Freitag, 3. Juni 2011

Tahir-Platz

alexandra lucas coelho        (... ) Ein Ismail kommt dazu, mit einem dicken Verband um den Kopf. Ein weiteres nicht kollaterales Opfer.
Ahmad fährt fort, zeigt mit dem Finger auf mich: „Die hat Glück, daß sie hier ist. Sie wird es ihren Enkeln erzählen und ich den meinen: ‘Ich war auf dem Tahrirplatz.’“
Ismail macht eine Handbewegung: „Sehen Sie, wie schmutzig ich bin? Aber ich bleibe hier, bis er in der Hölle ist.“ Er, dessen Name man nicht einmal auszusprechen braucht.
Ein Schild am Boden: „Ich bin das Volk. Und wer bist du?“Fadi, ein Kopte, einer dieser Afromänner aus den Siebzigern: „Ich möchte hier leben, ich liebe mein Land. Diese Revolution eint Christen und Muslime. Gestern haben sie hier auf dem Platz eine Messe abgehalten.“
Irgendwo inmitten einer halben Million Menschen. Und eine Trauung wird stattfinden. Und gleich eine Scheinbeerdigung. Ein kleiner Sarg, darüber die Nationalfahne, auf den Schultern getragen, von der Menge begleitet, mit Schreien. Zu Ehren des ägyptischen Journalisten Ahmed Mahmoud, der während der Unruhen umkam.
Ein junger Mann hält ein großes rotes Papierherz in der Hand. Seine Botschaft an Mubarak: „Hau ab, ich will heiraten!“
Bei den Künstlern, wo ich die Bekanntschaft der strahlenden Mona mit den smaragdgrünen Augen gemacht habe, stellt sich mir der strahlende Mohammed Abdel Kader mit den mandelfarbenen Augen vor. „Alle nennen mich Medo“, sagt er. Er ist 25 Jahre alt und Schauspieler. Offenbar beteiligen sich die ägyptischen Schauspieler geschlossen an der Revolution, allein in direkter Nähe Dutzende.
„Wir haben uns erst hier kennengelernt“, sagt Medo, „wir kannten uns vorher nicht. Wir haben uns über Facebook organisiert und beschlossen, unsere Zukunft auf der Straße zu verändern. Das ist die Revolution der Jugend vom 25. Januar.“ Er hält ein Blatt Papier in der Hand, auf das er schrieb, ehe wir unser Gespräch begannen. „Wir versuchen, alles in Ordnung zu halten, damit die Ausländer einen guten Eindruck haben … Das, was ich hier schreibe, ist für unsere Künstlergewerkschaft bestimmt, sie ist gegen uns, gegen die Revolution, sie wollen uns ausschließen. Ich schreibe ihnen, daß wir nicht auf ihrer Seite sind, wir sind für die Revolution.“
Kamiz Ez el-Arab kommt, Dramaturg und Liederschreiber, Blazer und blaues Hemd, Kippe im Mund. Mit seinen 47 Jahren könnte er Medos Vater sein. „Ich habe von Anfang mitgemacht bei dieser Revolution und fühle mich daher nicht alt“, sagt er gutgelaunt. „Sie wissen doch, der Elefant ist alt und langsam. Und wenn er auf etwas tritt, bleibt er darauf stehen. Ägypten ist genauso, langsam, aber sicher.“
Noch vor zwei Tagen hat der Platz gegen die Mubarak-Anhänger gekämpft. Mubarak macht weiter, tritt nicht zurück. Und wenn sich die Sache bis September hinzieht, bis zum Ende seiner Amtszeit? „Nein. Ich glaube, der Wandel hat schon begonnen. Der geistige Wandel: Wir haben keine Angst. Das ist neu. Vor einem Monat hätten die Leute nicht gewagt, den Namen Mubarak auszusprechen. Im Augenblick herrscht Kampfstimmung. Wir haben Leute hier verloren. Es gibt menschliche Barrikaden, Leute, die sich vor die Panzer legen, um sie am Weiterfahren zu hindern.“

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