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Montag, 13. Juli 2015

Europas harte Zeiten kommen erst noch

Harald Schumann

Krise der Eurozone. Mit dem Spardiktat gegen das europäische Sozialmodell

Der Tagesspiegel 10.07.2015 Von


Als im Herbst 2008 die Finanzindustrie kollabierte, geriet die Wirtschaft in den USA und Europa in die tiefste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Millionen verloren ihre Jobs, und auf beiden Seiten des Atlantiks stieg die Arbeitslosenquote auf zehn Prozent. Europa und Amerika waren gemeinsam abgestürzt. Und gemeinsam, so schien es, würden sie das Tief auch überwinden.

Doch es kam ganz anders. Heute, im Jahr sieben nach Lehman, hat die US-Wirtschaft die Wende geschafft. Ihre Leistung liegt schon zehn Prozent über dem Niveau von 2008. Zugleich sank die Arbeitslosenquote wieder auf 5,4 Prozent. Euro-Land dagegen produziert nicht mal so viel wie im Jahr 2008, und noch mehr Menschen als vor fünf Jahren suchen einen Job.

Wie konnte das geschehen? Die Erklärung der meisten Ökonomen gipfelt stets in einem Wort: Austerität, auch Sparpolitik genannt. Nach dem Crash brach die private Nachfrage dramatisch ein. Darum taten die Regierungen zunächst sowohl in den USA als auch in Europa, was die wirtschaftliche Logik gebot: Sie hielten mit Ausgaben zur Förderung der Konjunktur dagegen, auch wenn sie dafür zusätzliche Kredite aufnehmen mussten. Daran hält die Regierung Obama bis heute fest. Das erzeugte zwar ein Budgetdefizit von bis zu zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber mit der anziehenden Konjunktur fällt das Defizit seit 2012 ganz von selbst.

Die Euro-Staaten dagegen traten schon ab 2010 radikal auf die Bremse. Sie unterhielten zwar eine gemeinsame Währung, aber sie wollten nicht gemeinsam wirtschaften. Und anders als die Fed, die US-Notenbank, weigerte sich die EZB unter ihrem damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet, für alle ausgegebenen Staatsanleihen zu garantieren. So gerieten erst Griechenland und dann Irland, Portugal und Spanien in die Schuldenfalle. Zwar war die Euro-Zone als Ganzes keineswegs überschuldet. Aber die schwächeren Länder bekamen keinen Kredit mehr zu bezahlbaren Zinsen. Darum erfanden die Euro-Retter in Berlin, Brüssel und Frankfurt das bis heute angewandte Konzept: Sie hielten die Krisenstaaten mit Notkrediten zahlungsfähig, und zwangen sie, ihre Ausgaben radikal zurückzufahren. Zugleich definierten sie die Finanzkrise, die aus der maßlosen Kreditvergabe der Banken entstanden war, zu einer Staatsschuldenkrise um und dehnten das Sparkorsett mit ihrem „Fiskalpakt“ auf die ganze Euro-Zone aus.

Und um das zu rechtfertigen, beriefen sie sich auf eine Theorie, die schon seit 70 Jahren widerlegt ist. Es sei „ein Irrtum, zu meinen, dass Austerität dem Wachstum und der Schaffung von Jobs schadet“, behauptete etwa Trichet im Juli 2010. Das „größere Problem“ sei vielmehr „der Mangel an Vertrauen bei Haushalten und Unternehmen, dass die staatliche Haushaltspolitik nicht nachhaltig ist“.

Heute, fünf Jahre später, ist klar: Es ist genau anders herum. Mit jedem Euro, den die Staaten sparten, verloren sie bis zu 1,50 Euro an Wirtschaftsleistung, stellten Forscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) schon 2012 fest. Im Ergebnis investierten die Unternehmen immer weniger, dafür stiegen die Schuldenquoten und die Arbeitslosigkeit. Und weil alle Euro-Länder gleichzeitig ihre Ausgaben kappen, fällt die europäische Wirtschaft weiter zurück.

Doch merkwürdig: Alle Verantwortlichen weigern sich rundheraus, diesen eindeutigen empirischen Befund anzuerkennen. Und das selbst im Fall Griechenland. Nachdem die Wirtschaft dort bereits um volle 25 Prozent geschrumpft ist, fordern Finanzminister Schäuble und seine Kollegen gemeinsam mit IWF-Chefin Lagarde und EZB-Chef Draghi weitere Kürzungen, welche die Rezession um noch einmal zehn Prozent verschärfen würde. Diese demonstrative Ignoranz nährt einen schlimmen Verdacht: Es geht Europas Regenten gar nicht um Prosperität. Stattdessen missbrauchen sie das Spardiktat als Machtinstrument, um den Rückbau des Wohlfahrtsstaats zu erzwingen. Draghi behauptete schon 2012, „das europäische Sozialmodell“ sei „vergangen“. Und so wurden in den Krisenstaaten Tarifverträge und Arbeitnehmerrechte abgeschafft, die Renten- und Gesundheitssysteme zur Minimalversorgung eingedampft und die Gewerkschaften völlig marginalisiert.

Bleibt es beim Schrumpfkurs durch Austerität, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis Europas regierende Hardliner unter Verweis auf die nötige „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ versuchen werden, das Gleiche auch in den Kernländern der Euro-Zone durchzusetzen. Europas harte Zeiten kommen erst noch.

Dienstag, 10. Februar 2015

Austerity durch falsches Schuldenmachen...?

Paul Krugman

Many economists, including Janet Yellen, view global economic troubles since 2008 largely as a story about “deleveraging” — a simultaneous attempt by debtors almost everywhere to reduce their liabilities. Why is deleveraging a problem? Because my spending is your income, and your spending is my income, so if everyone slashes spending at the same time, incomes go down around the world.
Or as Ms. Yellen put it in 2009, “Precautions that may be smart for individuals and firms — and indeed essential to return the economy to a normal state — nevertheless magnify the distress of the economy as a whole.”
So how much progress have we made in returning the economy to that “normal state”? None at all. You see, policy makers have been basing their actions on a false view of what debt is all about, and their attempts to reduce the problem have actually made it worse.
First, the facts: Last week, the McKinsey Global Institute issued a report titled “Debt and (Not Much) Deleveraging,” which found, basically, that no nation has reduced its ratio of total debt to G.D.P. Household debt is down in some countries, especially in the United States. But it’s up in others, and even where there has been significant private deleveraging, government debt has risen by more than private debt has fallen.
You might think our failure to reduce debt ratios shows that we aren’t trying hard enough — that families and governments haven’t been making a serious effort to tighten their belts, and that what the world needs is, yes, more austerity. But we have, in fact, had unprecedented austerity. As the International Monetary Fund has pointed out, real government spending excluding interest has fallen across wealthy nations — there have been deep cuts by the troubled debtors of Southern Europe, but there have also been cuts in countries, like Germany and the United States, that can borrow at some of the lowest interest rates in history.
All this austerity has, however, only made things worse — and predictably so, because demands that everyone tighten their belts were based on a misunderstanding of the role debt plays in the economy.


aus: The New York Times 9.2.2015

Samstag, 7. Februar 2015

Syriza

Isolde Charim

Die Abwehr des Wahlerfolgs der griechischen Syriza folgte der Argumentation: Linksradikale und Rechtsradikale sind letztlich gleich. Die Extreme berühren einander nicht nur, sie gehen ineinander über. Die jubelnde Aufnahme des Syriza-Sieges folgte demselben Schema: Rechte und Linke, Marine Le Pen und Melenchon, Linkspartei und AfD, Ukip und Sinn Fein - sie alle äußerten sich begeistert über den griechischen Wahlausgang.
Und dann schließt Alexis Tsipras auch noch diese unsägliche Koalition mit den Rechtspopulisten von Anel - einem Bündnis, das die Links-Rechts-
Gleichung geradezu zu verkörpern scheint. Die "Zeit" attestiert die Bildung einer "Internationale des Dagegen".
Und zugleich müssen selbst Kritiker zugestehen: Das waren bittere Jahre für die Griechen - ein Wirtschaftseinbruch, den "andere Völker sonst nur in Kriegszeiten erleben", so Raimund Löw. Das Spardiktat war aber nicht nur hart, es fand auch keine Akzeptanz in der Bevölkerung. Denn die Austeritätspolitik bedeutete nicht nur Sparen, sondern auch den Rückzug auf reine Pragmatik, eine "Politik" des Sachzwangs. Aber eine "Politik" der alternativlosen Notwendigkeit ist keine Politik - selbst in Zeiten, wo die Sachzwänge erdrückend sein mögen. Politik muss zwischen Notwendigkeiten und Selbstbestimmungswünschen vermitteln können. Das kann das technokratische Vorgehen nicht. Deshalb konnte es keine Akzeptanz herstellen: Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie wurde von den Griechen abgewählt.


Im Moment bedeutet die Wahl selbst bereits die erhoffte Alternative. Es wird sich aber erst zeigen, ob diesem Moment wirklich eine andere Politik folgen kann. Die Zeichen dafür stehen nicht gut. Die EU reagiert mit Abwehr. Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis werden wie Feinde behandelt. Denn ein Einvernehmen mit diesem neuen Griechenland würde bedeuten: Europa muss sich verändern. Deshalb hat man es auf deren Scheitern angelegt.
Ja, Syriza ist vielleicht nicht die Lichtgestalt, die sich die Linke erhofft hat. Weder die unappetitliche Koalition noch das Blinken Richtung Putin sprechen dafür. Aber es ist die derzeit einzige politische Kraft, die dem Austeritätskurs etwas entgegenzusetzen vermag. Selbst Kritiker räumen ein, dass die Maßnahmen, die sie dabei im Auge haben, durchaus sinnvoll sind: Kampf gegen Steuerflucht und Korruption, Mindestlöhne, Versicherungen, Stromversorgung. Dieser Maßnahmenkatalog zeigt nicht nur, wie grundlegend die Nöte der Griechen bereits sind. Er zeigt auch: Syriza will keinen sowjetischen Fünf-Jahres-Plan, sondern klassischen Keynesianismus. Ihr Ziel ist nicht die Diktatur des Proletariats, sondern ein soziales Griechenland. Sie fordern keine Revolution, sondern einen "Merkel-Plan" (nach dem Vorbild des Marshall Plans). Wenn das schon Radikalismus ist, dann muss man sagen: Das politische Spektrum ist radikal geworden - radikal eng, wenn dafür kein Platz mehr ist.
Den Strategen der Gleichsetzung aber sei gesagt: Links und rechts sind weder austauschbar, noch gehören sie zusammen. Es ist etwas anderes, gegen Austeritätspolitik zu sein als gegen Minderheiten. In ihrer Abwehrhaltung übersehen sie: Syriza ist nicht die Katastrophe. Aber sollte Syriza scheitern, dann droht wirklich eine Katastrophe.

Wiener Zeitung 07.02.2015

Freitag, 6. Februar 2015

Schmutzige kleine Geheimnisse. Zum Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland

John MacDougall

Why did Germany try so hard to stop the European Central Bank from giving the eurozone a trillion-euro boost? Why did Germany decree fiscal austerity for Greece instead? And why, despite Greece’s travails and alleged duplicity, does Germany insist that Greece stay in the eurozone? These actions may have seemed irrational and contradictory, but the same people benefited in every case.
First, consider Germany’s recent economic history. In 1990, the reunification of the East and West added an enormous, low-wage population of Germans to the labor supply. Though integrating them into the West’s business environment took time, these millions of new laborers in the workforce instantly made German exports more competitive. Then, with the launch of the euro in 1999, Germany diluted its currency — among the strongest in the world — by mingling it with those of less stable economies from across the European Union. Again, the effect was a huge boost to German exports.
These dramatic shifts in Germany’s economic position might have been expected to benefit both German workers and owners of German capital. For workers in the poorer East, wages were sure to rise, and they did. Workers in the West may have suffered by comparison, but the boom in exports — which went from 23 percent of the economy in 1990 to 42 percent in 2010 — should have been big enough to boost their incomes as well.
Indeed, in the first decade, incomes for Germans from top to bottom on the economic ladder rose by about 7 to 8 percent in real terms. But with the advent of the euro, things started to change. Incomes at the top kept rising, with gains for the top 10 percent of earners continuing apace for the next decade as shareholders reaped record profits. At the bottom, however, there was a sharp dip that eventually left incomes exactly where they started at the beginning of the 1990s.
The effect on inequality was startling. By itself, the integration of East and West should have reduced German inequality substantially. In a country where labor retained some bargaining power, the export boom might have been expected to encourage this convergence as well. Yet Germans at the top of the income distribution saw such an upturn in their fortunes that inequality actually rose. With incomes continuing to diverge, Germany’s wealth inequality was the worst in the eurozone and almost on a par with that of the United States, which was no mean feat.
With all of this in mind, let’s return to policy. The eurozone was dangling on the edge of deflation for months, and even Germany’s inflation rate had been below the European Central Bank’s target of just under 2 percent since August 2013. But German bankers and politicians were dead set against the use of credit easing or other unconventional monetary tools to create inflation, devalue the euro, and presumably improve short-term economic growth in the eurozone.
Instead, they decided that countries in need of an economic lifeline — like Greece — should keep making massive cuts in public services while servicing debts on terms set by wealthier nations such as Germany. For most economists, this was an impractical prescription that would only make the patient suffer more. So why did the Germans insist on it?
The bankers in Berlin realized that inflation eroded the value of savings, of which their wealthy countrymen had quite a lot, and also made German investments less attractive to foreigners. As long as Germany continued to grow, they had no use for inflation. In fact, growth with low inflation — and thus little upward pressure on wages — was a perfect formula, especially for owners of capital. Indebted and unemployed Germans might have benefited from a weaker euro and more inflation, just like the Greeks, but they clearly weren’t the bankers’ top priority.
And Germany did grow, at least until late last year. By the fourth quarter of 2014, its economy was on the brink of recession. Not by coincidence, when the European Central Bank’s governors met in January, Germany’s bankers and politicians finally relented — or at least failed to convince their colleagues of the remaining dangers of inflation. Now, a new challenge has emerged.
Greece is calling Germany’s bluff. A few years ago, the Germans wanted Greece to stay in the eurozone enough to bail them out of their fiscal deficits, but the cost was penury for the Greeks. Back then, Germany seemed to have all the bargaining power. But Greece’s new leftist government has apparently realized that the real bargaining power lies in Athens, because Germany will now do anything to hold the eurozone together.
Germans have read plenty of articles alleging that Athens never should have been allowed to join the eurozone in the first place. But the bankers in Berlin know that each weak country that leaves the eurozone now is likely to push up the value of the euro. This would increase the value of German savings, but it would also harm exports, and at the moment Germany needs them more than ever. Moreover, uncertainty about the euro in the short term might cause investors to pull their money out of German securities, leading to lower asset values and higher interest rates — a double-whammy for wealth and economic growth.
Today, this cluster of threats is unacceptable to Germany. As its growth rate changed, so did its bankers’ priorities and, as a consequence, the balance of power in the eurozone. The Greeks figured this out, and other countries are cottoning on. But it was a good run for wealthy Germans while it lasted.


aus: FP, 2.2.2015