Dienstag, 3. Mai 2011

Toxikologie

Slavoij Zizek Was jetzt also als besonderes Menschenrecht in den spätkapitalistischen Gesellschaften auftaucht, ist das Recht, nicht belästigt zu werden, ein Recht, das es uns gestattet, einen sicheren Abstand zu den anderen zu wahren.
Kein Wunder also, dass die Idee von „toxischen Subjekten“ in jüngster Zeit in den Vordergrund tritt. Diese Vorstellung stammt ursprünglich aus der Populärpsychologie und warnt uns vor emotionalen Vampiren, die da draußen auf uns lauern, hat sich nun aber weiter über die unmittelbaren zwischenmenschlichen Dimensionen hinaus entwickelt.
Die Bezeichnung „toxisch“ umfasst eine ganze Reihe von Gebieten, die auf gänzlich unterschiedlichen Niveaus angesiedelt sind. ... Ein „toxisches Subjekt“ kann ein Einwanderer sein, der den Keim einer tödlichen Seuche in sich trägt und daher unter Quarantäne gestellt werden sollte ... es kann ein fundamentalistischer Ideologe sein, den man zum Schweigen bringen muss, da er durch seine Reden den Hass schürt; ein Elternteil, Lehrer oder Priester, der sich an Kindern vergeht und sie dadurch verdirbt.
... Toxisch ist letztlich also der fremde Nächste als solcher, der Abgrund ihrer oder seiner Genüsse, Glaubensgrundsätze und so weiter. Und damit bestünde das Endziel aller Regeln zwischenmenschlicher Beziehungen auch darin, diese toxische Dimension unter Quarantäne zu stellen oder zumindest zu neutralisieren, also den Nächsten zum Mitmenschen zu machen.
Überall finden wir heute Produkte, die von ihrem schädlichen Inhalt gereinigt wurden: koffeinfreier Kaffee, fettfreie Schlagsahne, alkoholfreies Bier. Diese Liste lässt sich verlängern: Wie wäre es mit virtuellem Sex ohne Sex; mit der Kriegsdoktrin à la Colin Powell, wo es keine Verluste mehr gibt (auf unserer Seite, versteht sich), also einem Krieg ohne Krieg; oder mit der heute üblichen Neudefinition der Politik, die nun vorausschauende Klugheit einer Expertenverwaltung ist und demnach zur politikfreien Politik wird; oder eben dem heute so populären liberalen Multikulturalismus als einer Erfahrung des anderen, dem seine Andersheit entzogen wurde – der koffeinfreie andere, der so faszinierende Tänze tanzt und dessen ganzheitliche Weltsicht so wunderbar ökologisch scheint, während man andere Aspekte, wie das Verprügeln von Ehefrauen, außen vor lässt.

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