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Montag, 11. März 2019

Alles bloß keine Heimat!


Nina Monecke

Warum der Begriff Heimat nicht zu retten ist

Von wem stammt das folgende Zitat? „Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Für diese Heimat werden wir kämpfen.“ Als erstes denkt man an Namen aus den Reihen der AfD. Oder von der rechtsextremen Identitären Bewegung. Das ist so verständlich, wie in diesem Fall falsch.

Denn es handelt sich nicht um Alexander Gauland und auch nicht um Martin Sellner. Hier bringt die ehemalige Parteivorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt ihre Heimatliebe zum Ausdruck. Genauso gut hätte es ein Zitat der aktuellen grünen Parteichef*innen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, sein können. Oder von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der meint, wer sich nach Heimat sehne, sei nicht von gestern. Sogar Bodo Ramelow, Thüringens linker Ministerpräsident, will Heimat als „Sehnsuchtsort für die Seele“ zulassen.

Sie alle eint ein Anliegen: Sie wollen die Heimat nicht den Rechten überlassen. Sie sprechen von Heimat und meinen es gut. Wo bleibt das Unbehagen bei so viel parteiübergreifender Einigkeit darüber, wonach sich die Menschen in Deutschland sehnen und wie darauf reagiert werden soll?

Bis vor nicht allzu langer Zeit spielte der Heimatbegriff noch kaum eine Rolle in politischen Debatten. Erst als rechte Stimmungen, getragen von der AfD, stärker wurden und die vermeintliche Alternative in ein Landesparlament nach dem nächsten gewählt wurde, fand er auch Einzug in die Reden von Politiker*innen links der Mitte. Der politische Begriff Heimat hat seinen Ursprung also im rechten Diskurs. Für die AfD war er eine Kernforderung, um sich von den übrigen Parteien abzugrenzen: Endlich wieder stolz sein dürfen auf Deutschland, endlich wieder Deutschland lieben. Mittlerweile lässt sich förmlich ein Wettstreit beobachten, wer die deutsche Heimat mehr für sich beansprucht.

Warum uns das Sorgen machen sollte, erklärt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einem Gastbeitrag für die taz sehr prägnant: „Wird Heimat zu einem politischen Begriff, wird es gefährlich, denn dann wird Heimat etwas, das durch die bedroht ist, die ein Zuhause suchen. Wenn der politische Heimatbegriff von einem konkreten Ort auf ein ganzes Land ausgedehnt wird, entsteht eine Nation, deren Mitgliedschaft durch Abstammung bestimmt ist.“ Für viele mag Heimat ein wohliges Gefühl sein, mit dem sie ihre Kindheit verbinden, ein Ort, an dem Eltern und Familie noch wohnen und an den sie immer zurückkehren können. Doch andere haben diesen Ort vielleicht nie gehabt, mussten ihn zurücklassen oder er wurde ihnen genommen.

Mit dem Gefühl ist das ohnehin so eine Sache. Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn schreibt dazu, dass das Heimatgefühl, anders als zum Beispiel das Gefühl von persönlicher Zuneigung, nicht mit realen zwischenmenschlichen Interaktionen und individueller Entwicklung verknüpft sei, „denn es basiert auf der Unterscheidung von vermeintlich Gleichem und Ungleichem.“

Das heißt: Heimatgefühle haben mit der Realität so ziemlich gar nichts zu tun. Während reales Leben sich ständig durch neue Erlebnisse und Erfahrungen wandelt, fußt Heimat auf Identitätsbildung, auf Abgrenzung und damit Ausgrenzung. Salzborn weiter: „Heimat ist ein Fantasie- und Wertkonstrukt, mehr Erinnerung, Imagination und Magie als wahrgenommene Gegenwart. Mehr Sehnsucht, Hoffnung und Utopie als erfahrene Wirklichkeit und berechenbare Zukunft.“

Links ist da, wo keine Heimat ist

Real ist hingegen das, was die Menschen, die sich nach Heimat sehnen, dazu treibt: der Verlust von Kontrolle in einer sich rasant wandelnden Welt, die soziale Kluft in der Gesellschaft. Nur ist es eben falsch, auf diese Probleme mit Heimat zu antworten, statt beispielsweise mit sozialpolitischen Forderungen. Denn wer Heimat will, will nichts verändern, sondern allenfalls Bestehendes versöhnen. In dieser fälschlich imaginierten Idylle ist es nur logisch, dass es die vermeintlich Fremden sind, die diese Idylle stören und für Probleme zu Unrecht verantwortlich gemacht werden.

Nun haben Politiker*innen wie Göring-Eckardt, Habeck oder Ramelow selbstverständlich anderes als eine homogene Volksgemeinschaft im Sinn, wenn sie von Heimat sprechen. Doch statt umzudeuten, was Rechte stark gemacht haben, sollten sie ihnen den politischen Begriff Heimat ruhig überlassen. Denn da gehört er hin. Links ist da, wo keine Heimat ist. Wo man über persönliche Lebensrealitäten und Erfahrungen hinaus solidarisch mit anderen ist – vor allem mit jenen, die in unserer Gesellschaft geschwächt sind, ausgegrenzt und diskriminiert werden. Wo daran gearbeitet wird, dass es irgendwann egal ist, woher jemand kommt. Oder wie der Soziologe und Autor Thorsten Mense es so schön formulierte: „Die Linke sollte nicht dafür eintreten, dass alle eine Heimat haben, sondern dafür, dass niemand mehr eine braucht.“


Aus: ze.tt, 10. März 2019

Montag, 17. September 2018

For a Left Populism

For a Left Populism

The volume and velocity of Donald Trump’s moral offences mean that it can be hard to keep track of them. A mountain of outrage builds up, and countless misdemeanours are submerged in the process. So here’s a relic from last August: questioned on the clashes between “alt-right” neo-Nazis and anti-Nazi protesters in Charlottesville, Virginia, Trump remarked that there were some “very fine people on both sides”. The equivalence was sickening, though wasn’t helped by media references to the protesters as the “alt-left”.
Trump pushed the logic of “both sides” much further than most politicians or pundits would be willing to do. But the political upheavals of the past few years have driven liberal observers to pose some related questions. Are the polarities of left and right really so different from each other? Does Corbynism not share something with Trumpism?
Part of this can be characterised as “horseshoe theory”, the idea that the political spectrum is shaped like a horseshoe, with right and left starting to converge on each other as they become more radical. But other things are muddying the waters as well. A new strand of economic nationalism has emerged, advanced by the likes of Steve Bannon in the US, Marine Le Pen in France and the Five Star Movement in Italy, that channels resentment towards immigration and international capital simultaneously. In Europe, this is producing new xenophobic defences of the welfare state, as sometimes deployed by Ukip. National independence movements can be equally difficult to place on the political spectrum.
But there is another reason why “left” and “right” appear similar right now: populism. We live in what the Belgian political theorist Chantal Mouffe characterises as a “populist moment”, in which politics has become impassioned, confrontational, angry and unpredictable, dispensing with all the rules and expectations that have governed liberal democracies since the 1970s. If the distinction between left and right has become foggier, this is partly because a similar set of forces are being unleashed on both sides, including devotion to leaders, suspicion of the media, street-level mobilisation and an emotional sense of injustice.
Mouffe is conscious that the term populism has more pejorative connotations in Europe than in the United States, and seeks to rehabilitate it. It was in America that populism first emerged, with the foundation of the People’s Party in 1891, which mobilised farmers and small businesses against the elites of big business, professional politics and government. The key characteristic of all populism, Mouffe writes, is the identification of a “people” who are distinguished from some kind of adversary, a distinction that serves to unite and mobilise them. Nationalists can point to any number of adversaries, from foreign powers to immigrants to “enemies within” (the liberal media, socialist intellectuals, Jews), all of whom can be charged with harming “the people”. But nationalists do not have a monopoly on populism, as Podemos in Spain, Jean-Luc Mélenchon in France, Syriza in Greece and Corbynism in Britain demonstrate.
The distinction between “people” and adversary is the fundamental starting point of all politics, Mouffe argues, adapting the ideas of political theorist and Nazi jurist Carl Schmitt. Technocrats are oblivious to this, and the conflictual (or in Mouffe’s term agonistic) nature of politics gets concealed for long periods of hegemony, during which politics becomes “a mere issue of managing the established order, a domain reserved for experts”. Margaret Thatcher succeeded in building just such a hegemony, painting her policies as the only way of acting in the nation’s interests, such that a common-sense view of the economy was already in place by the time New Labour came to power.
With good strategic leadership, a radically democratic and egalitarian movement can be a match for nativism
The 2008 financial crisis signalled the end of that Thatcherite hegemony, and the start of our present populist moment. At such times, we enter a period of radical indeterminacy, in which everything is up for grabs until some kind of new “people” is assembled and a new hegemony established. Oddly for a political theorist, Mouffe recognises that theory is of little use in such situations, given that so much is shaped by the contingencies of each situation. Everything comes down to strategies, tactics and the ability to seize the initiative before the adversary. The battle to achieve a new common sense encompasses party politics, civil society and the media, influencing how ordinary people feel as well as think. Thatcher had the Rupert Murdoch press on her side. Today, one might point to the battles taking place on social media.
The question remains, how exactly do we distinguish right from left in this bewildering new landscape? Or perhaps we no longer need to. Now that the man who saw “very fine people on both sides” in Charlottesville is building concentration camps, and Italy’s deputy prime minister, Matteo Salvini, has called for a “mass cleansing” of migrants, merely opposing fascism might be grounds enough for a popular mobilisation. What distinguishes left populism, says Mouffe, is that “the people” is constructed democratically rather than on the basis of nation or race. With good strategic leadership, a radically democratic and egalitarian movement can be a match for nativism.
There is certainly piecemeal evidence that this is true. What made Syriza thrilling in its early days was the resistance it offered to the far-right Golden Dawn as much as to the Troika. Corbyn’s Labour has avoided the electoral collapse that has afflicted virtually every other established centre-left party in Europe. Maybe Bernie Sanders would have held those crucial mid-Western states that Hilary Clinton could not in 2016. But Mouffe offers no guidance as to how left populism can fight and succeed, nor any reassurance that it will. No doubt that’s in keeping with her view of democracy: nothing in politics is real, until it has been constructed through struggle.
Yet there is something disconcerting here that she doesn’t address. If politics is about the naming of enemies, doesn’t the right start with a huge advantage over the left? Or when the left starts to play this game, isn’t there a risk that certain aspects of fascism (such as antisemitism) start to creep into its programme? When Mouffe strives to articulate what distinguishes left populism, it sometimes tips into the banalities of any moderate politician of the past thirty years. “The objective of a left populist strategy is the creation of a popular majority to come to power and establish a progressive hegemony” could almost have been written by Tony Blair. Nor is she prepared to rule out the appeal to “nation” as a tool for collective mobilisation. To be fair, she is arguing partly with the hard left who (unlike her) want nothing to do with parliamentary politics, and believes underlying historical forces will eventually see them triumph. However, “Yes, but how?” is the recurring question this short book provokes, not out of scepticism but from an urgent need for answers.
The US journalist John Judis writes in The Populist Explosion that leftwing populism is “diadic”, whereas rightwing populism is “triadic”. The former opposes “the people” to an “elite”, whereas the latter always adds a third party, typically immigrants, whom the “elite” are accused of favouring. This is far more categorical than Mouffe is willing to be, given her insistence that politics is riven with uncertainty, emotion and conflict, but it does clarify what exactly is at stake. If the political task right now is to construct a “people” from which a new common sense can be built, the question of how that can be done so as to include strangers and newcomers may be the most important one of the next few years.

Mittwoch, 7. März 2018

Die Krise der Linken

Die Diagnose, dass die Linke in einer Krise sei, ist fast so alt wie alle heute lebenden Linken. Sie hat also eigentlich keinen großen Neuigkeitswert. Aber seien wir ehrlich: So desolat wie im Augenblick waren die politischen Kräfte links der Mitte noch nie in Europa.
Sozialdemokratien schrammen an der 20-Prozent-Marke herum – wenn sie nicht gleich völlig untergehen, wie die einstmals glorreichen französischen Sozialisten oder die niederländische Partij van de Arbeid, die zuletzt gerade noch 5,7 Prozent der Wählerstimmen holte. Die griechische Pasok besteht faktisch nicht mehr. Die österreichischen Sozialdemokraten könnten da auf ihre 27 Prozent bei der jüngsten Wahl noch stolz sein, wären sie nicht in die Opposition gefallen, was zur Bildung einer rechts-ultrarechten Koalition führte. Dagegen rangelt die SPD gerade mit der AfD um Platz zwei in den Umfragen.
Linke Parteien jenseits der Sozialdemokratie können dieses Vakuum nirgends auffüllen. Die deutsche Partei „Die Linke“ stagniert seit Jahren bei 10 Prozent und hat das Monopol der Opposition gegen das System an die extreme Rechte verloren. Allein im Sonderfall Griechenland gelang es der linken Syriza, zumindest für einige Jahre, zur neuen hegemonialen Kraft zu werden.
Konnte man vor ein paar Jahren noch auf die Möglichkeit einer neuen Allianz sozialdemokratischer und linker Regierungen von Portugal über Griechenland bis Schweden, Österreich und Frankreich setzen, ist heute von einer solchen Achse kaum noch etwas übrig.

Aber auch jenseits der blass- oder tiefroten Parteienformationen und einiger grüner Tupfer gibt es keine breiten gesellschaftskritischen Bewegungen, die sich auf einen Ton stimmen können. Insofern ist hämisches Fingerzeigen der Bewegungslinken auf die Parteilinken unangebracht, denn die Grass-Roots-Bewegungen sind selbst Teil des Problemkomplexes. Es sind ja im besten Falle lebendige Basisbewegungen, denen es gelingt, einen Zeitgeist zu prägen, die den Boden für Wahlerfolge von Mitte-links-Parteien bereiten. Aber auch da gibt es wenig Positives zu vermelden.

Diese Krise ist also eine fundamentale. Ihre Hauptursache ist die geistige und konzeptionelle Auszehrung des gesamten linken Milieus. Klar, es gibt immer eine endlos lange Liste von Konzepten: von Maschinen- und Robotersteuern bis zur Bürgerversicherung, von Bildungsreformen bis zu höheren Erbschaftsteuern und dem Austrocknen von Steueroasen – aber fügt sich das zu einem kongruenten Bild, einem Narrativ für eine bessere Gesellschaft, an die die politischen Anführer der Mitte-links-Parteien noch glauben? Und zwar im Sinne von: Wir haben hier eine Idee, und wenn wir diese umsetzen, dann werden wir unsere Gesellschaften auf einen eminent besseren Pfad setzen; und diese Umsetzung ist auch möglich.

Leider glaubt kaum ein Spitzenpolitiker, kaum eine Spitzenpolitikerin aus dem Spektrum der Linksparteien an so etwas. Man hat sich damit abgefunden, die schlimmsten Auswirkungen der neoliberalen Ordnung zu zügeln. Aber damit sendet man das Signal: „Wählt uns, denn mit uns wird es langsamer schlechter.“ Wen soll das begeistern?
Mit Hoffnung wählen
Es fehlt also nicht nur an fünfzehn oder fünfhundert guten Vorschlägen, von denen manche vielleicht gewagt genug wären, auch noch jemanden aufzuregen – es fehlt vor allem an einer Geschichte dazu. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, eine Handvoll guter Ideen würde sich schon von selbst zu einem Bild summieren, „wofür man steht“. Das tun sie nicht, besonders wenn sie sich um das Kleingedruckte der Sozialversicherungswirtschaft oder der Investitionsanreize drehen. Die Ideen müssen durch eine Geschichte zusammengehalten werden. Sie müssen von Personen verkörpert werden. Und all das muss glaubwürdig sein.

Die Linken bräuchten mehr Mut zum Konzept, um zu einer glaubwürdigen Alternative zu werden. Der Zeit-Redakteur Bernd Ulrich hat dafür die schöne Formel von der „besonnenen Radikalität“ geprägt. Radikal nicht im Sinne von Krawall schlagen, sondern im Sinne von Konzepten, die über die Bescheidenheit des Klein-Klein hinausgehen. Nur so kann der Nebel des Dauerdepressiven weggeblasen werden, der über unseren Gesellschaften hängt, dieses Klima der Angst, dass der Boden unter den Füßen schwankender wird. Linke Parteien müssen Parteien der Hoffnung sein und des Optimismus.

Owen Jones, der britische Blogger, Aktivist und Guardian-Kolumnist, hat dazu unlängst gescheite Sachen gesagt. „Was haben Ronald Rea­gan und Spaniens radikale Podemos-Partei gemeinsam?“, schrieb er. „Wenig, mögen Sie annehmen. Ersterer war ein dogmatischer Ideologe, der die freien Märkte wüten lassen wollte; Letztere sind, teilweise, eine direkte Rebellion gegen dieses Dogma. Aber beide definierten ihre gegensätzlichen ­Philosophien auf ähnliche Weise: mit Hoffnung, Optimismus und Ermächtigung.“ Rea­gans Mantra war „Morning in America“. Der Podemos-Anführer Pablo Iglesias sagt: „Wir repräsentieren nicht nur die Stimme der Wütenden, sondern die Stimme der Hoffnung.“ Und er fügt hinzu: „Wann war das letzte Mal, dass Ihr mit Hoffnung gewählt habt?“


Die Menschen, die den Status quo satthaben, werden niemandem Vertrauen schenken, der nicht glaubwürdig für etwas Neues steht. Aber das wäre nur ein erster Schritt. Linke Parteien waren immer dann stark, wenn sie Fäden und Netzwerke geknüpft haben, wenn sie den Alltag in den Stadtvierteln strukturierten oder einfach nur vor Ort präsent waren. Wenn sie selbst als Netzwerke und Bewegungen funktioniert haben.
Sigmar Gabriel hat die unsägliche These aufgestellt, dass die Sozialdemokratien zu „postmodern“ geworden seien, also sich zu viel um ­Feminismus und Schwulenrechte gekümmert haben und zu wenig um den ausgebeuteten Postzusteller, die Verkäuferin oder den Kohlegrubenarbeiter. Unfug! Sozialdemokratien, die glaubwürdig sind, sind dies in beiden Milieus, in den liberal-urbanen und den (post-)proletarischen. Und wenn sie unglaubwürdig sind, sind sie es auch in beiden.

Im Lichte all dessen ist in mancher Hinsicht zumindest die Labour Party unserer Zeit ein echtes Erfolgsmodell. Mit Jeremy Corbyn hat sie einen Mann an der Spitze, der nicht gerade mit strahlendem Charisma beschenkt ist, der vom Blatt liest und langweilig erschien. Aber er verfügte über die Glaubwürdigkeit dessen, der sich nicht mit der Oberklasse und dem Mainstream arrangierte und seit rund dreißig Jahren das Gleiche sagt.
Koalition von Engagierten aus verschiedenen Milieus

Man sollte nun den Erfolg von Labour nicht übertreiben. In der Opposition ist es natürlich leichter, Glaubwürdigkeit zu erlangen, als sie in der Regierung zu behalten (wobei beides verdammt schwer ist). Labour steht heute in den Umfragen bei sagenhaften 40 Prozent – aber angesichts der unfähigen Theresa-May-Regierung hat Labour es da auch leichter. Zudem hilft das Mehrheitswahlrecht, da es zu einem Herdentrieb zu den großen Parteien der jeweiligen Lager führt. Die Umfragen bei der nächsten Wahl in Ergebnisse zu verwandeln kann noch schwer werden für Labour, besonders dann, wenn die Torys ­Theresa May durch eine unverbrauchte Spitzenfigur ersetzen.
Aber dennoch lässt sich bei Labour durchaus Modellhaftes abschauen. An der Basis, in den Stadtteilen und kleinen Städten, entstand dort wieder ein lebendiges Parteileben, in der dezentralen Parteiarbeit entwickelte sich das Bild, dass sich die Partei um die Menschen kümmert. Zudem formierte sich eine Bewegung junger Leute, die sich für Corbyn und seinen Kurs starkmachen, angeführt von der Bewegung „Momentum“. Genau diese Kombination aus Bewegung und Partei führte auch Syriza nach 2010 von der Kleinpartei zur 40-Prozent-Partei. So entwickelt sich eine Art Mitmachpartei, die der Falle „entweder Traditionspartei oder neue, linksliberale urbane Mittelschichten“ entgeht – indem sie alle Mi­lieus repräsentiert.

In Großbritannien entsteht gerade das, was große progressive Parteien immer ausgezeichnet hat: eine Koalition von Engagierten aus verschiedenen sozialen Milieus, von Menschen, die unterschiedliche Lebensarten pflegen, aber doch das Bewusstsein haben, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Ganz dem Wort von Bernie Sanders entsprechend, dass „Demokratie etwas anderes ist als ein Fußballspiel. Demokratie ist kein Zusehersport.“

Zuletzt noch ein Punkt, auf den der Gesellschaftsanalytiker Oliver Nachtwey („Die Abstiegsgesellschaft“) jüngst hinwies: Es ist ja nicht falsch, dass die linken politischen Eliten „selbst Teil des Establishments geworden“ sind. Nicht selten erwecken sie den Anschein, als wollten sie von den ökonomischen Machteliten akzeptiert werden. Oder sogar selbst Teil davon werden. Zum Teil ist das Ausdruck von schwachem Selbstbewusstsein: Man möchte von der ökonomischen Superklasse und deren Repräsentanten, diesen Verkörperungen der modernen Erfolgskultur, respektiert werden.

Es ist aber nicht die Aufgabe von Linken, sich der Macht anzubiedern. Es ist ihre Aufgabe, sie zu bekämpfen. Parteien der demokratischen Linken müssen immer in Opposition sein. Sogar wenn sie regieren, müssen sie so etwas wie „oppositionelle Regierende“ sein.
Verlieren Parteien diese Identität, untergräbt das jede Glaubwürdigkeit. Kein Mensch wird einer Anbiederungslinken glauben, dass sie noch die Energie hätte, gegen die Widerstände der herrschenden Eliten alternativ zum neoliberalen ­globalen Kapitalismus Entwicklungspfade durchzusetzen.

Isolde Charim
taz 25.2.2018

Sonntag, 5. Februar 2017

Amerikanischer Nationalismus

Judith Butler über Donald Trump: «Ich befürchte einen amerikanischen Nationalismus»

Interview von Sarah Pines aus: NZZ online, 25.1.2017

Frau Butler, seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten steigt in den USA die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe. Halten Sie dies für ein vorübergehendes Phänomen, oder hat Trump eine Wut freigesetzt?

Als Trump begann, offen alle Regeln des zivilen Zusammenseins zu brechen, sexistisch über Frauen zu sprechen oder über Einreiseverbote für Muslime und Mexikaner, hat seine Rhetorik vor allem unter konservativen Fortschrittsgegnern alte Ängste und eine alte Wut freigesetzt. Wut auf die Fortschritte von Feminismus und Multikulturalismus, auf Obama und die mit seiner Präsidentschaft einhergehende gesellschaftliche Erstarkung der afroamerikanischen Bevölkerung, Wut auf den Islam, auf Latinos, Migranten, das Fremde. Endlich können diese Leute frei reden, als seien Feminismus und Antirassismus das Über-Ich gewesen, das sie unterdrückt und davon abgehalten hatte, ihre Wut laut auszusprechen.

Viele Gruppen ausserhalb des gesellschaftlichen Mainstreams, religiöse Minderheiten, Immigranten, Afroamerikaner, Linke oder körperlich Beeinträchtigte haben Angst vor der neuen Regierung. Ist dies nicht wiederum Paranoia, unnötige Panikmache?

Ich fürchte, nein. Das Problem mit der Paranoia ist ja, dass die Realität dem Paranoiden zuarbeitet, und gegenwärtig leistet die Realität – der Beginn von Trumps Präsidentschaft – gute Arbeit darin, unsere schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.

Worin sehen Sie die grösste Gefahr, die mit der Präsidentschaft Trumps erwächst?

Ich befürchte einen amerikanischen Nationalismus, indem der Präsident sich die Macht nimmt, Grundrechte ausser Kraft zu setzen, Minderheiten zu verfolgen, Internierungslager zu errichten, Register einzuführen, die grundlegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien widersprechen. Ich habe nicht nur Sorge hinsichtlich der Zerstörung der Verfassung, sondern auch hinsichtlich eines offiziellen, grossangelegten staatlichen Chauvinismus, eines Obersten Gerichtshofs, der Abtreibung und reproduktive Rechte kriminalisiert. Guantánamo könnte ausgebaut werden, neue Guantánamos könnten entstehen. Ich erwarte die Gefährdung demokratischer Grundprinzipien und staatliche Übergriffe. Es würde mich nicht überraschen, wenn es neue und grössere Militärangriffe im Ausland, etwa in Syrien und im Nahen Osten, gäbe, auch in Allianz mit der Türkei oder Israel. Es könnte auch zu Einschränkungen des Rechtes auf Meinungsfreiheit kommen. Ja, ich mache mir grosse Sorgen.

Natürlich leben die Intellektuellen in den USA in einer Blase. Aber eine neue Zeitrechnung hat eben begonnen.

Ist der Alarmismus der Linken, die in der Rhetorik bereits die Tat ahnen, übertrieben?

Mich überrascht der kultivierte Teil von Trumps Wählersegment. Darunter finden sich viele, die zwar selbst keine chauvinistischen Tendenzen hegen, denen nicht gefällt, was Trump über Frauen, Schwarze, Mexikaner oder Muslime sagt. Zugleich haben sie jedoch ein so grosses Sicherheitsbedürfnis, dass sie einen Rassisten und Sexisten als Präsidenten in Kauf nehmen, weil sie denken, er werde ihre Unternehmen oder Nachbarschaften sichern. Diese Leute schauen weg, und das ist genauso besorgniserregend wie die Zeitungen, die begonnen haben, Trumps Präsidentschaft als normal anzusehen.

Weil viele erwarten, es werde schon nicht so schlimm kommen . . .

. . . und er sage nur verrücktes Zeugs, ja. Doch seine Worte setzen Zeichen. Andere glauben daran. Die Versammlungen der White Supremacists sind widerlich. Trump brauchte mehrere Tage für die Worte «Ich verurteile» – er verwendete nicht einmal ein Objekt im Satz. Er hätte sagen müssen: «Ich verurteile White Supremacy.» Mit so einer schwachen Distanzierung setzt er das Signal: «Ja, ihr dürft rassistisch sein, wir sind wieder ein rassistisches Land, der Rassismus wird herrschen.»

Was kümmert Menschen des Rust Belt, die nicht wissen, ob sie am Ende des Monats die Rechnungen zahlen können, die Schwulenehe oder Black Lives Matter. Wie stehen Sie als vehemente Vertreterin der Gender-Politik hierzu?

Hillary Clinton hat sich nicht mit wirtschaftlicher Ungleichheit beschäftigt, sondern mit Multikulturalismus. Ausserdem vertrat sie einen eigenen, engen Feminismus, der Klassenunterschiede nicht mit einbezog. Was bisher fehlte, ist eine genaue Analyse wirtschaftlicher Ungleichheit, die auch die Gründe für die Unzufriedenheit derer betrachtet, denen es wirtschaftlich schlechtgeht.

Warum sollten wirtschaftlich Leidende einen Superreichen toll finden? Trump suggerierte, er sei ihr Verbündeter, der das System ebenso verachte wie sie. Mit Trump hatten sie jemanden, der sie fühlen liess, sie seien zu kurz gekommen und die Eliten seien schuld an ihrer Misere. Aber das Problem ist nicht so sehr die kulturelle Elite, das Problem ist, dass die politische Basis nie die Wut berücksichtigt hat, die mit wirtschaftlicher Enteignung und Entrechtung einhergeht.

Wäre Bernie Sanders also der bessere Gegner gewesen?

Hillary Clinton dachte, sie könne sich Trumps Hate Speech mit einer Rhetorik der Liebe entgegenstellen. So ermöglichte sie ihm, die Wut für eigene politische Zwecke zu monopolisieren. Damit war die Chance auf einen linken Populismus vertan, also auf eine Opposition, die die Wut der Wähler in linke Politik oder auch nur sozialdemokratische Positionen umleitet. Dafür zahlen wir nun, und wir werden noch lange dafür zahlen.

Trump hat pauschal gegen Muslime mobilgemacht. Auch in Europa, wo tatsächlich viele Muslime leben, wächst die Islamfeindlichkeit. Dabei stellt die muslimische Frau ein grösseres Spektakel dar als der muslimische Mann: Burkini am Strand, Kopftuch und Hijab erregen eher Unwillen als Rundbart und Überkleid. Wo genau sehen Sie hier Frauenfeindlichkeit am Werk?

Meiner Ansicht nach verstehen Europäer, die gegen das öffentliche Tragen des Kopftuchs sind, dasselbe als Symbol sexueller oder religiöser Unterdrückung. TV-Debatten französischer Feministinnen zeigen, wie die sexuelle Freiheit der Frau inzwischen von Organisationen verwaltet wird, die allein in säkularen Gesellschaften möglich scheinen. Doch nicht alle Frauen, die den Hijab tragen, werden dazu gezwungen; es geht um kulturelle und religiöse Zugehörigkeit, Formen individuellen Ausdrucks. Wenn wir eine fortschrittliche, weltliche Gesellschaft sein wollen, müssen wir uns Diskriminierungen auf Grundlage von Kleidung widersetzen. Es gibt das Recht auf freie Kleiderwahl.

Sie verfechten eine prononciert linke Politik. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?

Jetzt, da die Linke langsam aus ihrem Schock erwacht, muss sie bisherige Formen des Widerstandes überdenken, neue, andere Bündnisse schliessen – hier und im Ausland, virtuell und auf der Strasse –, neue Organisationen gründen, neue Machtformen kultivieren, wie zum Beispiel die Nichtumsetzung von Gesetzen. Es geht um zivilen Ungehorsam, der gerade in den USA über eine stolze Tradition verfügt. Was mich sehr bewegt hat, ist die Erklärung des Los Angeles Police Department, sich nicht an einem von Trump angedrohten Registrierverfahren für Muslime zu beteiligen oder Deportationen vorzunehmen.

Sie bleiben also optimistisch?

Ich glaube, dass es Widerstand geben wird. Im Übrigen glaube ich an unrealistische Ziele, das tut auch die Kunst, das tut der Film, das tun Dokumentationen und journalistische Fotografien; alle geben uns ein Bild, eine Vorstellung, eine radikale Ablehnung von Rassismus und von Chauvinismus. Längerfristig bleibt die Frage, wie sich die Menschen noch begeistern lassen ausser durch Wut und Hass.