Sonntag, 5. Februar 2017

Amerikanischer Nationalismus

Judith Butler über Donald Trump: «Ich befürchte einen amerikanischen Nationalismus»

Interview von Sarah Pines aus: NZZ online, 25.1.2017

Frau Butler, seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten steigt in den USA die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe. Halten Sie dies für ein vorübergehendes Phänomen, oder hat Trump eine Wut freigesetzt?

Als Trump begann, offen alle Regeln des zivilen Zusammenseins zu brechen, sexistisch über Frauen zu sprechen oder über Einreiseverbote für Muslime und Mexikaner, hat seine Rhetorik vor allem unter konservativen Fortschrittsgegnern alte Ängste und eine alte Wut freigesetzt. Wut auf die Fortschritte von Feminismus und Multikulturalismus, auf Obama und die mit seiner Präsidentschaft einhergehende gesellschaftliche Erstarkung der afroamerikanischen Bevölkerung, Wut auf den Islam, auf Latinos, Migranten, das Fremde. Endlich können diese Leute frei reden, als seien Feminismus und Antirassismus das Über-Ich gewesen, das sie unterdrückt und davon abgehalten hatte, ihre Wut laut auszusprechen.

Viele Gruppen ausserhalb des gesellschaftlichen Mainstreams, religiöse Minderheiten, Immigranten, Afroamerikaner, Linke oder körperlich Beeinträchtigte haben Angst vor der neuen Regierung. Ist dies nicht wiederum Paranoia, unnötige Panikmache?

Ich fürchte, nein. Das Problem mit der Paranoia ist ja, dass die Realität dem Paranoiden zuarbeitet, und gegenwärtig leistet die Realität – der Beginn von Trumps Präsidentschaft – gute Arbeit darin, unsere schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.

Worin sehen Sie die grösste Gefahr, die mit der Präsidentschaft Trumps erwächst?

Ich befürchte einen amerikanischen Nationalismus, indem der Präsident sich die Macht nimmt, Grundrechte ausser Kraft zu setzen, Minderheiten zu verfolgen, Internierungslager zu errichten, Register einzuführen, die grundlegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien widersprechen. Ich habe nicht nur Sorge hinsichtlich der Zerstörung der Verfassung, sondern auch hinsichtlich eines offiziellen, grossangelegten staatlichen Chauvinismus, eines Obersten Gerichtshofs, der Abtreibung und reproduktive Rechte kriminalisiert. Guantánamo könnte ausgebaut werden, neue Guantánamos könnten entstehen. Ich erwarte die Gefährdung demokratischer Grundprinzipien und staatliche Übergriffe. Es würde mich nicht überraschen, wenn es neue und grössere Militärangriffe im Ausland, etwa in Syrien und im Nahen Osten, gäbe, auch in Allianz mit der Türkei oder Israel. Es könnte auch zu Einschränkungen des Rechtes auf Meinungsfreiheit kommen. Ja, ich mache mir grosse Sorgen.

Natürlich leben die Intellektuellen in den USA in einer Blase. Aber eine neue Zeitrechnung hat eben begonnen.

Ist der Alarmismus der Linken, die in der Rhetorik bereits die Tat ahnen, übertrieben?

Mich überrascht der kultivierte Teil von Trumps Wählersegment. Darunter finden sich viele, die zwar selbst keine chauvinistischen Tendenzen hegen, denen nicht gefällt, was Trump über Frauen, Schwarze, Mexikaner oder Muslime sagt. Zugleich haben sie jedoch ein so grosses Sicherheitsbedürfnis, dass sie einen Rassisten und Sexisten als Präsidenten in Kauf nehmen, weil sie denken, er werde ihre Unternehmen oder Nachbarschaften sichern. Diese Leute schauen weg, und das ist genauso besorgniserregend wie die Zeitungen, die begonnen haben, Trumps Präsidentschaft als normal anzusehen.

Weil viele erwarten, es werde schon nicht so schlimm kommen . . .

. . . und er sage nur verrücktes Zeugs, ja. Doch seine Worte setzen Zeichen. Andere glauben daran. Die Versammlungen der White Supremacists sind widerlich. Trump brauchte mehrere Tage für die Worte «Ich verurteile» – er verwendete nicht einmal ein Objekt im Satz. Er hätte sagen müssen: «Ich verurteile White Supremacy.» Mit so einer schwachen Distanzierung setzt er das Signal: «Ja, ihr dürft rassistisch sein, wir sind wieder ein rassistisches Land, der Rassismus wird herrschen.»

Was kümmert Menschen des Rust Belt, die nicht wissen, ob sie am Ende des Monats die Rechnungen zahlen können, die Schwulenehe oder Black Lives Matter. Wie stehen Sie als vehemente Vertreterin der Gender-Politik hierzu?

Hillary Clinton hat sich nicht mit wirtschaftlicher Ungleichheit beschäftigt, sondern mit Multikulturalismus. Ausserdem vertrat sie einen eigenen, engen Feminismus, der Klassenunterschiede nicht mit einbezog. Was bisher fehlte, ist eine genaue Analyse wirtschaftlicher Ungleichheit, die auch die Gründe für die Unzufriedenheit derer betrachtet, denen es wirtschaftlich schlechtgeht.

Warum sollten wirtschaftlich Leidende einen Superreichen toll finden? Trump suggerierte, er sei ihr Verbündeter, der das System ebenso verachte wie sie. Mit Trump hatten sie jemanden, der sie fühlen liess, sie seien zu kurz gekommen und die Eliten seien schuld an ihrer Misere. Aber das Problem ist nicht so sehr die kulturelle Elite, das Problem ist, dass die politische Basis nie die Wut berücksichtigt hat, die mit wirtschaftlicher Enteignung und Entrechtung einhergeht.

Wäre Bernie Sanders also der bessere Gegner gewesen?

Hillary Clinton dachte, sie könne sich Trumps Hate Speech mit einer Rhetorik der Liebe entgegenstellen. So ermöglichte sie ihm, die Wut für eigene politische Zwecke zu monopolisieren. Damit war die Chance auf einen linken Populismus vertan, also auf eine Opposition, die die Wut der Wähler in linke Politik oder auch nur sozialdemokratische Positionen umleitet. Dafür zahlen wir nun, und wir werden noch lange dafür zahlen.

Trump hat pauschal gegen Muslime mobilgemacht. Auch in Europa, wo tatsächlich viele Muslime leben, wächst die Islamfeindlichkeit. Dabei stellt die muslimische Frau ein grösseres Spektakel dar als der muslimische Mann: Burkini am Strand, Kopftuch und Hijab erregen eher Unwillen als Rundbart und Überkleid. Wo genau sehen Sie hier Frauenfeindlichkeit am Werk?

Meiner Ansicht nach verstehen Europäer, die gegen das öffentliche Tragen des Kopftuchs sind, dasselbe als Symbol sexueller oder religiöser Unterdrückung. TV-Debatten französischer Feministinnen zeigen, wie die sexuelle Freiheit der Frau inzwischen von Organisationen verwaltet wird, die allein in säkularen Gesellschaften möglich scheinen. Doch nicht alle Frauen, die den Hijab tragen, werden dazu gezwungen; es geht um kulturelle und religiöse Zugehörigkeit, Formen individuellen Ausdrucks. Wenn wir eine fortschrittliche, weltliche Gesellschaft sein wollen, müssen wir uns Diskriminierungen auf Grundlage von Kleidung widersetzen. Es gibt das Recht auf freie Kleiderwahl.

Sie verfechten eine prononciert linke Politik. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?

Jetzt, da die Linke langsam aus ihrem Schock erwacht, muss sie bisherige Formen des Widerstandes überdenken, neue, andere Bündnisse schliessen – hier und im Ausland, virtuell und auf der Strasse –, neue Organisationen gründen, neue Machtformen kultivieren, wie zum Beispiel die Nichtumsetzung von Gesetzen. Es geht um zivilen Ungehorsam, der gerade in den USA über eine stolze Tradition verfügt. Was mich sehr bewegt hat, ist die Erklärung des Los Angeles Police Department, sich nicht an einem von Trump angedrohten Registrierverfahren für Muslime zu beteiligen oder Deportationen vorzunehmen.

Sie bleiben also optimistisch?

Ich glaube, dass es Widerstand geben wird. Im Übrigen glaube ich an unrealistische Ziele, das tut auch die Kunst, das tut der Film, das tun Dokumentationen und journalistische Fotografien; alle geben uns ein Bild, eine Vorstellung, eine radikale Ablehnung von Rassismus und von Chauvinismus. Längerfristig bleibt die Frage, wie sich die Menschen noch begeistern lassen ausser durch Wut und Hass.

Der neue Ölmensch und die Ideologie des fossilen Kapitalismus

Daniel Pelletier und Maximilian Probst

Der neue Ölmensch und die Ideologie des fossilen Kapitalismus. Wer sie versteht, begreift auch die existenzielle Gefahr, die von Donald Trump ausgeht.


aus: DIE ZEIT Online, 20.1.2017

Wer ist dieser Mann? Auch kurz bevor Donald Trump seinen Amtseid als US-Präsident schwören wird, sind die Antworten darauf kaum noch zu überblicken: Er ist ein konservativer Populist. Ein Faschist. Ein Revolutionär. Ein Narzisst. Ein schlechter Witz. Ein Charismatiker. Ein Pragmatiker. Eine Medienschöpfung. Die schlausten Kommentatoren sagen, gerade angesichts dieses Durcheinanders: Er ist ein Trickster.
Unter diesem Begriff subsumierte der Psychoanalytiker C.G. Jung all jene Figuren aus den Mythen und Märchen, die an der Auflösung bestehender Ordnungen und Unterscheidungen arbeiten. Jene Gestalten, die man nicht zu fassen bekommt, weil sie verschiedene Rollen zugleich spielen und weil sich dort, wo sie auftauchen, Wahrheit und Lüge verflüssigen und vermischen. Trump, der Trickster, Agent einer postfaktischen Welt – ja, das klingt, als käme man ihm hier auf die Spur.

Und doch ist es eine Täuschung, hinter der sich ein schwarzer Kern verbirgt, den viele lieber nicht sehen wollen. Denn die Trickster-Politik, so sehr sie auch verunsichert, lässt immer noch Raum für Beruhigung. Man könne nicht wissen, was er tut, heißt es dann, vielleicht werde es gar nicht so schlimm. Diese Hoffnung muss man fahren lassen. Wer sich nicht vom Trump-Theater kirre machen lässt, kann im künftigen Präsidenten der USA jedenfalls nur eines sehen: einen knallharten Ideologen. Oder, anders akzentuiert: die Verkörperung einer Ideologie, nämlich des Glaubens an den fossilen Kapitalismus, der sich bei Trump zu einem geschlossenen Weltbild versteinert hat.
Treibstoff eines amerikanischen Jahrhunderts
Fossiler Kapitalismus: Mit dieser Formel soll nicht nur gesagt sein, dass es sich um eine Spielart des Kapitalismus' handelt, dessen Zeit abgelaufen ist. Fossiler Kapitalismus meint, dass die Kapitalzirkulation und -akkumulation in diesem System von fossilen Energieträgernbefeuert wird, von Kohle und Öl. Um Donald Trump zu verstehen – und die existenzielle Gefahr, die von ihm für unsere westlichen Demokratien ausgeht –, ist es entscheidend, das Prinzip dieses fossilen Kapitalismus' zu begreifen.

In Erdöl und Kohle ist nicht nur der Sonnenschein von 500 Millionen Jahren gespeichert, sondern auch das frühere Leben auf dem Planeten räumlich verdichtet. In einem Liter Erdöl stecken 25 Tonnen Meereskleinstlebewesen, Kohle ist komprimiertes organisches Material. Diese geballte Energie begann der fossile Kapitalismus mit Beginn der industriellen Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu entfesseln. Was dann folgte, war eine mehr als zweihundertjährige Wachstumsphase, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte.
Dominiert wurde dieses Weltwirtschaftswachstum im 19. Jahrhundert von England. Dessen riesige, nun erschöpfte Kohlevorkommen produzierten ebenso viel Energie wie bislang aus der gesamten Fördermenge saudischen Öls gewonnen werden konnte. Das nächste Jahrhundert sollte dann zu einem amerikanischen werden, was eng mit der Umstellung von Kohle auf Öl zusammenhing und mit der Entdeckung der gewaltigen Ölfelder in Texas in den 1920er Jahren.

Das Leben der Ölmenschen
Wer wie Trump sagt "Make America great again!", der schaut zurück in dieses amerikanische Öljahrhundert. Der meint vor allem die Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen das Öl die gesamte Wirtschaft schmierte. Der meint die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre, in denen die boomende Ölindustrie einen Lebensstil förderte, wenn nicht erfand, der auf immer größeren Verbrauch ihres Produktes angewiesen war.
Es sind die Jahre, in denen sich der Mensch inmitten von Plastikartikeln zum Wegwerfen wiederfindet, die aus Öl hergestellt werden. In denen Flugfernreisen als die ultimative Erfüllung des Daseins gelten (die eine exquisite Orientfantasie, den Harem, wiederaufleben lassen: der männliche Passagier, umschwirrt von Stewardessen). Und in denen alle, die nicht so hoch hinaufkommen, immerhin einen Großteil ihres Lebens im Auto verbringen, zwischen dem Arbeitsplatz und den neu entstehenden Vororten, den Suburbs, pendelnd. Für den kleinen Donald sind es die Jahre, in denen er seinem Vater dabei zusieht, wie er dank des daraus erwachsenden Baubooms den Grundstein eines Immobilienimperiums legt.

Es sind auch die Jahre, in denen die Schriftstellerin Ayn Rand ihr Hauptwerk schreibt: den Roman Atlas Shrugged, der 1957 erscheint und das Lebensgefühl der Ölmenschen auf den Punkt bringt.

Grenzenlose Kraft
Ayn Rands Buch betreibt die Vergötterung des rücksichtslosen, starken Mannes. Rand verwirft jede staatliche Einmischung, die diesen Mann einhegen und einbinden könnte in ein gesellschaftliches Ganzes. Rücksichtnahme, Mitgefühl, Solidarität: Das sind für sie unverzeihliche Schwächen. Rand predigt eine Philosophie des ungetrübten Egoismus', einer menschlichen Kraftentfaltung, die ihr endlos und unbegrenzt erscheint. Verkörpert wird ihre libertäre Philosophie im Roman von John Galt. Dass dieser fiktive Atlas, der die Welt auf seinem Rücken trägt, bei Rand ein Baumeister ist, dürfte Trump, einem bekennenden Rand-Fan, die Identifikation erleichtert haben. 

Rand ist posthum zur Säulenheiligen der Tea-Party geworden. Diese rechtslibertäre Bewegung – maßgeblich gesponsert von den Petrodollars der Koch-Industries, eines amerikanischen Ölgiganten – hat Trump den Weg zur Macht geebnet. Entscheidend für den Erfolg Trumps und der Rechten war, dass sie einen blinden Fleck in Rands Denken korrigierten; dass sie ihrem Denken wieder die materielle Grundlage unterschoben, aus der es entwachsen war. Denn die Vorstellung grenzenloser Kraftentfaltung bei Rand entspricht genau der Vorstellung grenzenlosen Wirtschaftswachstums in einer Zeit, in der auch die Ölreserven grenzenlos erschienen.

Gerade weil das Öl damals so sicher floss, brauchte man sich darüber keine Gedanken zu machen, Rand setzte es stillschweigend voraus. Genauso wie ihr politischer Ziehsohn Alan Greenspan, der von 1987 bis 2006 die amerikanische Notenbank leitete. Greenspan glaubte, man brauche nur für eine ungehemmte Zirkulation des Kapitals zu sorgen. Er glaubte, wirtschaftliches Wachstum könne aus neuen Finanzprodukten und der Vermehrung der Geldmenge entstehen, die unter ihm um 280 Prozent anstieg. Mit der Hypothekenkrise, die sich zur Finanzkrise ausweitete, platze dieser Traum des "Geld heckenden Geldes" und kostete das Land Milliarden. Vor allem brachte die Krise Kleinsparer um ihren Notpfennig und trieb Häuslebauer tief in Schulden. 

Bauen, bauen, bauen

Auf diese traumatische Krisenerfahrung reagiert Trump, indem er ein echtes Wachstum verspricht, keines auf Pump, keines durch neue Finanztechniken. Er prophezeit ein "riesiges" und "schönes" Wachstum, das von gegenwärtig zwei auf vier oder sogar sechs Prozent steigen und solide auf einer von Öl, Kohle und Gas in Gang gesetzten Re-Industrialisierung des Landes beruhen soll. Eine "gewaltige Wirtschaftsmaschine" will er anwerfen. Die Mittel dafür scheinen seit 2012 in greifbare Nähe zu rücken; seit nämlich durch unkonventionelle Fördermethoden wie Fracking, Abbau von Ölsand und Ölschiefer nach Jahren des Niedergangs ein neuer Aufschwung der amerikanischen Ölindustrie begann. Parallel dazu will Trump Infrastrukturprogramme auflegen, die vor allem wieder einen energieintensiven Lebensstil fördern. Neue Straßen, neue Flughäfen, überhaupt: bauen, bauen, bauen.


Trump wird dabei auf die Unterstützung seines Freunds und Vorbilds Wladimir Putin bauen können. Der russische Präsident ist ein Mann, dem Öl durch die Adern fließt. 1996 reichte er eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation ein, die sich um die Wiederherstellung der russischen Weltmacht durch die Fokussierung auf Öl- und Gasreserven dreht. Dabei ist zuletzt die Arktis in den Blick gerückt. Die dortigen Ölreserven, die durch die klimawandelbedingte Eisschmelze von Jahr zu Jahr besser zugänglich werden, sind auch für amerikanische Unternehmen äußerst verlockend: 2012 unterzeichnete ExxonMobil, einer der weltgrößten Ölkonzerne, mit der russischen Staatsfirma Rosneft einen Vertrag zur gemeinsamen Erschließung dreier arktischer Ölfelder. Und was für welcher!

Viel Sand in Saudi-Arabien
In der Karasee gelegen, einem Randmeer nördlich von Sibirien, sollen die Felder 87 Milliarden Barrel Öl umfassen, das ist ein Drittel der derzeit bekannten Ölreserven Saudi-Arabiens. Selbst beim heutigen Ölpreis, der sich seit der Unterzeichnung des Deals halbiert hat, kommt man dafür auf einen Wert von fast 5.000 Milliarden Dollar, mehr als eineinhalb mal so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Die gesamten Ölreserven der Karasee übersteigen laut Rosneft sogar die Saudi-Arabiens.
Dass kaum jemand über die Karasee Bescheid weiß, zeigt im Übrigen, wie wenig über die materiellen Grundlagen des Kapitalismus' gesprochen wird. In der deutschen Wikipedia findet man einige Angaben über die geografische Lage und die zweifellos wichtige Information, dass die "gewaltigen Wassermassen" der Flüsse Ob und Jenissei mitverantwortlich für die Strömungsverhältnisse innerhalb dieses Meeres seien. Von den gewaltigen Ölmassen kein Wort. Das ist, als schriebe man über Saudi-Arabien lediglich, dort gebe es viel Sand.   

Von den Ölfeldern der Karasee sicherte sich ExxonMobil mit dem Rosneft-Deal einen Anteil von 33 Prozent. Die Russen erhielten ihrerseits Zugang zum amerikanischen Know-how, das ihnen die Erschließung von Öl in den extremen Verhältnissen der Arktis überhaupt erst ermöglichen sollte. Als aber Russland zwei Jahre später die Krim annektierte, platzte das Geschäft: Der Westen belegte das Land mit Sanktionen, der amerikanische Ölriese musste sich zurückziehen.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Denn nun will Trump den Mann zum Außenminister machen, der als Chef von ExxonMobil und Träger des Kreml-Freundschaftsordens den Deal mit Rosneft verantwortete: Rex Tillerson, seit 41 Jahren im Ölgeschäft.

Öl, eine Männerfantasie
Es wäre unrettbar naiv, das nur als Werk des Zufalls zu betrachten. Vor unseren Augen zeichnet sich eine US-russische Ölkoalition ab. Um zu erkenn, wie stark Trump darin eingebunden ist, muss man nicht einmal das jüngste, perfekt ins Bild passende Dossier seiner Verbindungen zum russischen Geheimdienst bemühen. Es reicht, sich zu vergegenwärtigen, dass Trumps Immobilienimperium "eine Menge Geld aus Russland zufließt", wie sein Sohn Donald jr. sagte; dass also reiche Russen gern und oft gesehene Abnehmer von Trumps Luxusimmobilien sind. Einen weiteren Teil dieses Vermögens steuern die Ölscheichs bei, zu denen Trump glänzende Geschäftsverbindungen pflegt. Und natürlich könnte man auch von dem Geld reden, das Trump in amerikanische Ölfirmen investiert hat, in Chevron, Kinder Morgen Stock, Energy Transfer Partners und ConocoPhillips.  

Trumps ganzer Stil, seine Protzerei, von der die Trump-Towers bersten: Das ist das klassische Ölgebaren der Männerbünde zwischen Moskau, Dubai und Texas. Wie überhaupt Öl eine Männerfantasie ist: brodelnd, aus der Tiefe mit Druck hervorschießend, um die Welt zu befruchten! Öl ist phallisch, durch und durch, bis hin zur Zapfpistole, mit der man genussvoll sein Auto betankt, dieses im Idealfall unersättliche Loch.

Der vollständigen Realisierung dieser schmutzigen billiardenschweren feuchten Träume steht allerdings eines entgegen: das erstarkte Bewusstsein für die zerstörerische Kraft des Klimawandels. Die liberale politische Klasse in Europa und den USA erkennt in dem Temperaturanstieg mittlerweile eine Bedrohung für das Leben auf unserem Planeten und das Überleben einer demokratischen Weltordnung. Das Übereinkommen von Paris mit seinem Ziel, die Erwärmung nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen, ist der bislang größte Erfolg, den diese liberale Bewegung gegen den fossilen Kapitalismus erringen konnte. Auch weil nun die Amerikaner mitzogen. In der Folge investierte Barack Obama massiv in erneuerbare Energien, erschwerte mit Auflagen das Fracking und verbot Bohrungen in der Arktis ganz. 


Fossiles Kapital und chauvinistischer Nationalismus
Für die fossilen Kapitalisten spitzt sich damit die Lage dramatisch zu. Schon seit Längerem leeren sich die alten Ölquellen. Mit der Entdeckung großer konventionell erschließbarer Felder wird nicht mehr gerechnet. Und die neuen Methoden zur Ölgewinnung wie Fracking, Abbau von Ölsanden und Tiefseebohrungen sind kostspielig. Der Preis von Solar- und Windenergie hingegen sinkt stetig. Auch dank der Entwicklung günstiger und langlebiger Akkus drängt dieser Strom nun als Massenprodukt auf den Markt. Wenn dann noch liberale Politiker mit Klimaauflagen und CO2-Steuern die Kosten fossiler Energie in die Höhe treiben sollten, könnte das schnell deren Ende bedeuten.
Vor diesem Hintergrund eines existenziellen Kampfes mit einer globalen Klimabewegung hat sich das oligarchisch organisierte fossile Kapital mit einem chauvinistischen Nationalismus zusammengetan. Wie die Petrodollars der Saudis in islamistische Koranschulen fließen, so strömen die Milliarden der amerikanischen Ölindustrie in rechtslibertäre Think-Tanks und einflussreiche Lobby-Organisationen. Denen ist das Kunststück gelungen, vielen Amerikanern einzureden, den Klimawandel gebe es nicht, und in Europa lange die Meinung zu verbreiten, erneuerbare Energien seien eine Wachstumsbremse.   

Trump, mit dem ExxonMobil-Chef Tillerson auf der einen Seite und dem rechtsidologischen Breitbart-Publizisten Stephen Bannon auf der anderen Seite, ist die perfekte Schnittmenge dieses Zusammenschlusses von Ölinteressen und Rechtsnationalismus. Beide Seiten kommen überein in ihrer Vorstellung von Stärke und Männlichkeit. Und beide Seiten sind von der liberalen Klimabewegung gleichermaßen gekränkt. 


Nicht der großartige Weltenbauer
Denn die Klimabewegung ist immer auch eine fundamentale Kritik der sich frei entfaltenden Männlichkeit. Mehr noch, sie zeigt, dass die Verantwortung für den Klimawandel vorwiegend bei einer weißen Clique von Superkapitalisten liegt. Rechnet man ein, dass die Verschmutzung unserer Atmosphäre geschichtlich mit der Industrialisierung in Europa ihren Anfang nahm, kommt man auf die Formel: Der Klimawandel ist ein alter, weißer Sack.
Dem hält die liberale Klimabewegung die Verletzbarkeit des Planeten und des Lebens darauf entgegen, ein Ideal des Mitgefühls und der haushälterischen Vernunft, das durch den Lauf der Geschichte – also genealogisch, nicht essenzialistisch – feminin konnotiert ist. Denn nicht nur das Herz, auch der Verstand steht längst aufseiten der Klimabewegung, die einen rationalen und intelligenten Umgang mit Ressourcen propagiert.

Man muss sich die Kränkung ausmalen, die das für Leute vom Schlage Trumps und Putins bedeutet, beziehungsweise die Abwehrmechanismen, die sie in Gang setzen, um diese Kränkung nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Die Verwerfungen des fossilen Kapitalismus' und die Klimabewegung zeigen ja in aller Deutlichkeit: Trump ist nicht der großartige Weltenbauer, für den er sich im Sinne Ayn Rands hält. Er ist ein engherziger und kleingeistiger Weltzerstörer! Einer, der dabei ist, die Klimakatastrophe zu beschleunigen, die das Leben in vielen Metropolen und Landstrichen unerträglich machen wird. Aber hey, das ist wohl der Preis, den die Welt zu zahlen hat, damit Amerika und Russland wieder groß werden. 


Europas Trumpf gegen Trump
Trump jedenfalls wird sein putineskes Programm schnellstmöglich umsetzen wollen. Mit Rex Tillerson als Außenminister; mit Scott Pruitt, der verlauten ließ, "Klima-Alarmisten" gehörten gerichtlich verfolgt, als Chef der Umweltbehörde; mit Rick Perry als Minister des Energieressorts, das dieser noch vor einigen Jahren abschaffen wollte; und mit dem Fracking-King Harold Hamm als oberstem Energieberater hat sich Trump bereits ein Dreamteam des fossilen Kapitalismus' zusammengestellt. Die nächsten Schritte, so lässt sich erahnen, werden sein: aus dem Pariser Abkommen ausscheren, die Sanktionen gegen Russland beenden, die Arktis für Ölbohrungen öffnen, Obamas Clean Power Act rückgängig machen, den Pipelinebau beschleunigen, die Restriktionen für das Fracking aufheben und die Subventionen erneuerbarer Energien streichen. Im Grunde eine Kriegserklärung an das verletzliche Leben auf unserem Planeten.
Sollte man darauf mit Appeasement antworten? Bei Leuten, die in Kategorien von Sieg, Dominanz und Rache denken? Nein, man kann das fossile Kapital nur sabotieren, seine Lügen aufdecken, es bekämpfen. Und das funktioniert am besten, indem man mit aller Kraft die Wende zu erneuerbaren Energien vorantreibt. Ein solares, solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, aufbauend auf dezentraler Energieversorgung: Das muss nun Europas Trumpf gegen Trump sein.
Für den Alten Kontinent, der seine Rohstoffe bereits weitgehend verfeuert hat, scheint eine solche Energiewende schon aus sicherheitspolitischen Gründen unumgänglich. Denn in einer Welt, die von knapper werdendem Öl abhängig ist, wächst ressourcenreichen Ländern wie es Amerika, Russland, aber auch die arabischen Staaten sind, eine unverhältnismäßig große Machtfülle zu. Wenn diese Länder, wie jetzt Russland und die USA, bereit sind, ihre Macht auszuspielen, kann selbst das einst so mächtige Europa seine liberale Freiheit und seine demokratischen Strukturen verlieren.
Von den Petrodollars lediglich finanziell kolonisiert zu werden, erschiene da noch als Glück; fast als eine schöne Aussicht: Die Ölscheichs werden sich in ganz anderen Größenordnungen als jetzt in Europa einkaufen, auch weil der Klimawandel die Hitze in ihren Länder auf ein unerträgliches Maß steigen lässt. Die Russen schätzen Europa seit je als Einkaufszentrum, und die Amerikaner lieben es als Freilichtmuseum. Womöglich könnte selbst Trumps gefloppte Edel-Airline und sein geschlossenes Onlinereiseportal wieder den Betrieb aufnehmen, um die vermögenden Klimakiller dieser Welt in die firmeneigenen Luxusressorts zu lotsen. Für Trump wären das goldene Zeiten.
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