Freitag, 9. Mai 2025

Populistische Kulturpolitik

Valeria Heintges

Bedrohen, einschüchtern, absetzen und totsparen

Was droht der Kultur, wenn populistische Regierungen das Sagen haben? Ein Blick in die USA, nach Ungarn, Deutschland – und in die Schweiz.

Aus: Republik, 12.04.2025


Die neuen Führer grüssen von der Wand des John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington. Links ein Porträt von Donald Trump. Daneben Melania, die sich resolut auf einem Tisch abstützt. Rechts daneben Vize­präsident J. D. Vance. Und schliesslich Usha Vance, drapiert vor einer amerikanischen Flagge.

Das Präsidenten- und das Vizepräsidenten­paar der USA. Und gleichzeitig die Leitungs­ebene, von rechts nach rechts aussen: der Vorsitzende des Kuratoriums, die Ehren­vorsitzende und, neben dem Ehemann, ein Mitglied des Kuratoriums.

Es war eine Nachricht, die die Welt erstaunte: Am 10. Februar entliess Donald Trump David Rubenstein, den Chairman des grössten amerikanischen Kultur­zentrums, und machte sich selbst zu dessen Nachfolger; er ernannte Richard Grenell zum neuen Interims­präsidenten und 14 neue Kuratoriums­mitglieder. Darunter Stabs­chefin Susie Wiles und Usha Vance, die Frau des Vize­präsidenten. Die meisten Demokraten im Komitee wurden entlassen, ebenso die noch amtierende Präsidentin Deborah Rutter.

Doch alarmierende Nachrichten kommen längst nicht nur aus den USA.

Der Kulturkampf von rechts findet nicht erst irgendwann in ferner Zukunft statt, sondern jetzt (…). Sein Ziel ist nicht allein, Feindbilder zu schaffen und Ressentiments zu bedienen – er richtet sich letztlich gegen die Aufklärung, die Menschen­rechte und die universelle Idee der Gleichheit aller Menschen.


Die Sätze aus der Broschüre «Alles nur Theater? Zum Umgang mit dem Kultur­kampf von rechts» stammen von 2019. Sie beschreiben einen Trend, der in Deutschland seit Jahren andauert und mit den Wahl­erfolgen der rechts­populistischen AfD an Dynamik gewinnt.

Die Kultur wird angefeindet. Nicht nur in den USA oder in Deutschland, sondern weltweit. Zum Beispiel in Argentinien, Russland, Serbien, im Iran, in der Slowakei, in Bulgarien.

«Kultur ist immer das erste Opfer rechter Regierungen», sagte der Schweizer Theater­macher Milo Rau letztes Jahr im Republik-Interview. Rau selbst erlebte die Folgen erst als Theater­leiter in Belgien. Und jetzt fürchtet er sie als Festival­chef in Österreich. In all diesen Ländern versuchen rechte und vor allem rechts­extreme Regierungen, die Opposition zu ersticken.

Und deshalb begrenzen sie zuerst die Macht der Kultur. Weil sich Kultur­betriebe für eine offene, diverse Gesellschaft engagieren, abwägend und diskussions­freudig Debatten offenhalten; weil sie tendenziell in Opposition zur Regierung stehen und sich für die Rechte von Minder­heiten einsetzen.

Rechtspopulistische Politik bedroht alle Kunst­sparten und viele Kultur­institutionen. Aber immer wieder stehen Theater im Kreuzfeuer der Anfeindungen. Sie sind besonders gefährdet, weil sie nur überleben, wenn sie staatlich subventioniert werden. Um ihre Arbeit zu behindern und langfristig unmöglich zu machen, müssen ihre Gegnerinnen ihnen nur die Zuwendungen streichen. Oder mit einer Politik der Nadel­stiche wie in der Schweiz deren Sinn, Zweck und deren Höhe immer wieder neu infrage stellen:

Deshalb kämpft die SVP einerseits gegen die Aufblähung der Kultur­bürokratie und andererseits gegen ideologisch motivierte, einseitige Förder­massnahmen, welche die aktuelle Kultur­politik prägen. Dasselbe gilt für unverhältnis­mässige Veranstaltungen, die nicht auf eine Nachfrage der Bevölkerung reagieren.

Aus dem SVP-Parteiprogramm.

Eine offene Kultur­gesellschaft stirbt nicht über Nacht. Aber Attacken wie in den USA überlebt sie nicht lange.

Es dauerte allerdings auch in Ungarn Jahre, bis die Kultur­betriebe ausgehöhlt waren. Heute kann man dort besichtigen, was übrig bleibt, wenn Populisten an die Macht kommen. Von ungarischen Verhältnissen sind Deutschland und die Schweiz noch weit entfernt. Noch.

1. USA: Kunst in Gefahr

Musicals, Musicals, Musicals. Und Auszeichnungen an Sportler. Das ist in etwa das Kultur­programm, das Donald Trump für das Kennedy Center vorschwebt. «Das Beste aus den Vierzigern bis Neunzigern, nichts von heute», fasste «Die Zeit» zusammen.

Das Kennedy Center wurde 1958 vom republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower geplant. Seine demokratischen Nachfolger John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson führten die Idee fort. Das Kennedy Center for the Performing Arts ist einer der ganz wenigen nationalen Kultur­betriebe der USA – und war damit schnelle Beute für Donald Trump.

In einem Post auf seinem eigenen Social-Media-Kanal verhiess Trump, Richard Grenell würde seine Vision eines «GOLDENEN ZEITALTERS» der amerikanischen Kunst und Kultur teilen. Weiter hiess es: «NO MORE DRAG SHOWS, OR OTHER ANTI-AMERICAN PROPAGANDA – ONLY THE BEST. RIC, WELCOME TO SHOW BUSINESS!» (Keine Dragshows oder andere antiamerikanische Propaganda mehr – nur das Beste. Ric, willkommen im Show-Geschäft!)

In der Kulturszene wurde das als feindliche Übernahme gesehen und stiess auf breite Kritik, mehrere Künstlerinnen haben ihre Auftritte abgesagt, darunter Schauspielerin Whoopi Goldberg und Sängerin Rhiannon Giddens, die immer wieder auf die afro­amerikanischen Wurzeln der Country­musik hinweist.

Die neue Führung des Hauses cancelte derweil bereits diverse Vorstellungen, darunter eine Serie der Komödie «Eureka Day». Diese spiegelt die Diskussionen zwischen Lehrern und Eltern an einer privaten Grundschule wider, «die Inklusion über alles stellt» – bis ein Ausbruch von Mumps alle dazu bringt, «die liberale Impf­politik der Schule zu überdenken», wie es in der Ankündigung heisst. Als Grund für die Absage wurden finanzielle Probleme genannt. Das ist vorgeschoben: Das Stück lief kurz vorher erfolgreich am Broadway.

Noch immer heisst es im Credo des Kennedy Center, «Multi­kulturalismus ist einer der grössten Plus­punkte unseres Landes und seit Generationen die Seele unseres künstlerischen Ausdrucks». Man darf mutmassen, dass dieser Text demnächst geändert wird.

Denn das Wort multicultural steht auf der Liste der Wörter, die die Trump-Regierung laut einer Recherche der «New York Times» zum Verschwinden bringen will. Grob gerechnet zwei Drittel der fast 200 aufgeführten Wörter lassen sich mit den Programmen kritischer Kultur­betriebe verbinden: von activism oder anti-racism über climate crisis, cultural differences, diverse, female oder gender bis hin zu immigrants, inclusiveness, pronouns, transgender, underprivileged und women in Kombination mit under­represented. Die Begriffe tauchen bereits auf Tausenden Regierungs- und Behörden­websites nicht mehr oder deutlich weniger auf. Das ist Zensur. Kritische Stimmen reden sogar von «digitaler Bücher­verbrennung».

Längst hat sich Trump auch die anderen Künste vorgenommen. Bereits am ersten Tag seiner Präsidentschaft zog er die Executive Order – und 77 andere – zurück, mit der Präsident Joe Biden das «President’s Committee on the Arts and Humanities» wieder eingesetzt hatte. Es hatte bei politischen Entscheidungen und der Zusammen­arbeit mit dem privaten Sektor beraten.

Zudem will Trump Museen von «unangemessener Ideologie säubern» und die US-Geschichts­schreibung ändern; es habe in den letzten Jahren «konzertierte und weitverbreitete Versuche gegeben», die Historie umzuschreiben und Fakten durch ein verzerrtes Narrativ zu ersetzen, das eher von Ideologie als von Wahrheit bestimmt gewesen sei. (Dass eher das Gegenteil wahr ist und diese Verdrehung der Tatsachen Teil der Strategie ist, steht auf einem anderen Blatt.) Vize­präsident J. D. Vance soll deshalb die renommierte Smithsonian-Institution auf Linie bringen. Sie umfasst 21 Museen, 14 Bildungs- und Forschungs­zentren und den Nationalzoo in Washington.

Wohin wird das führen? Zu einer Kunst, die gleich­geschaltet ist und kaputt­gespart. Wie in Ungarn.

2. Ungarn: Gleich­geschaltete Kunst

Nach Jahren der Repression holte die ungarische Regierung 2019 zum finalen Schlag gegen die subventionierten Häuser aus. Mit dem sogenannten «Kulturgesetz» stellte sie viele der bisher noch eigenständigen Kultur­betriebe, vor allem Theater, unter die Kontrolle eines «Nationalen Kulturrats». Das sollte «die strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung gewährleisten». Von da an hatten die Institutionen die Wahl: entweder auf Subventionen verzichten oder staatliche Eingriffe akzeptieren.

Manche Theaterleute gründeten eigene Ensembles, mit denen sie in Häusern der freien Szene ab und zu noch arbeiten konnten. 2023 kam der Todesstoss, als den freien Häusern, die ohnehin nur noch dank internationaler Koproduktionen überlebten, die Subventionen erneut um 40 Prozent gekürzt wurden. In der Folge schlossen die Kunstorte, die Künstler verlegten ihre Aktivität endgültig ins Ausland. «Kultur kann in Ostmittel­europa nicht ohne staatliche Förderung bestehen», konstatiert der Theater­kritiker Tamás Jászay.

Um die Kultur auszuhöhlen, war keine brachiale Gewalt nötig, wie der renommierte ungarische Theaterregisseur Árpád Schilling erklärt:

In Ungarn werden Theater­regisseure und -intendanten nicht inhaftiert oder unter Haus­arrest gestellt wie in Russland. Orbáns Ordnung braucht keine Gewalt und keine Repressionen, sie funktioniert über Geld und gesetzliche Bestimmungen. Kritiker werden ausgeblutet, viele wandern einfach aus.

Schilling lebt mittlerweile in Paris und arbeitet an internationalen Häusern, im Januar inszenierte er die Oper «Eugen Onegin» an den Bühnen Bern. Auch seine Kollegen Viktor Bodó oder Kornél Mundruczó arbeiten international, Mundruczós letzte Arbeit «Parallax» feierte Premiere an den Wiener Festwochen und konnte nur zustande kommen, weil sich elf Koproduktions­partner beteiligten. Der Abend, der über drei Generationen die Geschichte einer Familie zwischen Holocaust und Antisemitismus, Identitäts­findung und Leben in der LGBTQIA+-Szene erzählt, ist die erste Arbeit des Künstlers, die überhaupt nicht in Ungarn gezeigt wurde.

Dort sind mittlerweile andere Werke gefragt. Die auch auf Deutsch erscheinende Website «Ungarn heute» lässt wissen, dass der stellvertretende Staats­sekretär des Verteidigungs­ministeriums, János Czermann, und der Generaldirektor des National­theaters in Budapest, Attila Vidnyánszky, im Kultur­zentrum der Streitkräfte eine Kooperations­vereinbarung unterzeichnet hätten.

Czermann sagte demnach, die Militär­kultur und die künstlerischen Aktivitäten, die von den Soldaten repräsentiert werden, einschliesslich der Militär­musik, der Militär­lieder und der historischen Lieder, seien eindeutig Teil der Kultur und auch wichtige Instrumente der Verteidigungs­erziehung und der -ausbildung.

Vidnyánszky erklärte, das National­theater und das Verteidigungs­ministerium verbinde das gleiche Ziel, eine sich entwickelnde, sich bildende Generation dazu zu erziehen, ihr Land zu lieben und ihm zu dienen. Stücke würden deshalb an den Heldenmut der ungarischen Soldaten im Ersten Weltkrieg erinnern. Ohnehin habe sich das National­theater auf die Fahnen geschrieben, Inszenierungen zu präsentieren, «in denen man sich mit den Protagonisten identifizieren kann und die Werte vermitteln, die das Land aufbauen».

Ob dies das Theater ist, das die Leute sehen wollen?

Es ist mit seinem klar didaktisch-populistischen Auftrag jedenfalls ein Theater, wie es auch der deutschen AfD gefällt.

3. Deutschland: Kunst­anfeindungen in der Fläche

Im Juni 2017 schlug Hans-Thomas Tillschneider, der kultur­politische Sprecher der AfD-Landtags­fraktion Sachsen-Anhalt, vor, den Operndirektor der Bühnen Halle zu ersetzen und als Nachfolger einen «Charakter­kopf vom Format eines Attila Vidnyánszky» zu suchen. Tillschneider, der dem rechts­extremen Flügel um Björn Höcke zugeordnet wird, hat auch Ideen, wie die Theater auf gesicherte Beine gestellt werden können. Statt etwa das Rainer-Werner-Fassbinder-Stück «Angst essen Seele auf» zu zeigen – der Filmer und Dramatiker gilt immerhin als einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films – und Flüchtlingen vergünstigte Tickets zu gewähren, schlägt Tillschneider vor:

Würden zeitgemässe und gediegene, stolze und intelligente Werk­interpretationen geliefert statt hohler Experimente und statt dümmlicher Willkommens­propaganda – ich bin mir sicher, wir würden die Krise des Theaters, und zwar nicht nur die finanzielle, überwinden.

Die AfD hat konkrete Pläne für die Kultur. Als Marc Jongen 2018 die Aufgabe als kultur­politischer Sprecher der AfD-Bundestags­fraktion übernahm, gab er als Parole aus: «Es wird mir eine Ehre und Freude sein, dieses Amt auszuüben und die Entsiffung des Kultur­betriebs in Angriff zu nehmen …»

Das AfD-Parteiprogramm gibt sich zu Kultur­fragen eher kurz angebunden. Punkt 7 «Kultur, Sprache und Identität» widmet der Kultur zwei Absätze, bevor «die deutsche Sprache als Zentrum unserer Identität» beschworen, das Gendern abgelehnt und erklärt wird: «Der Islam gehört nicht zu Deutschland.»

Eine AfD-Kulturpolitik «will den Einfluss der Parteien auf das Kultur­leben zurück­drängen, gemeinnützige private Kultur­stiftungen und bürgerschaftliche Kultur­initiativen stärken» und weg von der Aufarbeitung des National­sozialismus hin zu einer «erweiterten Geschichts­betrachtung aufbrechen, die auch die positiven, identitäts­stiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst».

Zudem bekennt sich die Partei zu einer «deutschen Leitkultur» und sieht in der «Ideologie des Multi­kulturalismus» (Sie erinnern sich an die trumpsche Wörter­liste?) eine «ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit». Demgegenüber müssten «der Staat und die Zivil­gesellschaft die deutsche kulturelle Identität selbst­bewusst verteidigen».

Die Politik der AfD ist längst zu einer realen Bedrohung vor allem auf Landes­ebene geworden. Mit dem Einzug der Partei in die Kultur­ausschüsse des Bundestags und aller 16 Landes­parlamente haben Vorstösse gegen Kultur­einrichtungen zugenommen, «um deren Integrität in Abrede zu stellen – und sei es in der bekannten Rhetorik der Verschwendung von Steuer­geldern», schreibt die Mobile Beratung gegen Rechts­extremismus Berlin. Sie arbeitet seit 2001 als Anlauf­stelle für alle, die bei konkreten rechts­extremen, rechts­populistischen, rassistischen und antisemitischen Anlässen «sprech- und handlungs­sicher» werden wollen.

Die Redaktion der ARD-Sendung «Titel, Thesen, Temperamente» und die «Süddeutsche Zeitung» sammelten bereits 2019 in einer schier endlosen Liste Angriffe gegen die Kultur: Deutlich wird eine Politik der versuchten Einfluss­nahme, der Bedrohung und der Einschüchterung – auch über Social Media. Die Angriffe reichen von Hassmails und Bomben­drohungen über Strafanzeigen und Demonstrationen bis zu übermässig vielen Anfragen in den Parlamenten und Ausschüssen. Zwei Jahre später erneuerte die «Süddeutsche Zeitung» die Liste mit aktuellen Beispielen. Das Fazit des Journalisten Peter Laudenbach:

Insgesamt umfasst die Chronik rund 100 Übergriffe aus den vergangenen fünf Jahren, darunter mehrere Brand- und Sprengstoff­anschläge, zahlreiche, zum Teil sehr konkrete Mord­drohungen, versuchte Körper­verletzung, Sach­beschädigungen und die Verletzung der Privat­sphäre der attackierten Künstler.

Die AfD schreckt auch vor Angriffen auf berühmte Institutionen nicht zurück. So demonstrierten rechts­extreme Gruppen gegen ein Konzert der – dezidiert linken – Punkband Feine Sahne Fischfilet, die für das ZDF auf einer historischen Bühne am Bauhaus Dessau auftreten sollte. Daraufhin stellte die AfD-Fraktion den Antrag, der Landtag solle sich «kritisch» mit der Design- und Architekturschule des Bauhauses auseinander­setzen und dabei auch «problematische Aspekte» beachten. Wohlbemerkt: Die Rede ist vom Bauhaus in Dessau. Das ist Weltkulturerbe.

Wie reagieren auf solche Attacken?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Wegducken ist sicherlich keine Lösung. Die Bauhaus-Stiftung liess das Konzert absagen und teilte mit: «Politisch extreme Positionen, ob von rechts, links oder andere, finden am Bauhaus Dessau keine Plattform, da diese die demokratische Gesellschaft – auf der auch das historische Bauhaus beruht – spalten und damit gefährden.»

Die Reaktion führte zu einem Aufschrei: Während Mitglieder der CDU den Fehler bereits bei der Einladung an die Punk­band sahen, kritisierte die Fraktions­vorsitzende der Grünen Cornelia Lüddemann: «Das Bauhaus ist 1932 auf Betreiben der Nazis aus politischen und ideologischen Gründen geschlossen worden. Jetzt aus politischen Erwägungen in die Programm­gestaltung des ZDF einzugreifen, halte ich für gefährlich geschichts­vergessen.»

4. Schweiz: Politik der Nadel­stiche gegen die Kunst

Wer denkt, gegen solche Eingriffe sei die Schweiz gefeit, dem sei die Lektüre des SVP-Partei­programms empfohlen. Das unterscheidet sich nur marginal von dem der AfD; es wird in manchen Punkten sogar noch deutlicher. Würde es komplett umgesetzt, drohten amerikanische und ungarische Verhältnisse. Offen werden «Gender-Terror» und «Auswüchse der Trans-Kultur» (die Trump-Liste …) angeprangert. Gleichstellungs­büros will die SVP abschaffen und den «staatlich finanzierten Einrichtungen aus dem Bildungs-, Kultur- und Sozial­bereich, die diese Ideologien unterstützen und verbreiten, die Steuer­gelder» streichen.

Die zu erwartenden Angriffe auf die Kultur werden aber noch deutlicher benannt. Schliesslich bräuchten «Amateur­theater und -orchester, Gesangs­vereine, Musik­vereine, Volksmusik­gruppen bis hin zu Guggenmusik­formationen und Rockbands» keine Subventionen, sondern nur «Anerkennung und faire Bedingungen».

Während also die Volks- und Amateur­kunst hoch­gehalten wird, geht es der subventionierten Kunst an den Kragen: «Der Staat soll keine Kultur­botschaften vorschlagen, die ständig Ausgaben­erhöhungen vorsehen, um zu unverantwortlichen Budgets zu gelangen.» Denn «eine Produktion, die das Publikum nicht interessiert, hat kaum einen Nutzen. Der kommerzielle Erfolg gebührt der Kultur, die dem Publikum gefällt.»

Daraus folgt: «Nein zu einer vom Staat aufgezwungenen Kultur!» Wieder werden die Theater explizit als Ziel der Veränderungen genannt: «Die SVP lehnt die millionen­teure Zwangs­subventionierung städtischer Kultur­einrichtungen ab und verlangt, dass überkommene Kultur­strukturen, wie zum Beispiel die Theater­häuser, den heutigen Bedürfnissen angepasst und reduziert werden.»

Da ist es wieder, das altbekannte Prinzip: weg mit den Subventionen für kritische Künste.

Das schweizerische System der Konkordanz­politik mag der vollständigen Umsetzung dieser Ideen einen Riegel vorschieben. Doch können die Partei­mitglieder in diversen Gremien mit einer Politik der Nadel­stiche ihre Ideen immer wieder einfordern. Vor allem dann, wenn Inszenierungen aus politischen Gründen nicht genehm sind.

Im Kleinen erreichen die Populisten in der Schweiz längst, dass Aufführungen abgesagt werden. So erlebten Schauspielerin Brandy Butler und Dragqueen Ivy Monteiro, dass Mitglieder der Neonazi-Gruppe Junge Tat ihre «Drag Story Time» im Tanzhaus Zürich störten. Das Angebot wurde, obwohl beliebt, beendet: «Ich konnte die Sicherheit der Kinder nicht mehr garantieren», sagte Butler.

Und wer die Angriffe auf «Gender-Terror, Woke-Wahnsinn und Cancel-Culture» im Partei­programm liest, die angeblich «auf Ausgrenzung und Zensur» abzielten, erinnert sich natürlich an die Diskussionen um das Zürcher Schauspiel­haus, wo FDP-Gemeinde­rätin Yasmine Bourgeois befand: «Der woke Einheitsbrei vergrault die Zuschauer.» Genau diese Vorwürfe im Verbund mit den angeblich zu hohen Subventionen brachten das Intendanten-Duo Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg zu Fall.

Der Kampf um die Kultur, er hat auch in der Schweiz längst begonnen. 

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