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Donnerstag, 20. Februar 2025

Angst, Deutsche Angst

Georg Diez

Die deutsche Krankheit

Das sind keine normalen Wahlen in Deutschland. Was bricht hier auf? Wie konnte das Land in diese Lage geraten?

Republik 17.02.2025

Die deutsche Krankheit ist die Angst. Sie hat sich in die Gesichter der Menschen gefressen, sie schaut aus ihren Augen, wenn sie einem mit eingezogenem Kopf auf dem Bürgersteig entgegen­kommen und beharrlich geradeaus schauen, geradeaus gehen, geradeaus denken. Sie durchzieht ihre Körper und macht sie hart und unnahbar und auf eine gewisse Art grausam, die ich als Kind fast physisch gespürt habe und vor der ich immer wieder zu längeren Aufenthalten ins Ausland geflüchtet bin und mit der ich nun täglich konfrontiert bin, je länger, desto Merz.

Es ist eine Angst, die sich im Verhalten äussert und im Denken. Es ist die Angst vor anderen Menschen, die Angst vor sich selbst, die Angst davor, aufzufallen, die Angst vor neuen Gedanken, die Angst vor der Welt, die Angst vor Eleganz, Schönheit, vor allem, was man nicht kennt. Sie ist nicht immer sichtbar, diese Angst, und sie ist nicht bei allen Deutschen da. Aber sie kommt hervor, wenn die Zeiten härter werden, und sie wird dann umso unheimlicher.

Es ist eine Angst, die sich im Lauf der Geschichte oft in Aggression verwandelt hat. Sie liegt im Ursprung des deutschen Komplexes als Land, das zu gross ist in der Mitte Europas und zugleich so unsicher, was Rolle und Identität angeht. Die beiden Welt­kriege des 20. Jahrhunderts lassen sich so teilweise erklären, eine geo­politische Unwucht, die sich entweder in deutscher Dominanz oder deutscher Expansion äusserte. Nach 1945 war die Spaltung des Landes Garant für geopolitische Vernunft. Seit 1990 ist das Land wieder in Bewegung. Es ist wieder zu gross und zu klein zugleich. Das schafft Spannungen.

Ich glaube nicht, dass sich Geschichte wiederholt. Ich glaube aber auch nicht, dass sich Völker so schnell und grund­legend ändern, dass Strukturen von Gewalt verschwinden, die in der Erinnerung der Täter lange Teil der deutschen Gesellschaft waren und an die Kinder und die Enkel weiter­gegeben wurden. Die deutsche Angst und Geschichte reichen allerdings tiefer als bis zu Adolf Hitler. Wenn ich über dieses Land nachdenke, heute, dann sehe ich ein Land voller Bruch­linien, die nicht direkt sichtbar sind. Ein Land, das sich in der Völker­wanderung geformt hat, ein Land, das immer noch vom römischen Limes zerteilt ist, die Grenze der Zivilisation – man merkt immer noch, wo die Römer waren und wo nicht.

In diesen Tagen scheint all das präsenter zu sein als je zuvor in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir sehen, wie sich in Europa und in den USA ein neuer Faschismus formt, der nur wenig mit dem alten Faschismus zu tun hat. Dennoch greift er auf bestimmte historische Formen zurück: bislang vor allem auf das Freund-Feind-Schema der politischen Auseinander­setzung, die Gedanken­kontrolle und massive Säuberungen im Staats­apparat, Einschüchterung der freien Medien, exekutive Dominanz, rassistische Ausgrenzung, persönliche Interessen und Bereicherung, Anbiederung der Eliten und der Industrie, Gewalt gegen die Schwächsten.

Jedes Land hat dabei seine bestimmte Form des Faschismus. In Deutschland sind die Rechts­extremen von der AfD in Ton und im Auftreten, in den Biografien und in den Netz­werken brutaler als etwa in Frankreich oder Italien. Es hat sich in diesem Land etwas von der exterminatorischen Verachtung der Zeit zwischen 1933 und 1945 bewahrt – zum Teil haben die Leute in der AfD durch ihre Familien­geschichte direkte Verbindungen zum National­sozialismus: Beatrix von Storch etwa, deren Grossvater Reichs­finanz­minister unter Adolf Hitler war und 1949 als Kriegs­verbrecher zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

In diesen Wochen vor der Bundestags­wahl am 23. Februar nun ist das Land von dramatischen Konvulsionen durchzogen. Die beiden Abstimmungen vom 29. und 31. Januar, bei denen die CDU auf die Stimmen und die Unterstützung der AfD gesetzt hat, um eine massive Verschärfung im Zuwanderungs­recht zu erreichen, die gegen das deutsche Grund­gesetz und gegen europa­politische Grund­sätze verstösst, haben das Land verändert, haben vor allem die aggressive Art der deutschen Angst wieder sichtbar gemacht: Es ist ein rücksichtsloser Egoismus, der in der Sprache eine Rohheit erzeugt, die das Ende liberaler Politik bedeutet, die auf Verhandlungen und Kompromiss setzt.

Ich weiss von vielen, die darüber nachdenken, was sie tun würden, wohin sie gehen würden, wenn die AfD an die Macht kommt. Ich auch. Ich denke auch darüber nach, was es heisst: «an die Macht kommen», und ob die Macht der AfD nicht schon gross genug ist, gefährlich gross. Wann ist also der Augenblick zu gehen? Wann weiss man, dass es nicht mehr geht? Und was macht man davor? Hundert­tausende sind in Deutschland auf die Strasse gegangen, um gegen Friedrich Merz und seinen Pakt mit der AfD zu demonstrieren. Das ist wunderbar. Aber reicht es?

Es sind schwierige und einiger­massen deprimierende Tage in Deutschland, unterbrochen von diesen wichtigen Momenten, vom Auflehnen der Zivil­gesellschaft, vom Widerstand von Freunden. Manche lesen in diesen Tagen Stefan Zweigs «Die Welt von Gestern», weil darin erzählt wird, wie eine Gesellschaft, wie eine Welt wegkippt. Andere lesen Heinrich Manns «Der Untertan», weil hier so präzise wie nirgends sonst der deutsche Geist beschrieben wird, der sich in aggressiver Unterwürfigkeit zeigt: «Wer treten wollte», so heisst ein Schlüssel­zitat für den deutschen Faschismus, «muss sich treten lassen.»

Auch Heinrich Mann erzählt von der deutschen Krankheit – davon, wie Angst und Provinzialismus zusammen­hängen und Angst und Irrationalität, die sich individuell und gesellschaftlich äussert. Das eine ist ein Problem, das andere ein Pogrom. Heinrich Manns Bruder Thomas erfasste die doppelte deutsche Dunkelheit von Irrationalität und Grössen­wahn in seinen Romanen und Reden – sie lesen sich historisch, sie scheinen weit weg, «Doktor Faustus» etwa, wo die Dunkelheit der Avant­garden verhandelt wird. Aber noch mal: Wie vergeht Geschichte, wie ändern sich Menschen, was bleibt von Grausamkeiten in Gesellschaften?

Es bricht gerade vieles auf und einiges bricht zusammen. Die Wahl von Donald Trump hat das alles beschleunigt, was latent vorhanden war. Der Einfluss von Elon Musk ist dabei besonders mächtig. In Deutschland ist diese Veränderung deutlich zu spüren. Es scheint etwas wie einen Nachahmungs­effekt zu geben, eine Mischung aus speziell deutschem Ressentiment etwa in der Migrations­debatte und einem generellen Zeitgeist, der hin zu mehr nationalem Egoismus geht und zu mehr Härte zwischen Staaten und zwischen Menschen. Die deutsche Gesellschaft und Politik, fürchte ich, sind darauf nicht gut vorbereitet.

Der Wahlkampf ist bisher ein Spektakel der Ideenlosigkeit. Es fehlen der Wille und die Energie, sich eine Zukunft für das Land vorzustellen, ausser vielleicht bei der innovativen und interessanten Partei Volt, die als europaweite Partei eine andere Vorstellung etwa von Migration vertritt. Ansonsten sind ausser der Partei Die Linken und mit Abstrichen den Grünen wiederum so gut wie alle Parteien in der Rhetorik von rechts gefangen und reagieren auf die Forderungen nach andauernder Verschärfung von Zuwanderung – obwohl es gravierende andere Fragen gibt in diesem Land, die zuerst oder wenigstens im Zusammen­hang angegangen werden müssten.

Zuwanderung etwa, die nur als Gefahr diskutiert wird, ist notwendig als Einwanderung für ein alterndes Land – die deutsche Wirtschaft, eh schon angeschlagen und teilweise abgeschlagen im Welt­massstab, droht durch den Fachkräfte­mangel weitere Probleme zu bekommen. Industrie­politisch ist die Rücknahme des Verbots von Verbrenner­motoren ein Zeichen für die Retro-Sehnsucht, die diese Gesellschaft durchzieht. Die Klima­krise wird weitgehend verschwiegen, die KI-Revolution auch. Es ist in vielen Bereichen diese Angst vor der Zukunft, die zu Regression und reaktionärer Politik führt.

Viel kommt da nicht von der SPD, die auf ihren Plakaten Olaf Scholz zeigt und eine Deutschland­fahne. Und auch die Grünen plakatieren vor allem Worte oder Wünsche statt Programme und Ideen: «Zuversicht» etwa oder «Zusammen». Die Konservativen der CDU und CSU waren schon vorher ratlos, aber sie konnten es ganz gut verstecken, weil sie in der Opposition waren. Nun sind sie auf dem Weg, den Kanzler zu stellen, und sie merken, dass sie etwas brauchen, das sie den Wählerinnen anbieten – es reicht nicht, einfach nicht die SPD oder die Grünen zu sein und sich mehr oder weniger gegen eine AfD zu stellen, die die CDU als Haupt­gegner ausgemacht hat.

In dieser Situation wirkt das, was sich gerade in den ersten Wochen von Donald Trumps schicksal­hafter Präsidentschaft vollzieht, wie eine Richtungs­angabe: Entgegen aller Vernunft und allen Beispielen, aus den USA, Frankreich, Italien, Gross­britannien, gehen auch die deutschen Konservativen den Weg nach rechts, weil sie denken, dass sie hier Schärfe und Profil gewinnen könnten und Stimmen noch dazu. Das war das Fanal vom 29. Januar 2025, als die CDU zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegs­geschichte einen Bundestags­beschluss mit Unter­stützung der Rechts­extremen durchbrachte.

Die Beispiele aus der jüngeren Zeit zeigen relativ eindeutig, dass konservative Parteien, die sich nach rechts bewegen, im Fall der CDU durch eine harte Migrations­politik, die gegen das deutsche Grund­gesetz verstösst und gegen europäisches Recht, ihren Wesens­kern verlieren und von den Rechts­extremen an die Wand gespielt werden, ausgehöhlt, verspeist. Es ist nicht der Weg von Weimar, aber es ist das, was in Washington, Rom und London passiert ist und sich in Paris ankündigt, wo Marine Le Pen 2027 Präsidentin werden könnte.

Das speziell Deutsche an dieser Situation wurde in den vergangenen Tagen deutlich: So haltlos sind die deutschen Konservativen, so amateurhaft agiert das Personal, besonders Friedrich Merz, der eigentlich seine Kanzler­kandidatur verzockt hat, und sein eifriger General­sekretär Carsten Linnemann, der, so gehen die Gerüchte, gern Merz noch in der kommenden Legislatur­periode stürzen würde, Merz ist 69, Linnemann ist 48. Es ist ein Generationen­unterschied, und der Eindruck ist, dass sehr rechts ein Zukunfts­versprechen existiert, das es sonst gerade nicht gibt.

Dieses Zukunfts­versprechen formt sich aus Angst und Aggression. Die CDU traut sich nicht, «Make Germany Great Again» zu tapezieren, aber ihr Slogan «Ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können» geht schon in diese Richtung. Gegen die Angst vor der Zukunft, so scheint es, hilft zurzeit das Versprechen einer Zukunft, die frei von Veränderung ist: «Wir können ein starkes Land sein», so erklärt es Friedrich Merz, «wenn wir die Tugenden wieder wertschätzen, die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand waren: Leistungs­bereitschaft, Fleiss, Anstand, Gerechtigkeit und Gemeinwohl­orientierung.»

Was die Deutschen immer suchen, ist das, was sie zusammen­hält, gegen andere. Das hat meistens etwas Ausgrenzendes. Die Angst ist das Verbindende in diesem Land, und solange sie sich anderweitig binden liess, etwa in engen Camping­siedlungen oder Kleingarten­anlagen oder dem alltäglichen Kontroll­wahn, den jeder kennt, der schon mal bei Rot eine deutsche Ampel ignoriert hat, solange sie anderweitig und demokratisch gebunden war, blieb sie wie ein bleierner Boden­satz in diesem Land, das beharrlich überschätzt wird, von sich selbst und von anderen.

Nun aber ist es anders. Nun ist die Demokratie ins Wanken geraten, und die handelnden Personen, allen voran Friedrich Merz, lassen einen nicht darauf vertrauen, dass sie Rechts­staatlichkeit vor ihre eigenen Interessen stellen. Ein Problem ist dabei die Energie- und Ideen­losigkeit der progressiven Seite, die sich zu sehr auf den Angst­diskurs einlässt.

Es sind dunkle Tage in Deutschland. Ich arbeite dagegen an. Aber ich muss auch zum ersten Mal in meinem Leben sagen: Ich habe Angst vor der deutschen Angst. 

Freitag, 10. Januar 2025

Sinkflug des Konservativismus

Konservativismus und Rechtspopulismus

Koalition mit der FPÖ: "Das könnte die ÖVP in eine existenzielle Krise führen"

Als möglicher Juniorpartner der FPÖ muss sich die ÖVP von der Idee verabschieden, sie könne die Rechtspopulisten entzaubern. Im Gegenteil geht die ÖVP große Risken ein, 

Thomas Biebricher im Interview. KURIER, 10.1.2025

Thomas Biebricher ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Krise des gemäßigten Konservatismus in Deutschland und Europa. 


Der Krise, oft gar der Sinkflug, der gemäßigten Konservativen in Europa gilt seit Jahren Thomas Biebrichers Forschungsblick. Geht die ÖVP nun tatsächlich eine Koalition mit der FPÖ ein, sieht der deutsche Politologe, der an der Goethe-Universität in Frankfurt lehrt, "große Gefahren" für die österreichischen Konservativen" - bis hin zu einer Zerreißprobe für die ÖVP

KURIER: Sie sagen, eine Koalition mit der FPÖ könnte die ÖVP mittelfristig in eine existenzielle Krise führen. Was bringt Sie zu dieser Vermutung?

Thomas Biebricher:  Die Erfahrung zeigt, dass es für konservative Parteien selten gut ausgeht, wenn sie sich mit rechts-autoritären Kräften einlassen. Und das sogar, wenn die Konservativen die Seniorpartner waren. Man denke beispielsweise an die Niederlande oder an Italien. In fast allen Fällen kommen konservative Parteien schlechter raus als solchen Koalitionen als sie reingehen. Dies gilt umso mehr, wenn man wie im Fall der ÖVP als Juniorpartner so eine Partnerschaft eingeht. 

Warum ist das so riskant?

In solch einer Konstellation kann die ÖVP wenige Wähler und Wählerinnen von der FPÖ dazugewinnen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie bei der nächsten Wahl zur ÖVP wechseln. Umgekehrt werden jene zur Mitte orientierten Milieus, denen es um eine seriöse bürgerliche Politik geht, abgeschreckt. Wenn man zudem als Juniorpartner so eine Koalition eingeht, kann man auch kaum das Argument liefern: okay, wir bringen sie zur Raison. Daher denke ich, dass die ÖVP viel in der Mitte verlieren wird.

Koalition mit der FPÖ: "Das könnte die ÖVP in eine existenzielle Krise führen"

Man muss nur nach Frankreich schauen: Das mahnende Beispiel der Republikaner, die sich im Umgang mit dem Rassemblement National schon mehr oder weniger selber zerlegt haben. Ein ähnliches Schicksal könnte der ÖVP drohen. Ein Teil der ÖVP wird sich der FPÖ noch weiter sehr stark annähern. Aber ein anderer Teil der ÖVP – wenn auch vielleicht nicht der aktuell tonangebende – wird hier massive Vorbehalte haben. Daraus resultiert die große Gefahr. 

Wird die ÖVP dadurch ihr eigenes Profil verlieren?

Obwohl die ÖVP mit den Grünen in einer Koalition war, ist sie unterschwellig schon relativ lange näher an die FPÖ herangerückt - was die Migrationspolitik oder die Kultur-kämpferischen Themen usw angeht:  Daher sehe ich nicht klar, wie sich die ÖVP von der FPÖ in so einer Koalition abheben will. Im Wahlkampf hatte sie ihr eigenes Profil abgesehen von Sachthemen ein Stückweit darauf aufgebaut, dass sie keine Koalition mit der FPÖ eingeht. Das ging jetzt natürlich verloren. Daher wird es nicht einfach sein, sich ein erkennbares Profil zu erhalten. 

Warum lässt sich dann eine Partei darauf ein, mit einer stärkeren zu koalieren, wenn sie letztendlich schlechter aussteigt als vorher? 

Im Falle von Österreich müsste man auch einfach sagen: Wegen der Ermangelung von Alternativen, denn diese wären wahrscheinlich Neuwahlen gewesen. Da hatte man vermutlich die Befürchtung, dass die FPÖ danach noch stärker dastehen könnte.

Wie Elon Musk den Wahlkampf in Deutschland aufmischt

Aber man hätte sich vielleicht doch ein bisschen mehr bei diesen Koalitionsverhandlungen anstrengen müssen. 

Was halten Sie von der These, dass sich Rechtspopulisten entzaubern lassen, sobald sie mitregieren oder überhaupt regieren? 

Ich sehe dafür keine starken empirischen Belege. Sowohl in Österreich als auch in den Niederlanden, wo Rechtpopulisten in die Regierung eingebunden waren und scheiterten,  sind sie nach einer Weile gestärkt zurückgekommen. Was ist genau damit gemeint, sie zu entzaubern? Das kann vielleicht funktionieren, wenn Rechtsautoritäre allein die Regierung stellen. Aber wenn eine konservative Partei als Seniorpartner agiert, wollen Regierungspartner gut dastehen. Und da wäre es schon ein Kunststück, sich selbst als erfolgreich darzustellen und gleichzeitig den Koalitionspartner dabei zu entzaubern und nachzuweisen, wie regierungsunfähig die Rechtspopulisten sind. 

Die ÖVP hat eine 180 Grad Wende vollzogen. Können Sie sich so etwas in Deutschland auch vorstellen -  Koalitionsgespräche zwischen der CDU und der in Teilen rechtsextremen AfD? 

Nicht nach der jetzt anstehenden Wahl und nicht unter der Führung von Friedrich Merz. Das würde ich im Moment ausschließen. Da müsste der CDU-Chef erst zurücktreten oder wir sprechen von der Wahl 2029. Merz hat keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit der AfD. Er blinkt zwar rhetorisch auch immer mal wieder rechts, das halte ich auch durchaus für bedenklich, aber gleichzeitig ist er ein zutiefst bürgerlicher Typ, der auf die AfD-Leute herabschaut. Zudem ist der CDU-Führung klar, dass es die Partei zerreißen würde, wenn sie versucht, eine Art von Zusammenarbeit mit der AfD herbeizuführen.

Das könnte der ÖVP auch passieren, dass es die Partei zerreißt. 

Offensichtlich nimmt man das in Kauf. 

In Deutschland steht die Brandmauer zu den Rechts-Populisten noch -  im Gegensatz zu Österreich und auch zu zu vielen anderen europäischen Staaten. 

Sie steht in Europa fast nirgends mehr, auch nicht auf der Ebene der Europäischen Union.

Bestimmte Parteien am rechten Rand sind einfach sehr stark geworden. Es wurde schwierig, sie zu ignorieren und konsequent auszugrenzen. Das sieht man besonders in Österreich. Die Strategie der Ausgrenzung hat ihren politischen Preis. Parteien, die nur überschaubare Schnittmengen miteinander haben, müssten sich irgendwie zu einer Koalition zusammenraufen – aber das stößt eben an gewisse Grenzen.

Und es führt letztlich in vielen Fällen zur Schlussfolgerung, dass man es tatsächlich einmal mit den anderen, den Rechts-Autoritären versuchen muss  - und hofft dabei, ihnen zumindest den Nimbus des Anti-Establishments und des Radikalen nehmen zu können. Aber das macht diese natürlich auch wiederum in gewisser Weise attraktiver, es gibt ihnen einen großen Legitimierungsschub, sie gelten dann nicht mehr als die politischen Schmuddelkinder. 

Sind wir an dem Punkt, dass christdemokratische Parteien bald nur noch mit mit ganz rechten Parteien zusammenarbeiten können oder müssen, um an die Macht zu kommen? Oft gibt es eine regelrechte Abneigung, mit Grünen oder Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. 

Das ist das Problem. Wir sehen etwas Ähnliches in Deutschland, wo sich die CSU mit Händen und Füßen gegen eine Koalition mit den Grünen wehrt. Dann muss man sehen, wo man überhaupt noch seine Mehrheiten zusammenkriegt. Mit der FDP wird es nach den Wahlen  für die Union nicht reichen, und mit dem Bündnis Wagenknecht ist auch nichts zu machen.

Warum die EU zum Stolperstein für die Koalition werden könnte

Mit den Linken natürlich auch nicht, falls sie überhaupt in den Bundestag reinkommen. Es hängt also alles daran, ob die SPD bereit ist, in eine große Koalition zu gehen. Und wenn nicht – wie soll dann eine Regierung ohne die Afd zusammenkommen? Man muss halt bei allen Differenzen irgendwie koalitionsfähig sein. Ansonsten begibt man sich selbst mutwillig in eine Situation, in der es keine andere Möglichkeit mehr zu geben scheint, als mit rechten, autoritären Kräften zusammenzuarbeiten.

Die meisten rechtspopulistischen Parteien bieten nur Rezepte aus der Vergangenheit:  Früher war alles besser  - keine Migranten, keine Klimaschützer. Also wo sind die vorwärtsgewandten Konzepte? 

Aus dem konservativen Selbstverständnis heraus gibt es einen bewahrenden Impuls. Die Rechtsautoritären haben als Ziel eine Retrotopie, also eine Vergangenheit als Ideal, die wahrscheinlich auch nie wirklich so war. Aber um dahin zu kommen, muss nach ihrem Dafürhalten erst mal nach vorne gerichtet eine massiv disruptive Politik betrieben werden: Man muss erst einmal die Dinge auseinandernehmen, um sie dann möglicherweise wieder neu aufzubauen. Aber dieses Bewahrende, Staatstragende, was mit den Konservativen doch recht stark verbunden ist, das geht ihnen völlig ab.

Dienstag, 5. Dezember 2017

Ende des Parteiensystems. Ende der Volksparteien

Colin Crouch im Interview

"Das Parteiensystem ist am Ende"

Professor Crouch, wird der Einzug der AfD in den Bundestag auch zu einer „Trumpisierung“ der deutschen Politik führen, weil nun populistische Themen von vielen Parteien übernommen werden?

Es wird sich nicht nur um eine Trumpisierung Deutschlands handeln, sondern um eine Europäisierung des Populismus. Denn diese Parteien und Bewegungen haben in Österreich, den nordischen Ländern, den Niederlanden, Frankreich, Ungarn, Polen und Großbritannien bereits Bedeutung erlangt. Aber in Deutschland bleibt die AfD hauptsächlich eine Partei der Bundesländer, die in der früheren DDR liegen.

Welche Folgen könnte das für die EU haben?

Die Konsequenzen sind gering. Selbst wenn man die Zweideutigkeit der „neuen“ FDP berücksichtigt, existiert ja nur eine kleine Minderheit der deutschen Gesellschaft, die für europafeindliche Parteien gestimmt hat.

Der französische Präsident Macron will ein teures Paket für die EU auf den Weg bringen. Die FDP wird versuchen, das zu stoppen. Könnte die deutsche Wahl Europa lähmen?
Die Macron-Politik wurde ja schon kontrovers in Deutschland diskutiert. Ja, vielleicht wird es nun noch schwerer – wenn die ,Jamaika-Koalition‘ schließlich existiert.

Die Flüchtlingsfrage hat der AfD viele Stimmen eingebracht. Ist der Erfolg der AfD in Deutschland und der „Rechten“ in Europa auch eine Reaktion auf die Globalisierung?

Es ist doch offensichtlich, dass Europäisierung, Globalisierung, Zuwanderer, Flüchtlinge, Terrorismus völlig verschiedene Bereiche darstellen. Aber genau darin liegt der Erfolg des Rechtspopulismus in Europa und in den Vereinten Staaten, diese Phänomene miteinander zu vermischen. Das ist der Sieg des berüchtigten „Post-Faktischen“.

Trotzdem sorgt die Globalisierung auch für Ängste nicht nur im rechten Spektrum. Kann man die Globalisierung zurückdrehen? Trump scheint das ja zu glauben.

Ja, gewiss geht das, aber mit einer Rückkehr in eine Welt des Protektionismus und der abgeriegelten Nationen hinter festen Grenzen sowie mit weniger Handel und internationalen Reisen und einer erhöhten Fremdenfeindlichkeit. Wenn es viele Regierungen der Welt gibt, die einen solchen verarmten, gefährlichen Planeten wünschen, könnten sie ihn schaffen.

Es gibt in ganz Europa rechte Parteien in den Parlamenten. Der Erfolg der AfD wäre daher Teil einer Normalisierung. Gilt das auch für Deutschland, das besonders schlimme Erfahrungen mit rechten Parteien gemacht hat, vor allem der NSDAP?

Man muss sich immer wieder klar machen, dass die AfD besonders eine Partei der Ex-DDR ist. Es war die Sowjetunion, die die Menschen des Ostens gelehrt hatte, dass der Nazismus böse war. Aber oft ist der Feind meines Feindes mein Freund.

Wird die AfD an sich selbst zerbrechen – oder sind das doch nur Hoffnungen der anderen Parteien?

Das kommt vor – und der Prozess der Zersetzung hat schon begonnen. Wenn solche Parteien einmal die Regierungen dominieren würden, könnten sie die Diktatur dazu gebrauchen, um interne und externe Konflikte zu unterdrücken. Aber bis zu diesem Punkt haben diese populistischen Parteien immer furchtbare Probleme mit inneren und äußeren Konflikten, einfach weil sie demokratische Debatten und Argumente nicht verstehen.

Die SPD stürzt immer tiefer, auch die CDU hat massiv verloren, erleben wir das Ende der klassischen Volksparteien? Wird es bei der nächsten Wahl in vier Jahren noch sichtbarer werden?

In den meisten europäischen Ländern ist das Parteiensystem der Nachkriegszeit an sein Ende gelangt. Der Grund ist, dass die herkömmlichen Identitäten von Klassen und Religionen, die es einst definierten und strukturierten, selbst an ihr Ende gekommen sind. Die alten großen Parteien müssen lernen, die neue Lage anzunehmen. Im linken Spektrum gibt es eine bunte Vielfalt von Sozialdemokraten, Grünen und Linkssozialisten. Rechts ist die Lage jedoch gefährlicher, weil Konservative und Liberale die Rechtspopulisten direkt vor ihrer Haustür vorfinden. Werden sie ihnen erlauben einzutreten? Oder würde ein solcher Eintritt viele Liberale und gemäßigte Konservative in die Richtung des linken Spektrums senden?

Eine offene Frage. Aber was zum Beispiel kann die SPD noch retten?

Es ist oft schwierig, der Juniorpartner einer großen Koalition zu sein, besonders wenn die Kanzlerin selbst so sozialdemokratisch ist! Eine Legislaturperiode als Oppositionskraft wird der SPD helfen. Wenn man die SPD, die Linken und die Grünen einmal als einheitliche politische linke Kraft sieht, ist ihre Lage ja nicht so schlimm. Das Problem bleibt jedoch nach wie vor die Koalitionsunfähigkeit der Linken, die noch einige Ex-SED Menschen in ihren Reihen hat. In ein paar Jahren wird das von selbst gelöst sein. Man kann sich durchaus eine zukünftige, Post-Merkel-Linkskoalition vorstellen.

Was halten Sie von einer Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP, der sogenannten Jamaika-Koalition?

Mit der alten sozialliberalen FDP der 70er-Jahre würde sie möglich und auch praktikabel sein. Was aber ist mit der neuen FDP? Sind sie neoliberal oder sogar fremdenfeindlich? „Pro-business“ oder euroskeptisch? Sie haben interne Widersprüche, die in der Opposition vielleicht haltbar sind. Aber innerhalb einer Regierung?

Das Interview führte Michael Hesse. Frankfurter Rundschau 5.Dez. 2017