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Dienstag, 7. Januar 2025

Freiheitliche Partei Österreichs oder die Rechte kommt an die Macht

FPÖ regiert 

Michael Hesse: FPÖ an der Macht: Die Wiederkehr des Gleichen. Aus: Frankfurter Rundschau 6.1.2025 Die Beteiligung der FPÖ an der Macht zeigt: Österreich hat nichts aus der Geschichte gelernt. 

Thomas Bernhard hat es schon immer gewusst. Alles, was geschieht, ist eine Wiederholung des Gleichen. Davon war der größte Kritiker von Staat und Gesellschaft in Österreich, der Schriftsteller Thomas Bernhard, wie schon Nietzsche vor ihm überzeugt. Was die Vorgänge in Wien vom Wochenende in ihm ausgelöst hätten, ist angesichts seiner Lust, auf Österreich einzudreschen, unschwer zu erraten. Österreich steuert nicht allein auf ein Regierungsbündnis aus ÖVP und der rechten bis rechtsextremen FPÖ zu, sondern erstmals könnte die FPÖ mit Herbert Kickl auch den Kanzler stellen – einem Mann, der sich allzu gerne als „Volkskanzler“ bezeichnet und in entsprechender Weise agitiert. Auch wenn Österreich bereits Koalitionen zwischen Konservativen und Rechtspopulisten kennt, wird hier ein neues oder besser altbekanntes Muster erreicht. Wenn es überhaupt je eine Brandmauer in Österreich gegeben haben mag, dann hat sie nicht allzu lange gehalten. Eine gefährliche Entwicklung – nicht allein für die Alpenrepublik, sondern für ganz Europa. Ein Grund dafür ist, dass die Mauern nach rechts immer löchriger werden. „Der Versuch zu kooptieren, bestimmte rechte Positionen zu übernehmen oder Koalitionen anzustreben, war für die gemäßigten konservativen Parteien alles andere als ein Erfolgsrezept“, warnte der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher (Autor von „Mitte/Rechts“) bereits vor Monaten in einem Interview mit der FR. „Die Normalisierung bestimmter Positionen, indem man sie selbst übernimmt, und die Zusammenarbeit mit rechten Parteien, bedeutet immer, dass sich die Hegemonie von der Mitte der Gesellschaft weiter nach rechts verschiebt.“ Biebricher führte Italien und Frankreich als Beispiele an. Österreich könnte das nächste sein. Längst lässt sich die genannte Art der Annäherung auch in Deutschland feststellen. Die plumpe Übernahme von AfD-nahen Positionen in Migrationsfragen durch den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zeugen nicht nur von Einfallslosigkeit, sie sind überdies gefährlich. „Man wetteifert um Milieus, die sich sowohl in die eine oder andere Richtung orientieren können. Und da hängt es von den Angeboten ab, die von gemäßigten konservativen und christdemokratischen Parteien kommen“, sagt Biebricher. Es gehe um die Frage, ob es konservativen Parteien gelinge, den Rechten etwas entgegenzusetzen, die darauf abzielten, die Verunsicherung in Milieus noch zu verstärken und in Ressentiments umzuwandeln. „Eigentlich hätten sie ihnen aufgrund ihrer grundsätzlichen Positionierung etwas entgegenzusetzen.“ 

 In Europa grassiert eine Welle rechter und rechtspopulistischer Einstellungen und Positionen. Fast drei Jahre nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt der alte Kontinent geschwächt. Zumindest wird dieses Bild den Wählerinnen und Wählern vor allem durch rechte Parteien suggeriert. Die Gründe für die Unzufriedenheit? Die Finanzkrise 2008 war ein wichtiger Faktor. Sie erschütterte das Vertrauen in die liberalen oder auch neoliberalen Eliten. Einer ihrer Effekte: das Anwachsen der sozialen Ungleichheit. Die immer größer werdende Kluft zu den Reichen zerstört nach und nach die Mittelklasse der Gesellschaft. Die Mitte hat erheblich an Kaufkraft eingebüßt, was die Hauptursache für die schwache Konjunktur ist. Politikwissenschaftler Biebricher verweist auch auf einen Gerechtigkeitsaspekt, der 2008 verletzt worden sei: „Der Staat war bereit, Banken zu retten, die ,too big to fail‘ waren, aber den sogenannten kleinen Leuten wollte oder konnte er nicht helfen. Das war ein fataler Eindruck, der da entstand.“ Die Pandemie hat dann erneut als Beschleuniger gewirkt. Die Folge: Der Frust wächst und mehr Menschen wählen rechts. Kenner von Thomas Bernhard werden es wissen: Das Rad der Geschichte lässt nichts anderes wiederkehren als das allzu Bekannte. Eine rechte Welle erfasste Europa Anfang der 1930er Jahre durch die Folgen des Börsencrashs an der Wall Street. Während im Westen Europas Spanien unter dem Franco-Regime, Italien unter Mussolini und das Deutsche Reich unter Hitler weit nach rechts rückten, war der Rechtsruck dann auch in Mittel- und Osteuropa unübersehbar. Die größten faschistischen Bewegungen fanden sich in Rumänien, Ungarn – und in Österreich. 

Der Historiker Ian Kershaw verweist darauf, dass große Teile der nichtsozialistischen Wählerschaft in Österreich schon während der Weltwirtschaftskrise protofaschistisch gewesen seien. Der Bankencrash von 1931 habe die Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung ruiniert, die anschließende Rezession die Spaltungen vertieft. Das politische Lager radikalisierte sich zusehends. Es entstanden zwei große faschistische Bewegungen, die österreichische Heimwehr und die schnell wachsende NSDAP. Noch 1930 sei die Anhängerschaft doppelt so groß gewesen wie die der österreichischen Nationalsozialisten, diese gewannen jedoch schnell an Boden. 

Die Ernennung Hitlers zum Kanzler 1933 führte in Österreich zu einer folgenschweren Reaktion. Der 39 Jahre alte Kanzler Engelbert Dollfuß beseitigte das parlamentarische System und schuf einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung“. Die bürgerlichen Freiheiten wurden stark eingeschränkt, die Opposition unterdrückt. Einen Aufstand der Sozialisten ließ er blutig niederschlagen. Die Nazis ermordeten Dollfuß 1934. Er hatte ein repressives System geschaffen, konservativ-reaktionärer Natur. Sein Nachfolger Kurt von Schuschnigg setzte den Weg seines Vorgängers fort. Die Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren war sein oberstes Ziel. Er scheiterte.

Montag, 17. September 2018

Über den Begriff Faschismus

Tobias Blanken


War Hitler Faschist?

„Faschismus“ und „Antifaschismus“ erleben 2018 ein Revival, dabei sind beide Begriffe auf dem Friedhof der Ideengeschichte besser aufgehoben.
Der eine haut ein „Antifaschisten sind auch Faschisten“ raus, andere tragen das angebliche Ignazio-Silone-Zitat „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus’. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus’“ wie Popanz vor sich her und auf SPIEGEL-ONLINE stellt eine Kolumnistin fest, dass „Antifa“ „ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Gruppen von Leuten“ ist, „die sich gegen Rassismus, völkischen Nationalismus und Antisemitismus engagieren und gegen die Verharmlosung von faschistischen Verbrechen“. Wurde es in den vergangenen Jahrzehnten etwas ruhiger um die beiden Begriffe „Faschismus“ und „Antifaschismus“, sind sie plötzlich wieder schwer angesagt – woran der Erfolg der AfD, die rassistischen Übergriffe in den zumeist ostdeutschen Städten und die zunehmende Polarisierung in Deutschland vermutlich nicht ganz unschuldig sind. Dummerweise werden die beiden Begriffe jedoch vornehmlich von den Leuten benutzt, die noch am wenigsten über ihren Bedeutungsgehalt wissen. Ein anstrengender Zustand, weshalb ein paar Absätze zur Entstehung des Faschismus- und des Antifaschismus-Begriffes folgen. Und warum beide Begriffe durchaus problematisch sind.
La dottrina del fascismo

Geprägt wurde der Begriff des Faschismus nicht erst, als sich die Nazis in Deutschland die staatliche Machtsphäre gekrallt hatten, sondern bereits ab 1922 mit der Ernennung Benito Mussolinis zum italienischen Ministerpräsidenten. Von Mussolini, der selbst die Bezeichnung „Fascismo“ – im Deutschen: Faschismus, im Englischen: Fascism, im Französischen: Fascisme – gewählt hatte, wurde auf andere Länder geschlossen. Es wurde davon ausgegangen, dass Mussolinis Bewegung nicht ein italienischer Sonderfall, sondern nur die italienische Erscheinung von etwas Neuem war, das sich erheblich von den alten Reaktionären der Vorkriegszeit unterschied – und sich nach dem Ersten Weltkrieg in allen europäischen Ländern zeigte. Sie mögen unterschiedliche Kostüme tragen, mögen mit unterschiedlichen Parolen Wahlkampf machen, aber im Grunde genommen sind die neuen rechten (Massen-)Bewegungen, die eine ausgeprägte Gewaltaffinität, einen übersteigerten Nationalismus, einen sozialrevolutionären Gestus bei ausgeprägtem Anti-Marxismus und eine demonstrative Verachtung demokratischer Spielregeln an den Tag legen, in ihren zentralen Wesensmerkmalen doch erschreckend ähnlich.

Entsprechend wurden in allen europäischen Ländern Bewegungen als „faschistisch“ bezeichnet, bei denen man eine Wesensverwandtschaft mit Mussolinis Partito Nazionale Fascista sah, in Deutschland traf dies vor allem auf die Nationalsozialisten zu – oder, wie damals und insbesondere in der späteren DDR häufiger gesagt wurde, den „Hitlerfaschismus“. In Österreich galt dies für Dollfuß‘ „Austrofaschismus“ bzw. „Klerikalfaschismus“, in Spanien für die Falangisten, in Ungarn für die Pfeilkreuzler, in Kroatien für die Ustascha und in Rumänien für die Eiserne Garde – um nur die zu nennen, die sich (später) tatsächlich auch die staatliche Machtsphäre krallen konnten.
Die Aufzählung zeigt aber gleichzeitig auch ein grundsätzliches Problem des Faschismus-Begriffes auf: An der Macht verhielten sich die einzelnen Bewegungen alles andere als einheitlich, die von ihnen errichteten Regime wiesen erhebliche (strukturelle) Unterschiede auf. Etwa, ganz klassisch, beim Verhältnis zwischen Staat und Kirche. So arrangierte sich Mussolini entgegen seiner aggressiven Rhetorik recht schnell mit der Kirche, Dollfuß sowie die spanischen Falangisten unter Franco machten sich daran, die Macht des Klerus zu restaurieren, während die deutschen Nazis in ihrem kalten, braunen Herzen immer antiklerikal blieben – und den Kirchen vornehmlich taktisch motivierte Zugeständnisse auf Zeit und Widerruf machten. Ein Unterschied, der noch unter „Andere Länder, andere Sitten“ verbucht werden kann, aber die Differenzen zwischen den Regimen gehen tiefer, sie betreffen das eigentliche Wesen.
Im Vorfeld des Dritten Golfkrieges soll die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin folgende Sätze gesagt haben, die nicht nur in Amerika als beleidigend empfunden wurden, sondern sich auch noch durch eine fatale Unkenntnis des NS-Regimes auszeichnen: „Bush will von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Das ist eine beliebte Methode. Das hat auch Hitler schon gemacht.“ Damit wird auf der einen Seite verkannt, dass das NS-Regime 1939 mit keinen signifikanten innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, weil es sich bis dahin nicht nur erfolgreich konsolidiert hatte, sondern sich auch auf den Rückhalt der Bevölkerung stützen konnte. Auf der anderen Seite, und das ist erheblicher, verkennen die Sätze, dass Adolf Hitler den Krieg wollte. Mehr noch, das NS-Regime war in seiner Ideologie und Struktur so angelegt, dass es nahezu zwangsläufig auf den Weltkrieg zusteuerte.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Die Nazis wollten nichts weniger als die Weltherrschaft, und sie waren bereit und willens, dafür die Welt in Flammen zu setzen. Es war ein Teil ihrer DNA, die Frage war für sie nicht, „ob“ sie den „großen Krieg“ entfesseln, sondern wann und zu welchen Ausgangsbedingungen. Mehr noch, in der Ideologie und Struktur war das Nazi-Regime so angelegt, dass es auf die Vernichtung des europäischen Judentums zustrebte. Der Antisemitismus der Nazis beschränkte sich nicht auf eine mehr oder weniger instrumentelle Sündenbock-Funktion; die Nazis glaubten tatsächlich, was sie sagten – und wenn man Menschen immer und immer wieder als „Parasiten“ bezeichnet, die der eigenen glorreichen Zukunft im Wege stehen, dann behandelt man sie – wenn sich die Möglichkeit ergibt – auch so, wie man damals Parasiten behandelt hat, nämlich mit Gas. Und diese Möglichkeit wurde durch den Krieg geschaffen, Weltkrieg, Judenvernichtung und Nazi-Herrschaft lassen sich kaum unabhängig voneinander denken.

Die anderen als faschistisch klassifizierten Regime hingegen schon. Sie waren gewalttätig, sie waren militaristisch, sie waren oftmals auch rassistisch und antisemitisch, aber bei keinem dieser Regime waren Weltherrschaft oder die Vernichtung des europäischen Judentums Teil der DNA. Und damit stellt sich erneut die Frage, ob es Sinn ergibt, das NS-Regime als „faschistisch“ zu bezeichnen, wenn die Nazis in solch essenziellen Fragen anders als die übrigen faschistischen Regime getickt haben.
Sind Babyn Jar, Auschwitz und das Unternehmen Barbarossa definierende Wesensmerkmale des NS-Regimes? Wenn ja, sollte man den Faschismus-Begriff nicht mehr auf die Nazis anwenden. Wenn nicht, welche Stellung weist man dann dem eliminatorischen Antisemitismus und der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs zu? Die gleiche wie etwa dem des Antiklerikalismus, also als eine Art Spezifikum der jeweiligen nationalen Ausprägung des Faschismus? Und wird man Hitler historisch wirklich gerecht, wenn man ihn als „Faschisten“ bezeichnet? Oder wäre das aus der deutschen Sprache stammende Wort „Nazi“ nicht erheblich angemessener als eine Bezeichnung, die aus dem Italienischen stammt und sich von einer Bewegung ableitet, die zwar verbrecherisch war, aber im Großen und Ganzen noch nach den Parametern einer ordinären Diktatur funktionierte?
Unschwer zu erkennen, ist die Verwendung des Faschismus-Begriffs beim NS-Regime problematisch, gilt dies analog auch für den des Antifaschismus – Handlungen, die gegen ein Regime gerichtet sind, das nur unter Bauchschmerzen als „faschistisch“ beschrieben werden kann, lassen sich dann ebenfalls nur unter Bauchschmerzen als „antifaschistisch“ bezeichnen. Erschwerend kommt dann aber noch die geschichtliche Entwicklung des Antifaschismus-Begriffes hinzu, die ebenfalls in den frühen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts begann.

Es waren vorwiegend Linke, die während der Weimarer Republik Hitler und seinen Anhang als Faschisten titulierten – und ihren Kampf gegen die Nazis entsprechend als antifaschistisch. Die Theoriebildung zum Faschismus wurde dabei von marxistischen Denken vorangetrieben (der erste bedeutende nicht-marxistische deutsche Theoretiker, der auf dem Begriff eine Theorie aufbaute, war lange nach Hitlers Tod Ernst Nolte). Am lautesten taten sich dabei in den Zwanzigern und Dreißigern die Kommunisten hervor, vor allem die KPD und die Komintern (die auf Betreiben der Sowjetunion gegründete Kommunistische Internationale) waren bei der Theoriebildung die treibenden Kräfte, was sich entsprechend auch in der Theorie niederschlug. Und zwar nicht zu ihrem Besten.
Die kommunistischen Denker beließen es bei ihrer Theoriebildung nicht bei einer Aufzählung der gemeinsamen Wesensmerkmale der von ihnen in den jeweiligen Ländern ausgemachten faschistischen Bewegungen, sondern machten die Faschismus-Theorie mit ihrem marxistischen Weltbild kompatibel, indem sie den „klassenmäßigen Inhalt“ bzw. den „Klassencharakter“ des Faschismus bestimmten, was darauf hinauslief, dass der Faschismus als eine Herrschaftsform zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft gedeutet wurde. In ihrer Sichtweise befand sich der Kapitalismus so tief in der Krise, dass er die Samthandschuhe fallen lässt und sein eigenes Fortbestehen nur noch durch gewalttätige Diktaturen sichern kann. Oder, wie es Georgi Dimitroff Mitte der Dreißiger für die Komintern definiert hatte: „Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“

Alles Faschisten außer Mutti

Folgen hatte diese Bestimmung des Klassencharakters viele, dummerweise waren sie vor allem negativ. Sie reichten von der platten Sichtweise, dass Hitler nur eine Marionette des Kapitals sei, bis zum Unterschätzen des Antisemitismus, dem, da sich dort nur schwer ein „klassenmäßiger Inhalt“ ausmachen lässt, allenfalls Sündenbock- oder Propaganda-Funktion zugestanden wurde (selbst bei Adorno und Horkheimer findet sich in Elemente des Antisemitismus noch folgender Satz: „Den Arbeitern, auf die es zuletzt freilich abgesehen ist, sagt es aus guten Gründen keiner ins Gesicht.“) Entsprechend setzte der „antifaschistische Kampf“, wenn er den „Faschismus mit Stumpf und Stiel“ ausrotten wollte, nicht etwa bei Ernst Röhms Schlägerbanden von der SA an, sondern bei den vermeintlichen Wurzeln. Die Überwindung des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft wurden zur Notwendigkeit erklärt – und dem Untergang der bürgerlich-kapitalistischen Weimarer Republik brachte man nur Schulterzucken entgegen.
Eine weitere Folge der Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus bestand darin, dass die Faschismus-Definition dem Kommunisten-Tourette den Weg bahnte, von nun an konnte alles, was angeblich der Aufrechterhaltung des Kapitalismus und/oder der bürgerlichen Gesellschaft dienen würde, lauthals schreiend mit dem Label des Faschismus versehen werden – bis hin zur späteren ideologischen Unterfütterung der Berliner Mauer, die vom KPD-Nachfolger SED offiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet wurde, weil die Mauer der Abschirmung vor dem Kapitalismus diente. Oder die zionistische Bewegung, die Ende der Zwanziger von der KPD als „jüdisch-faschistisch“ und „zionistische Faschisten“ beschimpft wurde. Selbst der Kreml, der schon seit bald drei Jahrzehnten nichts mehr mit dem Kommunismus zu tun hat, entblödete sich ab dem Euromaidan nicht, bei der Ukraine alles und jeden als (Bandera-)Faschisten zu bezeichnen; gelernt ist halt gelernt.

Leiden mussten unter dem zur notorischen Gewohnheit gewordenen „Faschismus!“-Geschrei der Kommunisten jedoch zuallererst die Sozialdemokraten. Aufbauend auf dem vermeintlichen Klassencharakter des Faschismus entwickelten die KPD und die Komintern in den Zwanzigern die Sozialfaschismustheorie, die darauf hinausläuft, dass die Sozialdemokraten Faschisten sind, da sie mit bürgerlichen Kräften gemeinsame Sache machen und der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems dienen würden. Schlimmer noch, während die eigentlichen Faschisten wenigstens mit offenem Visier kämpften, würden die „Sozialfaschisten“ der Sozialdemokratie „hinter einem Nebelrideau“ (Otto Wille Kuusinen) agieren, was perfider ist – entsprechend war der Hauptgegner des „antifaschistischen Kampfes“ der KPD bis 1935 nicht die NSDAP, sondern die SPD.
Nun kann man über die Partei Nahles‘, Brandts und Eberts ja sonst was sagen, aber sie tat sich nie durch Gewaltaffinität, übersteigerten Nationalismus, Chauvinismus oder Militarismus hervor; in der an Idiotie nicht armen Geschichte des Kommunismus war die Sozialfaschismustheorie schon ein besonders dummes Highlight. Der damalige KPD-Führer Ernst Thälmann schaffte es sogar, die Ende 1931 gegründete Eiserne Front, hinter der neben dem Reichsbanner der SPD auch Gewerkschaften und Arbeitersportvereine standen, als „Terrororganisation des Sozialfaschismus“ zu beschimpfen. Liquidiert wurde der von Otto Wels geführte Abwehrbund dann 1933 von den Nazis. Also von den Leuten, die laut der Sozialfaschismustheorie der Kommunisten die „Zwillingsbrüder“ der Sozialdemokraten seien.

Kurz, die Geschichte des Antifaschismus war in Deutschland so voller Dummheiten, ideologischer Sackgassen und strategischer Fehler, dass der Begriff kontaminiert war. Wer sich nicht als Linker verstand und mit dem NS-Regime andere Probleme als den des Klassencharakters hatte, machte deshalb auch zwischen 1933 und 1945 um das Label des Antifaschismus einen großen Bogen. Um es plastisch zu machen: Dietrich Bonhoeffer hat sein Leben im Kampf gegen die Nazi-Barbarei gegeben, der Theologe hätte sich ganz sicher aber nicht als Antifaschisten bezeichnet – und mit ihm große Teile des christlichen, bürgerlichen, liberalen und/oder humanistischen Widerstands. Selbst für Sozialdemokraten hatte der Begriff des „antifaschistischen Kampfes“ noch dann einen unangenehmen Beigeschmack, als sich die KPD Mitte der Dreißiger unter der neuen Direktive der „Einheitsfront“ von der Sozialfaschismustheorie verabschiedete.

R.I.P.

Was man daraus lernen kann? Dass man das NS-Regime nur mit aller gebotenen Vorsicht als faschistisch bezeichnen sollte, will man nicht die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und die Vernichtung des europäischen Judentums tiefer hängen. Und dass der Begriff des Antifaschismus auch noch nach dem Ende der Nazi-Barbarei so vorbelastet war, dass es bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland keinen „antifaschistischen Grundkonsens“ gab, sondern einen, der vor allem eines war: demokratisch.
Und vielleicht auch, dass es Zeit ist, zumindest in Deutschland zwei derart vorbelastete Begriffe wie den des Faschismus und des Antifaschismus dort zu belassen, wo sie noch am besten aufgehoben sind, auf dem Friedhof der Ideengeschichte – statt einander in schlechtester Tourette-Manier die Begriffe immer und immer wieder um die Ohren zu hauen.

Mittwoch, 4. März 2015

Angst machen

Marlene Streeruwitz

Die Angstmacher, in: Album, DER STANDARD, 28.2./1.3.2015

Angst ist das große Zauberwort der Bewältigung von vielem in Österreich. "Ich habe Angst" ist zu einer Selbstermächtigungsformel im Politischen geworden
Österreich ist im Umbruch. Die Finanzkrise hat sich an die geschönte Oberfläche vorgearbeitet und wirkt sich aus. Und unübersehbar so. Noch helfen die Übungen in kollektivem Wegschauen. Noch sind die betroffenen und eigentlich schon abgestiegenen Gruppen stumm. Noch glauben viele, an ihrem ökonomischen Schicksal selbst schuld zu sein. Noch herrscht der Glaube, aus eigenen Kräften aus den Miseren ent kommen zu können. Verblendung. Verdrängung. Kopf in den Sand. Langweilig würde einer da nicht.
Aber. Es ist langweilig, auf welche Verfahren der Bewältigung zurückgegriffen wird. Denn. Wie schon immer. Oder wie zumindest in den letzten 400 Jahren werden die ökonomischen Probleme nicht offengelegt. Wie in den letzten 400 Jahren versuchen alle politischen Strömungen die problematische Situation für die eigenen Interessen auszubeuten. Kein einziger Politiker denkt daran, staatsmännisch zu handeln. Das hieße nämlich diesen Staat ernst zu nehmen und Maßnahmen zu dessen Stabilisierung, zum Erhalt der Demokratie, der Grundrechte und zum Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger zu setzen.
Kein Politiker in unserem Land denkt in solchen Kategorien. Das Gewurschtel zur Steuerreform beschreibt diese Denkweise. Es sollen Strukturreformen erschwindelt werden, die die Privilegierungen der jeweiligen Klienten erhalten helfen sollen. Ein Ganzes und wie das funktionieren sollte, das können hier nur alle entwerfen, die nicht demokratisch oder antidemokratisch denken. Eine funktionierende Demokratie. Eine solche Vorstellung bleibt Fernsehmoderatoren zur wirkungslosen Übung überlassen. Es ist schön, wenn Bürgerforen in allem Pathos dann aber gleich noch einmal mehr die Politik aus der Politik vertreiben.
Krisenverwaltungspolitik
Da und in allen Diskussionen. Es wird nicht politisch geredet. Denn. Politik müsste Rettung bringen. Und wie im Umgang mit dem Umweltskandal im Görtschitztal. Niemand übernimmt die Verantwortung. Niemand übernimmt eine Führungsrolle. Niemand klagt wirklich an. Niemand reagiert in aller Schärfe. Niemand benutzt alle Rechtsmittel, die Geschädigten in eine bessere Lage zu bringen. Und. Die Strategie geht ja auf. Das Görtschitztal ist vergessen, weil es ja niemanden gegeben hat. Wenn die Mächtigen nicht auftreten, kann es auch keine Ohnmächtigen geben. Dieser Logik folgt auch die jetzige Krisenverwaltungspolitik.
Und. In schöner und überhaupt nicht demokratischer Manier wird in die politische Therapiekiste gegriffen. Unter den Regierungen Schüssel wurde dieser internationale Trend des therapeutischen Redens in die Politik in Österreich eingeführt. Dieser Therapietalk in der Politik – der sehr oft mit politischer Korrektheit verwechselt wird – hat es so weit gebracht, dass wirklich fast alle gerne über ihre Ängste sprechen.
Angst ist das große Zauberwort der Bewältigung. "Ich habe Angst" ist zu einer Selbstermächtigungsformel im Politischen geworden, in der es wieder einmal darum geht, Eigenschaften zu definieren, unter denen alle Angstmacher zu einer Gruppe zusammengefasst werden können.
"Ich habe Angst" erlaubt, mit einem Wort solche Gruppen von angstmachenden Personen erfassbar zu machen. Die Angst braucht eine kurze Formel. Es muss ja ein Schrei werden. Die Angst erlaubt keine Differenzierungen. Und Angst. Das verstehen dann auch gleich alle mit allem Verständnis. Eine Person behauptet Angst und die Politik, die horcht hin. Die nimmt ernst. Die fragt sich, wie sie damit umgehen soll. Die Politik – jeder auf seine Art – will höchst einlässlich zur Angstlosigkeit verhelfen und stürzt sich in eine Anlassgesetzgebung, die wirr aussieht, aber am Ende die Grundrechte ausgesetzt haben wird.
"Angst vor dem Terror", "Angst vor sinkenden Preisen", "Keine Angst vor Barça." Angst ist ein ungerichtetes Gefühl. Ein ungerichteter Zustand. Es müsste heißen "Furcht vor dem Terror", "Furcht vor sinkenden Preisen", "Keine Furcht vor Barça". Während Angst eine allgemeine Gefühlslage bedeutet, die den Impuls zur Flucht auslösen soll, ist die Furcht das Unbehagen, das auf bestimmte Erscheinungen bezogen auftritt.
Aber. Wie würde das aussehen. "Ich fürchte mich vor dem Terror." Das klänge ehrlich. Und. Seien wir ehrlich. Die Leutnant Gustl-Erbschaft erlaubt uns nur die Verwendung des Worts "furchtlos". Fürchten. Das dürfen sich nur Kinder vor dem Krampus.
Auf der anderen Seite sind wir in unseren österreichischen Deutschstunden in Romantik und Deutschem Idealismus unterrichtet worden und greifen deshalb im hohen Ton zu den abstrakteren Begriffen. Zur objektunbezogenen und damit ungerichteten Angst.
Die Angst ist mittlerweile statistisch durchgerechnet. Die Angstmacher statistisch darin fest genagelt, wie vielen Prozent der Befragten sie Angst machen. Angstskalen werden aufgestellt. Die Angstmacher kategorisiert. In den Statistiken müssen die Angstmacher einmal mehr mit einem Wort erfassbar sein. Terroristen. Islamisten. Migranten. Verschleierte. Asylanten. Die Angst wird zum Medium der Benennung. Die Angst ist zugleich das Medium der Deutung dieser Benennungen. Diese Benennungen sind nur innerhalb der Angst zu ent schlüsseln.
Diese Worte wie eben Terrorist, Islamist, Migrant, Verschleierte, Asylant. Sie werden genauso verwendet wie Verwandtschafts bezeichnungen und simulieren damit, anthropologische Invariante zu sein. Das macht die Verwendung dieser Worte so einfach und wirkungsvoll.
Schwiegermutterwitz
Wie die Worte Vater, Mutter, Eltern, Onkel, Schwiegermutter, Familie. In jedem Wort ist jeweils ein gesamter Kosmos an Bedeutungen enthalten. Diese Bedeutungen sind allen Mitgliedern der Sprachgruppe gegenwärtig und in einem Fühldenken sofort verfügbar. Jeder und jede weiß, was es bedeutet, wenn in Criminal Minds ein Vater Selbstjustiz üben will oder einer der Polizisten in der Täterin eine Ähnlichkeit mit seiner Mutter findet. Wir wissen auch immer gleich, warum ein Schwieger mutterwitz nicht komisch ist, aber wir wissen aus diesen Witzen sehr viel über die Exogamie in unserer Kultur.
Aus der Geschichte wissen wir wiederum, dass solche Worte in ihrer Bedeutung sehr verschieden aufgeladen und vollkommen verändert werden können.
Waren die Verwandtschaftsnamen der Kernfamilie für die christlichen Religionen gottgegebene Strukturierung, damit heilig und die göttliche Hierarchie beschreibend, so konnten die Nationalsozialisten diese Hierarchie sprengen und die Kinder von der Loyalität den Eltern gegenüber freistellen. Unter denselben Bezeichnungen waren die Kinder nun nicht mehr die Kinder ihrer Eltern, sondern dem Führer verpflichtet. Das geschah durch Überspringen der vorhandenen Elterngeneration und die Übernahme des ödipalen Widerstands der Kinder in den Jugendorganisationen des nationalsozialistischen Massenstaats. Die in den Massenorganisationen verwaltete Jugend hatte den Führer zum Vater. Darin waren dann alle Geschwister. Sex und Fortpflanzung beruhten in den so erfassten Generationen auf einem Geschwisterinzest, auf dem die Augen des Führers wohlwollend ruhten. Die Auswirkungen dieser spezifischen Konstruktion der Heteronormativität müssen in ihrer Bedeutung sehr ernst genommen werden. Vor allem weil keine neue Bezeichnung für die so total geänderten Beziehungen verwendet wurde. Die Rigidität der 50er-Jahre-Moral war auch eine Antwort auf diese Geschwisterinzestkonstruktion.
In Österreich. Da war das Geschwisterliche immer schon ein bisschen gelernt gewesen. Man war ja immer schon Objekt und ein bisschen Kind des Kaisers gewesen und die Filmfolklore schrieb nachdrücklich an diesem Kinderlgefühl weiter. Hitler hat in seinem abgrundtiefen Hass auf alles Österreichisch-Katholische diese imperiale Vaterbeziehung dann nachgestellt, sie aber inhaltlich total verändert und gleichzeitig alle Bezeichnungen unverändert gelassen.
Also. Worte der Kategorie der Verwandtschaftsnamen werden hergestellt und enthalten jene Bedeutungen, die ihnen kulturell zugeordnet werden. Aber. Es ist eine Art Stammeswissen, das die jeweilige Lesart erfordert. "Man" muss wie bei der Familie zu einem Kreis der Berechtigten gehören, um diese Bezeichnungen anwenden zu können. Und zu dürfen.
Wie bei der Familie geht es mehr um die, die diese Bezeichnungen anwenden, als die, die bezeichnet werden.
Stammesdenken
Die Familie formiert sich aus der umgebenden Masse von Personen zu Verwandtschaftsverhältnissen, die einen Bericht über Herkunft und Abhängigkeiten abgeben. Ähnlich geschieht dies bei der Gruppe der Geängstigten gegenüber den Angstmachern. Die ausgesonderten Angstmacher, die mit einem Wort beschrieben werden können, erlauben denen, die dieses eine Wort zur Bezeichnung verwenden, sich hinter diesem Wort zu denen zusammenzufinden, auf die dieses Wort nicht zutrifft. Alle gehören zusammen, die nicht unter diese eine Bezeichnung fallen.
Alle Ängste der sich alleinge lassen fühlenden Person der Vormoderne in der Postmoderne werden in diese Zusammengehörigkeit investiert. Es ist dann unbewusster oder offener Hass, der die mit so einem Quasiverwandtschaftsnamen wie Ausländer oder Islamist oder Jude belegten Personen unter diese Bezeichnung zusammentreibt. Aller vormoderne Hass, den "man" sich in den postmodernen Lebenszusammenhängen nicht leisten darf, wird da abgeladen. Und Angst genannt. Obwohl. Stammesdenken, das ja in einer solchen Strategie der Benennung Ausdruck findet und schon in den Rassenkunden der Nationalsozialisten wiederbelebt worden war. Ein solches Stammesdenken liegt noch weiter zurück als die Vormoderne.
Aber. Weil es sich um angst begründetes Stammesdenken, das aus Hass entstanden ist, handelt, kann mit diesen Bezeichnungen auch wiederum auf die Körper der so Bezeichneten zugegriffen werden. Und wenn auch derzeit das Zusammenpeitschen unter die Ein-Wort-Bezeichnungen noch auf der metaphorischen Ebene bleibt. – Die Pegida-Demonstrationen haben dieses metaphorische Einschlagen vorgeführt. – Die Reaktionen der österreichischen Politiker mit der Pädagogisierung der Migranten sind jedenfalls ein erster Schritt zur Meinungskon trolle und die Körperlichkeit einer Ausschaffung muss ja nicht besonders beschrieben werden.
Wir sind also durchaus schon dort, wo Stammesrecht ausgeübt wird und ein Patriarch oder Priester die körperliche Bestrafung über die Person verhängt. Das Urteil über die Person wurde ja in dieser Ein-Wort-Bezeichnung bereits verhängt. Patriarchen oder Priester treten bei uns im Anzug des Politikers auf und der kann so ziemlich jeder Partei angehören. Und. Wir haben eine Innenministerin, die genauso gut wie jeder andere funktioniert.
Was diese Form der Stammesvorstellungen aber mit sich bringt, ist eine neue Schwächung der Organisation der äußeren Welt. In der inneren Welt der Stammesgruppe, die sich von den Ein-Wort-Bezeichneten absetzt, wird die Ordnung der äußeren Welt verachtet. Ja. In einer neuerlichen Ein-Wort-Bezeichnung wird die Gruppe der Politiker oder "Die da oben" geformt und als minderwertig verstoßen.
Wenn die Politiker. Und wir bleiben weiterhin beim Archilexem. Frauen waren in dieser Debatte um die "Integration" nicht zu sehen und nicht zu hören. (Die Frauen schwiegen wohl wieder einmal brav in der Kirche.) Es war auch nie von Migrantinnen die Rede. Und. Es wird die Angelegenheit von diesem Außenminister und anderen Politikern offenkundig so gesehen, dass der Familienvater in der "Ausländerfamilie" dafür sorgen sollte, dass die jeweilige Familie im Sinne seiner Vorstellung von Zwangsassimilation funktioniert. Und die Kinder in die Schule schickt. Oder der Frau den Schleier abnimmt. Damit sagt er aber, dass er das Familienmodell des Code Napoléon vertritt, das in Österreich 1975 abgeschafft wurde und deshalb nicht dem geltenden Familienrecht entspricht. Wieder einmal zeigt sich, wie sehr die Politik in den Parteiideologien verheddert ist und sich nicht einmal der geltenden Gesetzeslagen bewusst ist, geschweige denn diese vertritt.
Das Hausvatermodell
Die "Integration" des "Ausländers" sollte also nur bis zum Hausvatermodell bis 1975 reichen. Reaktionärer kann es nicht zugehen. Aber die Strategie wird deutlich. Es geht nicht darum, Personen in die Demokratie einzubinden und die Erfüllung der geltenden Gesetze zu verlangen. Es geht darum, sich die Angstmacher zu erhalten. Eine solche Politik muss ja verhindern, dass die Angstmacher verschwinden. Eine solche Politik muss immer absurdere Forderungen aufstellen, damit der Unterschied nicht verlorengeht.
Wären alle "Ausländerinnen" und "Ausländer" angepasst und irgendwie wienerisch angezogen, es wäre weitaus schwieriger, zu einem rassistischen Genuss aus der Angst zu kommen. "Man" müsste dann wieder zu Mitteln wie dem Judenstern greifen, um sich positiv absetzen zu können. Aber auch in dieser Richtung machten die Pegida-Demonstrationen in Deutschland erste Schritte.
Eigentlich aber. Eigentlich wäre das jetzt genau der Zeitpunkt, eine positive Vorstellung von diesem Staat Österreich herzustellen. Jetzt wäre der Zeitpunkt, die bedingungslose Grundsicherung einzuführen und noch in halbwegs geord neten Umständen einen solchen neuen Zustand zu lernen. Ein tiefschürfender und objektiver Untersuchungsausschuss zur Hypo Alpe Adria könnte die Erzählung von den törichten Politikern und ihrem Versagen aus persönlicher Bedürftigkeit ans Licht bringen. Daraus könnten personelle Konsequenzen gezogen werden. Ganz andere Gruppen könnten – die Grundsicherung stellt ja auch dafür frei – in die Politik strömen. Die lagerstraßennostalgische Männerbündelei der Großparteien hätte ein Ende, weil diese Personenkonstruktion des in den Parteien sozialisierten Manns sich als obsolet erweisen würde. Und es könnte um einen demokratischen Staat gehen, der regiert werden sollte, und nicht um Partei- oder Wirtschaftsterritorien, die kunstvoll aneinandergereiht so tun, als wären sie ein Staat.
Unlängst wieder. Eine Übertragung aus dem Parlament. Es geniert sich ja keiner und keine, ihre Langeweile da auszustellen. Ihre Langweile aneinander und gegenüber der Außenwelt. Das macht den Eindruck, als wähnten sich diese Leute immer noch in einer kleinen Garnison im Banat und nichts geht die da an. Weder das ferne Wien noch die unmittelbare Umgebung. Als wären alle im Exil. So schaut das aus. Jedenfalls nimmt niemand da zur Kenntnis, dass dieser Staat sich in seiner schwersten Krise befindet. Dass man wieder einmal die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen für die törichten Fehler büßen lässt. Dass die Grundrechte längst durch Anlassgesetzgebung angegriffen sind und es nur eine Frage des weiteren Abstiegs ist, bis die Grundrechte aller eingeschränkt werden. Der Wunsch, die Kassa der kleinsten Gewerbetreibenden direkt an das Finanzministerium anschließen zu wollen. – Man hat Angst, dass da nicht alles verbucht wird. – Dieser Vorschlag zeigt schon die Enge und Überwachung, die uns zugemutet werden wird. Und sehr schön ist, dass die, die sich Patrioten nennen, jene Angst, die eine Flucht begründet, für sich und ihre manipulativen Absichten in Anspruch nehmen. Damit entziehen sie denen, die wirklich aus Angst in die Flucht getrieben wurden, die Argumentation und verkehren die Angst der Flüchtlinge in Aggression. Widerlich ist das.
Ich fürchte mich vor dieser Entwicklung. Und ich fürchte mich vor Politikern, die nicht in der Realität leben und handeln können.