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Dienstag, 3. Juni 2025

Wem gehört der Holocaust?

Avraham Burg

Niemand hat ein Monopol auf den Holocaust

Der frühere britische Premier Edward Heath bemerkte einmal, dass ein Diplomat „eine Person ist, die zweimal nachdenkt, bevor sie nichts sagt". Israels Botschafter Ron Prosor scheint für seine jüngsten Artikel in der israelischen und der deutschen Presse nicht ein einziges Mal nachgedacht zu haben, bevor er eine doppelte Portion an Propaganda und logischen Verzerrungen veröffentlichte. In dieser Zeitung griff er den israelischen Holocaust-Forscher Omri Boehm als „Sprachrohr des Antisemitismus von links" an. In der israelischen Presse ging er noch einen Schritt weiter: Boehm und andere, so Prosors Vorwurf dort, betrieben eine „kulturelle Geiselnahme" am Holocaust, indem sie ihn „in einen universellen Kontext" einbetteten und seiner „jüdischen Züge" beraubten. 

Getarnt mit der Sprache der „Gerechtigkeit", der „Menschenrechte" und der „legitimen Kritik an Israel", werde hier der Holocaust relativiert und Israel als jüdischer Staat delegitimiert. Heute, angesichts des wachsenden Antisemitismus und des verheerenden Krieges in Gaza, müssen wir erkennen: Es ist keine kulturelle Geiselnahme, dem Holocaust eine universelle Bedeutung zuzumessen. Es ist eine vitale Entwicklung des Gedenkens hin zu Verantwortung. Der Horror des 7. Oktobers hat das Trauma Holocaust mit der Gegenwart verbunden und damit eine politische Atmosphäre befeuert, in der für Israel „alles erlaubt ist", um einen weiteren Holocaust an den Juden zu verhindern. Das müssen wir kategorisch zurückweisen. Nichts, was Israel den Palästinensern im vergangenen Jahrhundert zugefügt hat, rechtfertigt die Gräueltaten der Hamas, und nichts, was die Hamas getan hat, rechtfertigt Israels anhaltende Verwüstung im Gazastreifen. Ein Verbrechen wiegt ein anderes nicht auf. Die schrecklichen Taten der Hamas waren kein Holocaust. Und gerade weil wir den Holocaust erfahren haben, müssen wir mehr als alle anderen die ethischen v und rechtlichen Grenzen von Macht und Brutalität verstehen.

Doch stattdessen nutzen zu viele Israelis den Holocaust, um diese Grenzen aufzuheben. Wer die Universalisierung der Lehren aus dem Holocaust als Bedrohung der jüdischen Identität darstellt, verrät eine zentrale jüdische Tradition: Israels Gründer strebten in der Folge der biblischen Propheten eine Gesellschaft an, die von Gerechtigkeit geleitet wird und nicht von Militarismus oder Opferdenken. Prosors Artikel propagieren hingegen eine engstirnige, isolationistische Agenda, die das Gedenken als Waffe einsetzt, um das Unentschuldbare zu entschuldigen. Sich auf den Holocaust zu berufen, um sich gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht zu stellen, ist keine Erinnerung es ist eine Form der Holocaust-Leugnung. Das Argument, dass es die Einzigartigkeit des Holocausts schmälere, wenn seine Lehren verallgemeinert würden, ist eine gefährliche Täuschung. Die Besonderheit des Holocausts des systematischen Völkermords am jüdischen Volk bleibt vollkommen unversehrt, wenn seine Lehren für Juden, Palästinenser und alle Menschen gleichermaßen universell angewendet werden. 

Wenn Prosor diejenigen, die die universelle Bedeutung des Holocausts anerkennen, beschuldigt, ihn seiner jüdischen Züge zu berauben, ist das eine Manipulation, die die Realität auf den Kopf stellt: Die jüdische Zivilisation hat die Menschheit immer wieder in ihren Bann gezogen, nicht aber sich selbst isoliert. Den Holocaust als Ereignis mit universeller Geltung zu verstehen, stärkt seinen Platz in der Geschichte der Menschheit und sichert seine Lehren für zukünftige Generationen. Prosor wirft anderen vor, die Erinnerung an den Holocaust zu politisieren. Doch er verkörpert selbst diesen Missbrauch. Seine Behauptung, die Ausweitung der Bedeutung des Holocausts bedrohe die Legitimität Israels, ist ein intellektueller Bankrott. Und während er den linken Antisemitismus anprangert, verbündet sich seine Regierung mit Figuren wie Marine Le Pen, Viktor Orbán, Matteo Salvini und Geert Wilders und legitimiert sie als Gäste in Yad Vashem. Enge Beziehungen zu Donald Trump und Elon Musk, Unterstützern der AfD, runden diese groteske Allianz ab. 

Sollen diese Leute für uns künftig die Erinnerung an den Holocaust definieren? Für uns, die wir aus Sorge um das Gedeihen Israels seit Monaten davor warnen, dass die Zerstörung des Gazastreifens und des Westjordanlandes untrennbar mit der Gefahr eines inneren Zusammenbruchs moralisch wie politisch verbunden ist? Sollen wir zulassen, dass diejenigen, die Le Pen und die AfD unterstützen, diktieren, dass die Verteidigung der Menschenrechte und des Völkerrechts linker Antisemitismus sind? Können wir diese Leute und ihren Botschafter als selbst ernannte Wächter über die deutsche und israelische Moral akzeptieren? Auf keinen Fall! Die Erinnerung an den Holocaust ist nicht das Privateigentum einer Gruppe. Sie ist ein lebendiges, sich entwickelndes Erbe. Im Laufe der Zeit muss die Erinnerung wachsen und für jede neue Generation Relevanz gewinnen. In einer Zeit des wiederauflebenden Antisemitismus ist die Monopolisierung des Holocausts kein Schutz sie ist Verrat. Seine Einzigartigkeit muss bewahrt werden, die Lehren aber müssen universell gelten. Nur so stellen wir sicher, dass niemand vergisst. 

Der Autor war Präsident der israelischen Knesset.                  

Samstag, 24. Mai 2025

Höre Israel!

 Elfriede Jelinek

Auf ihrer Website hat sie am 2.April 2025 folgenden Text veröffentlicht:

"Höre, Israel!
Ich versuche das für mich große Wagnis, an Stelle eines reflexhaften und auch ausgehöhlten, formelhaften Kampfs gegen Antisemitismus, der jedoch leider immer noch sehr nötig ist, alle Opfer des Gazakrieges in den Blick zu nehmen. Ich versuche es, hier, es ist ja nur geschrieben, Geschriebenes tut niemandem weh:
Schmerz verheißen dagegen breitbeinige Herrenmenschen in palästinensischen Siedlungen, mehr Einschüchterung geht von keinem Körper aus, der irgendwo steht, doch dieser Körper steht im Irgendwo, in fremdem Leben, auf fremdem Grund.
Wir aber hangeln uns von einer Antifaschismus-Demo zur nächsten, schleppen uns im Chor der Gleichgesinnten, die nur auf Gutes sinnen, über die Straßen. Von irgendwoher schreit eine Gegendemonstration, aber wir stehen bomben-fest auf unserer anständigen Gesinnung, die ausnahmsweise wirklich anständig ist, sich nicht nur als solche herausgeputzt hat. Wir meinen es ernst und ehrlich, wir meinen es gut mit allen Seiten, aber mit einer etwas mehr, sehr viel mehr. Israel muß leben, die Palästinenser soll man aber auch leben lassen. Haben wir nicht große Opfer aufeinandergehäuft, indem wir große Teile der europäischen Judenheit (na ja, es waren unsere Eltern und Großeltern, die das getan haben, doch wir nehmen sie auf uns, vor Rechtschaffenheit in diesem kollektiven schuldhaften Wir) vernichtet haben wie Ungeziefer? Wir stehen zurecht da, auf sicherem Grund, den wir uns aber durch kein Opfer verdient haben, den uns aber auch niemand streitig macht, sonst würden wir nicht immer wieder und zu Recht, es ist unsere Pflicht! aufstehen gegen Rechts und Antisemitismus, wir sind dabei! Wir sind da immer dabei, wie die lieben Soletti-Salzstangerln!
Dienen sollen diesem edlen Ziele andre, wir sind ja nicht dort, sondern hier, und zahlen sollen sie auch noch, mit der Zerstörung ihrer Häuser, der Schleifung ihrer Siedlungen, dem Tod von Zehntausenden, mehrheitlich Frauen und Kindern. Für unsere philosemitische Symbolpolitik, in der wir uns wohlig einrichten, wir sind ja die Guten, ist das ganz schön viel Arbeit. Zum Glück müssen wir sie nicht machen. Immer andere müssen es machen.
Doch der moralische Schutzwall, den wir, um unserer, der Nachgeborenen Rechtschaffenheit auch ordentlich zu beweisen (und uns bequem darin zu suhlen, gestorben wird ja woanders), errichtet und, wenn es um nichts geht, für uns geht es ja auch um nichts!, schön geschmückt und mit unserem Eifer bemalt haben, dieser Wall muß teuer bezahlt werden: Siedlerkolonialismus unter Mißachtung von Völkerrecht und Menschenrechten, ethnische Säuberung für ein gelobtes Land, das allen Juden gehört, ja, allen, aber sonst niemandem, egal, wer vorher dort gelebt hat. Die noch da sind, müssen alle weg. Die jetzt noch woanders sind, sollen kommen. Sie allein gehören dort hin, sonst niemand, höre, Israel! Du bist Alleinherr! Der Ewige, unser Gott, ist eins. Wir sind uns doch einig? Nur einer, nur unsrer soll es sein, und hier in diesem geschundenen Land soll er wohnen.
Israel ist, verglichen mit den arabischen Despotien, ein demokratisches Land mit freien Wahlen, und die Politik eines verbrecherischen Bibi (was für ein netter Kosename!) Netanyahu wird wohl nirgends so bekämpft wie in Israel selbst, von Demokraten, die gegen diese rechtsextreme Regierung aufstehen, immer wieder. Und nur diese Menschen, die da auch über die Straßen ziehen, wie wir, haben das Wohl der Geiseln im Auge, die es ja noch gibt, wer weiß, ob sie noch leben. Hauptsache, Bibi sitzt fest im Sattel!
Doch der Inhalt einer einzigen Internetausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz reicht aus, um den Bogen von den historischen Plänen zur Annexion Gazas (unter "Ausdünnung" seiner Bevölkerung) nach dem Sechstagekrieg, die jetzt, zum heuchlerischen Erstaunen der Öffentlichkeit, Realität zu werden drohen, bis zu den Vertreibungsphantasien und der entsprechenden Kriegsführung der Regierung Netanyahu zu spannen.
Und dazu die faktisch bedingungslose Israel-Solidarität Deutschlands und Österreichs, der ehemaligen Täterländer, die aber mit immer größer werdenden wirtschaftlichen Interessen auftreten (Kurz-und-Klein-Schlagen nehmen die Profiteure in Kauf, sie müssen ja nicht um Boden kämpfen, der Boden wird ihnen schon fertig aufbereitet und serviert für ihre Geschäfte und die andrer. Irgendwann werden hier Luxushotels stehen! Wer könnte das nicht wollen!). Die von den Nazis zerstörten Leben der europäischen Juden werden als neue Währung auf den Tisch der Geschichte geworfen, diesmal zahlen andre, darunter eine Unzahl genauso Unschuldiger. Hören Sie: Nicht alle Palästinenser sind Hamas-Sympathisanten, nicht alle Palästinenser setzen auf einen Terror, der ja auch gegen sie ausgeübt wird.
Die faktisch bedingungslose Solidarität mit Israel als Doktrin der Außenpolitik unserer Länder, die zur Staatsräson erklärt wurde, das ist aus dem berühmten, aber leeren "Nie Wieder" geworden, eine leere Schrapnellhülle, ein mit Bombenteppichen belegter Boden, auf dem nichts mehr wächst und nichts mehr aufsteht, aber unseren rechtschaffenen Bürgern, die auf der richtigen Seite sind, wie immer, die Füße wärmt.
Wir, die es wagen, sowas und ähnliches zu schreiben, sollten uns, an Stelle einer nur reflexhaften, geschichtsgeblendeten und unreflektierten "proisraelischen" Position der Politik und Öffentlichkeit unserer Länder, besser an der Seite der verzweifelten Bemühungen israelischer Menschenrechtsgruppen wie z.B., des israelischen Informationszentrums für Menschenrechte in den besetzten Gebieten stellen, die unausgesetzt ignoriert oder desavouiert werden.
Bis auch noch die letzte Geisel tot ist. Von den immer noch schmachtenden Geiseln ist nämlich immer weniger die Rede, als hätten sie sich alle in Luft aufgelöst. Wie die europäische Judenheit im Rauch der Konzentrationslager. In der Vergangenheit haben immer wieder Politiker (Kreisky, Brandt und wenige andre) versucht, dieser geschundenen Region Frieden zu verschaffen. Dem Frieden dienen wir derzeit nicht.
Der ist offenbar derzeit nicht zu schaffen ohne Waffen. Aber Frieden wird er sich dann nicht mehr nennen dürfen. Er muß aber zu schaffen sein, endlich ohne Waffen."
Veröffentlicht am 02.04.2025 auf elfriedejelinek.com

Donnerstag, 27. März 2025

Nie wieder / Gazakrieg

 

Omri Boehm 

 

„Nie wieder“ gilt längst. Der Humanismus der Nachkriegsordnung steht auf dem Prüfstand: Zum Streit um die Völkermordvorwürfe im Gazakrieg

Die Debatte über den gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords und der „crimes against humanity“ findet langsam Eingang in den hebräischen Diskurs. In den Vereinigten Staaten und Europa begann sie vor mehr als einem Jahr, als in Gaza mehrere Wochen lang etwa alle sechs Minuten rund um die Uhr eine Frau und ein Kind getötet wurden, während führende israelische Politiker davon sprachen, „Amaleks Saat auszurotten“. Die derzeitige Wiederaufnahme massiver Bombenangriffe, die Itamar Ben Gvirs Wiedereintritt in Benjamin Netanjahus Kabinett möglich gemacht hat und mit dem Übergang in eine voll ausgebrochene Verfassungskrise einhergeht, wird die Anschuldigungen zwangsläufig intensivieren. Donald Trumps hartnäckig verfolgter Plan, die Palästinenser aus Gaza auszusiedeln – zuletzt hieß es, in den Sudan – wird diese Diskussion mit Sicherheit noch beschleunigen. Es ist ein Plan ethnischer Säuberung oder, anders gesagt, eine offene Aufforderung zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf die Debatte zurückzublicken, die in der Zeitung „Haaretz“ zwischen den Professoren Shlomo Zand, Amos Goldberg, Daniel Blatman und Benny Morris geführt wurde. Zand räumte ein, dass in Gaza „fast jeden Tag […] grauenhafte Kriegsverbrechen“ begangen werden, beklagt jedoch, dass die Verwendung des Ausdrucks „Genozid“ nur im israelischen Kontext zu einem weltweiten Trend geworden sei. Während die Hutu in Ruanda in den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts „jeden Tutsi töteten, den sie finden konnten“, und „fast eine Million Menschen ermordet wurden“, habe die Welt aus irgendeinem Grund auf Israels Krieg in Gaza warten müssen, bevor der Ausdruck „Genozid“ eine modische Popularität erlangte. Ganz ähnlich argumentierte Eva Illouz in einem Gastbeitrag der „Süddeutschen Zeitung“, in dem sie zu dem Schluss gelangte, der Vorwurf sei „historisch falsch, unehrlich und antisemitisch“.

Goldberg und Blatman erklärten dagegen, dass die Anschuldigung zutreffe. Sie räumten ein, dass der Begriff zwar juristische Probleme aufwerfe (zum Beispiel setze er eine genozidale Absicht voraus), merkten jedoch an, die Beweisanforderungen seien hier so hoch, dass sie die Funktion des Gesetzes praktisch zunichte machten. Die israelische Führung und hohe Offiziere der israelischen Verteidigungsstreitkräfte hätten wiederholt Äußerungen getan, die eine genozidale Absicht nahelegten, und die Logik der Kriegführung durch die IDF habe de facto „alle Bewohner Gazas zu legitimen Angriffszielen“ gemacht. Omer Bartov argumentierte kürzlich im „Spiegel“ ganz ähnlich, während Benny Morris in „Haaretz“ entgegnete, Israel begehe zwar noch keinen Völkermord, doch „die Herzen“ würden „bereits vorbereitet“ auf ethnische Säuberungen und einen Genozid, die nicht nur Gaza, sondern auch die Westbank erfassen sollten. 

Dies ist der erste Schusswechsel in einer Debatte, die wahrscheinlich zu den wichtigsten jemals in hebräischer Sprache geführten Debatten gehören wird. Sie wird Israel jahrelang nachgehen, und während sich das Geschehen noch entfaltet, ist es nicht zu früh, es aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Auf der einen Seite ist die von Zand und Illouz vorgebrachte These im Lichte der Tatsachen vor Ort, die auf eine systematische und absichtliche Zerstörung der Lebensbedingungen in Gaza hinweisen, kaum zu akzeptieren. Außerdem empfiehlt sich hier ein Blick auf den historischen Kontext. Das Ende des Projekts einer Zweistaatenlösung hat eine Situation geschaffen, in der nicht die Hamas, sondern das gesamte palästinensische Volk – das in den von Israel kontrollierten Gebieten die Mehrheit stellt – als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Nach Jahrzehnten, in denen keine Aussicht auf eine nachhaltige Trennung geboten und kein alternatives Programm für eine Koexistenz zwischen Juden und Palästinensern aufgegriffen wurde, entwickelt sich in dem Gebiet die Nullsummenlogik eines unbegrenzten Krieges – zwischen Völkern und nicht zwischen Kombattanten. Solch eine Logik führt zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu ethnischen Säuberungen und zu Völkermord.

Das Völkerrecht soll zunächst einmal verhindern, dass diese Logik sich überhaupt erst entwickelt, und wenn sie sich bereits entwickelt hat, soll es dem Staat sein angebliches souveränes Recht nehmen, ihr bis in ihre letzten entsetzlichen Konsequenzen zu folgen. Das ist die einzigartige Funktion von Begriffen wie „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Unterschied zu „bloßen“ Kriegsverbrechen. Wie wir noch sehen werden, liegt genau hier jedoch der problematische Charakter dieser Begriffe. Denn gerade um die Autorität von rechtlichen Kategorien wie Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewahren, muss die Kritik an deren mancherorts modischer Verwendung ernstgenommen werden.

Ein Ursprung des Völkerrechts liegt in Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“. Darin argumentierte Kant, auch wenn jeder Krieg „barbarisch“ sei, gebe es doch Handlungen, die in bewaffneten Konflikten nicht zugelassen werden dürften, weil sie am Ende die Möglichkeit von Frieden untergrüben. Kant sah voraus, dass solche Handlungen notwendig zu einem „Ausrottungskrieg“ führen müssten, und verlangte daher ein gesetzliches Verbot. „Zum ewigen Frieden“ erschien 1795, doch die dort formulierten Grundsätze wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die Grausamkeiten des Holocaust ins Völkerrecht aufgenommen. Die darin enthaltene Innovation reichte viel tiefer als ein Verbot von Massenmord. Die wirkliche Errungenschaft lag in der Übernahme des kosmopolitischen Humanismus, der behauptet, dass jeder Mensch als solcher Rechte besitzt.

Kosmopolitismus ist hier keine Metapher: Jede Person steht danach nicht nur als Bürger oder Bürgerin eines Staates unter dem Schutz des Rechts, sondern wird, falls nötig, auch vor dem Staat geschützt, insbesondere dann, wenn sie die betreffende Staatsbürgerschaft gar nicht besitzt. Der internationalen Gemeinschaft obliegt eine rechtliche Verpflichtung, sie zu schützen, und diese Pflicht basiert in erster Linie auf einer moralischen Verpflichtung gegenüber der Menschheit – nicht auf internationalen Verträgen oder zwischenstaatlichen Abmachungen. Man hat fast schon wieder vergessen, wie epochemachend die Verankerung dieser Pflicht war; zu leicht übersieht man, dass sie der gewichtigste Versuch war, das „Nie wieder“ der menschlichen Existenz einzuschreiben.

Das Schicksal dieser fragilen Errungenschaft steht nun im Gazakrieg auf dem Spiel. Nicht weil dies der größte aktuelle Konflikt wäre, sondern weil er der Konflikt ist, der die Möglichkeit einer rechtlichen Weltgemeinschaft ohne geteilte Vergangenheit infrage stellt. Auch weil er die Entschlossenheit der europäischen Demokratien zur Aufrechterhaltung des Völkerrechts einer Probe aussetzt – zu einer Zeit, da eine neue Epoche zu beginnen scheint. Europa ist gezwungen, seine militärischen Möglichkeiten zu überdenken und „den Westen“ neu zu definieren, der populistische Nationalismus ist auf dem Vormarsch, und der Klimawandel lässt neue gewaltsame globale Herausforderungen erwarten.

Von Carl Schmitt stammt die gewichtigste Kritik an der humanistisch-kosmopolitischen Tradition. Er warnte, während Begriffe wie der des Völkermords oder des Verbrechens gegen die Menschheit vorgäben, die Möglichkeit des Friedens zu sichern, bewirkten sie in Wirklichkeit doch das genaue Gegenteil. Der Begriff „Menschheit“ sei vielmehr ein ideologisches Instrument, das es erlaube, diesen „universalen Begriff zu okkupieren“, um ihn „für sich zu vindizieren und dem Feinde abzusprechen“. Ist dein Feind erst einmal als „Feind der Menschheit“, als völkermörderisches „Böses“, identifiziert, werde der zu dessen Vernichtung geführte totale Krieg als gerechtfertigt angesehen. Durch die Gründung des Völkerrechts in Kants universellem Humanismus würden daher politisch-ideologische Konflikte zu Kriegen zwischen „Gut“ und „Böse“, die den Feind zu einem „unmenschlichen Scheusal“ machten, „das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden“ müsse. 

Dieses Argument enthält einen wahren Kern und wird heute sowohl in konservativen als auch in postkolonialen Kreisen gern übernommen, denn beide verbindet der Verdacht gegen den Begriff der Menschheit. Postkoloniale Autoren warnen, das Völkerrecht und dessen Ursprung im Humanismus der Aufklärung könnten als eine westliche, neokoloniale Ideologie funktionieren, die indigene Nationen als „Barbaren“ darstelle, vor allem wenn sie mit Gewalt für ihre Befreiung kämpfen. Hier ist jedoch anzumerken, dass diese Schmitt’sche Position beschränkt und irreführend ist. Kategorien wie „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verankern das Völkerrecht in moralisch aufgeladenen Verpflichtungen, die jenseits staatlicher Souveränität liegen, haben jedoch die Funktion, gewaltsame ideologische Kämpfe aus dem moralischen Bereich in das strenge Gebiet des Rechts zu verlegen. Jürgen Habermas begegnete Schmitts Argumentation zu Recht mit der Feststellung, dass dessen Position „ins Leere“ laufe. Letztlich verwandle das Völkerrecht die Doktrin der „gerechten und ungerechten Kriege“, die möglicherweise einen moralischen Fundamentalismus erlaube, in den Rahmen der „legalen und illegalen Kriege“, der genau das verhindern solle. 

Das ist die feine Unterscheidung, an der wir heute festhalten müssen. Einerseits müssen Institutionen des Völkerrechts eingreifen, um Verbrechen zu verhindern, die begangen wurden und sich im Zuge der Logik des unbegrenzten Krieges in der Region weiter entfalten werden – einschließlich solcher Vorhaben, wie sie der US-Präsident ins Spiel gebracht hat, und der gegenwärtigen Einfuhr von Gazamethoden ins Westjordanland. Solche Planspiele können nach der Zerstörung Gazas aufkommen, weil das Völkerrecht jahrzehntelang nicht durchgesetzt wurde – ein Versagen, das, wie wir heute wissen, nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die Möglichkeit von Frieden unterminiert. Aber gerade deshalb, nämlich weil die Region rasch in eine Logik des unbegrenzten Krieges abgleitet, ist es nur um so gefährlicher, Kategorien wie „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als ideologische Waffen einzusetzen, die eine Verschärfung des Krieges rechtfertigen, statt als ein Instrument, das zu dessen Verhinderung dient.

In dieser Hinsicht haben alle Seiten restlos versagt. Auf israelischer Seite zeigt sich die Tendenz deutlich nicht nur bei Sprechern wie Yoav Galant („Wir kämpfen gegen Tiere in Menschengestalt und handeln entsprechend“) oder Yair Golan („Wir dürfen humanitäre Bemühungen […] von unserer Seite aus nicht zulassen, sie sollen verhungern“), und das zum Teil deshalb, weil weder Golan noch Galant im Verdacht stehen, humanitär gesinnt zu sein. Anders David Grossman. Dieser sagte am 14. Dezember, als er in Deutschland mit dem Heine-Preis ausgezeichnet wurde: „In meinem Buch ‚Stichwort: Liebe‘ beschrieb ich einen Nazioffizier. Ich hatte viel Mühe mit dieser Figur, aber ich wollte verstehen, wie ein normaler, vernünftiger Mensch zu einem Nazi wird . . . Aber ein Hamas-Mörder, der am 7. Oktober schwangeren Frauen den Bauch aufschlitzte und Babys tötete, hat sich in meinen Augen selbst außerhalb der Menschheit gestellt.“ 

Viele Fragen, die sich aus der Lektüre dieser Zeilen ergeben, können wir hier beiseitelassen. Grossman gilt zu Recht als ein Kompass für israelische Humanität. Tatsächlich gehört es zu seinen Verdiensten, dass er die Nazis nicht als Monster, sondern als menschliche Verbrecher darstellte. Und doch gerade aus derselben Perspektive, als jemand, dem nichts Menschliches fremd ist, schließt er die Hamas-Täter aus dem Kreis der Menschheit aus. Die schwer erkämpfte Errungenschaft, Nazis als menschliche Verbrecher zu bestrafen und abzuurteilen, die untrennbar von der kosmopolitischen Pflicht ist, alle Menschen als Menschen zu verteidigen, sollte nicht benutzt werden, um Hamas-Mörder aus dem Kreis der Menschheit auszuschließen. Es ist schwer, das Versagen der israelischen Linken beim Widerstand gegen die Verbrechen ihres Staates in Gaza von dem Hang zu trennen, die Hamas als einen mythischen Feind zu behandeln, der aus dem Wurzelgrund der Gesellschaft herausgerissen werden muss, die ihn unterstützt. 

Ein weiteres Beispiel findet sich in einem einflussreichen Artikel von David Enoch und Barak Medina, Professoren für Philosophie und Rechtswissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem und der Universität Oxford. Die beiden behaupteten im Oktober 2023, da die Hamas wiederholt „schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen habe und aller Voraussicht nach auch weiterhin begehen werde, rechtfertige die Gefahr, die sie darstelle, „zu deren Abwehr Versuche, jeden zu töten, der direkt oder indirekt mit der Organisation verbunden ist“. Hier muss betont werden, dass die Hamas nicht nur Kombattanten einschließt, sondern auch Hochschullehrer, Sozialarbeiter, religiöse Führer und Leiter von Krankenhäusern – und solche Personen gelten nicht als legale militärische Ziele. Man muss außerdem fragen, wer denn indirekt mit der Hamas verbunden ist. Die Antwort ist vage und könnte letztlich fast die gesamte Bevölkerung Gazas umfassen. Mit anderen Worten, unter der korrekten Prämisse, dass die Hamas schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, gelangten Enoch und Medina im Wesentlichen zu dem Schluss, dass es möglich ist, die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten fallenzulassen – ebenjene Unterscheidung, die in das Recht aufgenommen wurde, um unbegrenzte Kriege zu verhindern.

Um die Bedeutung dieser Argumentation zu verstehen, könnte es nützlich sein, sich einmal vorzustellen, das Argument in die Gegenrichtung zu wenden: dass die IDF wiederholt „schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen habe und die Gefahr groß genug sei, um den Versuch zu rechtfertigen, „jeden zu töten, der direkt oder indirekt mit den IDF verbunden ist“. Der erste Teil der Aussage ist unglücklicherweise plausibel, doch der entsetzliche Schluss würde viele Nichtkombattanten und israelische Zivilisten zu legitimen Zielen machen.

Das Problem ist, dass diese Logik unter Kritikern Israels Gemeingut geworden ist. Andreas Malm, eine bekannte Autorität auf dem Gebiet der globalen Erwärmung, behauptet heute: „Die Zerstörung Gazas ist die Zerstörung der Welt.“ Er beginnt seine Analyse mit der Feststellung: „Das zweite, was wir nach dem 7. Oktober dachten, war: Sie werden Gaza zerstören. Sie werden jeden töten. Das erste, was wir in diesen frühen Stunden zum Ausdruck brachten, waren nicht Worte, sondern Freudenschreie.“ Der „zionistische Völkermord“ in Gaza wird als Inbegriff der vom Westen betriebenen Zerstörung nicht der Menschheit, sondern „der Welt“ dargestellt. Jeder, der Vorwürfe von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschheit auf rechtlicher und tatsächlicher Grundlage erörtern möchte, muss solche Argumente mit Abscheu zurückweisen.

Es ist notwendig geworden, das zu tun. Wer die böse begriffliche Verbindung toleriert, die manche hergestellt haben zwischen rechtlichen Begriffen und der Entmenschlichung der israelischen Gesellschaft, bis hin zur Rechtfertigung der Verbrechen der Hamas, unterminiert zwangsläufig die Legitimität des internationalen Rechts. Es ist kein Zufall, dass jene, die den Begriff „Genozid“ erstmals einsetzten – und jene, die ihn vermeiden, als „Genozidleugner“ bezeichneten –, dieselben waren wie jene, die „Freudenschreie“ ausstießen oder die Verbrechen tolerierten.

Das Problem war nicht, dass Kontext einbezogen wurde; der Kontext musste einbezogen werden. Das Problem war die Behauptung, dass im „kolonialen“ Kontext, der wesensmäßig genozidal sei, die Unterscheidung zwischen israelischen Kombattanten und Zivilisten das Widerstandsrecht der Palästinenser unzulässig beschränke. Die Logik solcher Kritik an Israel soll nicht auf dem Weg zum Beispiel einer Verfassungsrevision zu einer aus zwei Staaten bestehenden Föderation zwischen Fluss und Meer führen, sondern zielt auf das genaue Gegenteil ab: eine Rechtfertigung der Idee, dass eine nationale Selbstbestimmung der Juden genozidal sei und deshalb aus der Welt verschwinden müsse. Wir müssen der Neigung widerstehen, auf eine Entmenschlichung von Palästinensern mit der Entmenschlichung von Israelis zu antworten.

Wenn ich mich nicht täusche, erkannte Habermas diese Gefahr. Das mag die Stellungnahme erklären, die er im vergangenen Jahr abgab. Darin schrieb er gemeinsam mit Kollegen: „Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.“ Man kann vielleicht aus der oben erwähnten Antwort von Habermas auf Schmitt einen Grund für diese Stellungnahme erschließen: die Furcht, dass Schmitts Warnung vor einer moralisch-ideologischen Verwendung der Begriffe „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Völkermord“ sich nun in einer fürchterlichen Ironie gegen Israelis richtet, die als „Feinde der Menschheit“ (oder nach Malm „der Welt“) dargestellt werden. Doch zumindest seit der Internationale Gerichtshof in Den Haag die von Südafrika eingebrachte Völkermordklage als „plausibel“ einstufte und Israel auf der Grundlage der Konvention über die Verhinderung und Bestrafung des Völkermordes dringlich zu gesetzlicher Abhilfe aufforderte, befindet sich die Stellungnahme von Habermas auf Kollisionskurs mit den Beurteilungsmaßstäben des Internationalen Gerichtshofs.

Der Schutz des Nachkriegsprojekts des kosmopolitischen Rechts verlangt eine andere Antwort: Benutzt Kategorien des Völkerrechts als juristische Begriffe, und zwar in scharfer Abgrenzung von einer moralischen und ideologischen Verwendung. Hier liegt auch der Schlüssel für die Position, die wir als Israelis zusammen mit unseren palästinensischen Freunden dringend einnehmen müssen, während unaussprechliche Verbrechen gegen Palästinenser begangen und Vorschläge zu ethnischen Säuberungen gebilligt werden, die Gewalt sich auch auf die Westbank ausweitet und die Gerichte – die in jedem Fall beim Schutz der Palästinenser versagt haben – unter beispiellosem Beschuss stehen. Erstens, sprecht als Bürgerinnen und Bürger, die palästinensische und israelische Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen schützen wollen, und fordert in diesem Namen eine Stärkung des Völkerrechts.

Dadurch werden wir nicht nur die Maßnahmen ergreifen, die jetzt notwendig sind, um das Schlimmste zu verhindern, während die Bombenangriffe wieder aufgenommen werden und Trump eine Koalition aus Netanjahu und Ben-Gvir unterstützt. Wir machen auf diese Weise auch den ersten Schritt zur Überquerung eines Rubikon, indem wir die Perspektive wechseln und uns dafür entscheiden, alle Menschen im Gebiet zwischen Fluss und Meer zu schützen. Ein solcher gemeinsamer israelisch-palästinensischer Schritt weist den Weg zu dem für Frieden und Rechtsstaatlichkeit wesentlichen Wiederaufbau nach Maßgabe des schwer zu realisierenden Ideals einer (Kon-)Föderation – und nicht des Die-hard-Schutzes nationaler Souveränität unter dem Banner vermeintlicher Trennung, das uns dorthin geführt hat, wo wir heute sind. Es ist wahr, dass die Kohärenz des kosmopolitischen Projekts der Nachkriegszeit auf den Prüfstand gestellt wird durch das Beispiel, das in der Welt nach Gaza gesetzt wird. Umso mehr gilt es heute, die Errungenschaft eines im Humanismus verankerten Rechts weiter zu verteidigen und jene Kräfte zu bekämpfen, die bereits jetzt einen unbegrenzten Krieg heraufgeführt haben. Dieses Recht darf keine Waffe in ihren Händen sein.

Donnerstag, 30. November 2023

Grundsätze der Solidarität

Die derzeitige Situation, die durch den an Grausamkeit nicht zu überbietenden Angriff der Hamas und Israels Reaktion darauf geschaffen wurde, hat zu einer Kaskade von moralisch-politischen Stellungnahmen und Demonstrationen geführt. Wir sind der Auffassung, dass bei all den widerstreitenden Sichtweisen, die geäußert werden, einige Grundsätze festzuhalten sind, die nicht bestritten werden sollten. Sie liegen der recht verstandenen Solidarität mit Israel und Jüdinnen und Juden in Deutschland zugrunde.

Das Massaker der Hamas in der erklärten Absicht, jüdisches Leben generell zu vernichten, hat Israel zu einem Gegenschlag veranlasst. Wie dieser prinzipiell gerechtfertigte Gegenschlag geführt wird, wird kontrovers diskutiert; Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden müssen dabei leitend sein. Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.

Insbesondere rechtfertigt das Vorgehen Israels in keiner Weise antisemitische Reaktionen, erst recht nicht in Deutschland. Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Drohungen gegen Leib und Leben ausgesetzt sind und vor physischer Gewalt auf der Straße Angst haben müssen. Mit dem demokratischen, an der Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde orientierten Selbstverständnis der Bundesrepublik verbindet sich eine politische Kultur, für die im Lichte der Massenverbrechen der NS-Zeit jüdisches Leben und das Existenzrecht Israels zentrale, besonders schützenswerte Elemente sind. Das Bekenntnis dazu ist für unser politisches Zusammenleben fundamental. Die elementaren Rechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit sowie auf Schutz vor rassistischer Diffamierung sind unteilbar und gelten gleichermaßen für alle. Daran müssen sich auch diejenigen in unserem Land halten, die antisemitische Affekte und Überzeugungen hinter allerlei Vorwänden kultiviert haben und jetzt eine willkommene Gelegenheit sehen, sie ungehemmt auszusprechen.

Nicole Deitelhoff, Rainer Forst, Klaus Günther und Jürgen Habermas

7. Oktober ist nicht der Beginn der Geschichte der Gewalt

Philosophin Judith Butler spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über moralische Argumente in Bezug auf den Nahost-Konflikt und warum die Hamas bestraft und Israels Krieg verurteilt werden muss.

Judith Butler ist weltweit eine der bekanntesten Persönlichkeiten im Feld der Philosophie. In Deutschland gibt es eine breite Anhängerschaft besonders unter Studierenden, das belegt der Zuspruch bei ihren Auftritten an deutschen Universitäten. Aufgrund ihrer Haltung zu Israel ist Judith Butler aber in den letzten Jahren in die Kritik geraten, besonders in Deutschland. Gestern erklärte sie daher in einigen kurzen Statements für die Wochenzeitung „Die Zeit“, dass sie Angst habe, sich in Deutschland öffentlich zu zeigen, da sie massiv bedroht werde.

Sie ist Mitunterzeichnerin des Briefes „Philosophy for Palestine“, der aufgrund einer mangelnden Inblicknahme des Terroranschlags der Hamas am 7. Oktober kritisiert worden ist. Unter anderem kritisierte die Politologin Sheyla Benhabib den offenen Brief in scharfer Form. Wir hatten die Gelegenheit, Judith Butler einige Fragen zu stellen, um ihre Position, die genau wie die der anderen Interviewpartner:innen nicht die Position der Frankfurter Rundschau wiedergibt, darzustellen, so dass die Leserschaft sich selbst ein Urteil über den komplexen Sachverhalt bilden kann.

Philosophin Judith Butler im Interview – „7. Oktober ist nicht der Beginn der Geschichte der Gewalt“

Professor Butler, wie bewerten Sie den Terrorangriff der Hamas auf Israel und die israelische Reaktion im Gazastreifen?

Ein Grund, warum es für mich schwierig ist, der deutschen Presse Interviews zu geben, ist, dass es nicht viele gemeinsame Annahmen zwischen dem deutschen Diskurs und dem Rest der internationalen Gemeinschaft gibt. Viele Deutsche reagieren reflexartig, indem sie Israel bedingungslos unterstützen, aus Angst, dass jede Kritik ein Zeichen von Antisemitismus sein könnte. Weil es wichtig ist, seine Unterstützung für Israel zu signalisieren, stellt man sich die Frage: Wer ist schuld? Und dann muss die Antwort lauten: die eine oder die andere Partei. Wenn man sich für die eine Seite entscheidet, ist man ein Antisemit, wenn man sich für die andere Seite entscheidet, hat man sich erfolgreich gegen den Vorwurf des Antisemitismus gewehrt.

Bei allem Respekt möchte ich also darauf hinweisen, dass wir, wenn wir fragen, wer die Schuld trägt, alle Schäden und alle Akteure benennen müssen, auch wenn die Schäden nicht alle gleich sind, auch wenn nicht alle Akteure die gleiche Macht ausüben.

Das heißt?

Die an der israelischen Zivilbevölkerung begangenen Gräueltaten waren entsetzlich und können weder hingenommen noch rationalisiert werden. Aber wenn wir uns für die Gründe interessieren, warum es zu dieser Gewalt kam, sollten wir in der Lage sein, die Geschichte zu rekonstruieren, um sie besser zu verstehen. Historisch zu verstehen, warum es zu dieser Gewalt kam, ist nicht gleichbedeutend mit der Billigung von Gewalt. Eine Geschichte darzustellen und ein moralisches Urteil zu fällen, ist nicht dasselbe.

Wenn wir aber sagen, dass wir nur ein moralisches Urteil wollen und dass die Geschichte in dieser Angelegenheit nicht wichtig ist, dann haben wir eine Entscheidung getroffen, unsere Welt und ihre Entstehung nicht zu verstehen. Das ist eine gefährliche Entscheidung, wenn Unwissenheit und Slogans an die Stelle von historischen Untersuchungen und klaren moralischen Argumenten treten. So wie Sie diese Frage stellen, beginnt das Ereignis am 7. Oktober. Aber der 7. Oktober ist nicht der Beginn der Geschichte der Gewalt.

Sondern?

Wenn wir nur daran interessiert sind, zu klären, wer für die Anschläge am 7. Oktober verantwortlich ist, dann beginnen wir die Geschichte an diesem Tag. Wenn wir aber verstehen wollen, wie es zu diesen Anschlägen kam, dann müssen wir viel früher mit der historischen Erklärung beginnen. In der Tat müssten wir die letzten 75 Jahre verstehen, die Nakba, den Verrat an den Palästinensern durch das Oslo-Abkommen, die Geschichte der Bombardierungen des Gazastreifens und die Gewalt der Siedler gegen palästinensische Dörfer. Jetzt, wo ich diese Liste anbiete, könnte man sagen: Siehst du, Butler rechtfertigt die Gewalt, aber nein, ich versuche, eine Geschichte zu kontextualisieren, die nicht am 7. Oktober beginnt. Wenn wir wissen wollen, wer für den 7. Oktober verantwortlich ist, dann nennen wir die Hamas.

Wenn wir wissen wollen, was die Gewalt in der Region reproduziert, um der Gewalt endgültig Einhalt zu gebieten, dann müssen wir mit den Historikern zusammenarbeiten, um die selbsternannte Kolonisierung dieser Länder durch die politischen Zionisten, die Bedingungen, unter denen der Staat Israel gegründet wurde, und die Geschichte der Enteignung, Entrechtung, Inhaftierung, Belagerung und Bombardierung zu verstehen. Wenn wir Frieden für die Region und eine Zukunft anstreben, in der alle Bewohner des Landes unter Bedingungen der Gleichheit und Freiheit leben, dann müssen wir gemeinsam neu darüber nachdenken, wie sich Staatsgebilde im Laufe der Zeit verändern können und sollten.

Mittwoch, 29. November 2023

The Compass of Mourning

 Judith Butler: The Compass of Mourning

The matters most in need of public discussion, the ones that most urgently need to be discussed, are those that are difficult to discuss within the frameworks now available to us. Although one wishes to go directly to the matter at hand, one bumps up against the limits of a framework that makes it nearly impossible to say what one has to say. I want to speak about the violence, the present violence, the history of violence and its many forms. But if one wishes to document violence, which means understanding the massive bombardment and killings in Israel by Hamas as part of that history, one can be accused of ‘relativising’ or ‘contextualisation’. We are to condemn or approve, and that makes sense, but is that all that is ethically required of us? In fact, I do condemn without qualification the violence committed by Hamas. This was a terrifying and revolting massacre. That was my primary reaction, and it endures. But there are other reactions as well.
 

Almost immediately, people want to know what ‘side’ you are on, and clearly the only possible response to such killings is unequivocal condemnation. But why is it we sometimes think that asking whether we are using the right language or if we have a good understanding of the historical situation would stand in the way of strong moral condemnation? Is it really relativising to ask what precisely we are condemning, what the reach of that condemnation should be, and how best to describe the political formation, or formations, we oppose? It would be odd to oppose something without understanding it or without describing it well. It would be especially odd to believe that condemnation requires a refusal to understand, for fear that knowledge can only serve a relativising function and undermine our capacity to judge. And what if it is morally imperative to extend our condemnation to crimes just as appalling as the ones repeatedly foregrounded by the media? When and where does our condemnation begin and end? Do we not need a critical and informed assessment of the situation to accompany moral and political condemnation, without fearing that to become knowledgeable will turn us, in the eyes of others, into moral failures complicitous in hideous crimes?
 

There are those who do use the history of Israeli violence in the region to exonerate Hamas, but they use a corrupt form of moral reasoning to accomplish that goal. Let’s be clear, Israeli violence against Palestinians is overwhelming: relentless bombing, the killing of people of every age in their homes and on the streets, torture in their prisons, techniques of starvation in Gaza and the dispossession of homes. And this violence, in its many forms, is waged against a people who are subject to apartheid rules, colonial rule and statelessness. When, however, the Harvard Palestine Solidarity Committee issues a statement claiming that ‘the apartheid regime is the only one to blame’ for the deadly attacks by Hamas on Israeli targets, it makes an error. It is wrong to apportion responsibility in that way, and nothing should exonerate Hamas from responsibility for the hideous killings they have perpetrated. At the same time, this group and its members do not deserve to be blacklisted or threatened. They are surely right to point to the history of violence in the region: ‘From systematised land seizures to routine airstrikes, arbitrary detentions to military checkpoints, and enforced family separations to targeted killings, Palestinians have been forced to live in a state of death, both slow and sudden.’
 

This is an accurate description, and it must be said, but it does not mean that Hamas’s violence is only Israeli violence by another name. It is true that we should develop some understanding of why groups like Hamas gained strength in light of the broken promises of Oslo and the ‘state of death, both slow and sudden’ that describes the lived existence of many Palestinians living under occupation, whether the constant surveillance and threat of administrative detention without due process, or the intensifying siege that denies Gazans medication, food and water. However, we do not gain a moral or political justification for Hamas’s actions through reference to their history. If we are asked to understand Palestinian violence as a continuation of Israeli violence, as the Harvard Palestine Solidarity Committee asks us to do, then there is only one source of moral culpability, and even Palestinians do not own their violent acts as their own. That is no way to recognise the autonomy of Palestinian action. The necessity of separating an understanding of the pervasive and relentless violence of the Israeli state from any justification of violence is crucial if we are to consider what other ways there are to throw off colonial rule, stop arbitrary arrest and torture in Israeli prisons, and bring an end to the siege of Gaza, where water and food is rationed by the nation-state that controls its borders. In other words, the question of what world is still possible for all the inhabitants of that region depends on ways to end settler-colonial rule. Hamas has one terrifying and appalling answer to that question, but there are many others. If, however, we are forbidden to refer to ‘the occupation’ (which is part of contemporary German Denkverbot), if we cannot even stage the debate over whether Israeli military rule of the region is racial apartheid or colonialism, then we have no hope of understanding the past, the present or the future. So many people watching the carnage via the media feel so hopeless. But one reason they are hopeless is precisely that they are watching via the media, living within the sensational and transient world of hopeless moral outrage. A different political morality takes time, a patient and courageous way of learning and naming, so that we can accompany moral condemnation with moral vision.
I oppose the violence that Hamas has inflicted and have no alibi to offer. When I say that, I am making clear a moral and political position. I do not equivocate when I reflect on what that condemnation presupposes and implies. Anyone who joins me in this condemnation might want to ask whether moral condemnation should be based on some understanding of what is being opposed. One might say, no, I don’t need to know anything about Palestine or Hamas to know that what they have done is wrong, and to condemn it. And if one stops there, relying on contemporary media representations, without ever asking whether they are actually right and useful, whether they let the histories be told, then one accepts a certain ignorance and trusts in the framework presented. After all, we are all busy, and we cannot all be historians or sociologists. That is a possible way to think and live, and well-intentioned people do live that way. But at what cost?
 

What if our morality and our politics did not end with the act of condemnation? What if we insisted on asking what form of life would release the region from violence such as this? What if, in addition to condemning wanton crimes, we wanted to create a future in which violence of this sort came to an end? That is a normative aspiration that goes beyond momentary condemnation. To achieve it, we have to know the history of the situation, the growth of Hamas as a militant group in the devastation of the post-Oslo moment for those in Gaza to whom promises of self-governance were never made good; the formation of other groups of Palestinians with other tactics and goals; and the history of the Palestinian people and their aspirations for freedom and the right of political self-determination, for release from colonial rule and pervasive military and carceral violence. Then we might be part of the struggle for a free Palestine in which Hamas would be dissolved, or superseded by groups with non-violent aspirations for cohabitation.
For those whose moral position is restricted to condemnation alone, understanding the situation is not the goal. Moral outrage of this sort is arguably both anti-intellectual and presentist. Yet outrage could also drive a person to the history books to find out how events such as these could happen and whether conditions might change such that a future of violence isn’t all that is possible. It should not be the case that ‘contextualisation’ is considered a morally problematic activity, even though there are forms of contextualisation that can be used to shift the blame or to exonerate. Can we distinguish between those two forms of contextualisation? Just because some think that contextualising hideous violence deflects from or, worse, rationalises the violence, that doesn’t mean we should capitulate to the claim that all forms of contextualisation are morally relativising in that way. When the Harvard Palestine Solidarity Committee claims that ‘the apartheid regime is the only one to blame’ for the attacks by Hamas, it is subscribing to an unacceptable version of moral accountability. It seems that to understand how an event has come about, or what meaning it has, we have to learn some history. That means we have to widen the lens beyond the appalling present moment, without denying its horror, at the same time as refusing to let that horror represent all the horror there is to represent, to know, and to oppose. The contemporary media, for the most part, does not detail the horrors that Palestinian people have lived through for decades in the form of bombings, arbitrary attacks, arrests and killings. If the horrors of the last days assume a greater moral importance for the media than the horrors of the last seventy years, then the moral response of the moment threatens to eclipse an understanding of the radical injustices endured by occupied Palestine and forcibly displaced Palestinians – as well as the humanitarian disaster and loss of life happening at this moment in Gaza.
 

Some people justifiably fear that any contextualisation of the violent acts committed by Hamas will be used to exonerate Hamas, or that the contextualisation will take attention away from the horror of what they did. But what if it is the horror itself that leads us to contextualise? Where does this horror begin, and where does it end? When the press talks about a ‘war’ between Hamas and Israel, it offers a framework for understanding the situation. It has, in effect, understood the situation in advance. If Gaza is understood as under occupation, or if it is referred to as an ‘open-air prison’, then a different interpretation is conveyed. It seems like a description, but the language constricts or facilitates what we can say, how we can describe and what can be known. Yes, the language can describe, but it gains the power to do so only if it conforms to the limits imposed on what is sayable. If it is decided that we don’t need to know how many Palestinian children and adolescents have been killed in both the West Bank and in Gaza this year or over the years of occupation, that this information is not important for knowing or assessing the attacks on Israel and the killings of Israelis, then we have decided that we do not want to know the history of violence, mourning and outrage as it is lived by Palestinians. We only want to know the history of violence, mourning and outrage as it is lived by Israelis. An Israeli friend, a self-described ‘anti-Zionist’, writes online that she is terrified for her family and friends, that she has lost people. And our hearts should go out to her, as mine surely does. It is unequivocally terrible. And yet, is there no moment where her own experience of horror and loss over her friends and family is imagined to be what a Palestinian might be feeling on the other side, or has felt after the years of bombardment, incarceration and military violence? I am also a Jew who lives with transgenerational trauma in the wake of atrocities committed against people like me. But they were also committed against people not like me. I do not have to identify with this face or that name in order to name the atrocity I see. Or, at least, I struggle not to.
In the end, though, the problem is not simply a failure of empathy. For empathy mainly takes form within a framework that allows for identification to be accomplished, or for a translation between another’s experience and my own. And if the dominant frame considers some lives to be more grievable than others, then it follows that one set of losses is more horrifying than another set of losses. The question of whose lives are worth grieving is an integral part of the question of whose lives are worth valuing. And here racism enters in a decisive way. If Palestinians are ‘animals’, as Israel’s defence minister insists, and if Israelis now represent ‘the Jewish people’ as Biden insists (collapsing the Jewish diaspora into Israel, as reactionaries demand), then the only grievable people in the scene, the only ones who present as eligible for grief, are the Israelis, for the scene of ‘war’ is now staged between the Jewish people and the animals who seek to kill them. This is surely not the first time that a group of people seeking release from colonial shackles has been figured as animals by the coloniser. Are the Israelis ‘animals’ when they kill? This racist framing of contemporary violence recapitulates the colonial opposition between the ‘civilised ones’ and the ‘animals’ who must be routed or destroyed so as to preserve ‘civilisation’. If we adopt this framework in the course of declaring our moral opposition, we find ourselves implicated in a form of racism that extends beyond the utterance to the structure of everyday life in Palestine. And for that a radical reparation is surely in order.
 

If we think that moral condemnation must be a clear, punctual act without reference to any context or knowledge, then we inevitably accept the terms in which that condemnation is made, the stage on which the alternatives are orchestrated. In this most recent context, to accept those terms means recapitulating forms of colonial racism which are part of the structural problem to be solved, the abiding injustice to be overcome. Thus, we cannot afford to look away from the history of injustice in the name of moral certitude, for that is to risk committing further injustice, and at some point our certitude will falter on that less than firm ground. Why can’t we condemn morally heinous acts without losing our powers to think, to know and to judge? Surely we can, and must, do both.
The acts of violence we are witnessing in the media are horrible. And in this moment of heightened media attention, the violence that we see is the only violence we know. To repeat: we are right to deplore that violence and to express our horror. I have been sick to my stomach for days. Everyone I know lives in fear of what the Israeli military machine will do next, whether Netanyahu’s genocidal rhetoric will materialise in the mass killing of Palestinians. I ask myself whether we can mourn, without qualification, for the lives lost in Israel as well as those lost in Gaza without getting bogged down in debates about relativism and equivalence. Perhaps the wider compass of mourning serves a more substantial ideal of equality, one that acknowledges the equal grievability of lives, and gives rise to an outrage that these lives should not have been lost, that the dead deserved more life and equal recognition for their lives. How can we even imagine a future equality of the living without knowing, as the United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs has documented, that Israeli forces and settlers had killed nearly 3800 Palestinian civilians since 2008 in the West Bank and Gaza even before the current actions began. Where is the world’s mourning for them? Hundreds of Palestinian children have died since Israel began its ‘revenge’ military actions against Hamas, and many more will die in the days and weeks to come.
It need not threaten our moral positions to take some time to learn about the history of colonial violence and to examine the language, narratives and frameworks now operating to report and explain – and interpret in advance – what is happening in this region. That kind of knowledge is critical, but not for the purposes of rationalising existing violence or authorising further violence. Its aim is to furnish a truer understanding of the situation than an uncontested framing of the present alone can provide. Indeed, there may be further positions of moral opposition to add to the ones we have already accepted, including an opposition to military and police violence saturating Palestinian lives in the region, taking away their rights to mourn, to know and express their outrage and solidarity, and to find their own way towards a future of freedom.
 

Personally, I defend a politics of non-violence, in the knowledge that it cannot possibly operate as an absolute principle to be applied on all occasions. I maintain that liberation struggles that practise non-violence help to create the non-violent world in which we all want to live. I deplore the violence unequivocally at the same time as I, like so many others, want to be part of imagining and struggling for true equality and justice in the region, the kind that would compel groups like Hamas to disappear, the occupation to end, and new forms of political freedom and justice to flourish. Without equality and justice, without an end to the state violence conducted by a state, Israel, that was itself founded in violence, no future can be imagined, no future of true peace – not, that is, ‘peace’ as a euphemism for normalisation, which means keeping structures of inequality, rightlessness and racism in place. But such a future cannot come about without remaining free to name, describe and oppose all the violence, including Israeli state violence in all its forms, and to do so without fear of censorship, criminalisation, or of being maliciously accused of antisemitism. The world I want is one that would oppose the normalisation of colonial rule and support Palestinian self-determination and freedom, a world that would, in fact, realise the deepest desires of all the inhabitants of those lands to live together in freedom, non-violence, equality and justice. This hope no doubt seems naive, even impossible, to many. Nevertheless, some of us must rather wildly hold to it, refusing to believe that the structures that now exist will exist for ever. For this, we need our poets and our dreamers, the untamed fools, the kind who know how to organise.
 

13 October 2023