so viel zeigte, dass es nicht mehr lesbar war, ist das islamisierte Bild ein Bild, das Gewalt und Angst so lesbar macht, dass es nichts mehr zeigen kann. Und dasselbe gilt für das Gegenbild, jene Inszenierung, die die Lösung verspricht, das Glück, das uns blüht. Es ist nur noch Text, Chiffre, Reklame. Bei den Varoufakis gibt es heute (am 8. März des Jahres 2015, um genau zu sein) gebackenen Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Salat und Käse, dazu ein Gläschen Weißwein und eine Menge Brot verschiedener Sorten. Wer zum Teufel soll das alles essen, in der Mittagssonne über den Dächern von Athen, wenn nicht die Bildermacher von Paris Match?

Auszug aus: Georg Seeßlen: Ist das Penthouse echt? Freitag 6.5.2015 online

Im Dschungel der Milliardäre

Zitat zum Tag: Während Ed Miliband Britannien zu einer Art Schweden machen wolle, ist die Orientierung bei den Tories nicht ganz so klar: "Nicht alle Tories teilen eine Vision. Boris Johnson, der Londoner Bürgermeister - der Parteiführer werden könnte, wenn Cameron durchfällt - ist da noch am klarsten. Er sieht Britannien als eine Insel des freien Markts, komplett offen für ausländisches Kapital. Während Miliband seinen Hadsch nach Skandinavien macht, wendet sich Boris Dubai zu. Seine Welt ist die der handeltreibenden Stadtstaaten, und so sieht er auch London. In Dubai beschrieb er sich selbst als 'Bürgermeister des achten Emirats' und verkündete: 'Was die Dschungel von Sumatra für die Orang Utans sind, das ist London für die Top-Millardäre.'"