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Sonntag, 6. Juli 2025

Drohnen, Sheherezade und der eitle Dämon Krieg

 Alexander Kluge


"Ich muss mich ganz in die Perspektive des Gegners hineinversetzen". Über die Kunst, Frieden zu schließen. Interview: Dr.Peter Neumann

Aus der ZEIT Nr. 28/2025 2. Juli 2025 


DIE ZEIT: Herr Kluge, überall wird aufgerüstet, sprechen die Waffen. Haben wir verlernt, den Frieden zu denken?

Alexander Kluge: Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir nach den Erfahrungen von 1918 und 1945 noch einmal so grundsätzlich neu denken müssen. Aber genau das steht uns jetzt bevor.

ZEIT: Inwiefern?

Kluge: Wenn man heute glaubt, man könne mit Drohnen, Raketen, Fernwaffen einen Krieg gewinnen, ist das eine Illusion. Der Krieg ist ein Dämon. Er folgt einer Eigenlogik, die weder von denen, die ihn beginnen, noch von denen, die ihn bekämpfen, vollständig beherrscht werden kann. Niemand kann sich zum Richter über Gut und Böse aufschwingen, weil der Krieg sich jedem Urteil entzieht. Er ist unberechenbar, wandelt nur seine Gestalt, aber nie sein Wesen. Auf diese Erfahrung müssen wir eine Antwort finden.

ZEIT: Momentan erleben wir eher das Gegenteil. Nach den jüngsten Luftangriffen auf den Iran durch Israel und die USA ist die ohnehin fragile Konfliktzone Naher Osten noch weiter ins Wanken geraten.

Kluge: Das hat mich als Kriegskind unmittelbar an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Ich war 13 Jahre alt, der Kronprinz meiner Eltern, als ich erlebte, wie meine Heimatstadt Halberstadt am 8. April 1945 im Feuersturm der alliierten Bomber unterging. Das hat mich tief erschüttert. Und doch: Selbst bis zum 8. Mai, bis in die letzten Tage des Krieges, haben die Bombenangriffe kaum etwas bewirkt.

ZEIT: Der Alltag ging einfach weiter?

Kluge: Ja. Man kann den Willen eines Volkes nicht durch Bomben brechen, selbst dann nicht, wenn es selbst keinen guten Grund mehr für den Krieg sieht. Man verlängert ihn dadurch nur. Unsere Putzfrau in Halberstadt, Frau Anna Will, hat einmal einen Satz gesagt, der mich sehr beeindruckt hat: "An einem bestimmten Punkt des Unglücks ist es gleich, wer es begangen hat. Es soll nur aufhören."

ZEIT: Sie meinen, militärische Gewalt allein reicht nicht?

Kluge: Nein, das kann sie gar nicht.

ZEIT: Warum nicht?

Kluge: Weil die Idee, den Feind restlos zu vernichten, ein Irrtum ist. Denken Sie nur an die Zerschlagung des antiken Karthago durch die Römer. Zerstörte Städte, zertrümmerte Steine bilden kein Fundament für einen echten Frieden.

ZEIT: Sie sprechen vom Dritten Punischen Krieg im 2. Jahrhundert vor Christus. Von Cato dem Älteren, einem römischen Staatsmann, ist das berühmte Wort überliefert: "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss."

Kluge: Ja. Und nicht einmal die Zerstörung schien Cato zu genügen. Er schlug vor, Pflüge aus Tunis nach Karthago zu bringen, um die Trümmer, die zerschlagenen Steinblöcke der Paläste und Mauern, noch einmal umzupflügen.

ZEIT: Ein symbolischer Akt der Verwüstung.

Kluge: Genau, das ist das Prinzip: Nach dem Sieg soll es keine Versöhnung geben, sondern radikale Auslöschung. Das ist das schlechteste Rezept überhaupt. Es verlängert den Krieg ins Unendliche. Und vergiftet jeden künftigen Frieden.

Alexander Kluge: "Ich muss mich ganz in die Perspektive des Gegners hineinversetzen"

ZEIT: Kann man denn Kriege überhaupt gewinnen?

Kluge: Nein. Man kann einen Krieg nicht wirklich gewinnen. Das ist das eigentliche Paradox: Von Troja bis heute bleibt es eine Illusion, dass der Sieger tatsächlich siegt. Agamemnon, der König der Griechen, kehrt als Triumphator heim und wird im Badehaus blutig geschlachtet. Die Deutschen besiegen 1870 bei Sedan die Franzosen und besiegeln damit ihr eigenes Elend im Jahr 1918. Die Franzosen wiederum nutzen den Sieg von 1918 und stehen 1940 vor dem Scherbenhaufen. Wer auch immer siegt, stürzt ab.

ZEIT: Dennoch: War es nicht notwendig, dass Hitler-Deutschland durch die Alliierten vollständig besiegt wurde?

Kluge: Der militärische Sieg war zweifellos zentral. Doch ebenso wichtig war das, was darauf folgte: der Marshallplan, der wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes. Dieses Programm hatte in Europa enorme moralische Autorität und trug maßgeblich zum Sieg des Westens im Kalten Krieg bei.

ZEIT: Sie haben in diesen Tagen in Chemnitz eine Ausstellung über den Krieg eröffnet und darüber, wie man ihm vielleicht entkommen kann. Was wäre ein gutes Rezept, um Frieden zu schließen?

Kluge: Der erste Schritt ist: Man muss die Generosität finden, für einen Moment mit dem Kopf des anderen zu denken. Ich muss mich ganz in die Perspektive des Gegners hineinversetzen: Was könnte ihm so wichtig sein, dass er bereit ist, seine Verbrechen zu beenden, seine Irrtümer einzusehen? Es geht darum, den Punkt zu finden, an dem selbst ein Tyrann oder ein Böser bereit wäre, einem Deal zuzustimmen.

"Der Krieg ist ein eitler Dämon, er hört sich gern selbst zu"

ZEIT: Trump hat versucht, einen Deal mit Putin in der Ukraine zu erreichen. Bisher allerdings ohne Erfolg.

Kluge: Trump hat versucht, diesen Punkt zu finden. Dafür braucht es aber Vorstellungsmögen, Fantasie. Das ist der zweite Schritt: Gäbe es ernsthafte Forschung, fänden sich viele verhandlungsfähige Themen, etwa eine Anpassung der Sanktionen rund um Kaliningrad, immerhin der Geburts- und Sterbeort Immanuel Kants, der für Russland wertvoller sein könnte als Mariupol mit einer widerwilligen Bevölkerung. Oder gemeinsame Zukunftsprojekte, etwa in der Raumfahrt. Möglich wäre das allemal. Jetzt müsste man solche Optionen sammeln und sorgfältig abwägen, ohne in Verhandlungen sofort Zugeständnisse zu machen.

ZEIT: Übertreiben Sie nicht?

Kluge: Es gibt einen Satz, der Herakles, dem größten Helden der Antike, zugeschrieben wird: "Der Pfeil, den ich ins Herz meines Gegners schieße, trifft mein eigenes Herz." Das ist die Dialektik des Krieges, die man nicht unterschätzen darf: Der Pfeil der physikalischen Zeit lässt sich nicht umkehren, aber in der chaotischen Zeit des Krieges sind die logischen Gesetze, die Ordnung von Nacheinander und Nebeneinander, aufgehoben. Alles versinkt im "Nebel des Krieges", wie es der preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz einmal genannt hat. Und deshalb kehrt der Pfeil, den man auf den Gegner abschießt, am Ende wieder zurück. Das ist das Prinzip des Krieges, er schiebt die Dauer der Zeit bis zum Frieden in die Länge.

ZEIT: Heute wird aber nicht mehr mit Pfeil und Bogen gekämpft. Man lässt Drohnen aufsteigen.

Kluge: Drohnen sind im Grunde atavistische Geräte.

ZEIT: Wie meinen Sie das?

Kluge: Sie sind unbemannte Kampfflugzeuge, operieren ohne Piloten. Das heißt: Man kann größere Risiken eingehen. Sie fliegen bodennah, sind kaum ortbar, entziehen sich dem Radar. Ihre Kleinheit, ihre schlichte Bauweise, all das macht sie nahezu unaufhaltbar. Mich erinnern sie an die Drachen, mit denen wir als Kinder gespielt haben. Diese Schlichtheit ist ihre Gefahr: eine Waffe, die sich nicht wirklich besiegen lässt.

ZEIT: Heute bekommt man sie sogar im Baumarkt. Im Ukrainekrieg werden Minen daran befestigt und über die Front geschickt. Ist das also – trotz aller Technologie – im Kern eine primitive Waffe?

Kluge: Ja, man könnte sagen: Die Drohne ist die Rückkehr der Höhlenmalerei im Krieg.

ZEIT: Aber es muss doch einen Ausweg geben.

Kluge: Ich würde nie behaupten, dass der Verblendungszusammenhang des Krieges – oder, wie Hegel es nannte, die "Schlachtbank" der Geschichte – unüberwindbar ist.

ZEIT: Nur wie?

Kluge: Vielleicht kann man ihn nicht beenden, aber einschläfern. Zum Verstummen bringen.

ZEIT: Woran denken Sie?

Kluge: Ich denke an die alten persischen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Scheherazade, die Tochter eines Wesirs, eines hohen Beamten, weiß, dass sie sterben wird. Der König hat beschlossen, jede Nacht eine neue Frau zu heiraten, um seine Begierde zu stillen, und sie am nächsten Morgen töten zu lassen, aus Angst vor Verrat. Doch Scheherazade will diesen Kreislauf der Gewalt mit einer List durchbrechen.

ZEIT: Sie beginnt, zu erzählen ...

Kluge: Ja. Sie erzählt ihm jede Nacht eine Geschichte. Immer bleibt ein Faden offen, der den König neugierig macht. Also verschont er sie, Nacht für Nacht, um zu hören, wie es weitergeht. So spinnt sie ihre Erzählungen über tausendundeine Nacht, bis der König seinen Schwur bricht, das Töten beendet und ihr Gnade gewährt.

ZEIT: Sie meinen, auch der Krieg vergisst, dass er da ist?

Kluge: Ja. Der Krieg ist ein eitler Dämon, er hört sich gern selbst zu. Und wenn er je zur Ruhe kommt, dann am ehesten durch Geschichten über ihn. Solche Geschichten sind verstreut, versprengt, aber wir müssen sie sammeln und neu zusammensetzen. Es sind kollektive Erfahrungen aus drei-, viertausend Jahren, und sie können uns helfen, nicht immer wieder dieselben Fehler zu begehen.




Mittwoch, 18. August 2021

Afghanistan


Georg Diez

Kein Krieg für die Freiheit 

 

George W. Bush führte Krieg, um vom eigenen Versagen abzulenken. Paranoia, Hass, Rassismus, Überwachungs- und Drohnenterror nahmen zu.
m September 2001 fiel ein Mensch in Amerika von einem Hochhaus Hunderte Meter in den Tod, durch einen strahlend blauen Himmel. Im August 2021 fiel ein Mensch in Afghanistan von einem Flugzeug Hunderte Meter in den Tod, durch einen strahlend blauen Himmel. Was die beiden Ereignisse verbindet: Terror, Grauen, Trauer. Was die beiden Ereignisse trennt: 20 Jahre, 2 Billionen Dollar, weit über 100.000 getötete Zivilisten. Das Versprechen war Freiheit, aber um Freiheit ging es nie wirklich, jedenfalls nicht für Afghanistan.

Der Krieg, der unter dem Namen „Enduring Freedom“ kurz nach den Anschlägen von New York im Oktober 2001 begann, war ein Krieg, der nie hätte beginnen dürfen. Er wurde mutwillig herbeigeführt von George W. Bush, um Stärke zu zeigen und vom eigenen Versagen abzulenken.

Die Geheimdienste hatten ihn gewarnt. Spätestens am 6. August 2001 war ihm bekannt, dass Anschläge geplant waren. Er musste handeln, und er tat es in der verqueren Logik und Rhetorik, die einen Grundwiderspruch westlich hegemonialer Außenpolitik begleitet: Wo es um Macht ging, wurde die Freiheit vorgeschoben.

Tatsächlich, und auch das ist wichtig in diesen schlimmen Tagen, in denen die Taliban das Land im Handstreich wieder übernehmen, haben diese 20 Jahre nicht mehr Freiheit produziert – sondern im Gegenteil gerade auch in den Staaten des Westens ein Maß an Paranoia, Hass, Rassismus, Überwachung und Freiheitsentzug geschaffen, Ruinen der Rechtlosigkeit, Folter, Mord im Staatsauftrag und einen weit in die Privatrechte potenziell jedes Einzelnen eingreifenden Sicherheitsstaat, der die Gestalt der Demokratie – in den USA besonders, aber auch in den europäischen Partnerländern und in Deutschland – auf fundamentale Art und Weise verändert hat.

Es wurde eine „Herrschaft des Terrors“ errichtet, so nennt das der amerikanische Journalist und Pulitzerpreisträger Spencer Ackerman in seinem kürzlich auf Englisch erschienenen Buch „Reign of Terror“ – nicht von den Taliban, sondern durch amerikanische Politik, im Ausland wie im Inland.

Das Buch ist beeindruckend in der Recherche, es ist erschütternd in der Analyse. „Wie 9/11 Amerika destabilisierte und Trump produzierte“, so heißt es im Untertitel, und die Kontinuitäten einer Politik im rechts- und vor allem menschenrechtsfreien Raum, von Bush über Barack Obama zu Donald Trump, machen deutlich, dass mit dem chaotischen und so grausam zu beobachtenden Abzug der amerikanischen Truppen eine Ära zu Ende geht, die, wie Ackerman es beschreibt, die Türen geöffnet hat für das Dunkelste in unseren Demokratien.

Eine Macht wurde entfesselt, von den Neocons unter Bush, die glaubten, sie könnten diese Macht benutzen und beherrschen – Ackerman schildert eindrucksvoll, wie sich die Logik der Sicherheitsapparate und Geheimdienste mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten der Datensammlung und -speicherung verbanden: Digitalität als Brandbeschleuniger staatlicher Übergriffigkeit. Massive Einschränkungen der Pressefreiheit und die Verfolgung etwa von Julian Assange und Edward Snowden. Und eine Exekutive, die die Grenzen dessen, was legal oder human ist, etwa durch einen generationenüberdauernden Drohnenkrieg ohne völkerrechtliche Basis, immer weiter verschob.

Folter, wie sie Jack Bauer in der Fernsehserie „24“ zelebrierte, wurde genehm, die Ermordung eigener Staatsbürger ohne Gerichtsverfahren wurde legitimiert, die radikale Ausweitung des Drohnenkriegs, speziell durch Obama, schuf durch die völkerrechtswidrige und generationenüberspannende Dauerbedrohung aus dem Himmel, so schildert es auch der französische Politikwissenschaftler Grégoire Chamayou in seinem Buch „Théorie du drone“, ein Gefühl von Hass, der verbindend war für die Kinder und Enkel der Opfer dieser oft fehlgeleiteten Angriffe.

Aber mehr noch, und hier ist Ackerman besonders relevant und in gewisser Ableitung auch auf Deutschland übertragbar: Der „Krieg gegen den Terror“ war tatsächlich ein Krieg gegen Muslime, er schuf das Feindbild, das er brauchte, die Bedrohung durch „den anderen“, einen Feind, der meistens braune Haut hatte und nicht Mike oder Monika mit Vornamen hieß.

Die Dynamik also von rassistischer Rhetorik, um einen Krieg zu legitimieren, und einem Alltagsrassismus, der sich als Folge davon in Sprache, Verhalten, Umgang und Institutionen der westlichen Länder ausbreitete, führte dazu, dass Feindbilder Normalität wurden, Ausgrenzung und Bedrohung von Minderheiten zunahmen und sich ganze Gesellschaften im Inneren verhärteten, gegen Moral und Menschlichkeit immunisierten, einfach, um dem Druck der eigenen Taten standzuhalten.

Das, unter anderem, ist der Verrat des Westens – an seinem Wesen, wenn es das gibt, an seinen Idealen, wie sie formuliert sind. Auch Europa hat sich grundsätzlich verändert in diesen 20 Jahren, latent und strukturell vorhandener Rassismus fand politische Form und wurde gefördert von jener Mitte, die eigentlich demokratischen Prinzipien folgen sollte.

Und das schreckliche Schauspiel setzt sich ja fort in diesen Tagen, wenn Emmanuel Macron verkündet, während sich Menschen an Flugzeuge klammern, dass auf keinen Fall Geflüchtete in der EU aufgenommen werden, oder der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet den menschenfeindlichen Satz sagt, dass sich 2015 nicht wiederholen darf – als Deutschland half und Menschen aufnahm, die in Not waren, christlicher Mindeststandard.

Es hat seinen Preis, von Freiheit zu reden und sie zu verraten. Spencer Ackerman spricht vom „langsamen, aber beängstigenden Zerfall der amerikanischen Demokratie“. Dieser Zerfall ist in diesen Tagen auch in Deutschland spürbar, sichtbar, erschlagend.