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Mittwoch, 25. September 2024

Rechtes Österreich

Sarah Schmalz und Daria Wild (Interview) und Florian Bachmann (Foto): Vor den Wahlen in Österreich:«Dann kommt etwas ins Rutschen» WOZ, Nr. 38 – 19. September 2024

Wird sich die Hochwasserkatastrophe auf die österreichischen Wahlen auswirken? Die renommierte Politologin Natascha Strobl über den Kulturkampf der extremen Rechten in ihrem Land – und in Europa.

«Manchmal traue ich mich kaum zu erzählen, worüber in Österreich gerade diskutiert wird. Weil es so absurd ist»: Natascha Strobl im Zürcher Hotel Marktgasse.

WOZ: Frau Strobl, Österreich wird von starken Unwettern heimgesucht, auch Niederösterreich, wo Sie leben. Wie geht es Ihnen gerade?

Natascha Strobl: Mein Mann war in den letzten Tagen beim Dammbauen, ich mit den Kindern daheim, die Schule ist ausgefallen. Die Lage entspannt sich nur langsam.

War die Katastrophe abzusehen?

Ja, aber der öffentliche Rundfunk hat sehr spät gewarnt. Unser bisheriges Frühwarnsystem wurde einfach abgeschaltet, obwohl das neue noch nicht richtig funktioniert. Politisch ist wirklich sehr viel schiefgelaufen. Gerade in Gebieten mit trockenen Böden wie Niederösterreich hat die schwarz-blaue ÖVP-FPÖ-Regierung alle Klimaschutzmassnahmen und den Hochwasserschutz vertagt. Jetzt häufen sich die Extremwetterereignisse. Doch der öffentliche Rundfunk strahlte zunächst tagelang Sendungen aus, in denen das Wort «Klimakrise» oder «Klimawandel» nicht ein einziges Mal fiel.

Wie wird das Ereignis gedeutet?

Es wird so getan, als hätte Gott eine Strafe geschickt. Das ist empörend – und sehr österreichisch. Die Parteien, die die Klimakrise die ganze Zeit leugnen, sagen jetzt, man dürfe dieses Ereignis nicht politisieren. Dabei wird jede Messerstecherei, jeder Raufhandel politisiert – so weit, dass man Menschenrechte ausser Kraft setzen will. Jetzt, wo Millionen von Menschen betroffen sind, sagt man: Das ist halt so passiert. Das zeigt die Strategie der Rechten: Man führt rasende Kulturkämpfe, und wenn andere über Politik sprechen wollen, ist man das Opfer.

Ende September wird in Österreich gewählt. Werden die Hochwasser einen Einfluss auf die Wahlen haben?

Das kann man gerade nicht öffentlich diskutieren, der unmittelbare Einsatz hat Priorität. Ob die Katastrophe der derzeit in Umfragen vorne liegenden FPÖ schaden wird, ist schwierig abzuschätzen. Die ÖVP positioniert ihren Bundeskanzler Karl Nehammer als super Krisenmanager, der er aber nicht ist. Die Grünen haben die authentischste Position, die warnen seit zwanzig Jahren vor so einem Ereignis. Und SPÖ-Chef Andreas Babler ist mit der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz, das ist natürlich auch authentisch.

Sie haben gesagt, es sei «sehr österreichisch», was gerade passiere. Können Sie uns bitte in aller Kürze Österreich erklären?

(Lacht.) Wo fängt man nur an? Österreich ist ein sehr gemütliches Land. Politisch prägten es lange die grossen Volksparteien, die ÖVP und die SPÖ. Aber seit ungefähr zehn Jahren ist nichts mehr so, wie es einmal war. Heute ist Österreich bei zwei Dingen ganz vorne mit dabei: bei der klassischen Musik und beim Rechtsextremismus. Das eine ist ein bisschen schöner als das andere.

Was begann sich vor zehn Jahren zu verschieben?

Strobl: Um das Jahr 2016 herum ist der ÖVP-Politiker Sebastian Kurz auf der Bildfläche erschienen, das war eine Zäsur. Plötzlich war es die grosse Volkspartei ÖVP, die so gesprochen hat wie bis dahin nur die kleine, rechtsextreme FPÖ. Das hat das ganze politische Spektrum nach rechts verschoben. Wenn man heute verstehen will, wie rechtsextreme Parteien mehrheitsfähig werden, kann man nach Österreich schauen oder in Richtung Ungarn, da sind sich diese Länder sehr ähnlich.

2017 bildeten ÖVP und FPÖ eine Regierungskoalition, die ÖVP brach aber nach dem «Ibiza-Skandal» mit der FPÖ. Ein Video wurde publik, das unter anderem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen zeigte. Darin sprachen sie davon, Gesetze zur Parteienfinanzierung umgehen oder die Kontrolle parteiunabhängiger Medien übernehmen zu wollen. Wenig später stolperte auch Kurz über Korruptionsskandale. Wie ist es möglich, dass die extreme Rechte heute dennoch stärkste Kraft werden könnte?

Strobl: Die FPÖ hat sich innerhalb weniger Jahre wieder aufgerichtet. Das hat viel mit dem neuen Parteichef Herbert Kickl zu tun. Er ist diszipliniert, nicht so ein Lebemann, der über Skandale aus der halbprivaten Sphäre stolpert wie Strache. Und die Coronaproteste haben eine sehr grosse Rolle gespielt. Die FPÖ hatte als erste Partei Tests und Lockdowns gefordert, aber dann schnell realisiert, dass es ihr nützt, wenn sie auf den Zug der Coronaproteste aufspringt und Verschwörungstheorien nährt.

Der aktuelle Wahlkampfslogan der FPÖ lautet «Festung Österreich, Festung der Freiheit». Mit was für einer FPÖ haben wir es heute zu tun?

Strobl: Du musst dich einbunkern, damit du frei bist: Das trifft gut, wo die extreme Rechte hinwill. Und natürlich sind es militärische Begriffe, was suggeriert, wir seien im Krieg: «Wir oder die». Die FPÖ hatte schon immer einen rechtsextremen Kern, aber während Strache noch versuchte, das zu verharmlosen, macht das Kickl nicht mehr. Auf FPÖ-Demonstrationen laufen Leute mit Galgen herum. Kickl prahlt auf Wahlveranstaltungen mit Fahndungslisten, auf denen 2000 Namen stünden – Menschen, die dann schon sähen, was passiere, wenn die FPÖ an der Macht sei. Wir haben es aber auch mit einer Partei zu tun, die sich modernisiert hat: Man macht nicht mehr den traditionellen, verstaubten Rechtsextremismus in Tiroler Tracht.

Für Ihr neues Buchprojekt beschäftigen Sie sich mit der Strategie des Kulturkampfs, derer sich die Rechte bedient. Inwiefern ist Österreich ein Beispiel dafür?

Ich traue mich manchmal kaum zu erzählen, worüber in Österreich gerade diskutiert wird, weil es so absurd ist. Gerade empört man sich darüber, dass die Stadt Wien den Kindergärten verbiete, Symbole über die Garderobenhaken der Kinder zu kleben. Diese Story wurde von der «Kronen Zeitung» in die Welt gesetzt und stimmt so nicht. Doch sie wird gerne geglaubt, weil in Wien viele Ausländer:innen leben. Suggeriert wird, dass Muslim:innen hinter dem imaginierten Verbot stecken müssten. Oder irgendwelche «woken» Motive. Diesen Sommer haben wir auch darüber diskutiert, ob Weinköniginnen wirklich alles «echte» Frauen seien. Wenn ichs auf eine Formel runterbrechen müsste: Kulturkampf ist die Emotionalisierung der Anekdote.

Die dritte Folge des «What's left?»-Podcast über Sozialismus mit Jabari Brisport anhören

Was ist die Funktion dieser Anekdoten?

Strobl: Es gibt so viele reale Probleme: Klimawandel, Inflation, Kinderarmut, steigende Energiepreise, Arbeitslosigkeit, Fachkräftemangel. Aber das Geschlecht der Weinköniginnen und die Garderobenbildchen überlagern alles. Das bindet Energie, es bindet Aufmerksamkeit. Und dann gibt es immer diesen Feind, der nie sichtbar ist, aber das alles orchestriert, diese vielen kleinen Dinge, die angeblich zusammenhängen: die «Woken» oder die «Globalisten» – ein antisemitisches Codewort – oder ein Konglomerat an Verschwörern. Und, das ist das Wichtigste: Die Kulturkämpfe bewirken, dass sich jene, die glauben, was da erzählt wird, unterdrückt fühlen und Gewalt als legitimes Mittel der Notwehr ansehen. Wenn man diesen Sprung gemacht hat, wird alles zu einer «Wir oder die»-Frage.

Haben wir es mit einer eigentlichen Entpolitisierung des öffentlichen Raumes zu tun?

Ich würde eher sagen, es ist ein politischer Nihilismus. Man weiss überhaupt nicht mehr, was real ist, was wichtig ist, was Priorität hat. Es reicht ja schon, wenn diese Anekdoten wahr sein könnten. Dieses Leben im Konjunktiv verschiebt die Realität. Man muss auch bedenken: Die Medien spielen in Österreich eine sehr grosse Rolle. Die grösste Boulevardzeitung des Landes ist im Verhältnis mächtiger und auflagenstärker als die «Bild»-Zeitung in Deutschland. Sehr viele Medienprojekte wurden über die boulevardfreundliche Medienförderung, die von 2017 bis 2019 unter Schwarz-Blau erlassen wurde, nach oben gespült. Die haben Millionen von Euro bekommen dafür, dass sie jetzt – wie etwa die Plattform «Express» – diese Kulturkampfthemen bespielen.

Viele FPÖ-Wähler:innen informieren sich gemäss Umfragen «alternativ», also auf verschwörungsaffinen Internetportalen 

Strobl: Der rechtsextreme, verschwörungsideologische Sender «Auf1» spielt hier eine sehr grosse Rolle. Mit dieser Art von Nachrichten wird der ganze deutschsprachige Raum bespielt – mit der Folge, dass sich die extreme Rechte den digitalen Raum nimmt und ihre Narrative hegemonial werden.

Eine Plakataktion in Graz zeigte Kickl mit NS-Symbolik und Nehammer mit Engelbert Dollfuss, dem Begründer des Austrofaschismus 

Strobl: Man sollte Faschismus und Rechtsextremismus nicht synonym verwenden. Ich bin jedoch dafür, sehr besonnen, aber ernst die Faschismusfrage zu diskutieren. Denn wir wissen aus der Geschichte, dass es nicht so viele Möglichkeiten gibt, den Faschismus aufzuhalten, wenn einmal erste Schwellen überschritten sind. Was wir derzeit sehen, ist, dass faschistische Diskurse stark Verbreitung finden – nicht nur durch Hardcorefaschisten. Es gibt heute zudem verschiedene Fraktionen mit faschistischen Tendenzen, die ein Bündnis bilden, weil sie so ihre Interessen am besten durchsetzen können – das war auch im historischen Faschismus so.

Was für Fraktionen meinen Sie?

Strobl: Wir haben die Kulturkampfrechte, die Kapitalfraktionen, es gibt den genuinen Techfaschismus im Silicon Valley, es gibt bestimmte Antworten auf die Klimakrise, die sich in ein faschistisches Projekt einfügen lassen. Wladimir Putin führt einen faschistischen Krieg, Viktor Orbán träumt von einem Grossungarn. Wir haben Faschismus ganz lange als Ultranationalismus gesehen, als ein nationales Projekt. Vielleicht ist das nicht mehr zeitgemäss, vielleicht müssten wir ihn mehr als übernationales Machtprojekt begreifen. Vielleicht gab es im 20. Jahrhundert nichts Grösseres als die Nation, aber jetzt gibt es das Internet. Wenn man den digitalen Raum beherrscht, hat man ziemlich viel gewonnen. Es ist natürlich die Frage, wie sich das in den analogen Raum übersetzt, ob dieser Faschismus in eine organisierte Form übergeht. Aber ich plädiere dafür, die sozialen Medien als Realität zu sehen. Das sind digitale Schlägertrupps, die dort auf Leute losgehen.

Wie definieren Sie Faschismus?

Strobl: Wenn wir uns diese Mobs im Internet anschauen, die einfach nur Blut sehen wollen, sind wir, glaube ich – mit Hannah Arendts Definition von Faschismus als Bündnis von Mob und Elite – sehr nahe bei dem, was uns auch gegenwärtig präsentiert wird. Mit Robert Paxton gesprochen, ist Faschismus zudem die einzige politische Ideologie, die Gewalt nicht rationalisieren muss, sondern die Gewalt ohne Grenzen, ohne moralische, juristische, politische Grenzen, kennt.

Sie haben erwähnt, dass sich faschistische Diskurse stark verbreiten. Welche meinen Sie?

Strobl: Faschistische Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass sie von einer Dekadenzdiagnose ausgehen: Alles ist in einem Niedergang, den man durch einen gewaltvollen Akt nach vorne überwinden muss. Etwas muss gereinigt werden, etwas muss vernichtet werden, dann kann es wieder gut sein. Da steckt ein starker Sozialdarwinismus drin, der schon immer Kern des Faschismus war. Wir haben solche Diskurse während der Pandemie gesehen. Lohnt es sich wirklich, auf die Alten und Kranken und Menschen mit Behinderung Rücksicht zu nehmen, oder sollen die nicht lieber sterben? Dass Ausländer unsere Haustiere essen, das hat nicht Donald Trump erfunden, diese Erzählung hatten wir eins zu eins im 19. Jahrhundert. In der Asyldebatte haben wir diese Diskurse die ganze Zeit. Und ich gehe davon aus, dass die Rechten auch bei der Klimafrage immer stärker auf solche Diskurse setzen werden.

Können Sie das etwas ausführen?

Nehmen wir etwa die Zehn-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP. Die behauptet ja, wir müssten eine Abwägung treffen zwischen Umwelt und Menschen, die Überbevölkerung sei schuld an der Klimakrise. Das Zweite, was sie damit sagt, ist: Zu viel sind die, die herkommen. Es sind in dieser Erzählung die Menschen aus dem Globalen Süden, die das Klima kaputt machen. Wenn man das weiterspielt, heisst das: Die müssen vielleicht sogar im Mittelmeer ertrinken, damit das Klima gerettet wird. Das wird so natürlich nicht ausgesprochen, aber es ist die Idee dahinter. Erst setzt man die Bevölkerungszahl der Schweiz fest, dann die von Europa, dann die der Welt. Diese Idee ist eine faschistische, und ich glaube, die extreme Rechte wird künftig so mit der Klimadiskussion umgehen. Sie wird den Klimawandel ja nicht länger leugnen können, wenn er so evident ist. Und das Problem ist natürlich, wenn eine Gesellschaft das einmal akzeptiert, Menschen so zu sehen, wie die extreme Rechte sie sieht, dann kommt etwas ins Rutschen.

Gleichzeitig gibt es ja auch eine grosse Bewegung, die sich eine solidarischere Zukunft vorstellt. Wo stehen wir also?

Es ist alles offen. Und das liegt uns natürlich nicht. Wir hätten als Gesellschaft gerne, dass wir wissen, wie es weitergeht. Aber diese Zukunft ist verschwunden. Nun kann es furchtbar werden. Aber es kann auch gut werden, noch demokratischer, noch inklusiver. Um diesen Zukunftsentwurf muss man aber auch kämpfen.

Die konservativen und die liberalen Kräfte sind in vielen Ländern nach rechts gerückt. Und wenn man sich die parlamentarische Linke anschaut, ist auch nicht gerade Optimismus angezeigt. In Deutschland etwa steht auch die Sozialdemokratie nicht mehr für eine pluralistische Gesellschaft ein.

Strobl: Die SPD macht gerade alle typischen Fehler der Sozialdemokratie – aber zehn Jahre später als in anderen Ländern. Es ist unschön, was in Österreich passiert, aber Deutschland ist entscheidender. Deutschland war lange stabil. Wenn es kippt und einen rechtsextremen Weg geht, dann kippt Europa. Es ist ein fataler Fehler, der AfD so unverschämt recht zu geben. Zu sagen: Jetzt machen wir das auch, aber wir machen es ein bisschen schöner. Das darf nicht die Botschaft sein. Man müsste sagen: Die AfD hat einfach unrecht. Nicht nur auf der Werteebene, sondern auch sachlich. Grenzkontrollen helfen nichts gegen Gewalttaten.

Wenn wir nochmals auf Österreich zu sprechen kommen: Herbert Kickl inszeniert sich als «Volkskanzler». Was sagt das über die Vergangenheitsbewältigung Österreichs, wenn er Kanzler wird?

Strobl: Kickl war schon mal Innenminister. Und als solcher hat er mit einer Polizeieinheit zur Bekämpfung der Strassenkriminalität die Büros des Verfassungsschutzes durchsuchen lassen. Die haben Daten und Akten mitgenommen, die für immer verschwunden sind. Das hat das Vertrauen anderer Geheimdienste in den österreichischen erschüttert. Bis heute: Auch die Informationen zum geplanten Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien gingen nicht über den österreichischen Geheimdienst, sondern über den militärischen Abwehrdienst. Das muss man über Kickl als Politiker wissen. Es ist völlig klar, was man mit ihm bekommt. Der wird seine Politik durchziehen. Konventionen, Gesetze – das spielt dann keine Rolle mehr. Wenn die FPÖ an die Macht kommt, hat sie Zugriff auf die Medien, den Kulturbereich, den Sozialstaat, die Schulen, die Staatsanwaltschaften. Und es wird keinen Klimaschutz geben.

Kickl kann allerdings nur Kanzler werden, wenn die ÖVP es zulässt.

ÖVP-Chef Nehammer behauptet, es gebe keine Regierung mit Kickl. Aber das Vertrauen in die ÖVP ist aufgebraucht. Sie hat schon in mehreren Bundesländern versprochen, nicht mit der FPÖ im Landtag zusammenzugehen – und es dann doch getan.

Eine Brandmauer hat es in Österreich ohnehin nie gegeben.

Es gibt nicht mal ein Löschblatt. Aber wenn die ÖVP tatsächlich mit Kickl einen rechtsextremen Kanzler zulässt, ist das die grösste Zäsur, die man sich vorstellen kann.


Mittwoch, 27. Dezember 2023

Die Klimapolitik nährt längst nur noch Illusionen

Worüber niemand sprechen will. Die Begrenzung der Erderhitzung auf zwei Grad ist längst Illusion, sagt der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen. Was schlägt er vor?

Interview von Peter Unfried mit Autor Jonathan Franzen, taz 19.12.2023


»WAS PASSIERT, WENN WIR UNS DARAUF EINIGEN, DASS DAS EH NICHT MEHR HINZUKRIEGEN IST?«

taz FUTURZWEI: Jonathan Franzen, seit Ihrem Klimaessay sind vier Jahre vergangen, die Emissionen steigen weiter, wir tun faktisch viel zu wenig, aber rhetorisch immer noch so, als seien wir auf dem Weg, das Paris-Abkommen – möglichst 1,5, mindestens unter zwei Grad – einzuhalten. Wie sehen Sie inzwischen die Lage?

Jonathan Franzen: Das ist für mich ein Problem des Klimaaktivismus. Auf der einen Seite muss man das düsterste drohende Szenario entwerfen, auf der anderen Seite muss man sagen: Wir haben noch etwas Zeit. Einer meiner beiden besten Freunde aus dem College ist Geologiephysiker an der Columbia, wie auch seine Frau. Wie die miteinander reden, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was offiziell gesagt wird.

Was ist denn offizieller Sprech?

Naja, fahrt mehr Fahrrad, dann wird das schon, und so ein Unsinn.

Wann haben Sie sich selbst denn eingestanden, dass die Klimakatastrophe nicht mehr zur verhindern ist?

Nach der Lektüre von Fachliteratur und basierend auf meinem Vertrauen in die Experten, mit denen ich gesprochen habe, vor allem aber auch durch viele Gespräche mit dem Umweltwissenschaftler Dale Jamieson und dessen Buch Reason in a Dark Time machte mich dieses schreckliche Spannungsfeld zwischen der Klimarealität und dem, was als Realität beschrieben wurde, total sauer. Das war unehrlich, selbstverständlich in den meisten Fällen gut gemeint, aber manchmal auch nur, um den eigenen Job zu retten. Dadurch existiert eben auch eine weniger sympathische, selbsterhaltende Kultur in diesen Instituten und NGOs, die einem erzählen, dass es noch nicht zu spät ist und wir das Klimaproblem immer noch lösen können.

Die Sorge ist, dass gar nichts mehr geht, wenn das Zwei-Grad-Ziel aufgegeben würde.

There you go.

Aber ich traue der Regierung nicht, denn ich weiß, wie der Hase läuft.

Wie denn?

Die Regierung, die Unternehmen und die Gewerkschaften in Kalifornien hassen Solarmodule auf Dächern. Ich frage Sie: Was würde hier denn mehr Sinn machen als Solardächer? Okay, schwierig für Arme, die die finanzielle Vorleistung nicht aufbringen können. Das müsste man also fördern, sodass es für alle funktioniert. Aber die Energieunternehmen wollen das nicht. Sie sagen: Moment mal, die Leute wollen das Produkt selbst herstellen, das wir verkaufen? Das ist aber gar nicht gut. Die wollen die Produktionsmittel kontrollieren, das bedeutet also gigantische Installationen. Im Moment sind Solarinstallateure in der Regel keine Gewerkschaftsmitglieder, weshalb die Gewerkschaften die Großprojekte in der südkalifornischen Mojave-Wüste lieben, weil das neue Jobs garantiert.

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Was ist mit der Politik?

Politisch steht die Biden-Regierung unter immensem Druck, dass schnell was passiert, und deshalb klüngeln Regierung und mächtige Gewerkschaften und die noch mächtigeren Energieunternehmen zusammen, um Umweltrestriktionen zu umgehen. Das empfinde ich als Zumutung, weil Leute ihre Energie lokal produzieren und irgendwann auch selbst verteilen und in manchen Fällen speichern könnten.

Kein gutes Wort?

Naja, ich schätze die These hinter dem Green New Deal. Dass dieser nicht zwangsläufig politisch auf verlorenem Posten steht, denn die Transformation zu erneuerbarer Energie sollte eine Menge neuer Arbeitsplätze schaffen, und zwar gute mittelständische Arbeitsplätze. So gewinnt man hier Wahlen.

»When I hear climate, I think jobs« – einen besseren Slogan als Joe Biden wird man schwer finden, um postfossile Wirtschaft mehrheitsfähig zu machen.

Der Slogan ist gut, aber nicht, wie er umgesetzt wird. Es ist nicht zu fassen, dass die grünen Organisationen auch gegen Solardächer sind, was sie damit rechtfertigen, dass diese nur für die Mittelschicht bezahlbar seien. Die Energieunternehmen sind ganz und gar nicht arm und total glücklich mit dieser Politik. Weil sie die Armen viel mehr lieben als ich? Das glaube ich nicht.

Die öffentliche Diskussion wird im Moment meist populistisch und an den großen Fragen vorbeigeführt. Wie entsteht eine Kultur, in der ernsthaft über die zentralen Probleme geredet wird?

Also für diese Art Perspektivblick bin ich nicht zuständig, schon gar nicht für positive Visionen.

That‘s a shame.

Für die immer katastrophaleren Klimaschocks kann ich ziemlich sicher neue Gefahren vorhersagen und auch, dass das Kommende die gegenwärtige Flüchtlingskrise aussehen lassen wird wie die gute alte Zeit.

Wir werden aktiv gegen Klimaflüchtlinge, aber nicht, um Solarmodule aufzustellen und andere Grundlagen dafür zu schaffen, dass Menschen nicht fliehen müssen?

Also, ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber wozu soll man in Kalifornien Kohle verbrennen, um Energie zu erzeugen, wenn es so viel Sonne gibt?

Das ist die herrschende Kultur und Machtstruktur, an die wir uns gewöhnt haben.

Nochmal: Ich bewerbe mich nicht um ein politisches Amt, und mein Publikum erwartet von mir auch nicht, gesagt zu bekommen, was es tun soll. Meine Stärke liegt vielmehr darin, die Situation zu erfassen, in der wir uns befinden. Ich pflege eine bestimmte Form von intuitiver politischer Analyse, etwa den Vormarsch nationalistischer Populisten, die den Leuten erzählen, dass ihnen die Einwanderer die Butter vom Brot nehmen. Das geht Hand in Hand mit den Rechten, von denen die meisten sehr genau über die Klimakrise Bescheid wissen und die ihre eigenen schrecklichen Gründe haben, so zu tun, als seien das alles Falschmeldungen. Und die in einer allgemeinverständlichen Sprache den Leuten erzählen, alles sei außer Kontrolle geraten, die Infrastrukturen brächen zusammen und Millionen und Abermillionen wollen in ihr Land rein ... haben Sie den Vogel gesehen?

Deutsch: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können (Rowohlt 2020)

Hab ich verpasst.

Jetzt ist er da hinten, dieser gelbe.

Wie kann man verhindern, dass jeder die Klimakrise für seine Zwecke instrumentalisiert?

Wie gesagt, ich mache solche Vorhersagen nicht. Aber wenn Sie mir die Pistole auf die Brust setzen und mich fragen, was ich will: Ich will ein ehrliches Gespräch mit allen Interessenvertretern. Es wäre auch interessant, was AOC zu sagen hat ...


... die Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Alexandria Ocasio-Cortez, Gesicht der links-emanzipatorischen Milieus ...

... zum Beispiel zu Einwanderung, wenn in 15 Jahren große Teile der lateinamerikanischen Länder in Äquatornähe unbewohnbar sind. Die Leute wollen darüber nicht reden und sagen deshalb ganz schnell: Deshalb brauchen wir den Green New Deal.

Geht das gegen mich?

Können wir mal aufhören so zu tun, als ob Dinge plötzlich wie durch ein Wunder besser werden, und zugeben, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Dinge ganz schnell viel schlechter werden? Was machen wir dann? Was ist als US-Bürger politisch und moralisch zu tun, wenn dieses Land noch einigermaßen klarkommt, aber ein großer Teil der Welt nicht mehr? Das ist eine Frage, über die niemand sprechen will. Die Rechte tut so, als hätten wir nur ein, zwei schlechte Sommer. Und die Linke tut so, als würde man das Problem los, wenn man nur schön Fahrrad fährt und mehr Bäume pflanzt.

Und Sie setzen auf ein ehrliches Gespräch aller Interessenvertreter?

Wenn wir diese Repräsentanten für zwei Wochen in einen Raum bekämen, dann wäre ich auf das Ergebnis gespannt. Die bittere Realität ist nicht nur das wachsende Klimaproblem, sondern die Erschöpfung von Ressourcen und ein ökonomisches Modell, das auf einer weiteren Ausschöpfung von Ressourcen beruht. Darüber will niemand sprechen. Und dann gibt es noch zwei, drei, die sagen: Und was ist mit der Natur?

Sie, zum Beispiel. Sie haben erfolgreiche Klimapolitik interessanterweise genau in dem Jahr abgeschrieben, als bei mir und vielen neue Hoffnung aufkam: 2015 als das völkerrechtliche Übereinkommen von Paris getroffen wurde. Wie das?


Das war das Jahr, in dem ich Dale Jamiesons Buch las. Danach wollte ich mehr wissen und begann damals auch mit Wissenschaftlern zu sprechen. Ich hörte von so vielen aus der Naturschutzszene, dass die Ressourcen zu Ende gingen und alles nur noch Klima, Klima, Klima sei. Und man konnte ja bei genauer Lektüre des Pariser Abkommens sehen, dass das hübsche Worte waren. Aber entscheidend war Dales Buch, das in fünf Aspekten beschreibt, dass der Klimawandel ein Problem ist, das Menschen nicht lösen können.

Weil es keine Weltgesellschaft gibt, die kollektiv handeln könnte?

Ja. Aber auch aus kognitiven und ökonomischen Gründen. Es ist das eine, zu sagen, dass Kapitalismus schlimm ist, aber es gibt keinen unmittelbaren Ersatz

Wir haben immer noch Kommunismus.

Genau, Kommunisten, diese Freunde der Umwelt.

Die Ironie trifft es, ist aber etwas billig.

Mag sein, aber China kehrt auf eine Weise zum Hardcore-Kommunismus zurück, entwickelt kontinuierlich Kohlekraftwerke, zeigt außerdem ideologisch gefärbte Unfähigkeit, mit den plötzlich auftretenden ökonomischen Problemen umzugehen. Aber klar, wir können immer auch auf den Kommunismus zurückgreifen.

Let‘s not do it.

Let‘s not do it. Ich bin allergisch gegen Ideologien jeder Art.

Die sind überall.

Ich weiß, die kommen in allen möglichen Ausführungen, und mir gefällt keine davon. Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen, was wir kulturell tun können, ich weiß nicht, ob ich Ihnen hier wirklich helfen kann, Peter.

Ihr Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ hat mich mehrfach durchgeschüttelt, aber nichtsdestotrotz führe ich nach Ende der Lektüre stets mein gewohntes Leben und Denken weiter.

Das wird bei Dale erklärt, warum das auch Vorteile hat: weil wir ein Leben und Beziehungen zu führen haben und es Dinge gibt, die wir lieben, die uns wichtig sind – und das ist auch gut. Das geht den meisten Leuten so. Die jungen Aktivisten kritisieren die Boomer oder eigentlich so ziemlich jeden außer sich selbst, dass sie nicht 24/7 daran denken, was zu tun ist, um den Planeten zu retten. Daran wollen die meisten nicht denken. Sie denken: Ich sollte vielleicht mehr mit meinem Sohn lesen, irgendwie liest der nicht.

Was ein echtes Problem ist.

Ja, aber eben ein anderes Problem. Oder ich fange an, darüber nachzudenken, dass wir vielleicht kein Rindfleisch mehr essen sollten. Das sind diese kleinen Sachen, die im täglichen Leben auftauchen und die sind wichtig. Wir würden gern in Zeiten leben, in denen es nur um diese Dinge geht, aber leider ist das nicht so. Und trotzdem wollen wir, dass es nur darum geht.

Wir haben eine neue Obsession in Deutschland: Frührente. Aber nicht um die Welt zu retten, sondern um endlich – das ist das treibende Gefühl des Mittelklassen-Individualismus – Zeit für uns selbst zu haben, um das eigene Leben durch noch mehr Ausstellungen, Theater, Bücher anzureichern ...

Oder endlich dieses Jahr in Italien zu verbringen.

Genau.

Es gibt die persönliche Ebene der kleinen Dinge, die einen Menschen bewegen und es gibt das große Ganze. Aber dazwischen gibt es noch etwas, was genau vor deinen Augen ist. Bei den schrecklichen Waldbränden haben wir vor drei Jahren hier in der Stadt etwa 1.500 Gebäude verloren. Daraufhin kam erst Trump und behauptete, das sei keine Folge des Klimawandels, sondern des schlechten Managements des Staates Kalifornien, was ziemlich dumm war, da er als Präsident zuständig für die Bundeswälder war, in denen die meisten Feuer brannten. Doch es wurde noch schlimmer, als Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom ankam und meinte: Der Klimawandel kommt und es wird schrecklich, wenn wir nichts dagegen tun, deshalb werden wir hier in Kalifornien bis 2035 nur noch Elektroautos haben.

»ES GIBT ZWEI ARTEN VON LINKEN: DIE ALTMODISCHEN LYNDON-JOHNSON-LINKEN UND DIE SANTA-CRUZ-LINKEN.«

Was ist daran schlimm?

Warum sprach er nicht das eigentliche Problem an? Warum sprach er nicht davon, dass es künftig ein besseres Forstmanagement braucht, dass Programme aufgelegt werden müssen, um solche katastrophalen Brände zu vermeiden und die Menschen hier besser davor zu schützen? Das ist teuer, klar, aber es ist auch sehr teuer, aus Kalifornien in 15 Jahren ein hundertprozentiges Elektroautoland zu machen.

Warum tat er es nicht?

Das interessiert ihn nicht, weil er mit dem Klimawandel punkten will und die Waldbrände politisch benutzt, um diese Agenda voranzubringen. Und dann will er auch nicht zugeben, dass wir wirklich ein Problem mit dem Forstmanagement haben, weil Trump das ja gesagt hatte. Es stimmt selbstverständlich, dass Klimawandel diese Feuer noch begünstigt, aber das ist nicht das einzige Problem. Warum reden wir nicht über das, was wir jetzt in der Gegenwart brauchen? Eine bessere Forstwirtschaft.

Vermutlich, weil man damit keine Wahlen gewinnen und eines Tages Präsident werden kann?

Ich weiß es nicht. Wir hatten vor Newsom einen Gouverneur namens Jerry Brown. Ein großartiger Mann, problematisch, aber auch großartig. Ich würde gern glauben, dass Jerry Brown das Managementproblem nicht ignoriert hätte.

Wie kommen Sie darauf?

Er wurde Politiker, weil sein Vater Politiker war, okay. Aber er war auch immer einer, der dachte: Ich muss nicht nur politischen Bullshit machen.

Ihr Punkt ist jedenfalls, vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen und die Gegenwart real zu gestalten, statt globale und abstrakte Ziele als Handlungsersatz zu verschärfen?

Es gibt das Globale und das Lokale. Unser Leben besteht zum Großteil aus Letzterem, und ich denke, dass hier die wichtigsten Dinge stattfinden, über die wir nachdenken sollten. Wie ich sagte: Solarmodule auf dem Dach sind zumindest in Kalifornien einfach sinnvoll. Der einzige Grund, warum man es nicht will: Es ist politisch schwieriger umzusetzen. Was auch der Grund ist, warum ich kein Politiker bin.

Es ist bei unsereins kulturell eingeübter, darüber zu reden, was Politiker tun müssten, als selbst zu handeln.

Stimmt. Das ist der Grund dafür, dass ich Sie hierher in das Homeless Garden Project gebeten habe: Das ist ein lokales Projekt und das schätze ich an Darrie Ganzhorn, der Leiterin hier: Sie redet nicht nur, sondern sorgt genau an diesem Ort, an dem wir jetzt sitzen, für eine Veränderung.

Wird das als politisch links verstanden?

Es gibt zwei Arten von Linken: die altmodischen Lyndon-Johnson-Linken, die sagen, wir brauchen ein Regierungsprogramm und müssen Billiarden dafür ausgeben. Und die Santa-Cruz-Linken, die finden, dass alles lokal passieren sollte.

Das ist konkret, aber als Weltverbesserungstheoretiker kommt uns so ein lokales Gartenprojekt einfach mickrig vor.

Mag sein, aber es gibt nun mal keine globale Community. Nordkorea gehört zu keiner Community, zu der ich gehöre. China ehrlicherweise auch nicht. Man muss kleiner werden, wenn man eine Community sucht, in der die Leute sich wirklich gegenseitig respektieren und versuchen, die Vision eines besseren Ortes zu leben.

Womit ich intellektuell beim Fokussieren auf das Lokale nicht klarkomme: Menschen, die sich auf eine überschaubare geografische Heimat beziehen, kritisieren wir Weltbürger gern als nationalistisch und selbstbezogen.

Das ist nicht selbstbezogen. Anders herum: Wem ich überhaupt nicht traue, sind Leute, die die ganze Menschheit lieben. Die ständig sagen: Ich liebe den, ich liebe den und den liebe ich auch.

Sie sagen, nicht nur die Rechte lügt, wenn sie den Klimawandel leugnet, sondern auch die Linke, wenn sie behauptet, dass das Problem noch zu lösen sei. Klimaaktivisten haben Sie dafür gehasst.

Naja, drei Tage lang auf Social Media. Aber ja, manche Leute haben das als bedrohlich empfunden und mich ganz schnell als privilegierten weißen Mann gelabelt.

Das ist eine identitäre Denkreduzierung und außerdem in Ihrem Fall richtig.

Ja, es ist richtig. Aber insgesamt habe ich immens positive Reaktionen bekommen, und bekomme sie immer noch. Wissen Sie eigentlich, dass ich den Essay, über den wir reden, ursprünglich als Rede geschrieben habe, die ich an diesem Ort hier gehalten habe?

Nee.

Zehn Meter von wo wir sitzen, stellen sie jedes Jahr ein Zelt auf und machen ein Fundraising-Dinner, wirklich gutes Bio-Essen. Darry fragte regelmäßig, ob ich dafür eine Rede halten könne und irgendwann sagte ich zu und schrieb diesen Essay. Und hinterher kamen die Leute und sagten: Danke, dass Sie das gesagt haben. Die Leute sind nicht dumm. Wenn man ihnen im Jahr 2000 sagt, dass wir noch zehn Jahre haben und dann 2010 erneut und 2020 ein weiteres Mal, dann werden sie nachdenklich.

Sie rechnen nach?

Ja. Hatten wir im Jahr 2000 noch dreißig Jahre oder haben wir jetzt eben keine zehn Jahre mehr, um alles zu ändern – was denn nun? Das ist das Problem, wenn man nicht die Wahrheit sagt. Es macht die Leute erst skeptisch und dann zynisch. Obwohl du ihnen die Lüge eigentlich erzählst, um sie zum Handeln zu bringen, fällt dir die Unehrlichkeit auf die Füße und führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit noch geringer wird, dass sie handeln.

»DAS IST DAS PROBLEM, WENN MAN NICHT DIE WAHRHEIT SAGT.«

Sie vergleichen das mit einer Religion, bei der die Botschaft lautet: Hört auf zu sündigen und wir vermeiden alle die Hölle. Aufklärung ernst nehmen, hieße zu sagen, es gibt keine Hölle, aber auch kein Paradies. Wir kommen mit Ratio voran, im Deutschen: Vernunft?

(Franzen wechselt ins Deutsche.)

Wir hätten das Gespräch auch auf Deutsch führen können.

Darauf hatte ich eigentlich gehofft.

Für ein Interview wie dieses aber lieber doch nicht.

(Wechselt ins Englische zurück.)

Es gibt Vernunft, und dann gibt es ein Wort, für das ich keine genaue deutsche Übersetzung kenne: kindness.

Nettigkeit, Freundlichkeit, Zugewandtheit, Sanftheit, Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit?

Das trifft es alles nicht genau.

Was ist Ihr Punkt?

Selbst wenn man zu dem Schluss kommt, das Problem nicht lösen zu können, kann man doch versuchen, kind zu sein, die Leute gut und respektvoll zu behandeln und denen zu helfen, die Hilfe brauchen, wenn es in der eigenen Macht liegt. Das betrifft die menschliche Community, die Tierwelt, die Natur.

In „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ sagen Sie: Wir müssen Hoffnung neu definieren. Ist das jetzt Ihr Weg?

Seit ich den Essay schrieb, denke ich über kindness nach, weil es die Antithese ist zu dem, was auf Social Media passiert: Dort regiert das Gegenteil. Wassili Grossman hat sein Buch Leben und Schicksal nach den schlimmsten Jahren Europas geschrieben: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Er hat alles erlebt und alles überlebt. Kommunismus, ein Alptraum, Faschismus, ein noch größerer Alptraum.

Was war seine Erkenntnis?

Grossman hatte keine politische Lösung, deshalb schrieb er dieses gewaltige Buch, dessen Kern lautet: Was können wir tun? Wir können versuchen, kind zueinander zu sein.

Wohlwollend nachsichtig?

Das klingt verrückt und etwas christlich, aber das würde ich auf die Liste der Dinge nehmen, die wir immer noch tun können: kind miteinander umzugehen.

Gütig?

Montag, 30. Oktober 2023

Klimawandel

Ende Oktober 2023

Die Welt brennt scheinbar an allen Ecken und Enden, in der Ukraine, in Berg-Karabach, im Nahen Osten. Wenig Aufmerksamkeit bleibt da für ein Lodern, das keine akuten Probleme bereitet. Auch wenn wir wissen, dass es unausweichlich einen Grossbrand entfachen wird.

Das ist, was gerade in der West­antarktis geschieht. Hier ist das komplette Abschmelzen des Schelf­eises in der Amundsensee wohl nicht mehr zu verhindern, wie Meeres­forscherinnen diese Woche berichteten.

Das hat gravierende Folgen für den gesamten Eisschild der West­antarktis. Das Schelf­eis, das auf der Wasser­oberfläche aufliegt und aufgrund der höheren Temperatur des Meerwassers von unten abschmilzt, ist mit den ganzen Eismassen der Gletscher und Schilde landeinwärts verbunden und stabilisiert diese. Ohne diese Stabilisierung ist der westantarktische Eisschild in Gefahr. Er gilt als Kipp­punkt im Klima­system: Sein komplettes Abschmelzen würde den globalen Meeres­spiegel um vier bis fünf Meter ansteigen lassen. Laut Meeres­forscher Tiago Segabinazzi Dotto ist dieser Kipppunkt wohl überschritten.

Dennoch betonen Experten, dass die CO2-Emissionen trotzdem zurückgehen müssen. Einerseits, um das Schmelzen zu verlangsamen und mehr Zeit für Anpassung zu schaffen. Andererseits, um die Eisschilde anderswo zu schützen.

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Um die negativen Auswirkungen der Klimaveränderungen möglichst gering zu halten, gilt es, viele verschiedene Parameter im Auge zu behalten. Eine Größe sticht aber in ihrer Bedeutung besonders heraus: das verbleibende Kohlenstoffbudget, auf Englisch "remaining carbon budget", daher auch unter der Abkürzung RBC geläufig. Dieses drückt die Menge an CO2 aus, die noch emittiert werden kann, ohne eine bestimmte Erwärmungsschwelle zu überschreiten. RBC ist daher auch der wesentliche Parameter für die Planung von Klimaschutzmaßnahmen, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen, wonach die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden soll.

Wie eine neue Studie zeigt, müssen bisherige Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets aber drastisch revidiert werden. Tatsächlich dürfen wir nur noch viel weniger Treibhausgase emittieren, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, berichten Forschende im Fachblatt "Nature Climate Change".

Montag, 27. Mai 2019

Zerfall der Öffentlichkeit

Eva Menasse

Alles geht in Trümmer – und das, was Öffentlichkeit war, wird bald nicht einmal mehr eine Erinnerung gewesen sein

Wo jeder seine personalisierte Öffentlichkeit hat, da gibt’s keinen echten Streit mehr und auch keinen Kompromiss. Volksparteien zerfallen, die Feuilletons dieser Welt werden bedeutungslos. Was bleibt, sind: Zersplitterung und Erbitterung. Ein Abgesang.

Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit einem Klimaforscher, mit dem Titel «Für Pessimismus ist es zu spät». Gernot Wagner, ein Österreicher, der in Harvard forscht, beschrieb den Klimawandel als das «perfekte Problem». Selbst wenn wir es schaffen würden, unsere Emissionen von einem Tag auf den anderen abzudrehen wie einen Lichtschalter, schnellten die Temperaturen erst recht katastrophal hoch. Warum? Weil wir nicht nur das klimaschädliche CO2 in die Atmosphäre blasen, sondern auch das luftverschmutzende SO2, das die Sonneneinstrahlung abmildert. Es wirkt für die malträtierte Erde wie ein Sonnenschirm.

Das «perfekte Problem» ist eine Formulierung, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Sie scheint der perfekte Ausdruck für unsere gesamte Lage. Die Aussichten sind apokalyptischer denn je. Und trotzdem, oder gerade deshalb sagt dieser Klimaforscher voller vibrierender Energie: Für Pessimismus ist es zu spät.

Dieser Geist passt zu Ludwig Börne. Er war der Prometheus der deutschsprachigen Publizistik, er hat ihr das Feuer gebracht. Für sein scharfes, wie ein Schwert geführtes Wort ohne Rücksicht auf Höflichkeiten oder Comment verehren wir ihn bis heute. Er hat vor zweihundert Jahren das Licht einer kulturellen Errungenschaft angezündet, das wir gerade ausblasen.

Dieses Ende ist nicht etwa deshalb gekommen, weil das Personal nicht mehr taugt. Das Ende ist auch kein blosses Abgelöstwerden, wie es früher den Melkern, den Setzern, den Schneidern und Kürschnern widerfahren ist. Das wäre nur traurig. Dramatisch aber ist, dass sich die Öffentlichkeit als solche, die sich damals erst gebildet hat als eine Gegenöffentlichkeit zum Staat, gerade komplett auflöst. Ihre Bestandteile sind zwar noch da, aber so fragmentiert wie das Mikroplastik in den Ozeanen. Wen wollen wir denn heute noch erreichen, wenn wir in der Paulskirche sprechen, wenn wir in der NZZ oder in der FAZ schreiben?
Das liest keiner mehr

Kürzlich führte ich ein sich zufällig ergebendes Gespräch mit einem erfreulichen jungen Mann, gerade dreissig, rhetorisch gewandt, intelligent, reflexiv. Er war beruflich mit Politik beschäftigt, berät Politiker, Parteien, manchmal sogar Ministerien. Er erzählte, dass manche seiner Kunden Wert auf die Anerkennung der deutschen Feuilletonleser legten. Doch diese Gruppe sei völlig bedeutungslos für seine Arbeit. Die deutschen Medien insgesamt hätten die Erfordernisse der Digitalisierung bis heute nicht begriffen.

Ich fühlte mich mit einem Schlag wie hundertzwanzig. In dieser Situation wären viele Fragen möglich gewesen, ich stellte aber, fast atemlos, nur zwei: Als Erstes, ob es ihm nicht leidtäte um die enorme Verschwendung von Wissen und Erfahrung, denn diese Menschen in den komischen alten Zeitungen verfügten doch über einen grossen Schatz an, ja, ich sagte wohl wirklich: Content, der vielleicht für das eine oder andere noch zu gebrauchen sei . . . Er zuckte die Schultern. Er habe das alles schon so lange nicht mehr gelesen, sagte er, ihm habe nichts gefehlt.

Als Zweites fragte ich drängend, wo sich die vielzitierten Digital Natives denn in Zukunft verständigen würden über ihre Anliegen, ihre Prioritäten, über das, was als Nächstes zu tun sei, also über ihre Erwartungen an die Politik? Wo sind die digitalen Wasserstellen, fragte ich, die ihr aufsucht, wenn ihr reden, streiten, verhandeln müsst? Er zuckte wieder die Schultern und sagte, das würde sich wohl erst mit der Zeit herausstellen. Er war dabei so gelassen wie die Zehnjährigen, die jedes elektronische Gerät erst einmal in Betrieb nehmen, auch wenn sie gar nicht wissen, was es ist.
Öffentlichkeit ade

Die Technosoziologin Zeynep Tufekci und der Politologe Ivan Krastev forschen dazu, zur Politik im digitalen Raum. Ihre Untersuchungen von Protestbewegungen wie etwa Occupy ergeben, dass ihnen langfristige politische Wirkung bisher versagt blieb. Erst machen sie eine Menge Wirbel, dann verpuffen sie. Menschen lassen sich so zwar erreichen, aber bald laufen sie etwas anderem hinterher.

Krastev schreibt, Protestbewegungen im Netz seien bis anhin eine Form der Partizipation ohne Repräsentation. Und dieser Befund gilt wohl auch für das Verschwommene, das die Öffentlichkeit ersetzt hat: massenhafte Teilhabe, aber die Fragmentierung jeder Wirkung und die Aufhebung aller Regeln. Reichlich vorhanden für alle sind nur Verunsicherung und Wut.

Zwar interessierten sich viele nur für den Musikantenstadel und nicht für das Feuilleton, aber Letzteres blieb tapfer dabei, alles, was grösseren Anklang fand, zu analysieren und zu reflektieren.

Natürlich gab oder gibt es nicht die eine Öffentlichkeit. Es gab immer viele davon. Als grosse und kleinere verschiedenfarbige Kreise lagen sie übereinander wie ein Schaubild aus der Mengenlehre. Die politische Öffentlichkeit war lange ungerecht, wenn etwa in der Antike nur männliche Patrizier auf das Forum oder die Agora durften. Aber langsam bekamen immer mehr Menschen Zugang zu etwas, das man auch eine Plattform der Selbstvergewisserung nennen könnte.

Zu Börnes Zeiten, dank unerbittlichen Streitern wie ihm, erhob sie sich machtvoll. Und schliesslich definierte Habermas die «abstrakte Öffentlichkeit», hergestellt über Massenmedien. Sie war verdächtig, weil sie einem Niveauverlust Vorschub zu leisten schien. Da hatten wir noch Sorgen: Denn möglicherweise war diese massenmediale Öffentlichkeit das Beste, was zu bekommen war, einen historischen Moment lang, bevor die Digitalisierung alles durchdrang. Das Beste im Sinne von: grösste Verbreitung bei niederschwelligem Zugang. «Tagesschau», «Bild»-Zeitung, die Samstagabendshow und der «Tatort», dazu die Feuilletons und die Radios.

Wir hatten etwas gemeinsam, zumindest in diesem Land, zumindest in diesem Sprachraum, wir wussten so ungefähr voneinander und wie es uns ging. Zwar interessierten sich viele nur für den Musikantenstadel und nicht für das Feuilleton, aber Letzteres blieb tapfer dabei, alles, was grösseren Anklang fand, zu analysieren und zu reflektieren. Man konnte daran glauben, dass es Orte gab, an dem die Zeitphänomene diskursiv aufbewahrt wurden.
Beschleunigter Untergang

Dem Historiker Per Leo verdanke ich den Einwand, dass «die Öffentlichkeit» historisch gesehen niemals Mehrheitsmeinungen abgebildet hat. Trotzdem, möchte ich beharren, gab es doch einmal diese halbwegs verlässliche Plattform, auf der, und sei es grob und ungefähr, erfasst wurde, was uns bewegte und zusammenhielt. Ich denke sie mir als Fläche, als riesigen Platz, eben ein Forum. Der Platz hatte zu allen Zeiten seltsame Ränder und die eine oder andere dunkle Ecke. Aber weil er grundsätzlich einsehbar war, galt hier der Rechtsstaat.

Heute haben wir etwas anderes, etwas, das in die Tiefe geht, aber nicht in die sinnbildlich wertvolle: ein Bergwerk, in dem sich jeder sein eigenes Tunnelsystem gräbt, weitläufig und verzweigt, aber wo es dennoch möglich ist, niemals auf Widerspruch zu treffen. Zumindest kann man den Sammelplätzen, den grossen Kreuzungen ohne weiteres entgehen. Und es ist möglich, dort ungestraft alles zu tun, was an der hellen Oberfläche verboten ist.

In diesem Sinne meine ich: Die alte Öffentlichkeit ist vorbei. Sie wird nicht irgendwann vorbei sein, sie ist es schon. Die Digitalisierung, die wunderbare Effekte auf viele Lebensbereiche hat, hat auf ihrem Urgrund, der menschlichen Kommunikation, eine alles zerstörende Explosion verursacht.

Für die ehemalige Öffentlichkeit, die, mit all ihren Fehlern und Schwächen, einmal die informelle Macht der Demokratie war, hat es den Effekt, den es auf die Wirtschaft hätte, wenn jeder sich zu Hause sein eigenes Geld drucken könnte. Diese Zersplitterung in Millionen inkonvertibler Einzelmeinungen, dieses unverbundene und beziehungslose Sprechen und Schreiben, könnten wir Ludwig Börne, wenn er plötzlich wiederauferstünde, wahrscheinlich wirklich nicht erklären.

Alles geht in Trümmer. Ehemalige Grossparteien zerfallen zugunsten von Clowns, Komikern oder zynischen Glücksrittern. Nein, es reicht nicht zu sagen, dass sie offenbar schlecht gearbeitet haben, dass sie nun eben durch etwas Neues ersetzt werden. Ihre Bedeutung als Hafen ist damit nicht gewürdigt, als erstes grobes Ordnungssystem in einer hochdifferenzierten Gesellschaft.

Andere Meinungen dienen längst nicht mehr dazu, unsere eigenen zu überprüfen, nur dazu, den Gegner dingfest zu machen.

Unsere deutschen Grossparteien benahmen sich rührenderweise umso inklusiver und mittiger, je unversöhnlicher die allgemeine Stimmung wurde. Das hat ihren Untergang beschleunigt. Sie haben nicht bemerkt, dass das Wort vom Sammelbecken zu einer Beleidigung geworden ist. In ein solches will niemand mehr steigen, es fühlt sich äusserst unhygienisch an. Die Gruppen, denen man noch vertraut, werden immer kleiner und exklusiver. Ein falscher Tweet, und man fliegt raus.
Ein Neuanfang – vielleicht?

Beides, die Zersplitterung und die erbitterten Kämpfe, sind die Zerfallsprodukte der Streitkultur. Zehn Jahre Internet für alle, mobil auf die Hand, haben genügt, um uns das, was Börne und Heine vor zweihundert Jahren begründet haben, verlernen zu lassen. Die vielgerühmte Freiheit, dass sich jeder zu allem äussern kann, schafft die gefährliche Illusion, dass das Aushalten anderer Meinungen nicht mehr nötig ist.

Es war schon immer schwer, Kindern zu erklären, dass es keine garantierte Gerechtigkeit gibt, sondern dass man nur beständig an ihr arbeiten kann. Heute ist es schwer, Erwachsenen zu erklären, was ein Kompromiss ist und wozu man ihn braucht. Fast unmöglich, für ein zeitweiliges taktisches Nachgeben zu werben. Andere Meinungen dienen längst nicht mehr dazu, unsere eigenen zu überprüfen, nur dazu, den Gegner dingfest zu machen.

Und so ist die alte Öffentlichkeit an ihr Ende gekommen. Sie ist fast komplett ins Private diffundiert. Es ist nicht mehr annähernd festzustellen, was der eigene Nachbar weiss, erfährt und glaubt, welcher Minderheit er anzugehören wünscht oder welchen Phantasmen er gerade aufsitzt. Jeder hat seine eigene winzige Öffentlichkeit, er hat sie sich nämlich personalisiert. Das aber ist, nach allem, was man bis jetzt sehen kann, so gefährlich wie eine Autoimmunkrankheit.

Doch jedem Ende folgt ein neuer Anfang, auch wenn ich befürchte, dass wir uns diesen wahrscheinlich ohne uns vorstellen müssen. Am tiefsten Punkt meiner Verzweiflung fiel mir allerdings auf, dass vielleicht sie, neben der Wut, die andere grosse Emotion ist, die die Fähigkeit hat, Menschen über alle Differenzen hinweg zusammenzubringen. Die Bilder, die wir alle gesehen haben, über die wir alle gesprochen haben, egal, in welchen Echokammern wir uns sonst vergraben – das waren die der schulschwänzenden Klima-Kinder, in Marsch gesetzt von dem kleinen Mädchen mit den komischen Haaren.

Ob auch sie dasselbe schnelle Ende nehmen werden wie die beschriebenen Internet-Protest-Phänomene? Bis jetzt erscheint mir die Verzweiflung dieser Kinder so gross, dass sie die Widersprüchlichkeit ihres eigenen Verhaltens übertrumpft. Sie sind die Ersten, die der Zersplitterung ihres Themas in tausend Untergruppen widerstehen.

Sie kümmern sich nicht um die Zyniker, die sie verhöhnen, und nicht um die heuchelnden Paternalisten, die ihnen empfehlen, die Sache den Experten zu überlassen. Sie sind intelligent genug, um zu wissen, dass auch ihre Eltern und sie selbst ihre Lebensweise massiv ändern müssen. Aber das hindert sie nicht daran, aktiv zu werden. Sie sind der Gegenentwurf zu den Verkrampfungen, die wir uns gerade leisten.

Die Streiks und Demonstrationen unserer Kinder sind eine Wiederkehr alter, wirksamer, für alle sichtbarer Öffentlichkeit. Jedenfalls gilt für uns alle nur noch dieser Satz: Für Pessimismus ist es zu spät.

Neue Zürcher Zeitung, 27.5.2019

Sonntag, 5. Februar 2017

Der neue Ölmensch und die Ideologie des fossilen Kapitalismus

Daniel Pelletier und Maximilian Probst

Der neue Ölmensch und die Ideologie des fossilen Kapitalismus. Wer sie versteht, begreift auch die existenzielle Gefahr, die von Donald Trump ausgeht.


aus: DIE ZEIT Online, 20.1.2017

Wer ist dieser Mann? Auch kurz bevor Donald Trump seinen Amtseid als US-Präsident schwören wird, sind die Antworten darauf kaum noch zu überblicken: Er ist ein konservativer Populist. Ein Faschist. Ein Revolutionär. Ein Narzisst. Ein schlechter Witz. Ein Charismatiker. Ein Pragmatiker. Eine Medienschöpfung. Die schlausten Kommentatoren sagen, gerade angesichts dieses Durcheinanders: Er ist ein Trickster.
Unter diesem Begriff subsumierte der Psychoanalytiker C.G. Jung all jene Figuren aus den Mythen und Märchen, die an der Auflösung bestehender Ordnungen und Unterscheidungen arbeiten. Jene Gestalten, die man nicht zu fassen bekommt, weil sie verschiedene Rollen zugleich spielen und weil sich dort, wo sie auftauchen, Wahrheit und Lüge verflüssigen und vermischen. Trump, der Trickster, Agent einer postfaktischen Welt – ja, das klingt, als käme man ihm hier auf die Spur.

Und doch ist es eine Täuschung, hinter der sich ein schwarzer Kern verbirgt, den viele lieber nicht sehen wollen. Denn die Trickster-Politik, so sehr sie auch verunsichert, lässt immer noch Raum für Beruhigung. Man könne nicht wissen, was er tut, heißt es dann, vielleicht werde es gar nicht so schlimm. Diese Hoffnung muss man fahren lassen. Wer sich nicht vom Trump-Theater kirre machen lässt, kann im künftigen Präsidenten der USA jedenfalls nur eines sehen: einen knallharten Ideologen. Oder, anders akzentuiert: die Verkörperung einer Ideologie, nämlich des Glaubens an den fossilen Kapitalismus, der sich bei Trump zu einem geschlossenen Weltbild versteinert hat.
Treibstoff eines amerikanischen Jahrhunderts
Fossiler Kapitalismus: Mit dieser Formel soll nicht nur gesagt sein, dass es sich um eine Spielart des Kapitalismus' handelt, dessen Zeit abgelaufen ist. Fossiler Kapitalismus meint, dass die Kapitalzirkulation und -akkumulation in diesem System von fossilen Energieträgernbefeuert wird, von Kohle und Öl. Um Donald Trump zu verstehen – und die existenzielle Gefahr, die von ihm für unsere westlichen Demokratien ausgeht –, ist es entscheidend, das Prinzip dieses fossilen Kapitalismus' zu begreifen.

In Erdöl und Kohle ist nicht nur der Sonnenschein von 500 Millionen Jahren gespeichert, sondern auch das frühere Leben auf dem Planeten räumlich verdichtet. In einem Liter Erdöl stecken 25 Tonnen Meereskleinstlebewesen, Kohle ist komprimiertes organisches Material. Diese geballte Energie begann der fossile Kapitalismus mit Beginn der industriellen Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu entfesseln. Was dann folgte, war eine mehr als zweihundertjährige Wachstumsphase, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte.
Dominiert wurde dieses Weltwirtschaftswachstum im 19. Jahrhundert von England. Dessen riesige, nun erschöpfte Kohlevorkommen produzierten ebenso viel Energie wie bislang aus der gesamten Fördermenge saudischen Öls gewonnen werden konnte. Das nächste Jahrhundert sollte dann zu einem amerikanischen werden, was eng mit der Umstellung von Kohle auf Öl zusammenhing und mit der Entdeckung der gewaltigen Ölfelder in Texas in den 1920er Jahren.

Das Leben der Ölmenschen
Wer wie Trump sagt "Make America great again!", der schaut zurück in dieses amerikanische Öljahrhundert. Der meint vor allem die Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen das Öl die gesamte Wirtschaft schmierte. Der meint die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre, in denen die boomende Ölindustrie einen Lebensstil förderte, wenn nicht erfand, der auf immer größeren Verbrauch ihres Produktes angewiesen war.
Es sind die Jahre, in denen sich der Mensch inmitten von Plastikartikeln zum Wegwerfen wiederfindet, die aus Öl hergestellt werden. In denen Flugfernreisen als die ultimative Erfüllung des Daseins gelten (die eine exquisite Orientfantasie, den Harem, wiederaufleben lassen: der männliche Passagier, umschwirrt von Stewardessen). Und in denen alle, die nicht so hoch hinaufkommen, immerhin einen Großteil ihres Lebens im Auto verbringen, zwischen dem Arbeitsplatz und den neu entstehenden Vororten, den Suburbs, pendelnd. Für den kleinen Donald sind es die Jahre, in denen er seinem Vater dabei zusieht, wie er dank des daraus erwachsenden Baubooms den Grundstein eines Immobilienimperiums legt.

Es sind auch die Jahre, in denen die Schriftstellerin Ayn Rand ihr Hauptwerk schreibt: den Roman Atlas Shrugged, der 1957 erscheint und das Lebensgefühl der Ölmenschen auf den Punkt bringt.

Grenzenlose Kraft
Ayn Rands Buch betreibt die Vergötterung des rücksichtslosen, starken Mannes. Rand verwirft jede staatliche Einmischung, die diesen Mann einhegen und einbinden könnte in ein gesellschaftliches Ganzes. Rücksichtnahme, Mitgefühl, Solidarität: Das sind für sie unverzeihliche Schwächen. Rand predigt eine Philosophie des ungetrübten Egoismus', einer menschlichen Kraftentfaltung, die ihr endlos und unbegrenzt erscheint. Verkörpert wird ihre libertäre Philosophie im Roman von John Galt. Dass dieser fiktive Atlas, der die Welt auf seinem Rücken trägt, bei Rand ein Baumeister ist, dürfte Trump, einem bekennenden Rand-Fan, die Identifikation erleichtert haben. 

Rand ist posthum zur Säulenheiligen der Tea-Party geworden. Diese rechtslibertäre Bewegung – maßgeblich gesponsert von den Petrodollars der Koch-Industries, eines amerikanischen Ölgiganten – hat Trump den Weg zur Macht geebnet. Entscheidend für den Erfolg Trumps und der Rechten war, dass sie einen blinden Fleck in Rands Denken korrigierten; dass sie ihrem Denken wieder die materielle Grundlage unterschoben, aus der es entwachsen war. Denn die Vorstellung grenzenloser Kraftentfaltung bei Rand entspricht genau der Vorstellung grenzenlosen Wirtschaftswachstums in einer Zeit, in der auch die Ölreserven grenzenlos erschienen.

Gerade weil das Öl damals so sicher floss, brauchte man sich darüber keine Gedanken zu machen, Rand setzte es stillschweigend voraus. Genauso wie ihr politischer Ziehsohn Alan Greenspan, der von 1987 bis 2006 die amerikanische Notenbank leitete. Greenspan glaubte, man brauche nur für eine ungehemmte Zirkulation des Kapitals zu sorgen. Er glaubte, wirtschaftliches Wachstum könne aus neuen Finanzprodukten und der Vermehrung der Geldmenge entstehen, die unter ihm um 280 Prozent anstieg. Mit der Hypothekenkrise, die sich zur Finanzkrise ausweitete, platze dieser Traum des "Geld heckenden Geldes" und kostete das Land Milliarden. Vor allem brachte die Krise Kleinsparer um ihren Notpfennig und trieb Häuslebauer tief in Schulden. 

Bauen, bauen, bauen

Auf diese traumatische Krisenerfahrung reagiert Trump, indem er ein echtes Wachstum verspricht, keines auf Pump, keines durch neue Finanztechniken. Er prophezeit ein "riesiges" und "schönes" Wachstum, das von gegenwärtig zwei auf vier oder sogar sechs Prozent steigen und solide auf einer von Öl, Kohle und Gas in Gang gesetzten Re-Industrialisierung des Landes beruhen soll. Eine "gewaltige Wirtschaftsmaschine" will er anwerfen. Die Mittel dafür scheinen seit 2012 in greifbare Nähe zu rücken; seit nämlich durch unkonventionelle Fördermethoden wie Fracking, Abbau von Ölsand und Ölschiefer nach Jahren des Niedergangs ein neuer Aufschwung der amerikanischen Ölindustrie begann. Parallel dazu will Trump Infrastrukturprogramme auflegen, die vor allem wieder einen energieintensiven Lebensstil fördern. Neue Straßen, neue Flughäfen, überhaupt: bauen, bauen, bauen.


Trump wird dabei auf die Unterstützung seines Freunds und Vorbilds Wladimir Putin bauen können. Der russische Präsident ist ein Mann, dem Öl durch die Adern fließt. 1996 reichte er eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation ein, die sich um die Wiederherstellung der russischen Weltmacht durch die Fokussierung auf Öl- und Gasreserven dreht. Dabei ist zuletzt die Arktis in den Blick gerückt. Die dortigen Ölreserven, die durch die klimawandelbedingte Eisschmelze von Jahr zu Jahr besser zugänglich werden, sind auch für amerikanische Unternehmen äußerst verlockend: 2012 unterzeichnete ExxonMobil, einer der weltgrößten Ölkonzerne, mit der russischen Staatsfirma Rosneft einen Vertrag zur gemeinsamen Erschließung dreier arktischer Ölfelder. Und was für welcher!

Viel Sand in Saudi-Arabien
In der Karasee gelegen, einem Randmeer nördlich von Sibirien, sollen die Felder 87 Milliarden Barrel Öl umfassen, das ist ein Drittel der derzeit bekannten Ölreserven Saudi-Arabiens. Selbst beim heutigen Ölpreis, der sich seit der Unterzeichnung des Deals halbiert hat, kommt man dafür auf einen Wert von fast 5.000 Milliarden Dollar, mehr als eineinhalb mal so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Die gesamten Ölreserven der Karasee übersteigen laut Rosneft sogar die Saudi-Arabiens.
Dass kaum jemand über die Karasee Bescheid weiß, zeigt im Übrigen, wie wenig über die materiellen Grundlagen des Kapitalismus' gesprochen wird. In der deutschen Wikipedia findet man einige Angaben über die geografische Lage und die zweifellos wichtige Information, dass die "gewaltigen Wassermassen" der Flüsse Ob und Jenissei mitverantwortlich für die Strömungsverhältnisse innerhalb dieses Meeres seien. Von den gewaltigen Ölmassen kein Wort. Das ist, als schriebe man über Saudi-Arabien lediglich, dort gebe es viel Sand.   

Von den Ölfeldern der Karasee sicherte sich ExxonMobil mit dem Rosneft-Deal einen Anteil von 33 Prozent. Die Russen erhielten ihrerseits Zugang zum amerikanischen Know-how, das ihnen die Erschließung von Öl in den extremen Verhältnissen der Arktis überhaupt erst ermöglichen sollte. Als aber Russland zwei Jahre später die Krim annektierte, platzte das Geschäft: Der Westen belegte das Land mit Sanktionen, der amerikanische Ölriese musste sich zurückziehen.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Denn nun will Trump den Mann zum Außenminister machen, der als Chef von ExxonMobil und Träger des Kreml-Freundschaftsordens den Deal mit Rosneft verantwortete: Rex Tillerson, seit 41 Jahren im Ölgeschäft.

Öl, eine Männerfantasie
Es wäre unrettbar naiv, das nur als Werk des Zufalls zu betrachten. Vor unseren Augen zeichnet sich eine US-russische Ölkoalition ab. Um zu erkenn, wie stark Trump darin eingebunden ist, muss man nicht einmal das jüngste, perfekt ins Bild passende Dossier seiner Verbindungen zum russischen Geheimdienst bemühen. Es reicht, sich zu vergegenwärtigen, dass Trumps Immobilienimperium "eine Menge Geld aus Russland zufließt", wie sein Sohn Donald jr. sagte; dass also reiche Russen gern und oft gesehene Abnehmer von Trumps Luxusimmobilien sind. Einen weiteren Teil dieses Vermögens steuern die Ölscheichs bei, zu denen Trump glänzende Geschäftsverbindungen pflegt. Und natürlich könnte man auch von dem Geld reden, das Trump in amerikanische Ölfirmen investiert hat, in Chevron, Kinder Morgen Stock, Energy Transfer Partners und ConocoPhillips.  

Trumps ganzer Stil, seine Protzerei, von der die Trump-Towers bersten: Das ist das klassische Ölgebaren der Männerbünde zwischen Moskau, Dubai und Texas. Wie überhaupt Öl eine Männerfantasie ist: brodelnd, aus der Tiefe mit Druck hervorschießend, um die Welt zu befruchten! Öl ist phallisch, durch und durch, bis hin zur Zapfpistole, mit der man genussvoll sein Auto betankt, dieses im Idealfall unersättliche Loch.

Der vollständigen Realisierung dieser schmutzigen billiardenschweren feuchten Träume steht allerdings eines entgegen: das erstarkte Bewusstsein für die zerstörerische Kraft des Klimawandels. Die liberale politische Klasse in Europa und den USA erkennt in dem Temperaturanstieg mittlerweile eine Bedrohung für das Leben auf unserem Planeten und das Überleben einer demokratischen Weltordnung. Das Übereinkommen von Paris mit seinem Ziel, die Erwärmung nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen, ist der bislang größte Erfolg, den diese liberale Bewegung gegen den fossilen Kapitalismus erringen konnte. Auch weil nun die Amerikaner mitzogen. In der Folge investierte Barack Obama massiv in erneuerbare Energien, erschwerte mit Auflagen das Fracking und verbot Bohrungen in der Arktis ganz. 


Fossiles Kapital und chauvinistischer Nationalismus
Für die fossilen Kapitalisten spitzt sich damit die Lage dramatisch zu. Schon seit Längerem leeren sich die alten Ölquellen. Mit der Entdeckung großer konventionell erschließbarer Felder wird nicht mehr gerechnet. Und die neuen Methoden zur Ölgewinnung wie Fracking, Abbau von Ölsanden und Tiefseebohrungen sind kostspielig. Der Preis von Solar- und Windenergie hingegen sinkt stetig. Auch dank der Entwicklung günstiger und langlebiger Akkus drängt dieser Strom nun als Massenprodukt auf den Markt. Wenn dann noch liberale Politiker mit Klimaauflagen und CO2-Steuern die Kosten fossiler Energie in die Höhe treiben sollten, könnte das schnell deren Ende bedeuten.
Vor diesem Hintergrund eines existenziellen Kampfes mit einer globalen Klimabewegung hat sich das oligarchisch organisierte fossile Kapital mit einem chauvinistischen Nationalismus zusammengetan. Wie die Petrodollars der Saudis in islamistische Koranschulen fließen, so strömen die Milliarden der amerikanischen Ölindustrie in rechtslibertäre Think-Tanks und einflussreiche Lobby-Organisationen. Denen ist das Kunststück gelungen, vielen Amerikanern einzureden, den Klimawandel gebe es nicht, und in Europa lange die Meinung zu verbreiten, erneuerbare Energien seien eine Wachstumsbremse.   

Trump, mit dem ExxonMobil-Chef Tillerson auf der einen Seite und dem rechtsidologischen Breitbart-Publizisten Stephen Bannon auf der anderen Seite, ist die perfekte Schnittmenge dieses Zusammenschlusses von Ölinteressen und Rechtsnationalismus. Beide Seiten kommen überein in ihrer Vorstellung von Stärke und Männlichkeit. Und beide Seiten sind von der liberalen Klimabewegung gleichermaßen gekränkt. 


Nicht der großartige Weltenbauer
Denn die Klimabewegung ist immer auch eine fundamentale Kritik der sich frei entfaltenden Männlichkeit. Mehr noch, sie zeigt, dass die Verantwortung für den Klimawandel vorwiegend bei einer weißen Clique von Superkapitalisten liegt. Rechnet man ein, dass die Verschmutzung unserer Atmosphäre geschichtlich mit der Industrialisierung in Europa ihren Anfang nahm, kommt man auf die Formel: Der Klimawandel ist ein alter, weißer Sack.
Dem hält die liberale Klimabewegung die Verletzbarkeit des Planeten und des Lebens darauf entgegen, ein Ideal des Mitgefühls und der haushälterischen Vernunft, das durch den Lauf der Geschichte – also genealogisch, nicht essenzialistisch – feminin konnotiert ist. Denn nicht nur das Herz, auch der Verstand steht längst aufseiten der Klimabewegung, die einen rationalen und intelligenten Umgang mit Ressourcen propagiert.

Man muss sich die Kränkung ausmalen, die das für Leute vom Schlage Trumps und Putins bedeutet, beziehungsweise die Abwehrmechanismen, die sie in Gang setzen, um diese Kränkung nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Die Verwerfungen des fossilen Kapitalismus' und die Klimabewegung zeigen ja in aller Deutlichkeit: Trump ist nicht der großartige Weltenbauer, für den er sich im Sinne Ayn Rands hält. Er ist ein engherziger und kleingeistiger Weltzerstörer! Einer, der dabei ist, die Klimakatastrophe zu beschleunigen, die das Leben in vielen Metropolen und Landstrichen unerträglich machen wird. Aber hey, das ist wohl der Preis, den die Welt zu zahlen hat, damit Amerika und Russland wieder groß werden. 


Europas Trumpf gegen Trump
Trump jedenfalls wird sein putineskes Programm schnellstmöglich umsetzen wollen. Mit Rex Tillerson als Außenminister; mit Scott Pruitt, der verlauten ließ, "Klima-Alarmisten" gehörten gerichtlich verfolgt, als Chef der Umweltbehörde; mit Rick Perry als Minister des Energieressorts, das dieser noch vor einigen Jahren abschaffen wollte; und mit dem Fracking-King Harold Hamm als oberstem Energieberater hat sich Trump bereits ein Dreamteam des fossilen Kapitalismus' zusammengestellt. Die nächsten Schritte, so lässt sich erahnen, werden sein: aus dem Pariser Abkommen ausscheren, die Sanktionen gegen Russland beenden, die Arktis für Ölbohrungen öffnen, Obamas Clean Power Act rückgängig machen, den Pipelinebau beschleunigen, die Restriktionen für das Fracking aufheben und die Subventionen erneuerbarer Energien streichen. Im Grunde eine Kriegserklärung an das verletzliche Leben auf unserem Planeten.
Sollte man darauf mit Appeasement antworten? Bei Leuten, die in Kategorien von Sieg, Dominanz und Rache denken? Nein, man kann das fossile Kapital nur sabotieren, seine Lügen aufdecken, es bekämpfen. Und das funktioniert am besten, indem man mit aller Kraft die Wende zu erneuerbaren Energien vorantreibt. Ein solares, solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, aufbauend auf dezentraler Energieversorgung: Das muss nun Europas Trumpf gegen Trump sein.
Für den Alten Kontinent, der seine Rohstoffe bereits weitgehend verfeuert hat, scheint eine solche Energiewende schon aus sicherheitspolitischen Gründen unumgänglich. Denn in einer Welt, die von knapper werdendem Öl abhängig ist, wächst ressourcenreichen Ländern wie es Amerika, Russland, aber auch die arabischen Staaten sind, eine unverhältnismäßig große Machtfülle zu. Wenn diese Länder, wie jetzt Russland und die USA, bereit sind, ihre Macht auszuspielen, kann selbst das einst so mächtige Europa seine liberale Freiheit und seine demokratischen Strukturen verlieren.
Von den Petrodollars lediglich finanziell kolonisiert zu werden, erschiene da noch als Glück; fast als eine schöne Aussicht: Die Ölscheichs werden sich in ganz anderen Größenordnungen als jetzt in Europa einkaufen, auch weil der Klimawandel die Hitze in ihren Länder auf ein unerträgliches Maß steigen lässt. Die Russen schätzen Europa seit je als Einkaufszentrum, und die Amerikaner lieben es als Freilichtmuseum. Womöglich könnte selbst Trumps gefloppte Edel-Airline und sein geschlossenes Onlinereiseportal wieder den Betrieb aufnehmen, um die vermögenden Klimakiller dieser Welt in die firmeneigenen Luxusressorts zu lotsen. Für Trump wären das goldene Zeiten.
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Samstag, 20. Juni 2015

Woody Allen über den Klimawandel

Verzweifeln angesichts des Klimawandels gilt nicht und zum Puritaner muss man deshalb auch nicht werden, das lehrt schon Woody Allen: "In 'Der Stadtneurotiker' hört der junge Alvy Singer auf, seine Hausaufgaben zu machen, weshalb ihn seine Mutter zu einem Psychiater schickt. Es stellt sich heraus, dass Alvy gelesen hat, dass sich das Universum ausdehnt, sodass es eines Tages gewiss auseinanderbrechen wird, und für ihn war das ein Grund, keine Hausaufgaben mehr zu machen: 'Was hat das noch für einen Sinn?' Im Schatten gewaltiger globaler Probleme und gewaltiger globaler Mittel können kleinere Aktionen zum Schutz der Natur bedeutungslos erscheinen. Aber Alvys Mutter will davon nichts hören. 'Du bist hier in Brooklyn!', sagt sie. 'Brooklyn dehnt sich nicht aus!'"

Fund im Perlentaucher