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Mittwoch, 26. November 2014

Der Zusammenbruch der arabischen Zivilisation

Die Barbaren unter uns

Die arabische Zivilisation ist zusammengebrochen. Sie wird sich zu meinen Lebzeiten nicht mehr erholen.

Hisham Melhem, Politico Magazine, 18. September 2014

Mit seiner Entscheidung gegen die brutalen Extremisten des Islamischen Staates gewaltsam vorzugehen, hat Präsident Obama mehr getan als sich bewusst in einen tiefen Sumpf zu begeben. Er tut damit mehr als mit dem Schicksal zweier zerbrochener Länder – Irak und Syrien – zu spielen, deren Gesellschaften schon innerlich ausgebrannt waren, bevor die Amerikaner am Horizont auftauchten. Obama mischt sich – verständlicherweise widerstrebend – erneut in das Chaos einer gesamten Zivilisation ein, die zusammengebrochen ist.

Die arabische Zivilisation, wie wir sie kannten, ist verschwunden. Die heutige arabische Welt ist gewalttätiger, instabiler, zerbrochener und von Extremismus geprägt – dem Extremismus der Herrscher und jener, die in der Opposition sind – als jemals, seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches vor einem Jahrhundert. Jegliche Hoffnung auf eine arabische Geschichte der Moderne wurde hintergangen. Das Versprechen auf eine politische Teilhabe, die Rückkehr von Politik, die Wiederherstellung der Menschenwürde, verkündet während des Höhepunkts des arabischen Aufstands – alles wurde ersetzt durch Bürgerkriege, ethnische, konfessionelle und regionale Spaltungen und die Wiederherstellung des Absolutismus, sowohl in der militärischen als auch in der atavistischen Form. Mit der dubiosen Ausnahme der antiquierten Monarchien der Golfemirate – die sich im Moment der Welle des Chaos entgegenstemmen – und vielleicht noch Tunesien, ist keine erkennbare Legitimität in der arabischen Welt übrig geblieben.

Ist es da verwunderlich, dass, gleich Ungeziefer, das eine zerstörte Stadt besiedelt, die Nachkommen dieser selbstzerstörerischen Zivilisation die nihilistischen Verbrecher des Islamischen Staates sind? Und gibt es niemand anderen als die Amerikaner und die westlichen Staaten, die dieses unermessliche Chaos, welches die Araber in unserer Welt angerichtet haben, wieder aufräumen können?

Keine Beispiele oder Theorien können erklären, was in den letzten Jahrhunderten in der arabischen Welt schief gelaufen ist. Es gibt keinen offensichtlichen Grund für das kolossale Versagen aller Ideologien und politischer Bewegungen, die die arabischen Regionen überschwemmten: Arabischer Nationalismus in seiner baathistischen und nasseristischen Form, verschiedene islamische Bewegungen, arabischer Sozialismus, der Rentnerstaat und raubgierige Monopolisten, sie alle hinterließen in ihrem Kielwasser nur eine Linie zerbrochener Gesellschaften. Keine Theorie kann die Marginalisierung Ägyptens, einst das Zentrum der politischen und kulturellen Verfassung im arabischen Osten, und sein kurzes, tumultartiges Experiment mit einem friedlichen politischen Wechsel, bevor es wieder zu einer Militärdiktatur zurückkehrte, erklären.

Ebenso wenig ist der Hinweis auf einen „Jahrtausende alten konfessionellen Hass“ adäquat, um die erschreckende Realität zu erklären, die sich vom Persischen Golf bis nach Beirut am Mittelmeer in einem ständigen Blutvergießen zwischen Sunniten und Schiiten zeigt, die offensichtliche Manifestation einer epischen geopolitischen Schlacht um Macht und Kontrolle, das den Iran, das schiitische Machtzentrum, gegen Saudi Arabien, das sunnitische Machtzentrum, und ihre Verbündeten gegeneinander ausspielt.

Es gibt keine allumfassende Erklärung für das Bild des Horrors in Syrien und Irak, wo in den letzten fünf Jahren eine Viertelmillion Menschen umkamen, in dem berühmte Städte wie Aleppo, Homs und Mossul sowohl vom modernen Terror durch Assads chemische Waffen als auch der brutalen Gewalt des Islamischen Staates heimgesucht werden. Wie konnte sich Syrien derart selbst zerreißen und – wie Spanien in den 1930er Jahren – die Arena für Araber und Muslime werden, die dort ihre Bürgerkriege erneut ausfechten? Der Krieg, der vom syrischen Regime gegen die Zivilbevölkerung in gegnerischen Gebieten geführt wird, kombiniert den Gebrauch von Scud Raketen und Anti-Personen Bomben mit den mittelalterlichen Taktiken der Belagerung und des Aushungerns. Zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg sterben Syrer durch Mangelernährung und Hunger.

Die Geschichte im Irak ist eine des vorhergesagten Todes. Das langsame Sterben begann mit Saddam Husseins verhängnisvoller Entscheidung im September 1980, den Iran anzugreifen. Seitdem leben die Iraker im Fegefeuer, eines gebar das nächste. Mitten in diesem schwelenden Chaos war der Einmarsch der Amerikaner im Jahre 2003 lediglich der Brandbeschleuniger, der das gewalttätige Chaos endgültig zum Ausbruch brachte.

Die Polarisierungen in Syrien und im Irak – politisch, konfessionell und ethnisch – sind so stark, dass es schwer vorstellbar ist, wie diese einst so wichtigen Länder jemals wieder als einheitliche Staaten hergestellt werden könnten. In Libyen brachte Muammar al Gaddafis 42jähriges Terrorregime dem Land Zerstörung und zerbrach es in seine derzeitige fragile Einheit. Die bewaffneten Einheiten, die dieses erschöpfte Land erbten, haben nun das Ziel es völlig zu zerbrechen und das – nicht verwunderlich – entlang der Spalten der Stämme und Regionen. Der Jemen hat alle Zutaten für einen Failed State, politisch, konfessionell, stammesspezifisch, die Nord-Süd Trennung und vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Verfalls und dem Raubbau an den Wasservorräten wird er das erste Land der Welt sein, das kein Trinkwasser mehr haben wird. 

Freitag, 3. Juni 2011

Tahir-Platz

alexandra lucas coelho        (... ) Ein Ismail kommt dazu, mit einem dicken Verband um den Kopf. Ein weiteres nicht kollaterales Opfer.
Ahmad fährt fort, zeigt mit dem Finger auf mich: „Die hat Glück, daß sie hier ist. Sie wird es ihren Enkeln erzählen und ich den meinen: ‘Ich war auf dem Tahrirplatz.’“
Ismail macht eine Handbewegung: „Sehen Sie, wie schmutzig ich bin? Aber ich bleibe hier, bis er in der Hölle ist.“ Er, dessen Name man nicht einmal auszusprechen braucht.
Ein Schild am Boden: „Ich bin das Volk. Und wer bist du?“Fadi, ein Kopte, einer dieser Afromänner aus den Siebzigern: „Ich möchte hier leben, ich liebe mein Land. Diese Revolution eint Christen und Muslime. Gestern haben sie hier auf dem Platz eine Messe abgehalten.“
Irgendwo inmitten einer halben Million Menschen. Und eine Trauung wird stattfinden. Und gleich eine Scheinbeerdigung. Ein kleiner Sarg, darüber die Nationalfahne, auf den Schultern getragen, von der Menge begleitet, mit Schreien. Zu Ehren des ägyptischen Journalisten Ahmed Mahmoud, der während der Unruhen umkam.
Ein junger Mann hält ein großes rotes Papierherz in der Hand. Seine Botschaft an Mubarak: „Hau ab, ich will heiraten!“
Bei den Künstlern, wo ich die Bekanntschaft der strahlenden Mona mit den smaragdgrünen Augen gemacht habe, stellt sich mir der strahlende Mohammed Abdel Kader mit den mandelfarbenen Augen vor. „Alle nennen mich Medo“, sagt er. Er ist 25 Jahre alt und Schauspieler. Offenbar beteiligen sich die ägyptischen Schauspieler geschlossen an der Revolution, allein in direkter Nähe Dutzende.
„Wir haben uns erst hier kennengelernt“, sagt Medo, „wir kannten uns vorher nicht. Wir haben uns über Facebook organisiert und beschlossen, unsere Zukunft auf der Straße zu verändern. Das ist die Revolution der Jugend vom 25. Januar.“ Er hält ein Blatt Papier in der Hand, auf das er schrieb, ehe wir unser Gespräch begannen. „Wir versuchen, alles in Ordnung zu halten, damit die Ausländer einen guten Eindruck haben … Das, was ich hier schreibe, ist für unsere Künstlergewerkschaft bestimmt, sie ist gegen uns, gegen die Revolution, sie wollen uns ausschließen. Ich schreibe ihnen, daß wir nicht auf ihrer Seite sind, wir sind für die Revolution.“
Kamiz Ez el-Arab kommt, Dramaturg und Liederschreiber, Blazer und blaues Hemd, Kippe im Mund. Mit seinen 47 Jahren könnte er Medos Vater sein. „Ich habe von Anfang mitgemacht bei dieser Revolution und fühle mich daher nicht alt“, sagt er gutgelaunt. „Sie wissen doch, der Elefant ist alt und langsam. Und wenn er auf etwas tritt, bleibt er darauf stehen. Ägypten ist genauso, langsam, aber sicher.“
Noch vor zwei Tagen hat der Platz gegen die Mubarak-Anhänger gekämpft. Mubarak macht weiter, tritt nicht zurück. Und wenn sich die Sache bis September hinzieht, bis zum Ende seiner Amtszeit? „Nein. Ich glaube, der Wandel hat schon begonnen. Der geistige Wandel: Wir haben keine Angst. Das ist neu. Vor einem Monat hätten die Leute nicht gewagt, den Namen Mubarak auszusprechen. Im Augenblick herrscht Kampfstimmung. Wir haben Leute hier verloren. Es gibt menschliche Barrikaden, Leute, die sich vor die Panzer legen, um sie am Weiterfahren zu hindern.“