Sonntag, 26. November 2017

Die Sache mit der Hegemonie

Isolde Charim

Die Hegemonie zurückgewinnen?

Die Wahl sei ein Richtungsentscheid gewesen - mit ihr habe sich die Hegemonie verschoben: Die Rechte haben sie gewonnen, die Hegemonie. Die Linken, die haben sie verloren - und schicken sich nun an, sie zurückzuerobern. Aber Wahlsiege begründen noch keine Hegemonie, schreibt Armin Thurnher zu Recht. Also was nun? Zeit, über Hegemonie zu sprechen.
Hegemonie ist, wie Antonio Gramsci gezeigt hat, eine der beiden Arten Macht auszuüben. Die andere Art ist Repression. Während diese über Zwang funktioniert, erzeugt Hegemonie das genaue Gegenteil - nämlich Zustimmung. Hegemonie heißt also: Herrschen durch Konsens. Woher aber kommt diese Zustimmung?

Zustimmung heißt nicht Gleichschaltung. Es bedeutet vielmehr, die Menschen zu prägen: die Bedeutungen, die sie leiten, die Identitäten, die sie leben.
Bedeutungen sind nicht festgeschrieben. Eben deshalb sind sie ja umkämpft. Hegemonie heißt, die Bedeutung von dem, was gesellschaftlich falsch und richtig, was akzeptiert und nicht akzeptiert ist, durchzusetzen. Und zwar in der Art, dass die Menschen diese Prägung nicht als Schulmeisterei erleben, sondern diese zu ihrem Alltagsverstand machen. So findet Herrschaft Eingang in die alltäglichen Denk- und Handlungsweisen. Das fühlt sich dann nicht als äußere Herrschaft, sondern als innere Überzeugung an. Das wird dann Teil der eigenen Identität.
Nun entsteht diese Vorherrschaft in den Köpfen weder durch Magie noch durch Beschwörung. Hegemonie wird vielmehr erzeugt - ganz materiell. In dem, was man Hegemonieapparate nennen könnte: in den Schulen, den Universitäten, den Thinktanks, in den Massenmedien, Kirchen, Vereinen, in den Parteien, den Gewerkschaften, im öffentlichen Diskurs. Das ist ihr handfestes Moment. Hegemonie aber ist ein Zwitterwesen, denn sie ist zugleich auch filigran - ein heikles Durchsetzen, das jederzeit kippen kann. Ein Konsens, der sich nie endgültig fixieren lässt, weil er immer umstritten, umkämpft ist. So sind die Hegemonieapparate nicht nur Orte der Konsensproduktion, sondern auch Orte der hegemonialen Kämpfe, des Ringens um die kulturelle Vorherrschaft. In jeder Schule, in jeder Redaktion, in jedem Internetforum findet eine harte politische Auseinandersetzung statt, ein Ringen um das Fixieren oder um das Erschüttern von Hegemonie.
An der Stelle ist es zentral, sich vor Augen zu halten, welcher Art diese Auseinandersetzung ist, wie das Ringen um Hegemonie funktioniert. Denn dieses hat eine eigene Logik.
Die Hegemonie behauptet der, dem es gelingt, das Terrain der Auseinandersetzung und der Konsensbildung zu bestimmen. Hegemonie erringen heißt also, die gesellschaftliche Demarkationslinie zu bestimmen, heißt, die Menschen dort zu versammeln. Wenn etwa die Demarkationslinie "Flüchtlinge" durchgesetzt wird, dann versammeln sich weniger Menschen an der D-Linie soziale Gerechtigkeit oder Klimawandel.

Deshalb reicht es nicht, ein Thema zu haben, um die kulturelle Vorherrschaft zurückzugewinnen. Es muss vielmehr gelingen, das Thema mit einer Bedeutung, mit einem Identitätsangebot zu verbinden. Ja, Hegemonie folgt nicht aus Wahlsiegen. Hegemonie folgt aus einem politischen Projekt.

aus: Wiener Zeitung, 177.11.2017

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