Zölle
Was ist das wahre Ziel der Zölle? Der Historiker Quinn Slobodian erklärt Trumps Strategie der "direkten Ökonomie" – und die skurrilen Sci-Fi-Bücher des Handelsberaters.
Quinn Slobodian im Gespräch mit Nils Markwardt
aus: DIE ZEIT 17. April 2025
"Die MAGA-Loyalität speist sich aus einem Willen zur Bereicherung" – Seite 1
ZEIT ONLINE: Quinn Slobodian, worüber denken Sie gerade nach?
Quinn Slobodian: Ich denke darüber nach, wann genau die USA, einst die freigiebigen Anführer der westlichen Welt, in diese panische Abwehrhaltung geraten sind, die wir gerade beobachten.
ZEIT ONLINE: Sie meinen, die Zollpolitik der Trump-Regierung hat eine lange Vorgeschichte?
Slobodian: Robert Lighthizer, der Handelsbeauftragte in Trumps erster Amtszeit, war unter Präsident Ronald Reagan, also vor 40 Jahren, schon stellvertretender Handelsbeauftragter. Er verfolgte unter Trump einen Ansatz, der bereits unter Reagan galt: Man setzte vor allem auf nichttarifäre Handelshemmnisse …
ZEIT ONLINE: … also keine Zölle, sondern Einfuhrhöchstmengen oder Zulassungsstandards, die auch den Handel einschränken.
Slobodian: Ja, es ging darum, Teile der amerikanischen Auto- und Halbleiterindustrie gegen ausländische Konkurrenz zu schützen. Damit wichen die USA zwar von den Prinzipien des Freihandels ab, aber eben auch nicht zu sehr. Trumps erste Amtszeit zielte somit auf eine Reform, nicht auf die radikale Ablehnung der globalen Handelsarchitektur. Auch in Bezug auf China wollte man durch Handelspolitik vor allem besseren Zugang zu dessen Binnenmarkt erreichen, keine völlige Entkopplung.
Eine gefährliche Wahl
ZEIT ONLINE: In Trumps zweiter Amtszeit liegen die Dinge nun anders.
Quinn Slobodian: "Die MAGA-Loyalität speist sich aus einem Willen zur Bereicherung"
Slobodian: Die Zölle gegenüber China sind mit 145 Prozent mittlerweile so hoch, dass sie langfristig die internationale Arbeitsteilung zerstören würden. Sollte das Ziel dahinter die Re-Industrialisierung der USA sein, wird das kurzfristig nicht funktionieren. Dafür bräuchte man Öffentlich-Private Partnerschaften, staatliche Subventionen sowie Abstimmungen mit dem Industriesektor. Deshalb erscheint Trumps aktuelle Zollpolitik vielmehr wie ein Akt präsidialer Willkür, ein machtpolitischer Selbstzweck, ohne ökonomische Theorie dahinter.
ZEIT ONLINE: Die Financial Times ging sogar noch einen Schritt weiter und verbuchte Trumps Zollpolitik als Ausdruck eines mafiösen Politikstils. Und tatsächlich prahlte der US-Präsident jüngst damit, dass ausländische Regierungsvertreter nun nach Washington pilgerten, um ihm für einen Deal "den Arsch zu küssen".
Slobodian: Mit der ersten Welle von Zöllen wollte Trump herausfinden, welche Länder klein beigeben und welche zurückschlagen. Erstere wurden belohnt, zweitere bestraft. Das folgt Trumps üblichem Playbook. In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen Blick auf Peter Navarro zu werfen, Trumps sogenannter Direktor für Handel und Industriepolitik und Leiter des Nationalen Handelrats.
ZEIT ONLINE: Warum?
Slobodian: Weil es drei unterschiedliche Perspektiven auf ihn gibt. In der ersten ist er ein geradezu obsessiver Gegner Chinas. 2011 veröffentlichte er mit einem Co-Autor das Science-Fiktion-artige Buch Death by China. Darin wird beispielsweise erzählt, dass Menschen in der Zukunft wegen gepanschter Diabetesmedikamente aus China sterben und Kriminelle ihr Unwesen treiben, weil sie high von chinesischem Super-Cannabis sind. Ebenso bekommen die Amerikaner beim Verlassen ihrer Häuser Atemnot, weil überall "Chog" herrsche, wie die Autoren das nennen, aus China kommender Smog.
ZEIT ONLINE: Das hat Trumps einflussreicher Handelsberater geschrieben?
Slobodian: Das Buch wurde sogar als eine Art Dokumentation verfilmt, mit der Erzählstimme von Martin Sheen. Finanziert hat das ganze Nucor, einer der größten amerikanischen Stahlproduzenten. Im Film gibt es auch eine Szene, in der ein riesiges Messer mit der Aufschrift "Made in China" in die Landkarte der USA gerammt wird, aus der dann Blut spritzt. Hier zeigt sich bei Navarro also die rassistisch imprägnierte Angst vor Chinas Aufstieg. Das ist zweifellos paranoid, aber immerhin noch einigermaßen konsistent.
ZEIT ONLINE: Wie lautet die zweite Perspektive auf ihn?
Slobodian: Navarro trat auch als Investment-Berater auf und schrieb mehrere Bücher darüber, wie man erfolgreich an der Börse spekuliert. Eines davon trägt den Titel Wenn es in Brasilien regnet, investieren Sie in Starbucks-Aktien!. Besieht man nun die vergangenen Wochen, allen voran das kurzfristige Aussetzen gerade erst verkündeter Zölle, ist Trumps Handelskrieg womöglich schlicht eine Mischung aus Insiderhandel und Marktmanipulation. MAGA-Loyalisten werden zum richtigen Zeitpunkt mit Informationen versorgt, sodass alle schnelles Geld verdienen.
ZEIT ONLINE: Und die dritte Perspektive?
Slobodian: Navarros Co-Autor bei Death by China war Greg Autry, ein Unternehmer im Bereich der kommerziellen Raumfahrt. In ihrem Buch argumentierten beide, man müsse China auch deshalb eindämmen, damit das Land den Weltraum nicht vor den USA kommerzialisiere. Insofern handelt es sich bei Navarro auch um einen Wirtschaftsnationalisten und Autarkie-Verfechter, der nicht nur das US-Territorium im Blick hat, sondern ebenso das kosmische Hinterland, in dem womöglich eine Unmenge Ressourcen zu holen sind.
"Eine Orbánisierung der USA ist realistisch"
ZEIT ONLINE: Jüngst haben Sie noch eine weitere Erklärung für Trumps Zollkrieg geliefert. So, wie Rechtspopulisten immer wieder Instrumente der direkten Demokratie benutzen – man denke nur an den Brexit oder die Schweizer Volksabstimmungen zu Minaretten –, verfolge die US-Regierung die analoge Strategie einer "direkten Ökonomie". Können Sie das genauer erklären?
Slobodian: Es ist mittlerweile eine gängige wirtschaftspolitische Strategie rechtspopulistischer Bewegungen, intermediäre Akteure wie die offiziellen Börsen, institutionelle Investoren oder staatliche Behörden zu umgehen. So wird der Transfer von Vermögen direkter und damit sicht- und spürbarer. Während der Corona-Pandemie bekamen US-Bürger von Trump unterschriebene Stimulus-Checks etwa direkt in den Briefkasten geliefert. Ein anderes Beispiel sind die von Trump herausgegebenen Meme-Coins, die sein Gesicht schmücken und mit dem Versprechen beworben werden, ihr Wert werde steigen. Die AfD wiederum verkaufte über ihre Website einst Goldmünzen. Die Art und Weise, wie Trump nun Zölle als Machtinstrument einsetzt, lässt Menschen am Gefühl seiner vermeintlichen Omnipotenz teilhaben. Ebenso ist damit der Glaube verbunden, man könnte direkt von dieser Zollpolitik profitieren. Man darf nicht vergessen: Die MAGA-Loyalität speist sich oft aus einem Willen zur Bereicherung.
ZEIT ONLINE: Dabei ist ja oft das komplette Gegenteil der Fall, die Menschen werden von den Rechtspopulisten über den Tisch gezogen. Kürzlich berichtete etwa ein chinesischer Produzent von Trump-Merchandise, ihm machten die hohen Zölle nichts aus. Schließlich kostete ein Trump-Basecap in der Produktion nur einen Dollar, werde in den USA aber für 50 Dollar verkauft. Die Gewinnspanne ist also hoch genug. Und im Zweifel würden die Trump-Fans vermutlich sogar 60 Dollar bezahlen. Was durch die Zollpolitik droht, ist eine Inflation in den USA.
Slobodian: Bis jetzt schlagen die Folgen des Zollkriegs noch nicht wirklich durch, im Alltagsleben spürt man noch keine höheren Preise. Auf rechten TV-Kanälen wie Fox News wird zudem betont, man solle nicht in Panik verfallen, es handele sich um einen ausgeklügelten Plan Trumps. Aber selbst, wenn die Preise steigen sollten, werden die MAGA-Leute vermutlich die Schuld jemandem anderem geben. Die Stimmung würde sich vermutlich erst drehen, wenn die Menschen ihre Sozialversicherungsleistungen nicht mehr bekämen.
ZEIT ONLINE: Warum konzentriert Trump sich mit seiner Zollpolitik eigentlich so sehr auf die Industrieproduktion? Schließlich macht diese nur rund zehn Prozent der US-Wirtschaft aus. Der Dienstleistungssektor – also Gesundheit, Bildung oder Tourismus – ist deutlich größer.
Slobodian: Man kann relativ genau datieren, wann dieser politische Fokus auf die Re-Industrialisierung in den Vereinigten Staaten entstand. Und zwar während des Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2016. Bernie Sanders thematisierte damals, wie die Globalisierung Teile des amerikanischen Arbeitsmarktes verwüstet hatte. Nachdem Sanders aus dem Präsidentschaftsrennen ausgeschieden war, übernahm Trump diesen Fokus, sprach etwa von "American Carnage", einem "Gemetzel", das er stoppen wolle. Diese Politisierung der Industrieproduktion war relativ neu, vorher hatte in den USA kaum jemand Freihandelsverträge infrage gestellt. Auch Joe Biden priorisierte in seiner Präsidentschaft die Rückkehr gut bezahlter Industriejobs, verband diese in seinem Green New Deal indes mit einer Energiewende. Insgesamt scheint mir aber, dass der Fokus auf Industriejobs eher ein Thema der politischen Elite als der breiten Masse ist.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Slobodian: Ich habe nicht den Eindruck, dass Durchschnittsamerikaner sich nach einem Job am Fließband sehnen. Die meisten Menschen würden wohl lieber im Handel, Baugewerbe oder der Landwirtschaft arbeiten. Man muss den Fokus auf die Re-Industrialisierung deshalb eher als Teil eines größeren Plans der MAGA-Bewegung verstehen.
ZEIT ONLINE: Was ist das für ein Plan?
Slobodian: Er besteht aus drei Projekten. Erstens das bereits angesprochene Re-Industrialisierungsprogramm verbunden mit einem Decoupling von China. Das zweite besteht in einer geopolitischen Neuausrichtung, einer Neuauflage der Monroe-Doktrin. Das heißt: Die USA sehen ihre Einflusszone in Nord- und Mittelamerika, Eurasien überlässt man Putin – mit dem sollen die Europäer allein klarkommen. Im dritten Projekt sollen die gesellschaftlichen Führungseliten im Stile des Orbánismus auf Linie gebracht werden. Dazu dienen etwa die Kürzungen durch Elon Musks DOGE-Behörde oder die Attacken auf die Elite-Universitäten.
ZEIT ONLINE: Können sie mit diesen Projekten denn erfolgreich sein?
Slobodian: Mit den ersten beiden eher nicht. Denn Re-Industrialisierung bräuchte einen langen Atem, den die MAGA-Bewegung nicht hat. Auch die Neuausrichtung der Geopolitik wird nicht funktionieren, weil es in der Trump-Administration immer noch genug neokonservative Interventionisten gibt, die – das hat zuletzt die Chat-Affäre um den Journalisten Jeffrey Goldberg gezeigt – gerne noch Bombenangriffe im Jemen fliegen lassen und der Idee globaler US-Hegemonie anhängen. Aber eine Orbánisierung der USA, das dritte Projekt, ist realistisch. Denn wer sollte diese verhindern? Die Demokraten ja wohl kaum.
ZEIT ONLINE: Die Politikwissenschaftlerin Anne Applebaum beschrieb jüngst in einem Essay, wie sehr Orbáns korrupter Autoritarismus Ungarn in die Verarmung getrieben hat. Eine Orbánisierung würde den Vereinigten Staaten also vermutlich viel Wohlstand kosten. Dagegen könnten sich die Menschen doch auflehnen, oder?
Slobodian: Es käme darauf an, wie genau sich der Schaden verteilt. Eine der zentralen Aufgaben des Verwaltungsstaats besteht ja darin, in größeren Zeiträumen zu denken, sich also zu fragen, wie die Welt in zehn Jahren aussehen soll und welche Programme man dementsprechend finanziert. Hier in Massachusetts wird von der Regierung etwa gerade die Woods Hole Oceanographic Institution zusammengekürzt, die Klima- und Ozeanforschung betreibt. Wenn Trump solche Institutionen zerstört und den Bürgern stattdessen einen 1.000-Dollar-Scheck sendet, wäre die Hälfte des Landes wahrscheinlich glücklich. Ich tue mich also schwer, diesen Prozess nur in den Kategorien von ärmer oder reicher zu betrachten. Auch, weil die Trump-Regierung durch ihr Vorgehen ja zugleich staatliche Strukturen zerstört und Komplexität reduzieren will.
ZEIT ONLINE: Was meinen Sie hier mit Reduktion von Komplexität?
Slobodian: Die klassische neoliberale Ideologie konnte produktiv mit komplexen Verhältnissen umgehen, also etwa mit gesellschaftlicher Diversität oder vielschichtigen Institutionen. Trumps Vulgär-Neoliberalismus richtet sich indes gegen Komplexität, ihm geht es um Schlichtheit, er will direkte Beziehungen zwischen Arbeit und Wert herstellen, jedoch ohne dabei den Marktmechanismus infrage zu stellen. Es ist die Schlechteste aller Welten: ein Vulgär-Materialismus, der alles dem Markt unterwerfen will. Man will alles loswerden, was nicht sofort Mehrwert erzeugt – wie etwa die Ozeanforschung.
ZEIT ONLINE: Der Bau- und Medienunternehmer Lőrinc Mészáros, einer der reichsten Menschen Ungarns, sagte einmal, er habe seinen Wohlstand "Gott, Glück und Viktor Orbán" zu verdanken. Diese mafiöse Dimension des Orbánismus würde Trump sicher auch gefallen.
Slobodian: Das stimmt, wobei Trump nicht nur einer neopatrimonialen Mafia-Logik folgt. In seiner Karriere hat er sich beispielsweise immer wieder das Insolvenzrecht zunutze gemacht. Es ist also auch nicht so, dass Trump einfach Komplexität durch Patronage ersetzt. Vielmehr nutzt er beides.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Slobodian: Trump inszeniert einerseits eine Form der Allmacht, andererseits fällt er, der mehrfache Bankrotteur, beim Scheitern immer wieder auf die Füße, weil er das System für sich zu nutzen weiß. Er hat stets von den Schlupflöchern im Steuer- und Rechtssystem profitiert, die jene bevorteilen, die viel Vermögen haben oder sich teure Anwälte leisten können. Als Hillary Clinton Trump einst im TV-Duell vorwarf, keine Steuern gezahlt zu haben, hat er das gar nicht abgestritten, sondern geantwortet, dass ihn das ja gerade so smart mache. Er kennt das System, und nutzt es zu seinem Vorteil. Insofern verkörpert Trump weniger etwas ganz Neues, sondern ist auch das Produkt der bestehenden Verhältnisse.
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