Angstpolitik. Die Spaltung der USA
Richard Kreitner im Interview, in: taz, 3.10.2020
taz am wochenende: Machen wir ein Gedankenexperiment. Es ist das Jahr 2040, die Vereinigten Staaten von Amerika existieren nicht mehr. Wo würden Sie leben und wie würde das Land aussehen?
Richard Kreitner: Ich lebe in New York, ich mag die Stadt und die Menschen sehr. Wären die Vereinigten Staaten auseinandergebrochen, würde ich immer noch hier leben wollen. Vermutlich würden Kalifornien oder Texas die Union zuerst verlassen.
Warum?
Beide Staaten, auch deren Gouverneure und Mainstream-Politiker*innen, haben in den letzten Jahren mehr oder weniger laut über dieses Szenario nachgedacht. Die Geschichte zeigt, dass andere Staaten folgen, wenn einer seine Unabhängigkeit erklärt. Das haben wir aus dem Sezessionskrieg zwischen Nord- und Südstaaten von 1861 bis 1865 gelernt. Geografisch würde das Land wohl in mehrere regionale Nationen zerfallen und New York könnte eine nordöstliche Republik anführen. Ich bin kein Fan dieser Vorstellung. Im Endeffekt wäre das nur ein konfuser Prozess, um den Niedergang der Vereinigten Staaten zu verwalten.
Der Sezessionskrieg brachte die USA an den Rand der Auflösung. An welchem Punkt in der Geschichte war diese Gefahr ähnlich groß?
Zehn Jahre vor dem Sezessionskrieg hätte es beinahe einen ähnlichen Konflikt gegeben. Die Vereinigten Staaten expandierten in den Westen und die große Streitfrage war, ob die Sklaverei auch dort eingeführt werden sollte.
Was ist denn der historisch schwerwiegendste Faktor für die innere Instabilität der US-amerikanischen Union?
Besonders in der Anfangsphase der jungen Republik wirkte die Geografie des Landes destabilisierend. Nach der Revolution gegen Großbritannien, im späten 18. Jahrhundert, zogen Siedler auf die Westseite der Appalachen. Das Gebirge zieht sich im Osten der USA von Nord- nach Südosten. Um zu überleben, mussten diese Siedler Handel betreiben. Sie konnten ihre Waren aber nicht auf dem beschwerlichen Weg über die Berge schicken, an die östlichen Häfen wie New York. Also schickten sie ihre Waren den Mississippi runter, nach New Orleans. Allerdings war die Stadt damals nicht unter US-amerikanischer, sondern unter spanischer Kontrolle. Diese Leute standen also vor der Wahl, sich zum Osten zu bekennen, eine eigene Nation mit Treueschwur an Spanien zu gründen oder gleich ganz Teil von Spanien zu werden.
Wenn man in die Gegenwart schwenkt, auf die heutigen Konflikte und Diskurse in den USA, dann hat es den Anschein, als fände sich das Land erneut in einer Art Revolution wieder. Man könnte vielleicht sogar von einem diskursiven Kriegszustand sprechen.
Politik in den USA ist wie Bürgerkrieg mit anderen Mitteln. Manche Menschen sind bereit, auf noch schärfere Mittel als den Diskurs zurückzugreifen. Das ist beängstigend in einem Land, in dem es fast mehr Waffen als Einwohner*innen gibt. Linke und Rechte sprechen relativ locker über die Spaltung der USA. Nach den Wahlen 2016 meinten Bekannte von mir, dass sie gern ein eigenes Land gründen oder nach Kanada ziehen würden. Hinter den Rechten versammeln sich Verschwörungstheoretiker*innen, die schon den nächsten Bürgerkrieg kommen sehen. Solche Abspaltungsgedanken gibt es in den USA schon immer. Allerdings wirkt das politische System immer unfähiger, unsere inneren Streitereien abzufedern.
In seiner Wahlkampagne setzt Donald Trump auf Angst. Die Black-Lives-Matter-Proteste bezeichnet er als Terrorismus, China bedroht das wirtschaftliche Überleben der USA. Brauchen die Vereinigten Staaten die äußere und innere Bedrohung, um zusammenzuhalten?
Absolut. Es fing mit den Überfällen indigener Bewohner*innen auf die frühen Siedlungen an. Die Siedler*innen waren so verängstigt, dass sie sich zusammentaten, obwohl sie das nicht vorhatten. Das zieht sich bis heute durch. Die Angst hält das Land zusammen. Viel mehr als die Sprache, die Religion, Kultur oder die Geografie. Ständig wird irgendein Krieg ausgefochten, intern oder extern, kalt oder heiß, real oder metaphorisch, dauernd muss irgendein Feind bekämpft werden.
Ein konservativer Kommentator nannte die Sezession eine dumme Fantasie der Linken. Ihr Buch sei demnach nur ein Beweis für den linken Hass auf die Vereinigten Staaten.
Sobald sich Politiker*innen oder Intellektuelle, von welcher Seite auch immer, äußern, kommt gleich der Vorschlaghammer. All das sei festgefahren, links oder rechts. Ich bin nur ein Typ, der in seinem Kämmerlein ein Buch geschrieben hat. 2016, als ich die Idee zu dem Buch hatte, konnte ich natürlich nicht ahnen, dass wir heute eine Art Live-Action-Epilog dazu erleben würden.
Was wäre denn trotzdem ein triftiger Grund, die Union der Vereinigten Staaten aufzulösen?
Wir könnten so die Demokratie bewahren. Von den frühen Tagen der Verfassung bis heute sind sich viele Menschen einig, dass ein so großes Land nicht demokratisch regiert werden kann. 2016 gewannen die Demokraten die Präsidentschaftswahl mit drei Millionen Stimmen Vorsprung und trotzdem wurde Trump Präsident. Letztendlich bestimmt das Wahlmännerkollegium den*die Präsident*in. Wenn es dieses Jahr wieder so läuft wie 2016, könnte zum Beispiel ein Ultimatum zur Abschaffung dieses Kollegiums auf den Plan treten. Außerdem hat jeder Bundesstaat die gleiche Anzahl an Stimmen im Senat, obwohl zum Beispiel Kalifornien ungefähr 70 Mal so viele Einwohner*innen hat wie kleine Staaten wie Wyoming oder Rhode Island. Wo ist da die Balance? Ein weiteres Argument für eine Spaltung ist der Klimawandel. Wir haben zehn Jahre verloren, weil die USA völlig dysfunktional agieren. Anstatt nochmal zehn Jahre zu verlieren, wäre es besser, wenn die Staaten im liberalen Nordosten oder Kalifornien vorangehen.
Welche Wirkung hätte das denn auf die Bundespolitik?
In Kalifornien gelten strengere Regeln für Abgasemissionen von Autos. Aufgrund seiner Größe hat Kalifornien viel Gewicht bei der Bundesgesetzgebung. Wenn Kalifornien dieses Gewicht einsetzt, müssen sich andere Staaten diesen Regeln anpassen. Trump hat Kalifornien wegen seiner strengen Regeln verklagt, der Prozess steht noch aus. Wenn die Bundesregierung weiter progressive Vorstöße in den Bundesstaaten unterdrückt, werden sich mehr und mehr Menschen noch einmal überlegen, ob eine Loslösung von der Union nicht sinnvoller wäre. Aber wie gesagt, ich finde diese Vorstellung ganz und gar nicht gut.
Dennoch haben die Bundesstaaten Mittel an der Hand, um Widerstand zu signalisieren. Wie sehen die konkret aus?
Kalifornien könnte sich zum Beispiel langsam vortasten, ohne gleich komplett aus der Union auszutreten. Ein tragisches, aber interessantes Beispiel sind die großen Waldbrände dort. In solchen Fällen sind die Bundesstaaten sehr auf Hilfe von der Bundesregierung angewiesen und darin liegt ein wichtiger Beweggrund, nicht aus dem Staatenverbund auszutreten. Wie die New York Times kürzlich allerdings berichtete, wollte Trump diese offizielle Nothilfe für Kalifornien streichen, weil es nicht seine politische Basis ist. Wenn ein*e künftige*r republikanische*r Präsident*in ähnlich vorgeht, könnten Staaten wie Kalifornien zum Beispiel Steuereinnahmen zurückhalten, die an die Bundeskassen fließen. Demokratisch geführte Staaten zahlen mehr in diese Kassen ein als republikanisch geführte. Die nehmen mehr, als sie geben.
In ihrem Buch „Break It Up“ lesen Sie die Vorstellungen der USA gegen den Strich. Was wollen Sie im derzeitigen politischen Klima bei den Menschen auslösen?
Wir sprechen zu viel über Begriffe wie Nation oder Amerika. Letztendlich sind die Vereinigten Staaten eine Union einzelner Bundesstaaten, die schon seit langer Zeit schwächelt. Jeder Präsident spricht in der traditionellen Ansprache zur Lage der Union natürlich trotzdem davon, wie stark sie ist. Stattdessen steuern wir auf einen Bruch zu, auf eine Wahl, die möglicherweise angefochten werden wird, auf neue Gewalt auf den Straßen. Wir müssen also ganz bewusst und klar darüber diskutieren, ob die Union zusammenhalten soll oder nicht. Ansonsten schlafwandeln wir doch bloß in eine Katastrophe.
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Freitag, 16. Oktober 2020
Angstpolitik
Donnerstag, 13. Juni 2019
Das Volk, das gibt es nicht
Das Volk, das Volk, das hat immer recht
Thomas Steinfeld
Vor fast dreißig Jahren entstand in Schweden eine Partei, deren Programm aus drei Forderungen bestand: weniger Steuern, weniger Staatsapparat, weniger kriminelle Ausländer. Als die "Neue Demokratie" im Jahr 1991 in den Reichstag gewählt wurde, erklärte sie sich und ihresgleichen zum "Volk der Wirklichkeit" ("verklighetens folk"), in Abgrenzung zu den professionellen Politikern, die angeblich nicht von dieser Welt seien. Die "Neue Demokratie" dürfte die erste politische Organisation in einem westlichen Land nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein, die den Gegensatz zwischen einer diffusen Vorstellung von "Volk" und einer noch diffuseren Idee von "Elite" zu ihrer zentralen Botschaft machte.
Die "Neue Demokratie" gibt es schon lange nicht mehr. Die Partei ging im Jahr 2000 in Konkurs. Die Formel vom "Volk der Wirklichkeit" aber war so erfolgreich, dass sie einige Jahre später als Slogan einer anderen Partei zurückkehrte, nämlich der schwedischen Christdemokraten - wenngleich nunmehr gegen eine linksliberale "Kulturelite" gerichtet. Von dieser wurde behauptet, sie beherrsche die Medien. Diese Christdemokraten, die, anders als in Deutschland, in Schweden eine Partei für Pietisten und Antialkoholiker sind, ließen sich das "Volk der Wirklichkeit" sogar als Markenzeichen eintragen. Auch die Verwandlung eines Slogans in ein ideelles Monopol war wegweisend: Eine Realität, die unter dem Schutz des Urheberrechts steht, kann nichts anderes als eine Erfindung sein, auch wenn sie keiner für eine solche halten will. Populismus, erklärt der Basler Kulturwissenschaftler Sebastian Dümling in der Zeitschrift Merkur ("Volk durch Verfahren", Juni 2019) ziele darauf, "Simulationen zu finden, an denen sich das Da-Sein des Volks festmachen lässt".
Das "Volk" hat, wie auch die "Elite", in den vergangenen Jahren eine steile Karriere durchlaufen: in der "Alternative für Deutschland", vor allem in deren straßentauglichen Varianten, bei den "Gelben Westen" in Frankreich, bei den italienischen Ligisten. Schon lange entspricht dieses "Volk" nicht mehr dem "Volk", das in den Straßen von Leipzig demonstrierte, einzig dadurch, dass es sich selbst als "Volk" bezeichnete, die in der DDR stets behauptete Einheit von Volk und Führung bestritt und der Regierung auf diese Weise einen Dissens eröffnete, der bald nicht mehr zu überbrücken war. "Wir sind das Volk", hieß die Parole damals, mit der Betonung auf dem bestimmten Artikel, also im Sinne der "plebs", die sich gegen die Herrschenden erhebt. Später hieß es dann: "Wir sind ein Volk", wiederum mit der Betonung auf dem Artikel, dieses Mal aber dem unbestimmten. Er verwandelte sich dadurch in ein Zahlwort. Das "Volk" begriff sich in dieser Variante der Parole als "populus", also nicht in der Differenz zur Macht, sondern in der Differenz zu anderen Völkern.
In den populistischen Bewegungen, die gegenwärtig die im herkömmlichen Sinne demokratischen Politiker vor sich hertreiben, werden "das Volk" und "ein Volk", "plebs" und "populus", in eins gesetzt. Auf diese Weise entsteht ein "Volk", das sich, gleichgültig, was ihm gerade widerfährt oder was es zu verhandeln gibt, grundsätzlich im Recht glaubt, sich aber um die Verwirklichung dieses Rechts betrogen sieht: von bösartigen Eindringlingen aus dem Ausland einerseits sowie von einer "Elite" (wahlweise einer Bande von "elitären Hipstern", Jens Spahn) andererseits, die das "Volk" verrät, indem sie dessen Reichtum an angebliche Flüchtlinge verschleudert, indem sie sich ausländischen Konzernen und einheimischen Spekulanten an den Hals wirft, indem sie eine Kaste von Bürokraten, Funktionären und Halsabschneidern ernährt, die nichts Besseres zu tun haben, als sich die eigenen Taschen zu füllen und das "Volk" um die eigentlich ihm zustehenden Erträge seiner Arbeit zu bringen.
Mit dem Empört-Sein verbindet sich der Anspruch auf Gehör
Oft schon sind die Fiktionen offengelegt worden, die einem solchen Begriff von "Volk" zugrunde liegen. Das "Volk", im vereinten, emphatischen Sinn verstanden, ist eine Abstraktion, die von keiner "Wirklichkeit" gedeckt wird, sei diese nun ethnischen, sprachlichen oder kulturellen Charakters. Ein "Volk" ist, nüchtern betrachtet, nichts anderes als das Ensemble von Menschen, die ein Staat als seine Bürger betrachtet. Aber wer will das wissen? In der Fantasie der Empörten erscheint der Staat vielmehr als eine Institution, die in erster Linie und überhaupt für das Wohlergehen seines und nur seines "Volks" zu sorgen hat. Erfüllt der Staat, oder genauer: erfüllen die Politiker diese Ansprüche nicht, machen sie sich, in den Augen des "Volks", an ihren Bürgern schuldig. Mit dem Gefühl aber, man habe etwas Besseres verdient als die Behandlung, die einem von Staats wegen zugemutet wird, wie mit der Ehre, von der Hegel sagt, sie sei das "schlechthin Verletzliche": Es kennt keinen objektiven Maßstab. Es empört sich, wer sich empören will - worüber er sich empören will und in dem Grad, in dem er sich empören will.
Diese Empörung ist negativ bestimmt und will nicht zwischen eingebildeten und realen Anlässen unterscheiden. Sie besteht in der Wahrnehmung von Zumutungen, und die Zurschaustellung der entsprechenden "Wut" bildet den Kern des öffentlichen Engagements, was zur Folge hat, dass sich mit dem schlichten Faktum des Empörtseins, bis hin zu Thilo Sarrazin, auch der Anspruch auf öffentliches Gehör zu verbinden scheint. Dem Engagement eine politische, argumentativ fassbare Richtung zu geben, widerspräche dabei dem Anspruch auf Authentizität, der mit der Selbstinszenierung der Betroffenheit verbunden ist: Ein Programm, das über die Aufzählung von vermeintlichen Zumutungen hinausginge, wäre nur um den Preis von Einschränkungen zu haben, was im Übrigen auch für alle Versuche gilt, große Kategorien wie "Volk", "Nation" oder "Wir" auf ihren rationalen, historischen oder auch nur irgendwie empirischen Gehalt hin zu prüfen.
Dass "es" irgendwie reicht, ist dagegen immer schon ausgemacht. Geistfeindlichkeit gilt hier als Befreiung, und jeder noch so begründete Hinweis auf die Empirie erscheint als Versuch, dem "Volk der Wirklichkeit" die ihm rechtlich zustehende Berücksichtigung zu entziehen. Mit "Faschismus" haben diese Bewegungen, entgegen manchen Behauptungen, bislang nur bedingt etwas zu tun (nämlich im Hinblick auf die Volksgemeinschaft), umso mehr aber mit einer Art formaler Radikalisierung der Demokratie jenseits der "Wertegemeinschaften". Vor ein, zwei Jahren hätte man noch gedacht, dass die sogenannten rechtspopulistischen Bewegungen der Demokratie irgendwann den Garaus machen. Mittlerweile stellen sich die Verhältnisse anders dar: als eine Übernahme der Demokratie zugunsten eines "Volks der Wirklichkeit", das sich um seinen fiktiven Charakter nicht schert.
Die "Elite" ist nunmehr ein hässliches Phantom
In dieser Radikalisierung gibt sich ein Grundwiderspruch des Demokratischen zu erkennen: Es hat nur Bestand, wenn sich eine deutliche Mehrheit des Wahlvolks in den wesentlichen Anliegen einig ist. Ist es mit der Wertegemeinschaft vorbei, wird offenbar, dass es keine inhaltliche Bestimmung der Demokratie gibt und ihr vielmehr rein mathematische Verhältnisse zugrunde liegen. Anders formuliert: Die Demokratie, im herkömmlichen Sinn begriffen, kann sich nicht verteidigen, wenn der lange Zeit bestehende "Common Sense" von einer großen Wählergruppe in Zweifel gezogen oder gar bekämpft wird. Sie kann, weil sie sich über den Willen des "Volkes" definiert, nur mitmachen. In der Folge bewegen sich die meisten europäischen Parteien, und nicht zuletzt die sozialdemokratischen, in die Richtung, die von den populistischen Bewegungen vorgegeben wurde, und zwar in einem Maß, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre: Die heftige Niederlage der Dänischen Volkspartei bei den nationalen Wahlen in der vergangenen Woche erklärt sich zu einem großen Teil dadurch, dass die Sozialdemokraten das Ressentiment gegen alles, was nicht dänisch ist, mittlerweile erfolgreicher bedienen als die eigentlichen Rechtspopulisten.
Die "Elite" (noch vor fünfzehn Jahren eine Lieblingsparole der Bildungspolitik) ist nunmehr ein hässliches Phantom, das seine Gestalt wechseln kann, solange sie nur irgendwie als etwas diffus Höheres und Feindliches identifizierbar bleibt: Sie erscheint politisch als Erhöhung der Kraftstoffsteuern zugunsten der Energiewende, sie erscheint ökonomisch als das internationale Kapital, sie erscheint kulturell als die heimat- und gewissenlose Klasse, die aus der Globalisierung persönlichen Gewinn zieht. Sie kann auch als das liberale Bürgertum erscheinen, weil dessen Öffentlichkeit einen gewissen Grad von Bildung voraussetzt, zumindest in Gestalt der Fähigkeit, Argumente zu bilden und zu verstehen, also auf der Objektivität von Urteilen zu bestehen. Die Beschwörung eines Volksfeinds namens "Elite" ist dabei keineswegs ein Privileg von sogenannten Rechts- oder Linkspopulisten. Diesen Volksfeind nämlich kennt jeder demokratische Politiker und jeder Journalist, der schon einmal Formeln wie "die Menschen da draußen" oder die "hart arbeitenden Menschen" (Franz Müntefering, Martin Schulz, Wolfgang Thierse und viele andere) benutzte.
Das Bewusstsein, dass rechtschaffene Bürger nicht nur einen Anspruch auf staatliche Fürsorge besitzen, sondern auch bevorzugt behandelt werden müssen, teilen die Empörten außerdem nicht nur mit der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch mit großen Teilen der medialen Öffentlichkeit. Sie werden gestützt durch eine "Partizipationsmacht" (Jan Philipp Reemtsma) in Gestalt von Intellektuellen, die in Essays und Büchern beklagen, eine bürgerliche, liberale "Elite" habe darin versagt, die Sorgen der unteren Gesellschaftsschichten beizeiten ernst zu nehmen. Das "Volk der Wirklichkeit" hat insofern eine große Karriere durchlaufen. Das prominenteste Beispiel für einen solchen Intellektuellen ist in Frankreich gegenwärtig Edwy Plenel, der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung Le Monde, der in seinem jüngst erschienenen Buch "La victoire des vaincus" ("Der Sieg der Besiegten", Paris, März 2018) zum Sturz des gewählten Königs Emmanuel Macron ermuntert, unter Berufung auf die großen Volksaufstände des 19. Jahrhunderts. Der Staat, darin sind sich die neuen Volksbewegungen einig, ist den falschen Leuten in die Hände gefallen. Aber abgesehen davon, dass die meisten deutschen Bürger mit den zivilen Errungenschaften der Bundesrepublik immer noch zufrieden sein dürften: Wann hätte es je einen Staat der richtigen Leute, wann hätte es je den guten Staat gegeben?
Es mag sein, dass sich viele Empörte über die Widersprüchlichkeit ihrer Proteste im Klaren sind - oder dass sie zumindest ahnen, dass deren Voraussetzungen so klar nicht sind. Ihre Wut wäre dann nicht nur Ausdruck ihrer Empörung, sondern auch ein Mittel, mögliche Zweifel in sich selbst auszulöschen. Die Demonstration wird dann zum eigentlichen Zweck der Demonstration. Denn zu erleben gibt es dort den "fleischlichen Körper" (Sebastian Dümling) einer Erfindung, nämlich eben jenes "Volks". Das gute Gewissen des empörten Bürgers, für das "Volk der Wirklichkeit" zu stehen, liefert dann nicht nur das Recht zum Zuschlagen, im übertragenen sowie im realen Sinn. Es ist auch umgekehrt: Das Zuschlagen birgt auch die Gewissheit, dass es dieses "Volk" tatsächlich gibt, mitsamt seinem Feind, der "Elite". So schließlich kommt das "Volk der Wirklichkeit" zu sich selbst, in einem Akt der Selbsterzeugung, als nicht nur leibhaftig, sondern auch militant gewordene Fiktion.
Süddeutsche Zeitung 11. Juni 2019
Thomas Steinfeld
Vor fast dreißig Jahren entstand in Schweden eine Partei, deren Programm aus drei Forderungen bestand: weniger Steuern, weniger Staatsapparat, weniger kriminelle Ausländer. Als die "Neue Demokratie" im Jahr 1991 in den Reichstag gewählt wurde, erklärte sie sich und ihresgleichen zum "Volk der Wirklichkeit" ("verklighetens folk"), in Abgrenzung zu den professionellen Politikern, die angeblich nicht von dieser Welt seien. Die "Neue Demokratie" dürfte die erste politische Organisation in einem westlichen Land nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein, die den Gegensatz zwischen einer diffusen Vorstellung von "Volk" und einer noch diffuseren Idee von "Elite" zu ihrer zentralen Botschaft machte.
Die "Neue Demokratie" gibt es schon lange nicht mehr. Die Partei ging im Jahr 2000 in Konkurs. Die Formel vom "Volk der Wirklichkeit" aber war so erfolgreich, dass sie einige Jahre später als Slogan einer anderen Partei zurückkehrte, nämlich der schwedischen Christdemokraten - wenngleich nunmehr gegen eine linksliberale "Kulturelite" gerichtet. Von dieser wurde behauptet, sie beherrsche die Medien. Diese Christdemokraten, die, anders als in Deutschland, in Schweden eine Partei für Pietisten und Antialkoholiker sind, ließen sich das "Volk der Wirklichkeit" sogar als Markenzeichen eintragen. Auch die Verwandlung eines Slogans in ein ideelles Monopol war wegweisend: Eine Realität, die unter dem Schutz des Urheberrechts steht, kann nichts anderes als eine Erfindung sein, auch wenn sie keiner für eine solche halten will. Populismus, erklärt der Basler Kulturwissenschaftler Sebastian Dümling in der Zeitschrift Merkur ("Volk durch Verfahren", Juni 2019) ziele darauf, "Simulationen zu finden, an denen sich das Da-Sein des Volks festmachen lässt".
Das "Volk" hat, wie auch die "Elite", in den vergangenen Jahren eine steile Karriere durchlaufen: in der "Alternative für Deutschland", vor allem in deren straßentauglichen Varianten, bei den "Gelben Westen" in Frankreich, bei den italienischen Ligisten. Schon lange entspricht dieses "Volk" nicht mehr dem "Volk", das in den Straßen von Leipzig demonstrierte, einzig dadurch, dass es sich selbst als "Volk" bezeichnete, die in der DDR stets behauptete Einheit von Volk und Führung bestritt und der Regierung auf diese Weise einen Dissens eröffnete, der bald nicht mehr zu überbrücken war. "Wir sind das Volk", hieß die Parole damals, mit der Betonung auf dem bestimmten Artikel, also im Sinne der "plebs", die sich gegen die Herrschenden erhebt. Später hieß es dann: "Wir sind ein Volk", wiederum mit der Betonung auf dem Artikel, dieses Mal aber dem unbestimmten. Er verwandelte sich dadurch in ein Zahlwort. Das "Volk" begriff sich in dieser Variante der Parole als "populus", also nicht in der Differenz zur Macht, sondern in der Differenz zu anderen Völkern.
In den populistischen Bewegungen, die gegenwärtig die im herkömmlichen Sinne demokratischen Politiker vor sich hertreiben, werden "das Volk" und "ein Volk", "plebs" und "populus", in eins gesetzt. Auf diese Weise entsteht ein "Volk", das sich, gleichgültig, was ihm gerade widerfährt oder was es zu verhandeln gibt, grundsätzlich im Recht glaubt, sich aber um die Verwirklichung dieses Rechts betrogen sieht: von bösartigen Eindringlingen aus dem Ausland einerseits sowie von einer "Elite" (wahlweise einer Bande von "elitären Hipstern", Jens Spahn) andererseits, die das "Volk" verrät, indem sie dessen Reichtum an angebliche Flüchtlinge verschleudert, indem sie sich ausländischen Konzernen und einheimischen Spekulanten an den Hals wirft, indem sie eine Kaste von Bürokraten, Funktionären und Halsabschneidern ernährt, die nichts Besseres zu tun haben, als sich die eigenen Taschen zu füllen und das "Volk" um die eigentlich ihm zustehenden Erträge seiner Arbeit zu bringen.
Mit dem Empört-Sein verbindet sich der Anspruch auf Gehör
Oft schon sind die Fiktionen offengelegt worden, die einem solchen Begriff von "Volk" zugrunde liegen. Das "Volk", im vereinten, emphatischen Sinn verstanden, ist eine Abstraktion, die von keiner "Wirklichkeit" gedeckt wird, sei diese nun ethnischen, sprachlichen oder kulturellen Charakters. Ein "Volk" ist, nüchtern betrachtet, nichts anderes als das Ensemble von Menschen, die ein Staat als seine Bürger betrachtet. Aber wer will das wissen? In der Fantasie der Empörten erscheint der Staat vielmehr als eine Institution, die in erster Linie und überhaupt für das Wohlergehen seines und nur seines "Volks" zu sorgen hat. Erfüllt der Staat, oder genauer: erfüllen die Politiker diese Ansprüche nicht, machen sie sich, in den Augen des "Volks", an ihren Bürgern schuldig. Mit dem Gefühl aber, man habe etwas Besseres verdient als die Behandlung, die einem von Staats wegen zugemutet wird, wie mit der Ehre, von der Hegel sagt, sie sei das "schlechthin Verletzliche": Es kennt keinen objektiven Maßstab. Es empört sich, wer sich empören will - worüber er sich empören will und in dem Grad, in dem er sich empören will.
Diese Empörung ist negativ bestimmt und will nicht zwischen eingebildeten und realen Anlässen unterscheiden. Sie besteht in der Wahrnehmung von Zumutungen, und die Zurschaustellung der entsprechenden "Wut" bildet den Kern des öffentlichen Engagements, was zur Folge hat, dass sich mit dem schlichten Faktum des Empörtseins, bis hin zu Thilo Sarrazin, auch der Anspruch auf öffentliches Gehör zu verbinden scheint. Dem Engagement eine politische, argumentativ fassbare Richtung zu geben, widerspräche dabei dem Anspruch auf Authentizität, der mit der Selbstinszenierung der Betroffenheit verbunden ist: Ein Programm, das über die Aufzählung von vermeintlichen Zumutungen hinausginge, wäre nur um den Preis von Einschränkungen zu haben, was im Übrigen auch für alle Versuche gilt, große Kategorien wie "Volk", "Nation" oder "Wir" auf ihren rationalen, historischen oder auch nur irgendwie empirischen Gehalt hin zu prüfen.
Dass "es" irgendwie reicht, ist dagegen immer schon ausgemacht. Geistfeindlichkeit gilt hier als Befreiung, und jeder noch so begründete Hinweis auf die Empirie erscheint als Versuch, dem "Volk der Wirklichkeit" die ihm rechtlich zustehende Berücksichtigung zu entziehen. Mit "Faschismus" haben diese Bewegungen, entgegen manchen Behauptungen, bislang nur bedingt etwas zu tun (nämlich im Hinblick auf die Volksgemeinschaft), umso mehr aber mit einer Art formaler Radikalisierung der Demokratie jenseits der "Wertegemeinschaften". Vor ein, zwei Jahren hätte man noch gedacht, dass die sogenannten rechtspopulistischen Bewegungen der Demokratie irgendwann den Garaus machen. Mittlerweile stellen sich die Verhältnisse anders dar: als eine Übernahme der Demokratie zugunsten eines "Volks der Wirklichkeit", das sich um seinen fiktiven Charakter nicht schert.
Die "Elite" ist nunmehr ein hässliches Phantom
In dieser Radikalisierung gibt sich ein Grundwiderspruch des Demokratischen zu erkennen: Es hat nur Bestand, wenn sich eine deutliche Mehrheit des Wahlvolks in den wesentlichen Anliegen einig ist. Ist es mit der Wertegemeinschaft vorbei, wird offenbar, dass es keine inhaltliche Bestimmung der Demokratie gibt und ihr vielmehr rein mathematische Verhältnisse zugrunde liegen. Anders formuliert: Die Demokratie, im herkömmlichen Sinn begriffen, kann sich nicht verteidigen, wenn der lange Zeit bestehende "Common Sense" von einer großen Wählergruppe in Zweifel gezogen oder gar bekämpft wird. Sie kann, weil sie sich über den Willen des "Volkes" definiert, nur mitmachen. In der Folge bewegen sich die meisten europäischen Parteien, und nicht zuletzt die sozialdemokratischen, in die Richtung, die von den populistischen Bewegungen vorgegeben wurde, und zwar in einem Maß, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre: Die heftige Niederlage der Dänischen Volkspartei bei den nationalen Wahlen in der vergangenen Woche erklärt sich zu einem großen Teil dadurch, dass die Sozialdemokraten das Ressentiment gegen alles, was nicht dänisch ist, mittlerweile erfolgreicher bedienen als die eigentlichen Rechtspopulisten.
Die "Elite" (noch vor fünfzehn Jahren eine Lieblingsparole der Bildungspolitik) ist nunmehr ein hässliches Phantom, das seine Gestalt wechseln kann, solange sie nur irgendwie als etwas diffus Höheres und Feindliches identifizierbar bleibt: Sie erscheint politisch als Erhöhung der Kraftstoffsteuern zugunsten der Energiewende, sie erscheint ökonomisch als das internationale Kapital, sie erscheint kulturell als die heimat- und gewissenlose Klasse, die aus der Globalisierung persönlichen Gewinn zieht. Sie kann auch als das liberale Bürgertum erscheinen, weil dessen Öffentlichkeit einen gewissen Grad von Bildung voraussetzt, zumindest in Gestalt der Fähigkeit, Argumente zu bilden und zu verstehen, also auf der Objektivität von Urteilen zu bestehen. Die Beschwörung eines Volksfeinds namens "Elite" ist dabei keineswegs ein Privileg von sogenannten Rechts- oder Linkspopulisten. Diesen Volksfeind nämlich kennt jeder demokratische Politiker und jeder Journalist, der schon einmal Formeln wie "die Menschen da draußen" oder die "hart arbeitenden Menschen" (Franz Müntefering, Martin Schulz, Wolfgang Thierse und viele andere) benutzte.
Das Bewusstsein, dass rechtschaffene Bürger nicht nur einen Anspruch auf staatliche Fürsorge besitzen, sondern auch bevorzugt behandelt werden müssen, teilen die Empörten außerdem nicht nur mit der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch mit großen Teilen der medialen Öffentlichkeit. Sie werden gestützt durch eine "Partizipationsmacht" (Jan Philipp Reemtsma) in Gestalt von Intellektuellen, die in Essays und Büchern beklagen, eine bürgerliche, liberale "Elite" habe darin versagt, die Sorgen der unteren Gesellschaftsschichten beizeiten ernst zu nehmen. Das "Volk der Wirklichkeit" hat insofern eine große Karriere durchlaufen. Das prominenteste Beispiel für einen solchen Intellektuellen ist in Frankreich gegenwärtig Edwy Plenel, der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung Le Monde, der in seinem jüngst erschienenen Buch "La victoire des vaincus" ("Der Sieg der Besiegten", Paris, März 2018) zum Sturz des gewählten Königs Emmanuel Macron ermuntert, unter Berufung auf die großen Volksaufstände des 19. Jahrhunderts. Der Staat, darin sind sich die neuen Volksbewegungen einig, ist den falschen Leuten in die Hände gefallen. Aber abgesehen davon, dass die meisten deutschen Bürger mit den zivilen Errungenschaften der Bundesrepublik immer noch zufrieden sein dürften: Wann hätte es je einen Staat der richtigen Leute, wann hätte es je den guten Staat gegeben?
Es mag sein, dass sich viele Empörte über die Widersprüchlichkeit ihrer Proteste im Klaren sind - oder dass sie zumindest ahnen, dass deren Voraussetzungen so klar nicht sind. Ihre Wut wäre dann nicht nur Ausdruck ihrer Empörung, sondern auch ein Mittel, mögliche Zweifel in sich selbst auszulöschen. Die Demonstration wird dann zum eigentlichen Zweck der Demonstration. Denn zu erleben gibt es dort den "fleischlichen Körper" (Sebastian Dümling) einer Erfindung, nämlich eben jenes "Volks". Das gute Gewissen des empörten Bürgers, für das "Volk der Wirklichkeit" zu stehen, liefert dann nicht nur das Recht zum Zuschlagen, im übertragenen sowie im realen Sinn. Es ist auch umgekehrt: Das Zuschlagen birgt auch die Gewissheit, dass es dieses "Volk" tatsächlich gibt, mitsamt seinem Feind, der "Elite". So schließlich kommt das "Volk der Wirklichkeit" zu sich selbst, in einem Akt der Selbsterzeugung, als nicht nur leibhaftig, sondern auch militant gewordene Fiktion.
Süddeutsche Zeitung 11. Juni 2019
Dienstag, 16. Dezember 2014
Die postmigrantische Nation
Arno Widmann im Gespräch mit Naika Foroutan. (Stellvertretende Direktorin des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität in Berlin.)
Frau Foroutan, was bedeutet postmigrantisch?
Postmigrantisch heißt erst mal: nach der Migration. Der Begriff kommt aus der amerikanischen Literatur- und Kunstkritik. In Deutschland ist er bekannt geworden durch Shermin Langhoffs „Postmigrantisches Theater“. Sie hatte ursprünglich bei dem, was sie machte, vom „Neuen Deutschen Theater“ sprechen wollen. Das erschien ihr – wie sie sagt – damals etwas zu weit voraus. Nun ist ihr Gorki, gerade weil es neues deutsches Theater verkörpert, zum Theater des Jahres gewählt worden. Wir am BIM (Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung) in Berlin verwenden den Begriff vor allem als Analyseperspektive: Wir wollen damit nicht sagen, dass die Migration abgeschlossen ist, wir sagen aber, dass es nach erfolgter Migration zu sozialen und politischen Transformationen, Konflikten und Identitätsbildungsprozessen kommt, die wir untersuchen müssen. Die deutsche Gesellschaft hat sich durch die Migration stark verändert. Immer mehr Menschen nehmen für sich in Anspruch, als Bürger dieses Landes diesen Wandel mitzugestalten, auch wenn ihre Vorfahren nicht deutsch waren und sie selbst vielleicht nicht so aussehen, wie man sich früher Deutsche vorstellte. Das heißt auch, dass über den Markenkern „Deutschland“ neu verhandelt wird.
Wir reden nicht von Migranten und Postmigranten. Wir reden davon, dass die Gesellschaft insgesamt eine postmigrantische geworden ist. Migration kann nicht mehr die Trennlinie sein, wenn sie fast jeden betrifft – zählen wir hier mal Binnenmigration dazu. Das Koordinatensystem hat sich verschoben. Es ist mehr die Haltung zu dieser Gesellschaftsform, die Trennlinien schafft – nicht mehr der Migrationshintergrund. In Dresden stehen 9000 Bürger, die für ein offenes und plurales Dresden stehen, 10 000 Bürgern gegenüber, die eine Islamisierung des Abendlandes befürchten. Jeder dritte Mensch in diesem Land, belehrt uns die Statistik, hat in der Verwandtschaft jemanden mit Migrationshintergrund. Wir wollen mit dem Postmigrantischen aber darauf verweisen, dass es eigentlich um ganz andere Dinge geht als um Migration – nämlich um die fundamentale Aushandlung von Rechten, von Zugehörigkeit, von Teilhabe und von Positionen. Das ist das neue Deutschland. Es handelt sich und seine nationale Identität gerade postmigrantisch neu aus.
Zur Person
Naika Foroutan, geboren am 24. Dezember 1971 in Boppard, ist
Das Institut hat erste Ergebnisse einer Befragung von 8270 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bundesbürgern vorgelegt: 85 Prozent geben an, Deutschland zu lieben. Als historisches Ereignis, das Deutschland am besten beschreibt, betrachten 48,8 Prozent die Wiedervereinigung. Für 96,8 Prozent der Befragten ist das wichtigste Kriterium dafür, Deutscher zu sein, Deutsch sprechen zu können. 37 Prozent legen Wert auf deutsche Vorfahren. awi
Das machen wir alle?
Viele denken im Gegensatz von „wir, die wir schon immer hier waren und ihr, die ihr erst später gekommen seid“. Demokratien funktionieren aber nicht nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Sondern nach dem Prinzip „Gleiches Recht für alle“. Im Bauchgefühl gibt es die Vorstellung, es gäbe auf der einen Seite die Deutschen, denen mehr Rechte zustehen, die Gesellschaft zu definieren, und auf der anderen die Migranten. Wenn aber in Städten wie Frankfurt knapp 70 Prozent der Kinder einen sogenannten Migrationshintergrund haben – wer ist dann die deutsche Gesellschaft? Wer definiert ihre Identität? Die 30 Prozent ohne Migrationshintergrund, weil sie vorher da waren?
Wir leben nicht nur in einer Gesellschaft. Wir machen sie auch.
Für das postmigrantische Deutschland gibt es noch keine politische Konstruktion seiner Identität. Vorausschauend können wir es als ein vielfältiges Deutschland beschreiben und zurückschauend als eines, das seine Normalität wiedererlangt. Immerhin war Deutschland durch seine kontinentale Mittellage schon immer von Migration geprägt – bis auf eine sehr kurze, aber sehr prägende Zeit. Die Definition dieser politischen Identität ist unsere Aufgabe.
Naika Foroutan ist stellvertretende Direktorin des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität in Berlin.Foto: Paulus Ponizak
Wie können wir das machen?
Ein erster Schritt könnte zum Beispiel die Einrichtung einer Kommission sein mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen und Minderheitenvertretern, eine Art erweiterter Islamkonferenz, Enquete-Kommission, ein runder Tisch, bei dem darüber gesprochen wird, wie Deutschland aussehen soll. Wenn wir für heikle Fragen des menschlichen Lebens einen Ethikrat einrichten, dann muss es doch möglich sein, auch Probleme wie die der Staatsbürgerschaft und der Zugehörigkeit zu diskutieren.
Lässt sich zum Beispiel über Nationalstolz verhandeln?
Das geschieht ja dauernd. Jahrelang waren die Deutschen, jedenfalls die Bundesrepublikaner, stolz auf ihren Fleiß, ihre Pünktlichkeit, auf Genauigkeit und Sparsamkeit. Dann kam die Toskana-Fraktion, und es entstand eine neue Erzählung: Der weltoffene, genussfreudige Deutsche war geboren, der Fünfe auch mal gerade sein lässt. Auf die Fakten kommt es dabei nicht an. Die werden eingebettet in ein vorhandenes, überkommenes Narrativ. Das postmigrantische Deutschland braucht ein neues Narrativ, das ausgeht von den neuen Fakten. Das ist unser Dilemma.
Wir könnten es lösen?
Betrachten Sie Kanada. Da entschied man in den siebziger Jahren: Unsere Parole lautet „Einheit der Verschiedenen“. Das Wir ist dort kein Wir der Identischen. Der stolze Kanadier ist stolz auf die Vielfalt seiner Nation. Auch zum Beispiel darauf, dass dort unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Man kann Nationalstolz so oder so erzählen. Eine Nation schafft sich die Einheit, die sie haben möchte. Das weiß man doch nirgends besser als in Deutschland. 1871 taten sich im Deutschen Reich Staaten zusammen, die kurz davor einander noch bekriegt hatten. Die Nazis schmissen Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle aus der Nation hinaus. 1990 wurden aus den Kommunisten der DDR Deutsche der Bundesrepublik. Die Erzählung von der deutschen Nation wird ständig umgeschrieben. Über das, was die Nation ist, wird stets neu verhandelt.
Aber kann man das dekretieren?
Man tut es dauernd. Man muss es tun. Die Zeit allein hilft nicht. Darauf zu setzen, dass die empirische Pluralität von alleine Fakten schafft, ist falsch. Nur weil jeder fünfte Bürger hier einen Migrationshintergrund hat, ändert sich nicht die politische Realität. Frauen haben auch vor 500 Jahren schon die Hälfte der Bevölkerung gestellt – aber es war nicht diese quantitative Tatsache, die zu einem Wandel der Politik führte. Erst im November 1918 wurde entschieden: Frauen dürfen wählen und gewählt werden. Wenn die Gesellschaft will, dann kann sie.
Diesem Willen soll die von Ihnen angesprochene Kommission auf die Beine helfen?
Die würde drei, vier Sätze formulieren, die politik-leitend sein müssen. Wie: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die deutsche Identität definiert sich in der Einheit der Verschiedenen. Vielfalt ist Normalität, und Normalität ist vielfältig. Deutscher ist jeder, der... Ich habe mir da nichts Konkretes ausgedacht. Aber wenn es so eine Kommission drei Jahre lang gäbe, dann käme...
Drei Jahre? Für fünf Sätze!
Es müssen Kontroversen in der Kommission sich entwickeln und nach draußen sickern. Die Medien, Interessenverbände, Einzelne müssen das aufgreifen und sich aufregen. Die Kommission darf gerade nicht diese Fragen im Hinterzimmer verhandeln, um dann weißen Rauch aufsteigen zu lassen und zu sagen: „Habemus Deutschland.“ Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Gesellschaft sich politisch definiert, und sie stachelt sie an, sich selbst mit dieser Frage zu beschäftigen. Das kann auch nach hinten losgehen – die Franzosen haben unter Nicolas Sarkozy eine solche Kommission zur Suche nach der „identité nationale“ eingeleitet, und jetzt haben sie und wir es mit Marine Le Pen und ihrem „wahren Frankreich“ zu tun. Ich glaube, es hängt sehr stark von der Zusammensetzung dieses Gremiums ab, und es muss gesellschaftlich unangenehme Fragen nach Rassismus und Macht, nach institutioneller Diskriminierung und Ungleichheit stellen.
Eine Bürgerversammlung...
Eine Instanz, eine identifizierbare Gruppe, die dieses vielfältige neue Deutschland symbolisch sichtbar macht und politisch formuliert. Es geht dabei eben nicht nur um Migranten und Nicht-Migranten, wie die harschen Debatten um Gender und sexuelle Vielfalt derzeit zeigen. In Australien zum Beispiel musst du dich nicht entweder als Mann oder Frau definieren. Weder im Leben, noch im Pass. Das kann eine Gesellschaft, das kann ein Parlament, das kann eine Regierung setzen. Die Migranten sind da. Sie werden bleiben. Wenn nicht etwas Schreckliches in diesem Land passiert. Es wird immer mehr Minderheiten geben und die Mehrheitsgesellschaft wird ein immer neuer Beziehungszusammenhang aus multiplen Minderheiten sein. Das klingt unübersichtlich – es macht vielen Angst. Salafisten genauso wie den Bürgern, die sich vor der Islamisierung des Abendlandes fürchten. Sie alle sehnen sich nach einer Vergangenheit, in der vermeintlich alles klarer war, und kämpfen verbittert für eine Zukunft, die wieder so sein soll wie früher. Wir müssen diese Ambivalenzen ertragen lernen. Das postmigrantische Deutschland ist nicht kuschelig – es fordert uns alle heraus.
Frau Foroutan, was bedeutet postmigrantisch?
Postmigrantisch heißt erst mal: nach der Migration. Der Begriff kommt aus der amerikanischen Literatur- und Kunstkritik. In Deutschland ist er bekannt geworden durch Shermin Langhoffs „Postmigrantisches Theater“. Sie hatte ursprünglich bei dem, was sie machte, vom „Neuen Deutschen Theater“ sprechen wollen. Das erschien ihr – wie sie sagt – damals etwas zu weit voraus. Nun ist ihr Gorki, gerade weil es neues deutsches Theater verkörpert, zum Theater des Jahres gewählt worden. Wir am BIM (Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung) in Berlin verwenden den Begriff vor allem als Analyseperspektive: Wir wollen damit nicht sagen, dass die Migration abgeschlossen ist, wir sagen aber, dass es nach erfolgter Migration zu sozialen und politischen Transformationen, Konflikten und Identitätsbildungsprozessen kommt, die wir untersuchen müssen. Die deutsche Gesellschaft hat sich durch die Migration stark verändert. Immer mehr Menschen nehmen für sich in Anspruch, als Bürger dieses Landes diesen Wandel mitzugestalten, auch wenn ihre Vorfahren nicht deutsch waren und sie selbst vielleicht nicht so aussehen, wie man sich früher Deutsche vorstellte. Das heißt auch, dass über den Markenkern „Deutschland“ neu verhandelt wird.
Wir reden nicht von Migranten und Postmigranten. Wir reden davon, dass die Gesellschaft insgesamt eine postmigrantische geworden ist. Migration kann nicht mehr die Trennlinie sein, wenn sie fast jeden betrifft – zählen wir hier mal Binnenmigration dazu. Das Koordinatensystem hat sich verschoben. Es ist mehr die Haltung zu dieser Gesellschaftsform, die Trennlinien schafft – nicht mehr der Migrationshintergrund. In Dresden stehen 9000 Bürger, die für ein offenes und plurales Dresden stehen, 10 000 Bürgern gegenüber, die eine Islamisierung des Abendlandes befürchten. Jeder dritte Mensch in diesem Land, belehrt uns die Statistik, hat in der Verwandtschaft jemanden mit Migrationshintergrund. Wir wollen mit dem Postmigrantischen aber darauf verweisen, dass es eigentlich um ganz andere Dinge geht als um Migration – nämlich um die fundamentale Aushandlung von Rechten, von Zugehörigkeit, von Teilhabe und von Positionen. Das ist das neue Deutschland. Es handelt sich und seine nationale Identität gerade postmigrantisch neu aus.
Zur Person
Naika Foroutan, geboren am 24. Dezember 1971 in Boppard, ist
Das Institut hat erste Ergebnisse einer Befragung von 8270 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bundesbürgern vorgelegt: 85 Prozent geben an, Deutschland zu lieben. Als historisches Ereignis, das Deutschland am besten beschreibt, betrachten 48,8 Prozent die Wiedervereinigung. Für 96,8 Prozent der Befragten ist das wichtigste Kriterium dafür, Deutscher zu sein, Deutsch sprechen zu können. 37 Prozent legen Wert auf deutsche Vorfahren. awi
Das machen wir alle?
Viele denken im Gegensatz von „wir, die wir schon immer hier waren und ihr, die ihr erst später gekommen seid“. Demokratien funktionieren aber nicht nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Sondern nach dem Prinzip „Gleiches Recht für alle“. Im Bauchgefühl gibt es die Vorstellung, es gäbe auf der einen Seite die Deutschen, denen mehr Rechte zustehen, die Gesellschaft zu definieren, und auf der anderen die Migranten. Wenn aber in Städten wie Frankfurt knapp 70 Prozent der Kinder einen sogenannten Migrationshintergrund haben – wer ist dann die deutsche Gesellschaft? Wer definiert ihre Identität? Die 30 Prozent ohne Migrationshintergrund, weil sie vorher da waren?
Wir leben nicht nur in einer Gesellschaft. Wir machen sie auch.
Für das postmigrantische Deutschland gibt es noch keine politische Konstruktion seiner Identität. Vorausschauend können wir es als ein vielfältiges Deutschland beschreiben und zurückschauend als eines, das seine Normalität wiedererlangt. Immerhin war Deutschland durch seine kontinentale Mittellage schon immer von Migration geprägt – bis auf eine sehr kurze, aber sehr prägende Zeit. Die Definition dieser politischen Identität ist unsere Aufgabe.
Naika Foroutan ist stellvertretende Direktorin des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität in Berlin.Foto: Paulus Ponizak
Wie können wir das machen?
Ein erster Schritt könnte zum Beispiel die Einrichtung einer Kommission sein mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen und Minderheitenvertretern, eine Art erweiterter Islamkonferenz, Enquete-Kommission, ein runder Tisch, bei dem darüber gesprochen wird, wie Deutschland aussehen soll. Wenn wir für heikle Fragen des menschlichen Lebens einen Ethikrat einrichten, dann muss es doch möglich sein, auch Probleme wie die der Staatsbürgerschaft und der Zugehörigkeit zu diskutieren.
Lässt sich zum Beispiel über Nationalstolz verhandeln?
Das geschieht ja dauernd. Jahrelang waren die Deutschen, jedenfalls die Bundesrepublikaner, stolz auf ihren Fleiß, ihre Pünktlichkeit, auf Genauigkeit und Sparsamkeit. Dann kam die Toskana-Fraktion, und es entstand eine neue Erzählung: Der weltoffene, genussfreudige Deutsche war geboren, der Fünfe auch mal gerade sein lässt. Auf die Fakten kommt es dabei nicht an. Die werden eingebettet in ein vorhandenes, überkommenes Narrativ. Das postmigrantische Deutschland braucht ein neues Narrativ, das ausgeht von den neuen Fakten. Das ist unser Dilemma.
Wir könnten es lösen?
Betrachten Sie Kanada. Da entschied man in den siebziger Jahren: Unsere Parole lautet „Einheit der Verschiedenen“. Das Wir ist dort kein Wir der Identischen. Der stolze Kanadier ist stolz auf die Vielfalt seiner Nation. Auch zum Beispiel darauf, dass dort unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Man kann Nationalstolz so oder so erzählen. Eine Nation schafft sich die Einheit, die sie haben möchte. Das weiß man doch nirgends besser als in Deutschland. 1871 taten sich im Deutschen Reich Staaten zusammen, die kurz davor einander noch bekriegt hatten. Die Nazis schmissen Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle aus der Nation hinaus. 1990 wurden aus den Kommunisten der DDR Deutsche der Bundesrepublik. Die Erzählung von der deutschen Nation wird ständig umgeschrieben. Über das, was die Nation ist, wird stets neu verhandelt.
Aber kann man das dekretieren?
Man tut es dauernd. Man muss es tun. Die Zeit allein hilft nicht. Darauf zu setzen, dass die empirische Pluralität von alleine Fakten schafft, ist falsch. Nur weil jeder fünfte Bürger hier einen Migrationshintergrund hat, ändert sich nicht die politische Realität. Frauen haben auch vor 500 Jahren schon die Hälfte der Bevölkerung gestellt – aber es war nicht diese quantitative Tatsache, die zu einem Wandel der Politik führte. Erst im November 1918 wurde entschieden: Frauen dürfen wählen und gewählt werden. Wenn die Gesellschaft will, dann kann sie.
Diesem Willen soll die von Ihnen angesprochene Kommission auf die Beine helfen?
Die würde drei, vier Sätze formulieren, die politik-leitend sein müssen. Wie: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die deutsche Identität definiert sich in der Einheit der Verschiedenen. Vielfalt ist Normalität, und Normalität ist vielfältig. Deutscher ist jeder, der... Ich habe mir da nichts Konkretes ausgedacht. Aber wenn es so eine Kommission drei Jahre lang gäbe, dann käme...
Drei Jahre? Für fünf Sätze!
Es müssen Kontroversen in der Kommission sich entwickeln und nach draußen sickern. Die Medien, Interessenverbände, Einzelne müssen das aufgreifen und sich aufregen. Die Kommission darf gerade nicht diese Fragen im Hinterzimmer verhandeln, um dann weißen Rauch aufsteigen zu lassen und zu sagen: „Habemus Deutschland.“ Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Gesellschaft sich politisch definiert, und sie stachelt sie an, sich selbst mit dieser Frage zu beschäftigen. Das kann auch nach hinten losgehen – die Franzosen haben unter Nicolas Sarkozy eine solche Kommission zur Suche nach der „identité nationale“ eingeleitet, und jetzt haben sie und wir es mit Marine Le Pen und ihrem „wahren Frankreich“ zu tun. Ich glaube, es hängt sehr stark von der Zusammensetzung dieses Gremiums ab, und es muss gesellschaftlich unangenehme Fragen nach Rassismus und Macht, nach institutioneller Diskriminierung und Ungleichheit stellen.
Eine Bürgerversammlung...
Eine Instanz, eine identifizierbare Gruppe, die dieses vielfältige neue Deutschland symbolisch sichtbar macht und politisch formuliert. Es geht dabei eben nicht nur um Migranten und Nicht-Migranten, wie die harschen Debatten um Gender und sexuelle Vielfalt derzeit zeigen. In Australien zum Beispiel musst du dich nicht entweder als Mann oder Frau definieren. Weder im Leben, noch im Pass. Das kann eine Gesellschaft, das kann ein Parlament, das kann eine Regierung setzen. Die Migranten sind da. Sie werden bleiben. Wenn nicht etwas Schreckliches in diesem Land passiert. Es wird immer mehr Minderheiten geben und die Mehrheitsgesellschaft wird ein immer neuer Beziehungszusammenhang aus multiplen Minderheiten sein. Das klingt unübersichtlich – es macht vielen Angst. Salafisten genauso wie den Bürgern, die sich vor der Islamisierung des Abendlandes fürchten. Sie alle sehnen sich nach einer Vergangenheit, in der vermeintlich alles klarer war, und kämpfen verbittert für eine Zukunft, die wieder so sein soll wie früher. Wir müssen diese Ambivalenzen ertragen lernen. Das postmigrantische Deutschland ist nicht kuschelig – es fordert uns alle heraus.
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